Archiv 1945

Wie The Economist Woche für Woche über das letzte Jahr des Zweiten Weltkriegs berichtete

Im Januar 1945 vor 80 Jahren begann das siebte Jahr des Zweiten Weltkrieges. Die Kämpfe tobten in Europa, nachdem die Armeen der Alliierten große Teile Frankreichs und Belgiens von der Naziherrschaft befreit hatten. Die Rote Armee rückte von der Sowjetunion aus nach Polen vor und verdrängte die deutschen Truppen aus dem Osten. Inzwischen gewann der Feldzug der Alliierten im Pazifischen Raum an Fahrt und die USA bereiteten sich auf einen Einmarsch in Japan vor. Nach dem Ende des Krieges sollte sich das globale Machtgefüge in Politik und Wirtschaft in einer Art und Weise verändern, wie es sich noch heute darstellt.
Wie in einer Art Zeitkapsel veröffentlichen wir wöchentlich Ausschnitte unserer damaligen Berichterstattung über den Kriegsverlauf im letzten Jahr bis zu seinem Ende aus unserem Economist-Archiv. Bis August wird auf dieser Plattform jeden Freitag eine neue Ausgabe veröffentlicht. Für eine rechtzeitige Ankündigung können Sie unseren wöchentlichen Newsletter zum Thema Verteidigung unter „The War Room" abonnieren. Archiv 1945 ist auch auf Englisch verfügbar.
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Kommt bald
American infantrymen of the 290th Regiment of the US Army fight in fresh snowfall near Amonines, Belgium. The fighting and German counter-offensive on the Belgian-German border later became famous as the Battle of the Bulge

3. Januar

Stillstand in Europa

Am 6. Januar 1945, als wir unsere erste Ausgabe des Jahres veröffentlichten, befand sich der Konflikt in Europa in seiner Endphase. Wir schrieben, dass Ende 1944 „nicht nur der Mann und die Frau auf der Straße meinten: ‚Bis Weihnachten ist alles vorbei.‘“ Doch der Vormarsch der Alliierten in die von den Nazis besetzten Teile Europas hatte sich verlangsamt. Die deutsche Ardennenoffensive (im Angelsächsischen besser bekannt als „The Battle of the Bulge") hatte die Alliierten in Belgien und Luxemburg in die Defensive gedrängt. Die Briten kämpften noch immer in Griechenland. Polens Kommunisten, bekannt als das Lubliner Komitee, lagen mit der polnischen Exilregierung in London im Clinch darüber, wer das Land kontrollieren sollte.
Die Stimmung in Großbritannien war bedrückend. Obwohl die Nazis auf beiden Seiten des Kontinents weiterhin in Bedrängnis gerieten, konstatierte The Economist „Stillstand in Europa“:

„Das Jahr 1945 beginnt für die Alliierten düster. In Athen wird immer noch gekämpft. Das Lubliner Komitee hat die verworrene polnische Politik weiter verkompliziert, indem es sich selbst zur provisorischen Regierung Polens erklärt hat. Auf der anderen Seite des Atlantiks sind die Kritik der USA an Großbritannien und das Misstrauen gegenüber Russland kaum Anzeichen für eine Entschärfung des Konflikts. Auch in militärischer Hinsicht ist die Lage enttäuschend. Die Ardennenoffensive wurde zwar gestoppt, doch dass sie überhaupt Erfolg hatte, steht in starkem Widerspruch zu den großen Hoffnungen des vergangenen Sommers.“

