Archiv 1945

„Das Jahr 1945 beginnt für die Alliierten düster. In Athen wird immer noch gekämpft. Das Lubliner Komitee hat die verworrene polnische Politik weiter verkompliziert, indem es sich selbst zur provisorischen Regierung Polens erklärt hat. Auf der anderen Seite des Atlantiks sind die Kritik der USA an Großbritannien und das Misstrauen gegenüber Russland kaum Anzeichen für eine Entschärfung des Konflikts. Auch in militärischer Hinsicht ist die Lage enttäuschend. Die Ardennenoffensive wurde zwar gestoppt, doch dass sie überhaupt Erfolg hatte, steht in starkem Widerspruch zu den großen Hoffnungen des vergangenen Sommers.“

„Seit 1942 wurden keine Autos, Kühlschränke, Klaviere, Staubsauger, Tennis- oder Golfbälle mehr hergestellt, und nur sehr wenige Radios, Fahrräder, Uhren und Füllfederhalter.“

„Seine Rede war voller deutscher Mythen, vom Wiederaufbau größerer und besserer deutscher Städte, vom Scheitern der bürgerlichen Welt und vom Anbruch einer neuen Ära nationalsozialistischer Prinzipien… Er scheint jenseits einer Einmischung in die Kriegsstrategie, sei sie auch noch so gering, zu sein und kümmert sich nur noch um den verzweifelten Nationalismus des deutschen Volkes.“

"Die Landung auf Luzon, der größten der philippinischen Inseln, hat begonnen. Große amerikanische Truppenverbände haben bereits vier Brückenköpfe errichtet, und obwohl noch harte Kämpfe bevorstehen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die letzte Phase der Rückeroberung der Philippinen begonnen hat und das Ende in Sicht ist."

„Angesichts dieser Situation—eines potenziellen Griechenlands des Fernen Ostens in einem noch größeren und verheerenderen Ausmaß—welche Politik sollten die Alliierten verfolgen? Chinas Verbündete leiden unter dem gravierenden Nachteil, dass ausländische Interventionen stets unpopulär sind und eine Einmischung, wenn sie zu weit getrieben wird, lediglich zu heftiger Abneigung gegen die Intervenierenden führen kann... Deshalb müssen die Alliierten mit äußerster Geduld und Fingerspitzengefühl beide Seiten in China zur Einheit drängen."

„Frankreich ist in eine Lage gekommen, aus der es schleunigst gerettet werden muss. Die Bevölkerung von Paris und vielen anderen Städten friert aus Mangel an Kohle; in der ersten Januarwoche wurden täglich durchschnittlich knapp über 10.000 Tonnen Kohle nach Paris geliefert, ein Bruchteil dessen, was normalerweise benötigt wird und kaum genug, um den dringenden Bedarf von Krankenhäusern, Schulen und essentieller öffentlicher Dienstleistungen zu decken.“

„Ein undurchdringlicher Schleier der Geheimhaltung hat sich über das sowjetisch besetzte Europa gelegt. Vereinzelte Hinweise und Informationsfetzen deuten auf politische Spannungen hier und da und teilweise auf bewaffnete Zusammenstöße zwischen Russen und lokalen Kräften hin. Doch die Geheimhaltung macht es nahezu unmöglich, das Ausmaß und die Bedeutung dieser Unruhen einzuschätzen. Wie auch immer ihre Politik in den besetzten Gebieten aussehen mag, die sowjetische Regierung wird nicht durch die hohen Ansprüche demokratischer Meinungsbildung und parlamentarischer Kontrolle behindert.“


„Es steht daher außer Zweifel, dass Oberschlesien in den letzten zwei Jahren zahlreiche neue Industriezweige entwickelt hat. Neben neuen Chemiewerken sind überall in der Gegend große Fabriken für Kriegsmaterial aller Art entstanden, meist abseits bewohnter Orte und gut durch Wälder und Hügel getarnt.“

„Die Zerschlagung des deutschen Militarismus und des deutschen Generalstabs wird zum ersten Mal neben der Vernichtung des Nationalsozialismus erwähnt. Die Bestrafung von Kriegsverbrechern wird erneut bekräftigt. Erstmals wird offiziell angedeutet, dass die Deutschen schließlich ‚ein anständiges Leben ... und einen Platz in der Völkergemeinschaft‘ gewinnen können. Unklarheiten gibt es bei der wirtschaftlichen und territorialen Regelung.“

„Alles hängt davon ab, wie Begriffe wie ‚demokratisch‘, ‚freie und ungehinderte Wahlen‘, ‚demokratische und nicht-nazistische Parteien‘, ‚nicht durch Kollaboration mit dem Feind kompromittiert‘ in der Praxis ausgelegt werden. Wenn diese Worte bedeuten, was sie sagen, und was Briten und Amerikaner darunter verstehen, dann würde eindeutig ein großer Fortschritt erzielt werden. Darauf kann jedoch allein die Umsetzung dieser Beschlüsse eine endgültige Antwort geben... Es gibt jedoch einen sicheren Test. Wenn die auf der Basis der Krim-Erklärung eingesetzten Regierungen und die von ihnen verwalteten Gesellschaften gesunde Anzeichen von Auseinandersetzungen, Meinungsverschiedenheiten und echter politischer Unabhängigkeit zeigen, kann man getrost ‚Amen‘ zu den vorliegenden Vorschlägen sagen.“

„Erstens sind die russischen Armeen zahlenmäßig deutlich überlegen. Nachdem der Durchbruch erfolgt war, wurde der Vormarsch durch das dichte Straßennetz beschleunigt. Die für Ostdeutschland und Westpolen typischen Flüsse, Seen und Sümpfe stellten daher kein Hindernis dar. Unter diesen Umständen kann eine bloße Stabilisierung der Kämpfe an einer neuen Front entlang der Oder bestenfalls ein vorübergehendes Aufhalten bedeuten, wenn überhaupt.“

„Hinter dieser Propaganda, die noch nie so viele Superlative verwendet hat, um die Not der Flüchtlinge und die Gefahr für das Reich zu beschreiben, schreitet die Neuorganisation der Armeen zweifellos voran. Die politische Opposition von Generälen und anderen Offizieren, die im letzten Sommer einen Moment der Gefahr darstellte, scheint nicht vorhanden zu sein; tatsächlich erscheint nach den Säuberungen des letzten Jahres eine wirksame Opposition im Moment kaum wahrscheinlich. Bislang scheint die Politik der Alliierten in Richtung einer bedingungslosen Kapitulation zu einer ‚bedingungslosen Verteidigung‘ geführt zu haben.“

„Dies sind düstere Wochen für die Führung und das Volk Japans. Die Philippinen sind so gut wie verloren. Amerikanische Truppen landen auf Iwojima, nur knapp tausend Kilometer von der japanischen Küste entfernt. Tokio und andere Städte haben die ersten einer Serie von Bombenangriffen durch mehr als tausend amerikanische Flugzeuge erlebt. Gleichzeitig deuten die Nachrichten aus Europa—die Konferenz von Jalta und die weitreichenden sowjetischen Vorstöße in Deutschland—darauf hin, dass die Alliierten bald in der Lage sein können alle ihre Kräfte gegen Japan zu bündeln."

Asia Pacific, Feb 15th 1945
Allied control
Tokyo
Enemy control
JAPAN
CHINA
PACIFIC
OCEAN
Iwo Jima
Burma
PHILIPPINES
SIAM
Lingayen
Gulf
Manila
french
indochina
Dutch east indies
Source: United States government

Asia Pacific, Feb 15th 1945
Allied control
Enemy control
Tokyo
JAPAN
CHINA
Iwo Jima
Burma
PACIFIC
OCEAN
PHILIPPINES
SIAM
Lingayen
Gulf
Manila
french
indochina
Dutch east indies
Source: United States government

Asia Pacific, Feb 15th 1945
Allied control
Enemy control
JAPAN
Tokyo
CHINA
Iwo Jima
PACIFIC
OCEAN
PHILIPPINES
Lingayen
Gulf
Manila
Source: United States government

„Es gibt also einige Hinweise, die die Ansicht stützen, dass mit zunehmender Gewissheit einer Niederlage die Chance auf einen Regimewechsel in Japan steigt, der den japanischen Badoglio an die Macht bringt, der bereit wäre, nicht zu verhandeln, sondern die bedingungslose Kapitulation zu akzeptieren. Doch wäre es sehr gewagt, dies als Gewissheit anzunehmen, und es gibt andere Faktoren und Kräfte, die eine andere Geschichte erzählen. Das Zentrum des Extremismus in Japan ist die Armee, und bei jeder entscheidenden Wende in der japanischen Politik seit 1931 haben sich die militärischen Führer weitgehend durchgesetzt. Auch ist es wahr, dass ihr Weg bisher von schnellen Erfolgen gekrönt war."

„Niemand glaubt heute, dass die ‚letzte Entwarnung' eine sofortige Rückkehr zum Vorkriegsleben mit seiner Fülle an Annehmlichkeiten einläuten wird. Die Fortsetzung der Rationierung, mit nur allmählicher Lockerung, wird als unvermeidlich akzeptiert. Nichtsdestotrotz wird der Waffenstillstand mit Deutschland eine Welle von Ausgaben freisetzen—wie sehr auch immer offiziell davon abgeraten wird,—die überall dort getätigt werden, wo es keine verhängte Pro-Kopf-Rationierung gibt. Das Kriegsende wird das Korsett sprengen, in das sich das soziale Gewissen in den letzten fünf Jahren hineingezwungen hat. Nur wenige werden zweimal überlegen, ob sie an Treibstoff oder Geld sparen, wenn es darum geht, sich irgendwie zu helfen, Reparaturen durchzuführen oder Reisen zu unternehmen, die per Definition nicht ‚wirklich notwendig' sind."

„Der Bedarf des Gastgewerbes an staatlicher Unterstützung musste dringend gedeckt werden. Die Aufhebung des Reiseverbots in Verteidigungsgebiete im letzten Jahr führte zu einem Besucherstrom in die Ferienorte an der Ost- und Südostküste, auf den diese schlecht vorbereitet waren und den die Eisenbahn nicht bewältigen konnte. In diesem Jahr dürfte die Zahl der Urlauber angesichts der durch die militärische Lage hervorgerufenen Stimmung noch erheblich größer sein. Die Menschen sind jetzt bereit, sich eine gewisse Erholung von den Entbehrungen zu gönnen. Sollte der Waffenstillstand vor der Haupturlaubszeit kommen, wird die Nachfrage nach Urlaubsplätzen noch stärker ansteigen. Aus momentaner Sicht ist eine akute Knappheit an Ferienunterkünften zu erwarten."

„In der ersten Märzwoche entbrannten Schlachten an Rhein und Oder, die das letzte Kapitel des europäischen Krieges einläuteten. Die alliierten Armeen im Westen erreichen den Rhein auf einer langen Front von Koblenz bis zur niederländischen Grenze. Rundstedt, hoffnungslos unterlegen, kann nicht einmal die großen Städte am linken Rheinufer als Brückenköpfe für die Wehrmacht halten... Sein eigentliches Ziel kann nur sein, die Errichtung alliierter Brückenköpfe über den Rhein so lange wie möglich zu verzögern. Selbst ein Teilerfolg hierin würde Deutschland keine wirkliche Entlastung bringen."

Europe, March 15th 1945
Axis control
Neutral
Recent Allied gains
Allied control
On pre-war borders
sweden
Baltic
Sea
denmark
denmark
North
Sea
Danzig
Stettin
Berlin
POLAND
neth.
britain
neth.
Oder
germany
Cologne
Bel.
czechoslovakia
Rhine
Lux.
AUSTRIA
hungary
switz.
france
yugoslavia
italy
Sources: United States government; Mapping The International System, 1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

Europe, March 15th 1945
On pre-war borders
Recent Allied gains
Allied control
Axis control
Neutral
sweden
Baltic
Sea
denmark
denmark
North
Sea
Danzig
Stettin
Berlin
POLAND
neth.
neth.
germany
Oder
Cologne
Bel.
czechoslovakia
Rhine
Lux.
AUSTRIA
hungary
switz.
france
yugoslavia
italy
Sources: United States government; Mapping The
International System, 1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

Europe, March 15th 1945
On pre-war borders
Axis control
Neutral
Recent Allied gains
Allied control
sweden
Baltic
Sea
denmark
denmark
North
Sea
Danzig
Stettin
Berlin
POLAND
neth.
neth.
Oder
germany
Cologne
Bel.
czechoslovakia
Rhine
Lux.
AUSTRIA
hungary
switz.
france
yugoslavia
italy
Sources: United States government; Mapping The International System,
1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