Nicht, dass der Sieg den Briten fern erschien—er galt sogar als so gut wie sicher. Aber „militärischer Stillstand und politische Uneinigkeit“ hatten die Niederlage der Nazis verzögert. Zudem waren Unstimmigkeiten über den Umgang mit Deutschland nach dem Krieg problematisch. Die Nazis, so schrieben wir, hofften, „dass die Koalition gegen sie doch noch zerbricht“. Und ein von Frankreich und der Sowjetunion unterbreiteter Vorschlag, Deutschland solle nach dem Krieg seine industriellen Kerngebiete abtreten, stärkte den Kampfeswillen der Deutschen.
Großbritannien hatte auch jenseits des Schlachtfeldes Grund zur Niedergeschlagenheit. Die Kriegswirtschaft hatte der Bevölkerung schwer zugesetzt. The Economist hatte kürzlich eine der ersten umfassenden Veröffentlichungen statistischer Daten seit Kriegsbeginn erhalten (obwohl wir erklärten, dass „aus Sicherheitsgründen einige bis zur Niederlage sowohl Deutschlands als auch Japans geheim bleiben müssen“). Der Krieg hatte die britische Wirtschaft grundlegend verändert. Nicht nur, dass die Regierung die Steuern erhöht hatte, um die Kriegsanstrengungen zu finanzieren. Die Ausgaben für Konsumgüter waren drastisch eingebrochen, auch wenn sich Brennstoffe und Beleuchtung während des Blitzkriegs gut verkauften—wie wir in dieser Grafik veranschaulichten:

„Seit 1942 wurden keine Autos, Kühlschränke, Klaviere, Staubsauger, Tennis- oder Golfbälle mehr hergestellt, und nur sehr wenige Radios, Fahrräder, Uhren und Füllfederhalter.“

Im Jahr 1944 waren Gerüchte aufgekommen, Adolf Hitler sei tot, wahnsinnig geworden oder von Heinrich Himmler, dem Chef der SS (der wichtigsten paramilitärischen Organisation der Nazis), eingesperrt worden. Doch Hitlers Neujahrsansprache, so schrieben wir, zeigte, dass er „am Leben, nicht wahnsinniger als sonst und keineswegs auf dramatische Weise gefangen“ war:

„Seine Rede war voller deutscher Mythen, vom Wiederaufbau größerer und besserer deutscher Städte, vom Scheitern der bürgerlichen Welt und vom Anbruch einer neuen Ära nationalsozialistischer Prinzipien… Er scheint jenseits einer Einmischung in die Kriegsstrategie, sei sie auch noch so gering, zu sein und kümmert sich nur noch um den verzweifelten Nationalismus des deutschen Volkes.“

Doch angesichts des Drucks, den die Alliierten im Westen und die Sowjetunion im Osten auf die Nazis ausübten, klangen die nationalistischen Appelle des Diktators hohl. Seine Botschaft hatte vielmehr den Beigeschmack von Prahlerei und Verzweiflung.

10. Januar

Geteiltes China

Während die Alliierten die Nazis in Europa in die Enge trieben, erhöhten die amerikanischen Streitkräfte im Pazifik den Druck auf Japan. Das Land hatte am 7. Dezember 1941 Pearl Harbor, einen Marinestützpunkt auf Hawaii, bombardiert und dabei fast 2.500 Menschen getötet. Am nächsten Tag zog Präsident Franklin Roosevelt in den Krieg in Asien. Zu Beginn des Jahres 1945 hatte Amerika die Expansion des japanischen Imperiums gestoppt und machte Fortschritte auf den Philippinen, die seit 1941 unter japanischer Besatzung standen:

"Die Landung auf Luzon, der größten der philippinischen Inseln, hat begonnen. Große amerikanische Truppenverbände haben bereits vier Brückenköpfe errichtet, und obwohl noch harte Kämpfe bevorstehen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die letzte Phase der Rückeroberung der Philippinen begonnen hat und das Ende in Sicht ist."

The Economist wandte sich als nächstes China zu. Amerika unterstützte das Land seit 1940 mit Krediten und Waffen gegen Japan. Im Jahr 1941 entsandte es Militärberater und errichtete Luftwaffenstützpunkte auf dem Festland. Es hatte ein starkes Interesse daran, China bei der Beendigung der japanischen Besatzung zu helfen—nicht nur, um Japan zu schwächen, sondern auch, um China als Großmacht zu stärken, die nach dem Krieg den Frieden in Asien sichern würde.
Das war keine leichte Aufgabe. China wurde damals von unterschiedlichen rivalisierenden Regierungen beherrscht. Außerhalb der von Japan kontrollierten Gebiete wurde ein Teil des Landes von der Kuomintang regiert, einer nationalistischen Gruppe unter Chiang Kai-shek mit Basis in Chongqing in Zentralchina; ein anderer Teil wurde von den Kommunisten unter Mao Zedong kontrolliert, mit Hochburg in Yan'an, einer Stadt im Norden. Japans Niederlage könnte in China eine Situation „größter Verwirrung" hervorrufen, schrieben wir. Die beiden rivalisierenden Mächte des Landes hatten zwar Seite an Seite gegen die Japaner gekämpft, befanden sich aber auch „seit einigen Jahren in einem Zustand des tatsächlichen oder latenten Bürgerkriegs".
Die in den befreiten Ländern Europas ausgebrochenen Bürgerkriege schienen für China nichts Gutes zu verheißen:

„Angesichts dieser Situation—eines potenziellen Griechenlands des Fernen Ostens in einem noch größeren und verheerenderen Ausmaß—welche Politik sollten die Alliierten verfolgen? Chinas Verbündete leiden unter dem gravierenden Nachteil, dass ausländische Interventionen stets unpopulär sind und eine Einmischung, wenn sie zu weit getrieben wird, lediglich zu heftiger Abneigung gegen die Intervenierenden führen kann... Deshalb müssen die Alliierten mit äußerster Geduld und Fingerspitzengefühl beide Seiten in China zur Einheit drängen."

Doch Einheit, so stellten wir fest, würde schwer zu erreichen sein. Chiang schien „mehr vom Wunsch beseelt, Macht zu erhalten und auszubauen, als von der Bereitschaft, in einer neuen Regierung Macht mit den Kommunisten zu teilen". Die Kommunisten waren entschlossen, „die Macht in ihren eigenen Gebieten zu behaupten und, wo immer möglich, auszuweiten". Obwohl wir argumentierten, dass eine Regierung der nationalen Einheit das Beste für China wäre, war schwer zu erkennen, wie sie „ins Leben gerufen werden sollte".

17. Januar

Der vernachlässigte Verbündete

Anfang 1945 war der größte Teil Frankreichs befreit. Im August davor hatten die Alliierten Paris der deutschen Kontrolle entrissen, und Charles de Gaulle, der von London und Algier aus eine provisorische Exilregierung geführt hatte, kehrte in die Hauptstadt zurück. Die Besetzung war folgenschwer. Am 20. Januar 1945 schrieb The Economist:

„Frankreich ist in eine Lage gekommen, aus der es schleunigst gerettet werden muss. Die Bevölkerung von Paris und vielen anderen Städten friert aus Mangel an Kohle; in der ersten Januarwoche wurden täglich durchschnittlich knapp über 10.000 Tonnen Kohle nach Paris geliefert, ein Bruchteil dessen, was normalerweise benötigt wird und kaum genug, um den dringenden Bedarf von Krankenhäusern, Schulen und essentieller öffentlicher Dienstleistungen zu decken.“