„Gegen Ende Februar besuchte Feldmarschall Alexander Jugoslawien und konferierte mit General Tolbuchin, dem sowjetischen Oberbefehlshaber auf dem Balkan, und mit Marschall Tito. Vermutlich erörterten sie Mittel und Wege zur vollständigen Befreiung des Balkans. Fast ganz Südosteuropa ist nun befreit, obgleich in Jugoslawien noch vereinzelte deutsche Widerstandsnester existieren. Die Wehrmacht hält jedoch nach wie vor ganz Kroatien sowie das Gebiet zwischen Plattensee und Donau im Nordwesten Ungarns. Diese beiden Bollwerke sichern die Zugänge nach Österreich.“

„Die politische Lage auf dem Balkan und im Donauraum ist weit weniger zufriedenstellend als die militärische. Unruhe und Spannungen herrschen in der gesamten Region. Die befreiten Völker leiden unter zwei altbekannten Plagen: der Gewalt sozialer und politischer Konflikte und der Heftigkeit unzähliger nationalistischer Fehden. Sowohl die inneren Umwälzungen als auch die nationalen Konflikte sind auf die eine oder andere Weise mit den Beziehungen zwischen den alliierten Großmächten verknüpft. Die altbekannten Balkanprobleme tauchen in einer nur teilweise neuen Form wieder auf und drohen, internationale Schwierigkeiten zu verursachen.“

„Das Beunruhigende an diesen typischen Balkanturbulenzen ist, dass die lokalen Anführer, Generäle und Oberhäupter offenbar darauf hoffen, mögliche Rivalitäten zwischen den alliierten Großmächten für ihre eigenen Zwecke ausnutzen zu können. Beinahe zwangsläufig ist eine Situation entstanden, in der die Linke im Allgemeinen auf die Unterstützung Russlands setzt, während die Rechte ihre Hoffnungen auf eine Intervention der Westmächte richtet. Vage politische Berechnungen basieren auf den groteskesten Annahmen… Es ist sinnlos zu leugnen, dass die Politik der Großmächte vor Ort solchen Interpretationen manchmal Nahrung gibt.“

„Hinter den Frontlinien der Roten Armee erstrecken sich weite Flächen ‚verbrannter Erde‘. Dass die dort angerichtete Zerstörung enormen Ausmaßes ist, steht fest, auch wenn das Ausmaß von Provinz zu Provinz und von Stadt zu Stadt variiert. Eine vorläufige offizielle Schätzung beziffert die Fläche der totalen Zerstörung auf 1.800 Quadratkilometer. Aus Dutzenden von Städten und Gemeinden in der Ukraine und in Weißrussland [Belarus] treffen Berichte ein, wonach das Leben bis in seine Grundfesten erschüttert ist. In vielen Städten blieben von Tausenden Häusern nur wenige Dutzend oder einige Hundert stehen, nachdem die Deutschen vertrieben worden waren.“

„Doch die Geschichte der Zerstörung, die sich endlos fortsetzen ließe, erzählt nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte, nicht weniger bemerkenswert, wird durch Berichte über die industrielle Entwicklung und Expansion im Osten Russlands während des Krieges illustriert, die sich aus der Verlagerung von Anlagen aus dem Westen und einer intensiven Kapitalakkumulation vor Ort ergab. Kürzlich veröffentlichte Zahlen und Erklärungen deuten darauf hin, dass das Entwicklungstempo im Osten so hoch war, dass es der russischen Schwerindustrie ermöglichte, ihr Vorkriegsproduktionsniveau wiederzuerlangen und sogar zu übertreffen.“

„Durch harte Arbeit und beispiellose Opfer ist es Russland gelungen, den Krieg nicht nur militärisch auf den Schlachtfeldern, sondern auch wirtschaftlich in den Fabriken und Bergwerken zu gewinnen. Trotz der immensen Zerstörungen in den westlichen Gebieten kann es nun in seinen neu errichteten Fabriken im Osten die Grundlage für den Wiederaufbau finden.“

„Die Rheinüberquerung der Alliierten wird für immer zu den entscheidendsten und zweifellos zu den taktisch brillantesten Schlachten der Geschichte zählen. Artilleriebeschuss, Luftangriffe, Fallschirmlandungen—alles spielte seine präzise getimte Rolle, und die Ingenieure vollbrachten Meisterleistungen, indem sie unter schwerem Feuer Brücken über den breiten und reißenden Fluss schlugen. Entlang des gesamten Rheins, von Wesel bis Straßburg, entstanden in schneller, kaleidoskopischer Folge Brückenköpfe, die in kürzester Zeit zu einer durchgehenden Front verbunden wurden. Jenseits des Rheins erwies sich die deutsche Verteidigung als dünn und brüchig.“

Europe, April 1st 1945
Axis control
Neutral
Recent Allied gains
Allied control
On pre-war borders
sweden
Baltic
Sea
denmark
denmark
North
Sea
Berlin
POLAND
neth.
britain
neth.
Oder
germany
Wesel
Bel.
czechoslovakia
Rhine
Vienna
Strasbourg
Danube
hungary
AUSTRIA
switz.
france
italy
yugoslavia
Sources: United States government; Mapping The International System, 1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

Europe, April 1st 1945
On pre-war borders
Recent Allied gains
Allied control
Axis control
Neutral
sweden
Baltic
Sea
denmark
denmark
Berlin
POLAND
neth.
neth.
Oder
germany
Wesel
Bel.
czechoslovakia
Vienna
Vienna
Rhine
Danube
france
AUSTRIA
hungary
switz.
italy
yugoslavia
Sources: United States government; Mapping The
International System, 1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

Europe, April 1st 1945
On pre-war borders
Axis control
Neutral
Recent Allied gains
Allied control
sweden
Baltic
Sea
denmark
denmark
North
Sea
Berlin
POLAND
neth.
neth.
Oder
germany
Wesel
Bel.
czechoslovakia
Rhine
Vienna
Strasbourg
Danube
hungary
AUSTRIA
switz.
france
italy
yugoslavia
Sources: United States government; Mapping The International System,
1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