Brot wurde auf 370 Gramm pro Tag rationiert, Käse auf 20 Gramm pro Woche. Selbst dann gab es „keine Garantie, dass wenigstens diese kärglichen Rationen geliefert werden können“.
Auch die französische Industrie befand sich in einem beklagenswerten Zustand: „Zusätzlich zu der Not durch Mangel an Wärme, Nahrung und Kleidung in den Industriezentren Frankreichs kam das Elend durch Arbeitslosigkeit—allein in Paris sind etwa 400.000 Menschen ohne Arbeit.“ Damit einher ging die Furcht vor politischer Instabilität. Wir warnten: „Die französische Geduld hat Grenzen. Und diese Grenze ist in Sicht... Angesichts der wachsenden Unzufriedenheit könnte die Position der Regierung geschwächt werden.“ Es sei im Interesse aller, dass „Frankreich nicht zum vernachlässigten Verbündeten wird“.
Frankreichs Hafenstädte waren schwer getroffen. Boulogne lag in Trümmern, doch Marseille schickte bereits Nachschub an die Front. In Nantes begrüßten am 14. Januar große Menschenmengen de Gaulle.
Video: Getty Images
Unserer Ansicht nach sollten Großbritannien und Amerika Frankreich als gleichberechtigten Partner in den Kriegsanstrengungen behandeln, „nicht nur bei der Strategieentwicklung, sondern auch bei der Ressourcenverteilung“. Amerika mit seinen reichhaltigen Bodenschätzen könnte die Lieferungen an Frankreich aufstocken. Aber auch Großbritannien sollte seinen Teil beitragen—selbst wenn es „nur Pfennige zu Amerikas Dollars beisteuern kann“.
In Osteuropa, wo die Nazis von der Sowjetunion vertrieben worden waren, zeichnete sich derweil ein ganz anderes Bild der Befreiung ab:

„Ein undurchdringlicher Schleier der Geheimhaltung hat sich über das sowjetisch besetzte Europa gelegt. Vereinzelte Hinweise und Informationsfetzen deuten auf politische Spannungen hier und da und teilweise auf bewaffnete Zusammenstöße zwischen Russen und lokalen Kräften hin. Doch die Geheimhaltung macht es nahezu unmöglich, das Ausmaß und die Bedeutung dieser Unruhen einzuschätzen. Wie auch immer ihre Politik in den besetzten Gebieten aussehen mag, die sowjetische Regierung wird nicht durch die hohen Ansprüche demokratischer Meinungsbildung und parlamentarischer Kontrolle behindert.“

Es schienen Unterschiede zwischen den unter sowjetischem Einfluss gebildeten Regierungen zu bestehen. In manchen Ländern waren die Kommunisten tatsächlich nicht darauf aus, alle Überreste der alten Ordnung zu zerstören. Bulgarien setzte seinen König nach der kommunistischen Machtübernahme im September 1944 nicht ab; König Michael von Rumänien erhielt sogar Lob von den Kommunisten seines Landes, die Mäßigung demonstrieren wollten (obwohl beide Länder später Republiken wurden: Bulgarien 1946 und Rumänien 1947). In Polen hingegen waren die politischen Gegensätze viel schärfer. Die von der Sowjetunion unterstützte Lubliner Regierung wollte die polnische Verfassung von 1935 abschaffen (was ihr schließlich auch gelang), und es kam zu Kämpfen zwischen Partisanen und russischen Soldaten.
Wir diskutierten, welche Politik die Sowjetunion in den von ihr befreiten Gebieten verfolgen würde. Einerseits könnte sie „beschließen, die Kontrolle so auszuüben, dass die nationale Souveränität der einzelnen Kleinstaaten ernsthaft beeinträchtigt wird“. Das würde eine „ideologische Gleichschaltung“ bedeuten—ein Begriff, den die Nazis für die totale Kontrolle der Gesellschaft verwendeten. Andererseits könnte sie sich dafür entscheiden, ihren Einfluss in der Region indirekt auszuüben. Im Januar 1945 war schwer zu sagen, welchen Weg die Sowjetunion einschlagen würde.

German infantry, assisted by a Sd.Kfz 234/2 'Puma' tank, carrying out a counter-attack in the Upper Silesia, 26 February 1945