„Die völlige Lähmung des Verkehrs; die spärlichen industriellen Ressourcen Mitteldeutschlands, Österreichs und Westböhmens, die der Wehrmacht noch bleiben; der erbärmliche Zustand der zerbombten Städte; das zunehmende administrative Chaos—all dies kann von den offiziellen Nazi-Propagandisten nicht länger verschwiegen werden. Häufige Bekanntmachungen von Hinrichtungen sogenannter ‚Feiger‘ und Rundfunkaufrufe an Nazi-Organisationen und sogar an Zivilisten, bei der Ergreifung versprengter Soldaten und Deserteure zu helfen, sind untrügliche Zeichen eines rapiden Moralverfalls. Im letzten Krieg war es—der nationalsozialistischen Legende zufolge—die Heimatfront, die der Armee in den Rücken fiel. In diesem Krieg scheint es den Nazis, als hätte die Armee der Heimatfront den Dolch in den Rücken gestoßen.“

„Die militärischen Aufgaben des Bündnisses sind zumindest in Europa nahezu erfüllt, die friedensstiftenden Aufgaben liegen jedoch größtenteils noch vor ihnen. Sie werden die alliierte Diplomatie mit Sicherheit auf eine härtere Probe stellen als alle Strapazen des Krieges. Der Sieg über den gemeinsamen Feind führt unweigerlich dazu, dass sich das Band der Solidarität, das die Verbündeten im Angesicht der tödlichen Gefahr zusammenhält, lockert. Am Vorabend des Sieges und vor allem am nächsten Tag treten die unterschiedlichen Auffassungen und Interessen wieder zutage.”

„Angesichts dieser und ähnlicher Äußerungen kann es keinen Zweifel an der Zurückhaltung geben, mit der Russland der Weltorganisation beizutreten scheint. In der Tat ist die russische Haltung von einem Anti-Liga-Komplex geprägt, der seinen Ursprung in den Erfahrungen Russlands mit dem alten Völkerbund hat. Moskau hat nicht vergessen, dass Russland der einzige Staat war, gegen den in Genf die demütigendste Sanktion—der Ausschluss aus dem Völkerbund—verhängt wurde, während so viele schamlose Aggressionen mit milder Nachsicht behandelt worden waren. Mit dieser Genfer Demütigung noch frisch im Gedächtnis, zeigt Russland, das jetzt siegreich und begehrt ist, ein übertriebenes Bestreben, sein Prestige in San Francisco zur Geltung zu bringen.”

„Für diejenigen, die die russische Politik verfolgt haben, ist diese Haltung vielleicht eine Enttäuschung, aber keine Überraschung. Jedoch gab es leider eine offizielle Verschwörung, die mehr aus Wunschdenken als aus Täuschungsabsicht geboren wurde, nämlich so zu tun, als ob alle Planungen für eine neue und bessere internationale Organisation reibungslos verlaufen würden. Dies traf besonders auf die Vereinigten Staaten zu. Die Amerikaner, die auf Papier geschriebenen Verfassungen gern magische Eigenschaften zuschreiben, wären auf jeden Fall geneigt gewesen, der formalen Bildung einer neuen internationalen Organisation eine übertriebene Bedeutung zu verleihen. Doch sahen sie sich in jüngster Zeit auch dem Druck einer Kampagne ihres Außenministeriums ausgesetzt, die Vorschläge der Konferenz von Dumbarton Oaks zu realisieren.”

„Keine auch noch so übertriebene Beschreibung des Gefühls von Verlust würde dem gerecht, was die freie Welt bei der plötzlichen Nachricht vom Tod von Präsident Roosevelt empfand. Niemals zuvor wurde weltweit so feierlich um einen Staatsmann eines anderen Landes und selten zuvor um einen unserer eigenen Führer so tief getrauert. Dies war teilweise der Dankbarkeit für einen Menschen geschuldet, der als Helfer in der Not sehr präsent war. Kein Engländer, der diese zwölf furchtbaren Monate zwischen Juni 1940 und Juni 1941 miterlebt hat, wird je vergessen, wie sehr die Hoffnung der Nation auf einen Sieg auf dieser Zuversicht verbreitenden Persönlichkeit im Weißen Haus ruhte und wie sich diese Hoffnung Schritt für Schritt materialisierte.”

„Es war kein Zufall, dass er sein Amt genau an dem Tag antrat, an dem die Banken schlossen, oder dass er der Nation im Angesicht der Weltwirtschaftskrise deutlich vor Augen führte, wozu sie verpflichtet ist. Freunde der Familie Roosevelt erzählen, dass er in den frühen 1920er Jahren, als er bei seiner Kandidatur für das Amt des Vizepräsidenten zunächst eine schmachvolle Niederlage erlitt und dann an Kinderlähmung erkrankte, nichts weiter vor ihm zu liegen schien als das Leben eines invaliden Herren auf dem Lande. Doch schon damals prophezeite er aus seinem Rollstuhl heraus, dass eine weitere große Krise auf Amerika und die Welt zukommen würde, eine Krise, die nur durch einen starken Präsidenten mit einer entschlossenen liberalen Politik überwunden werden könne, und dass er, der Krüppel Franklin Roosevelt, dieser Mann sein würde.”

„Die Augen der Welt sind nun auf Präsident Truman gerichtet. Durch einen jener außergewöhnlichen Zufälle, die nur in Amerika passieren können, folgt auf den bekanntesten Mann der Welt einer der unbekanntesten Männer der Welt. Obwohl man sagt, dass nur ein einziger Herzschlag jeden Vizepräsidenten von dem größten Amt der Welt trennt, spielen seine Qualifikationen für dieses Amt kaum oder gar keine Rolle, wenn es um seine Aufstellung durch den Nominierungsparteitag geht. Vizepräsidenten werden als politische Nothelfer gewählt, um ein paar Stimmen zu sammeln oder (häufiger) um sie nicht zu verlieren. Sie sind fast immer unbedeutende Persönlichkeiten, wenn sie plötzlich ins Rampenlicht treten.”

„Welche praktischen Erwägungen offenbarten sich? Im Allgemeinen ist der Krieg—wie der Frieden—unteilbar. Die Bindungen, die sich für Russland aus der Allianz mit den Vereinigten Staaten und Großbritannien entwickelten, sind zu vielfältig und vielseitig, als dass es weiterhin neutral bleiben könnte. Es ist kaum vorstellbar, dass ‚Die Großen Drei‘ gemeinsam eine europäische Nachkriegsordnung gestalten, ihr Bündnis aber an den Grenzen Asiens aufgeben würden...es läge nicht im Interesse Russlands, eine so sonderbare Aufteilung der Einflussgebiete zuzulassen und auf die Vorteile zu verzichten, die es von dieser Allianz auf dem pazifischen Kriegsschauplatz erwarten dürfte.”

South Pacific, April 15th 1945
Neutral
Axis control
Recent Allied gains
Allied control
Russia
Sakhalin
MONGOLIA
Vladivostok
KOREA
JAPAN
PACIFIC
OCEAN
Tokyo
CHINA
Chungking
Okinawa
Iwo Jima
Burma
PHILIPPINES
SIAM
Manila
french
indochina
Source: United States government

South Pacific, April 15th 1945
Neutral
Axis control
Recent Allied gains
Allied control
Russia
Sakhalin
MONGOLIA
Vladivostok
KOREA
JAPAN
Tokyo
CHINA
Chungking
Okinawa
Iwo Jima
Burma
PHILIPPINES
PACIFIC
OCEAN
SIAM
Manila
french
indochina
Source: United States government

South Pacific, April 15th 1945
Recent Allied gains
Allied control
Neutral
Axis control
Russia
Sakhalin
MONGOLIA
Vladivostok
KOREA
JAPAN
CHINA
Tokyo
Chungking
Okinawa
Iwo Jima
PHILIPPINES
PACIFIC
OCEAN
Manila
Source: United States government

„Es liegt offensichtlich im Interesse der Alliierten, den Pazifikkrieg schnell zu beenden. Das deutsche Beispiel zeigt, dass ein Harakiri des Gegners die Sache für die siegreichen Alliierten nicht einfacher, sondern schwieriger macht, denn es hinterlässt wirtschaftliches Chaos und soziale Verunsicherung und damit eine sehr brüchige Grundlage für jede Friedensregelung. Ein japanischer Kampf bis zum bitteren Ende, ohne dass eine Zentralregierung zur Kapitulation bereit wäre, könnte durchaus bedeuten, dass der Krieg auch nach der Eroberung der Inseln in der Mandschurei, in Korea und in China weitergehen würde. Dies wiederum könnte zu schwerwiegenden politischen Problemen in China führen, wo die Russen mit der kommunistischen Administration in Yan’an zusammenarbeiten, und die Amerikaner und wahrscheinlich auch die Briten das Regime in Chungking unterstützen würden. Eine gefährliche Rivalität zwischen den Alliierten, für die es in Europa bereits einige Beispiele gegeben hat, könnte sich auch in Asien entwickeln.”

„Mussolini ist tot. Hitler ist es nach allgemeiner Auffassung ebenso, auch wenn der Welt kein spektakulärer Beweis für seinen Tod erbracht werden konnte, indem man seinen Leichnam von Fußtritten begleitet auf offener Straße präsentiert hätte. Ob er sich wirklich der Justiz entzogen oder nur versucht hat, ihr zu entkommen, ob er den Tod eines Soldaten oder den eines Verrückten erlitten hat, ob er eines natürlichen Todes oder durch Selbstmord gestorben ist oder von einem anderen Mitglied seiner Clique erschossen wurde—all das sind Fragen, für die es noch einige Tage lang keine Antworten geben wird.”

„Das langsame, asymptotische Herannahen des Kriegsendes in diesen letzten Monaten, das zwar immer näher kam, aber nie ganz erreicht wurde, wird die Stunde des wohlverdienten Sieges, wenn sie kommt, zum Gegenteil eines Höhepunktes machen. Es wird kein großer Höhepunkt wie der 11. November 1918 sein, sondern lediglich die Überwindung einer weiteren und der Beginn einer neuen Etappe in einer Weltkrise, die seit dreißig Jahren tobt und noch viele Stürme vor sich hat. Der Augenblick des Jubels wird kurz sein, und der Jubel selbst wird durch das Wissen um die Anstrengungen und Opfer, die noch vor uns liegen, eher verhalten ausfallen. Trotzdem wird es einen Moment der Anerkennung geben, auch wenn das Urteil letztendlich der Geschichte überlassen bleibt, für die Stunde der Kapitulationen, der Freiheit und des Sieges.”

„Der Krieg wurde sowohl militärisch klug als auch mutig geführt. So wie das erbärmliche Ende der Verbrecher, die wie Ratten in einer Falle gefangen saßen, eine der größten Rechtfertigungen der Moral in der Geschichte ist, so ist in politischer Hinsicht das Ende des Krieges ein unwiderlegbarer Beweis für die Werte der Freiheit. Wieder einmal hat sich gezeigt, auf welche immense moralische und materielle Ressourcen eine freie, tolerante und ehrliche Gesellschaft zurückgreifen kann. Das britische Volk hat in diesem Krieg länger als die meisten anderen gekämpft, kontinuierlicher als alle anderen und härter als viele andere. Das britische Volk hat den Krieg auf dem Schlachtfeld, zu Hause, zur See und in der Luft mit technischem Geschick und körperlichem Mut und großartigen menschlichen Eigenschaften wie Phantasie geführt. Auch wenn Adolf Hitler sie militärische Schwachköpfe nannte; haben die britischen Soldaten gerade deshalb wieder einmal hervorragend gekämpft.”

„Am Dienstag wurde der Beschuss eingestellt. Europa befand sich nicht mehr im Krieg, auch wenn es noch weit vom Frieden entfernt war. Deutschland ist vollständig besetzt. Abgesehen von der Pseudo-Regierung Dönitz-Krosigk gibt es keine deutsche Regierung mehr. Das deutsche Volk ist, um es mit den verzweifelten Worten General Jodls zu sagen, auf Gedeih und Verderb in die Hände der Sieger gefallen. Mitten in Europa, wo noch vor kurzem die mächtigste und ausgetüftelste Kriegstyrannei wütete, die die Welt je gesehen hat, herrscht jetzt nichts als eine Leere der Trauer und des Schweigens.“

„Es sind Tage der großen Emotionen. An erster Stelle steht natürlich die Dankbarkeit, dass der lange Leidensweg zumindest für die halbe Welt zu Ende ist und dass die Sünden wie Blindheit, Trägheit und Selbstgefälligkeit, die den Angreifer ermutigt haben—Sünden, vor denen niemand gefeit ist,—endlich abgelegt wurden. Es ist aber auch richtig, dass es eine kurze Pause des Jubels gab.“