24. Januar

Deutschlands Kriegsmaschinerie

Ende Januar zog die Rote Armee durch Mitteleuropa und rückte unaufhaltsam auf die deutsche Hauptstadt Berlin vor. Die Ukraine, die die Nazis 1941 erobert hatten, um ihre reichen Bodenschätze inklusive Weizen und Eisenerz zu kontrollieren, war 1944 von der Sowjetunion zurückerobert worden. In Polen war die Rote Armee inzwischen in Warschau und Krakau einmarschiert.
Auch die weiter südlich gelegenen, von Deutschland kontrollierten Gebiete gerieten unter Beschuss. Eine dieser Regionen war Oberschlesien, das heute größtenteils in Südpolen liegt. Als industrielles Kernland, reich an Kohle und anderen Rohstoffen, war es zu einem der Motoren der deutschen Kriegswirtschaft geworden (siehe die Karte unten, die wir in unserer Ausgabe vom 27. Januar veröffentlichten). Hier befanden sich auch einige der größten Zwangsarbeits- und Konzentrationslager der Nazis, darunter die Lager von Auschwitz.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts waren Teile Oberschlesiens im Besitz des Deutschen Kaiserreichs, Österreich-Ungarns, des zaristischen Russlands, Polens und der Tschechoslowakei. Nach dem Einmarsch der Nazis in Polen 1939 kamen diese Gebiete vollständig unter deutsche Kontrolle. Die Region erstreckte sich über 21.000 Quadratkilometer und beherbergte 4,5 Millionen Menschen. „In dieser Region“, so schrieben wir, „befinden sich die reichsten Kohlevorkommen des gesamten Kontinents“. Auch die Zinkvorkommen in Oberschlesien galten als „die größten der Welt“. Die Kohle dieses Gebiets war für die Chemie- und Stromproduktion unerlässlich: „Ein dichtes Gas- und Stromnetz, das bis nach Breslau reicht, hängt von der oberschlesischen Kohle ab.“
Im Vergleich zum Ruhrgebiet, das für seine Kohle- und Stahlproduktion bekannt ist, hinkte Oberschlesien industriell hinterher. Die Stahlproduktion in Oberschlesien war vergleichsweise gering, was zum Teil auf zu wenige lokale Eisenerzgruben zurückzuführen war. Dennoch war diese Region für die Nazi-Kriegsmaschinerie von zentraler Bedeutung, vor allem nachdem die Alliierten 1943 begannen, das Ruhrgebiet massiv zu bombardieren:

„Es steht daher außer Zweifel, dass Oberschlesien in den letzten zwei Jahren zahlreiche neue Industriezweige entwickelt hat. Neben neuen Chemiewerken sind überall in der Gegend große Fabriken für Kriegsmaterial aller Art entstanden, meist abseits bewohnter Orte und gut durch Wälder und Hügel getarnt.“

Nach der Intensivierung der alliierten Bombardements verlagerten die Nazis einen Teil ihrer Schwerindustrie vom Ruhrgebiet nach Oberschlesien. „Es besteht kein Zweifel“, schrieben wir, „dass die wichtigsten Kriegsfabriken unterirdisch gebaut wurden.“ Von Zement und Düngemitteln bis hin zu Zügen und Eisenbahnschienen wurde dort alles produziert. Bis 1945 waren die Eisenbahnen in Ostdeutschland von der Kohle der Region abhängig. Der Verlust Oberschlesiens, so schrieb The Economist, „wäre ein schwerer Schlag für die deutsche Kriegsindustrie“.
Er würde auch die Befreiung Tausender Gefangener bedeuten. Am 27. Januar, dem Tag, an dem der Artikel des Economist über Oberschlesien in Druck ging, übernahm die Rote Armee die Kontrolle über Auschwitz von den Nazis. Dies war das größte Konzentrationslager der Nazis; mehr als eine Million Menschen wurden dort während des Holocaust ermordet. Mit dem weiteren Vormarsch der Roten Armee sollte das Ausmaß der von den Nazis im besetzten Polen und anderswo verübten Gräueltaten noch deutlicher zutage treten.