„Die Zeit des physischen Mutes und der physischen Opfer neigte sich ihrem Ende zu. Jetzt sind Zivilcourage und eine mentale Opferbereitschaft gefragt, um die so teuer erkaufte Chance des Neuanfangs zu nutzen. Das Beherrschen der stillen Tugenden ist nicht minder schwierig, vor allem für ein so großzügiges, tolerantes und gelassenes Volk, das langsam im Zorn und in der Vorausschau ist, aber schnell im Vergeben und Vergessen. Wenn jedoch die Schaffung des Friedens mit der gleichen hehren Mischung aus Einigkeit in Freiheit und Verantwortungsbewusstsein angegangen wird, die das britische Volk so siegreich durch die Gefahren dieser furchtbaren Jahre gebracht hat, dann wird es nichts geben, das nicht erreicht werden könnte.“


„...die Wurzeln und Ursachen für die japanische Aggression liegen im japanischen Heimatland. Die Rückeroberung von British Malaya und Niederländisch-Indien ist zwar ein erreichtes Ziel, das jedoch nicht direkt zur unmittelbaren Niederlage Japans beiträgt. Die Gefechte im inneren Ring der japanischen Verteidigungsanlagen haben sich bisher nicht als so entscheidend erwiesen wie die Kämpfe in der Ferne. Die Auswirkungen heftiger Luftangriffe sind immer schwer zu beurteilen, und niemand kann genau sagen, welchen Beitrag sie leisten bei der Zerstörung der feindlichen Kriegsindustrie und der Moral der Zivilbevölkerung. Dennoch kamen die Luftangriffe auf das japanische Festland bereits einer Großoffensive gleich.“

„In vielerlei Hinsicht könnten die politischen Aussichten kaum düsterer sein. Japan ist von seinem einzigen Verbündeten im Stich gelassen worden. In der Empörung der japanischen Presse über diese Abtrünnigkeit spiegelt sich ihr Unbehagen. Der Untergang Deutschlands ist eine eindrucksvolle Warnung für jede Nation, die bis zehn Minuten nach zwölf kämpfen will. Außerdem macht das Ende des europäischen Krieges den Weg frei für die Russen, die sich nun mit politischen und militärischen Aktionen im Fernen Osten einmischen könnten. Als erstes kündigten sie den sowjetisch-japanischen Neutralitätspakt auf. Ist der nächste Schritt ein offener oder ein nicht erklärter Krieg? Wenn ja, könnte Japan, das von Feinden umgeben ist, es nicht vorziehen, in der Hoffnung auf bessere Konditionen durch eine Verkürzung des Krieges eine Kapitulation anzubieten?“

„All dies ist bekannt. Es ist auch schwierig, das Ausmaß des Problems zu begreifen, so sehr sind wir an Ruinen und Verwüstungen gewöhnt. Und doch ist es eine große Herausforderung. Die Wiederherstellung eines funktionierenden Systems in diesen von Schlachten verwüsteten und von Jahren der Hitler’schen Kriegswirtschaft verzerrten Ländern ist eine gewaltigere Aufgabe als die Kriegsführung selbst. Nicht nur ist das Problem an sich komplexer, es fehlt auch an den Mitteln, um es angemessen zu bewältigen.“

„Die Schwierigkeit, die bisherige Militärverwaltung an die Bedürfnisse Europas anzupassen, liegt darin, dass sie bisher von der ersten Planung bis zur letzten Ausführung eine klare Aufgabe mit einem sehr einfachen Ziel hatte, nämlich den Krieg zu gewinnen. Dementsprechend waren die Prioritäten einfach: Die militärischen Erfordernisse standen an erster Stelle. Und das wiederum hat die Verwaltung vereinfacht. Jetzt ist das Ziel sehr komplex: der Wiederaufbau eines zerrütteten Kontinents. Dementsprechend komplex sind die Prioritäten. Bei aller Komplexität müssen aber grundlegende Entscheidungen getroffen werden, was den militärischen Behörden natürlich sehr schwerfallen wird, denn nun müssen die zivilen und nicht die militärischen Bedürfnisse an erster Stelle stehen.“

„Ihr Ziel ist es, neue Standards für internationales Verhalten zu setzen. Die Fälle sollen auf der Grundlage von Beweisen verhandelt werden. Nur die Schuldigen werden bestraft. Es wird keine wahllosen Repressalien geben. Bestraft werden Verbrechen, nicht politisches Vergehen. Die Annahme, die der ganzen unangenehmen Aufgabe zugrunde liegt, ist, dass Straffreiheit für Straftäter, die gegen jede Regel des menschlichen Anstands verstoßen, eine katastrophale Auswirkung auf die internationale Moral haben würde.“

„Die kompliziertere Tätergruppe ist diejenige, die Verbrechen gegen Deutsche, gegen mehrere Nationalitäten oder gegen die Menschheit im Allgemeinen begangen hat. Hier ist eine neue Form eines internationalen Gerichts erforderlich. Es gab bislang keinen Präzedenzfall für die Verfolgung von Kriegsverbrechen durch die Institutionen der organisierten internationalen Justiz. Wenn die Empfehlungen der Kriegsverbrechen-Kommission befolgt werden, wird es den anklagenden Nationen nicht allzu schwer fallen, sich auf ein Verfahren für eine kleine Gruppe von „Hauptverbrechern“ zu einigen, für die Göring der Prototyp wäre. Die größte Schwierigkeit wird darin bestehen, zu entscheiden, wo die Grenze zu den kleineren Verbrechern gezogen werden soll, insbesondere zu den Zehntausenden gefangenen SS-Leuten.“

„Es ist nicht anzunehmen, dass gerichtliche Prozesse zu einem gerechteren Resultat führen als zum Beispiel das erbärmliche Ende, das Mussolini ereilte. Sollten sie aber gerecht sein, dann müssen sie standrechtlich und sachlich durchgeführt werden. Den Gefangenen das berühmte letzte Wort wie in einem Hollywood-Film zu gewähren, hieße, den Zweck der Vereinten Nationen zu verfehlen. Das Gleiche gilt für Prozessverzögerungen, die dazu führen würden, dass sich der Gestank der Gräueltaten in Europa noch verstärken würde.“

„Beide Parteien schieben öffentliches Interesse als Grund für ihre Präferenzen vor. Doch ihre Haltungen sind widersprüchlich. Der wahre Grund ist der Vorteil für die Konservative Partei. Der Premierminister zeigte sich in seinem zweiten Brief an Herrn Attlee empört über die „Verleumdung“, dass seine Präferenz für Juli gegenüber Oktober auf politischen Kalkül beruhe. Dieser emotionale Ausbruch von Herrn Churchill war zweifellos aufrichtig. Ganz offensichtlich hatten einige seiner engsten Kollegen und Freunde aber sehr wohl kalkuliert, dass eine Wahl noch im Glanz der Siegesfeierlichkeiten mit ziemlicher Sicherheit den Hauptarchitekten dieses Sieges und der von ihm geführten Partei einen Wahlsieg bescheren würde.“

„Es ist sehr schwierig, das Ergebnis dieser Wahl vorherzusagen. Die allgemeine Erwartung, selbst unter vielen Labour-Anhängern, ist, dass die Konservative Partei mit einer Mehrheit, wenn auch einer geringeren, zurückkehren wird, und dass dieses Ergebnis ein persönliches Vertrauensvotum für Herrn Churchill sein wird. Dies ist zweifellos der wahrscheinlichste Wahlausgang. Aber er ist keineswegs sicher.“

„Eine Parlamentswahl, insbesondere nach einer so langen Pause und nach so einschneidenden Ereignissen, sollte als Chance für eine große Erneuerung der nationalen Ziele betrachtet werden. Dass sie vom Durchschnittsbürger nicht so gesehen wird, sondern eher wie die Wiederaufnahme von normalen Sportveranstaltungen vergleichbar mit einem Cricket-Testspiel (und fast ebenso langatmig) wahrgenommen wird, spiegelt die Tatsache, dass es an Begeisterung für beide großen Parteien mangelt, wider.“

„Das Bild, das sich dem Besucher Deutschlands offenbart, ist so dermaßen abstrus, verwirrend und widersprüchlich, dass es sinnlos wäre, eine eindeutige Beschreibung überhaupt zu versuchen. Man reist durch Deutschland wie durch einen Traum. Das Leben hier hat jegliche festen Bahnen und Formen verloren—es wirkt komplett zerfallen. Die einstmals deutsche Nation scheint sich in Millionen von Individuen aufzulösen, von denen jedes seine eigenen Ängste und Sorgen hat. Eine klassische soziologische und politische Einordnung ist unmöglich, da es in der Bevölkerung, wenn überhaupt, nur wenige soziale Bindungen und Verbindungen gibt. Für eine gewisse Zeit hat sich die kollektive Identität der deutschen Nation in ein Nichts zerbröselt.“

„Hier in Bayern brach er in den letzten Tagen bzw. Wochen des Krieges ganz offensichtlich zusammen, hatte er doch bereits zuvor schon feine Risse bekommen. In München, auch ‚Hauptstadt der Bewegung‘ genannt, befindet sich im Zentrum der Stadt das ‚Mekka des Nationalsozialismus‘, der berühmte Bürgerbräukeller, der heute von einem amerikanischen Wachposten bewacht wird, vermutlich als schändliches Relikt von musealem Wert. Doch in dieser ‚Hauptstadt der Bewegung‘ ist es fast unmöglich, jemanden zu finden, der etwas die Nazi-Machenschaften sagt. Die Bürger erzählen dem Ausländer schüchtern, dass Münchens halb scherzhafter und inoffizieller Titel ‚Hauptstadt der Gegenbewegung‘ lautete. Selbst in der Hochzeit des Nationalsozialismus hätte die lokale Intelligenz einen Spaß daran gehabt, die Nazis auf offener Bühne diskret zu kritisieren oder unter vorgehaltener Hand einzugestehen, dass sie eine tiefsitzende Sympathie für die alte Wittelsbacher Dynastie hegte. Die bayerische Linke, die gelegentlich weniger bescheidene Gesten des Widerstands an den Tag legte, verwies auf das nahe gelegene Konzentrationslager Dachau, das jegliche antinazistischen Reflexe (aus Angst, Anm.d.Übersetzers) in den Köpfen der Bayern immer wieder dämpfte.“

„Das erste Aufkeimen eines neuen politischen Lebens im postnazistischen Bayern ist naturgemäß noch extrem schwach und kraftlos. Alle politischen Angelegenheiten werden von den Offizieren der Alliierten Militärregierung bearbeitet oder finden in den Privathäusern einiger weniger Überlebender der Weimarer Demokratie statt. Die führenden Köpfe der neuen bayerischen Verwaltung agieren als Einzelpersonen ohne die Unterstützung politisch organisierter Gruppierungen, deren Gründungen von der Militärregierung strengstens verboten wurden. Diese hat mehr als deutlich gemacht, dass es ,keine Politikausübung in Deutschland‘ geben darf und dass das Verbot jeglicher politischer Betätigung ausnahmslos für alle Gruppierungen galt, auch die, die gegen die Nazis waren.“

„Die Bevölkerung der sowjetischen Zone hat sich allerdings durch die Flucht deutscher Zivilisten und die massenhafte Kapitulation von Wehrmachtssoldaten gegenüber den Westalliierten erheblich reduziert. Das bereits im Vorkriegsdeutschland bestehende Ungleichgewicht hat sich dadurch noch verschärft. Ohne eine rasche Organisation des Transfers von Arbeitskräften nach Osten und der Lieferung von Nahrungsmitteln nach Westen werden die Lebensmittel im Osten wegen mangelnder Arbeitskräften nicht geerntet werden können und der Westen wird mangels Versorgung hungern. Dieses Problem lässt sich nur durch gemeinsames Handeln der Alliierten lösen.“

„Wollen die Alliierten den zentralisierten deutschen Staat für immer zerschlagen? Wenn ja, soll dies durch Dezentralisierung oder Föderalisierung geschehen? Oder sollen unabhängige Staaten aus dem alten Reich hervorgehen? Oder ist beabsichtigt, Deutschland zu spalten, indem die verschiedenen Besatzungszonen dauerhaft in die jeweiligen „Einflusssphären“ der Siegermächte eingegliedert werden?“


„Ein letzter Unterschied ist das Bild, das die Siegermächte dem deutschen Volk von seiner Zukunft vermitteln. Briten und Amerikaner schweigen. Sie betreiben keine Propaganda. Sie verfolgen keine klare Linie. Ihre Radiosender verbreiten kaum mehr als Verbots- und Straflisten. Radio Berlin hingegen gibt den Deutschen einen Schimmer Hoffnung: dass sie—wenn sie nur hart arbeiten und die Nazis in den eigenen Reihen eliminieren—eines Tages mit „Hilfe der großen Sowjetunion“ den Weg zurück in die Völkergemeinschaft finden würden. Man möchte diese Sendungen als Propaganda abtun. Doch wenn dem so ist, dann ist es wirksame Propaganda. Die vor den Deutschen liegende Dunkelheit ist so undurchdringlich und ihr Schicksal liegt so unwiderruflich außerhalb ihrer Kontrolle, dass jedes Anzeichen einer politischen Strategie, jede Hoffnung auf eine positive Zukunft, ihre Gemüter bewegen und sie—wenn auch zögerlich—einen Hoffnungsschimmer am östlichen Horizont suchen lassen muss.“