31. Januar

Werbung in Kriegszeiten

Der Zweite Weltkrieg war für britische Unternehmen eine harte Zeit. Viele Waren, die sie vor dem Krieg verkauft hatten, wurden nicht mehr hergestellt, da das Land seine Ressourcen auf die Unterstützung der Streitkräfte umstellte. Die Werbebranche spürte dies besonders. „Der Markenwert", schrieb die Advertising Association 1940, „ist ein Kapitalwert von nahezu unbegrenztem Wert: schwer aufzubauen, aber allzu leicht zu verlieren." Sie ermahnte die Unternehmen: „Lasst uns unsere Markennamen in dieser Zeit des wirtschaftlichen Umbruchs schützen."
Nicht nur hatten sie weniger Produkte anzupreisen; sie sahen sich auch einer energischen Kampagne gegen Verschwendung gegenüber. Der „Verschwendungskäfer", eine von der Regierung erfundene Karikatur eines Schädlings, die Käufer dazu verleitete, Geld zu verschwenden, anstatt in Kriegsanleihen zu investieren, tauchte wiederholt in der Propaganda auf. Der Käfer wurde als „Hitlers Kumpan" bezeichnet.
Dennoch blieben einige britische Markennamen während des gesamten Krieges im Bewusstsein der Verbraucher haften. Ein Blick auf die Anzeigen, die wir Anfang 1945 druckten, verrät viel über das Leben an der Heimatfront. Die Hersteller von Bovril, einer Fleischextraktpaste, die zu einem kräftigen Getränk aufgebrüht werden kann, priesen die „Wärme und Behaglichkeit", die sie den Briten im tiefsten Winter bereiten konnte. Crookes, ein Pharmaunternehmen, vermarktete Heilbuttöl als „unverzichtbaren Bestandteil der Kriegsernährung", besonders „in diesem sechsten Kriegswinter".
Anzeigen für feinere Waren erschienen ebenfalls in unseren Seiten—mit einer besonderen Note. Die Whiskyproduktion war Anfang der 1940er Jahre eingebrochen, da die Getreidevorräte in die Lebensmittelproduktion flossen, bevor sie 1944 langsam wieder anlief. White Horse, eine Brennerei, versuchte, aus dieser Wende Kapital zu schlagen, indem sie für ihren Bestand an „Vorkriegswhisky" warb, der „alt wurde, als dieser Krieg noch jung war". Eine Anzeige für Black Magic (eine Marke, die noch heute verkauft wird, jetzt im Besitz von Nestlé) versprach, dass Pralinen, die lange nicht mehr produziert wurden, bald wieder erhältlich sein würden: „Kommt der Frieden, kommt Black Magic."
Andere Unternehmen nutzten ihre Anzeigen, um ihre Rolle während der Kriegsanstrengungen zu demonstrieren. Daimler und Singer, zwei Autohersteller, versuchten, die Leser des Economist zu gewinnen, indem sie die Ausrüstung präsentierten, mit der sie Großbritanniens Macht in der Luft, zu Lande und zur See gesichert hatten. Daimler baute gepanzerte Fahrzeuge für die Infanterie; beide Firmen stellten auch Flugzeugteile her. Kodak, ein amerikanisches Unternehmen, fertigte Kameras für Alliierte Soldaten und Bomberteams, die damit ihre Position über einem feindlichen Ziel beim Bombenabwurf festhielten.
Unternehmen hatten Werbeflächen auf diese Weise seit Kriegsbeginn genutzt. Doch im Januar 1945 hatten sie bereits das Kriegsende im Blick. Singer versprach, dass seine Ingenieure, ihre durch „fünf Jahre Hingabe an die Sache der Nation verbesserten" Fähigkeiten nun ganz in den Dienst „der Herstellung der besten Autos der Zukunft widmen würden". Ebenso machte es auch der Autobauer Lanchester. „Der Nachkriegs-Lanchester", so das Versprechen, würde sich tatsächlich als ein Auto erweisen, „für das sich das Warten lohnt".