„Der UN-Charta kann kein übertriebener Idealismus vorgeworfen werden. Im Gegenteil, fast jeder Artikel ist geprägt von den Erfahrungen zweier düsterer Jahrzehnte zwischen den Kriegen, in denen sich insbesondere in Europa Machtpolitik, Imperialismus und Aggression wie Wildwuchs innerhalb und außerhalb des neuen Völkerbundes ausgebreitet hatten. In der Charta der Vereinten Nationen wird nicht auf bessere, idealistische Methoden zur Gestaltung internationaler Beziehungen gesetzt. Eine führende Position wird von denjenigen eingenommen, die sich dank ihrer physischen Stärke in einer wie auch immer gearteten unorganisierten Weltgesellschaft eine Vormachtstellung verschaffen würden.“

„Hat nicht der Glaube, dass der Völkerbund mehr sei als die vereinte Macht seiner Mitglieder, und er per se als Garant gegen den Krieg galt, dass eine kollektive Sicherheit als eine Alternative zur nationalen Verteidigung und nicht als deren Erweiterung gesehen wurde—haben nicht diese Illusionen die Chance auf einen dauerhaften Frieden eher erschwert als erleichtert? Indem man die Verantwortung für die Eindämmung von Aggressionen zugunsten einer kollektiven Sicherheit dem Bund als Ganzes übertrug, fühlte sich individuell niemand verantwortlich.“

„Die Konferenz selbst hat bereits gezeigt, wie stark die Weltöffentlichkeit die Politik der Großmächte beeinflussen kann und wie heilsam es sein kann, Unrecht und Willkür öffentlich anzuprangern. Als Plattform der Weltöffentlichkeit kann die internationale Struktur der neuen Staatenorganisation direkt dazu beitragen, Fehlverhalten und Aggressionen einzudämmen.“

„Südlich von München, vor der klaren Silhouette der Alpen, kann man die letzten Szenen der kapitulierenden Wehrmacht gut beobachten. Lange Konvois von Lastwagen, voll mit deutschen Soldaten, angeführt von Offizieren in Dienstwagen, rollen zu Sammelplätzen und Gefangenenlagern. Die Soldaten werden entwaffnet. Einige Offiziere der Luftwaffe, der SS sowie der Infanterie tragen noch ihre Seitengewehre und geben brüllend in typischer Feldwebel-Manier ihre letzten Befehle an die Männer.“

„Irgendwo am Straßenrand schleppt sich ein Mann im KZ-Sträflingsanzug langsam nach Hause. Kurz davor war er von einem SS-Offizier angehalten worden, der mit seinem Adjutanten in einem Auto unterwegs war. Es kommt zu einem heftigen Wortwechsel und Drohungen mit wilden Gestikulierungen. Als sich ein amerikanischer Jeep nähert, hört der Streit auf und das Auto des SS-Offiziers fährt davon. Der ehemalige KZ-Häftling erklärt mit einem gewissen Stolz, dass er Funktionär der Sozialdemokratischen Partei in Breslau war. Es war tatsächlich so, dass SS-Männer gelegentlich solche Menschen auf den Straßen schikanierten.“

„Auf der anderen Straßenseite versucht eine große, dünne Frau, zwei amerikanischen Offizieren in gebrochenem Englisch etwas zu erklären. In ihrer verwirrten, unverständlichen Geschichte tauchen immer wieder zwei Worte auf: Gas und Kammer. Es stellt sich heraus, dass ihr Kind vor sieben Jahren von einem Nazi-Arzt als geistig behindert eingestuft worden war. Der Hausarzt teilte diese Diagnose nicht, seine Meinung wurde jedoch ignoriert. Nach den Regeln der „Rassenhygiene“ sollte das Kind in eine Gaskammer kommen, der Nazi-Version des Tarpejischen Fels (im antiken Rom Anmerk. d. Übers). Die Mutter versteckte das Kind an einem etwa 200 Kilometer entfernten, abgelegenen Ort. Als sie es zum letzten Mal gesehen hatte, war es fast verhungert. Würde sie nun von der Militärregierung eine Genehmigung erhalten, ihr Kind zu holen?“

„Auf nationaler Ebene, in den Zeitungen und im Rundfunk sah es allerdings genau umgekehrt aus. Hier hat die Labour-Partei ihren Wahlkampf mit großer Würde und gutem Gespür geführt, während die Konservativen mit Tricks, Ablenkungsmanövern und unfairen Praktiken operierten, die viele ihrer Freunde und Anhänger, und ehrlich gesagt, auch die meisten aus ihrem eigenen Führungspersonal jenseits des engsten Kreises verabscheuten. Die konstruktiv gemäßigte Haltung eines Mr. Eden, Mr. Butler und Sir John Anderson wurde mit aktiver Unterstützung des Premierministers von diesem Zirkus konterkariert.“

„Letztendlich sah es nicht so hoffnungsvoll aus, dass eine der beiden großen Parteien die enormen und neuartigen Aufgaben der nächsten Jahre mit dem notwendigen Elan angehen würde, die die miserable Lage des Landes erforderte. Bereiche wie die Außen- und Machtpolitik, der Umgang mit einer enormen Auslandsverschuldung, die Wahrung des wirtschaftlichen Friedens und der sozialen Einheit erforderten immense Anstrengungen, großes Geschick, die Bereitschaft, neue Methoden auszuprobieren, klares Denken und großen Mut.“

„Eines Tages wird es eine Neuordnung der politischen Kräfte geben, die die Anstrengungen der Nation für den Frieden mobilisieren werden, so wie sie 1940 für den Krieg mobilisiert wurden. Churchill hätte diese zweite Aufgabe in Angriff nehmen können, so wie er die erste abgeschlossen hat. Er hat es sich selbst schwer gemacht, indem er die Parteiführung übernommen hatte. Zusätzlich hat er sich mit seinem Verhalten bei dieser Wahl als Identifikationsfigur für eine wirklich nationale Politik der sozialen und wirtschaftlichen Erneuerung diskreditiert.“