Februar

1945

7. Februar

Konferenz auf der Krim

Winston Churchill, Franklin Roosevelt und Josef Stalin hatten sich zuletzt Ende 1943 in Teheran, der Hauptstadt des Iran, getroffen. Dort hatten sie vereinbart, dass Großbritannien und Amerika eine zweite Front gegen die Nazis in Westeuropa eröffnen würden, während die Sowjetunion von Osten her angreifen sollte. Nun, da die deutsche Verteidigung zusammenbrach, trafen sich die Führer Großbritanniens, der USA und der Sowjetunion erneut—in Jalta, einem Kurort auf der Krim. „Das Triumvirat der Welt“, schrieben wir am 3. Februar 1945, „wird wieder von Angesicht zu Angesicht zusammenkommen, um die letzten Phasen des Krieges und die ersten Schritte des Friedens zu bestimmen.“
Die vom 4. bis 11. Februar abgehaltene Konferenz von Jalta sollte einen Plan ausarbeiten, wie die Alliierten Europa nach der Niederlage der Nazis regieren würden. In Teheran hatten sich die drei Mächte auf „Einflusssphären“ geeinigt: Russlands Einflusssphäre sollte sich auf Mittel- und Osteuropa sowie den Balkan erstrecken, während Großbritannien und den USA der Mittelmeerraum zugesprochen wurde. Doch die in Jalta erzielte Vereinbarung, über die wir nach dem Ende der Konferenz berichteten, revidierte diese Pläne. Stattdessen verpflichteten sich die drei, „allen Völkern das Recht zu gewähren, ihre eigene Regierungsform zu wählen“.
Deutschland als der Aggressor sollte von den Alliierten besetzt werden, um ein Wiederaufleben des Nationalsozialismus zu verhindern und den Übergang des Landes zur Demokratie sicherzustellen. Die Kontrolle sollte zwischen den drei Siegermächten und Frankreich aufgeteilt werden (wobei die Grenzen dieser „Besatzungszonen“ noch nicht endgültig festgelegt waren: Die Frontlinien bewegten sich zum Zeitpunkt der Jalta-Konferenz im Osten und Westen noch). Darüber hinaus sollte Deutschland entmilitarisiert werden:

„Die Zerschlagung des deutschen Militarismus und des deutschen Generalstabs wird zum ersten Mal neben der Vernichtung des Nationalsozialismus erwähnt. Die Bestrafung von Kriegsverbrechern wird erneut bekräftigt. Erstmals wird offiziell angedeutet, dass die Deutschen schließlich ‚ein anständiges Leben ... und einen Platz in der Völkergemeinschaft‘ gewinnen können. Unklarheiten gibt es bei der wirtschaftlichen und territorialen Regelung.“

Doch vieles an der Umsetzung dieses Plans blieb vage, angefangen bei der Forderung nach Entmilitarisierung Deutschlands. „Hart ausgelegt könnte dies die völlige Zerstörung der deutschen Schwerindustrie bedeuten“, schrieben wir. „Milder verstanden könnte es ein—zugegebenermaßen schwieriges—Maß an alliierter Aufsicht über ein funktionierendes deutsches Industriesystem bedeuten.“ Unklar blieb auch, ob die Forderung nach Reparationszahlungen durch das Land „einen Mindestlebensstandard für die Deutschen“ unmöglich machen würde. Wir befürchteten sogar, dass die Erklärung der Besatzungsmächte dazu benutzt werden könnte, die Zwangsarbeit von Deutschen als Form der Wiedergutmachung zu rechtfertigen.
The Economist hielt sich daher mit einem Urteil über das in Jalta Vereinbarte zurück: „Über die Bedingungen, wie sie dastehen, kann kein Urteil gefällt werden. Alles hängt von der Auslegung ab.“ Am Ende sollten die USA und Großbritannien, die eine nachsichtigere Politik befürworteten, mit der Sowjetunion wegen deren rücksichtsloser Enteignung deutscher Fabriken und ihrer Weigerung, Lebensmittel aus dem Osten des Landes in den bevölkerungsreicheren Westen zu schicken, aneinandergeraten. Die Spannungen darüber, wie mit dem besetzten Deutschland umzugehen sei, sollten die frühen Jahre des Kalten Krieges prägen.
In den Jahren nach Jalta war der Westen auch in der Frage des Umgangs mit Osteuropa uneins mit der Sowjetunion. Die Beschlüsse ließen dies offen. Die Alliierten hatten sich darauf geeinigt, dass Polen „auf einer breiteren demokratischen Grundlage unter Einbeziehung demokratischer Führungskräfte aus Polen selbst und von im Ausland lebenden Polen reorganisiert werden“ sollte. Nach Jahren des Krieges schien dies ein faires Ergebnis für Polen—wenn es denn verwirklicht werden könnte:

„Alles hängt davon ab, wie Begriffe wie ‚demokratisch‘, ‚freie und ungehinderte Wahlen‘, ‚demokratische und nicht-nazistische Parteien‘, ‚nicht durch Kollaboration mit dem Feind kompromittiert‘ in der Praxis ausgelegt werden. Wenn diese Worte bedeuten, was sie sagen, und was Briten und Amerikaner darunter verstehen, dann würde eindeutig ein großer Fortschritt erzielt werden. Darauf kann jedoch allein die Umsetzung dieser Beschlüsse eine endgültige Antwort geben... Es gibt jedoch einen sicheren Test. Wenn die auf der Basis der Krim-Erklärung eingesetzten Regierungen und die von ihnen verwalteten Gesellschaften gesunde Anzeichen von Auseinandersetzungen, Meinungsverschiedenheiten und echter politischer Unabhängigkeit zeigen, kann man getrost ‚Amen‘ zu den vorliegenden Vorschlägen sagen.“

Die Beschlüsse von Jalta sollten den Test des Economist leider nicht bestehen. Stalin hielt sein Versprechen nicht, freie Wahlen in Mittel- und Osteuropa zuzulassen; da die Rote Armee einen Großteil des Gebiets kontrollierte, konnten Amerika und Großbritannien wenig tun, um ihn dazu zu zwingen. In Polen begannen die sowjetischen Streitkräfte noch während des Treffens der Staats- und Regierungschefs in Jalta, den Widerstand gegen die kommunistische Herrschaft zu zerschlagen.

14. Februar

Der deutsche Rumpfstaat

Während Churchill, Roosevelt und Stalin in Jalta zusammensaßen, rückte die Sowjetunion in Osteuropa mit atemberaubender Geschwindigkeit vor. Am 12. Januar hatte die Rote Armee ihren Vorstoß durch Polen in Richtung Deutschland begonnen. Mitte Februar hatten die Alliierten „Deutschland auf sein Kernland zwischen Rhein und Oder reduziert“. Während die Nazis den Vormarsch der Alliierten im Westen verlangsamen konnten, war die Rote Armee kaum aufzuhalten. Wir erklärten das so:

„Erstens sind die russischen Armeen zahlenmäßig deutlich überlegen. Nachdem der Durchbruch erfolgt war, wurde der Vormarsch durch das dichte Straßennetz beschleunigt. Die für Ostdeutschland und Westpolen typischen Flüsse, Seen und Sümpfe stellten daher kein Hindernis dar. Unter diesen Umständen kann eine bloße Stabilisierung der Kämpfe an einer neuen Front entlang der Oder bestenfalls ein vorübergehendes Aufhalten bedeuten, wenn überhaupt.“

Mit anderen Worten: Immer größere Teile Deutschlands, so prognostizierten wir, würden bald unter sowjetische Besatzung fallen. Das von den Nazis kontrollierte Gebiet war noch immer beträchtlich und erstreckte sich vom Nordwestbalkan und Norditalien bis nach Norwegen, wo ein kollaboratives Regime weiterhin an der Macht war. Entscheidend war jedoch, dass die sowjetische Offensive den Nachschublinien, die Deutschland noch im Kampf hielten, einen schweren Schlag versetzt hatte.
Mitte Februar kontrollierte die Rote Armee fast ganz Oberschlesien, eine für die deutsche Versorgung mit Kohle und Metallen unverzichtbare Industrieregion. In den Wochen zuvor hatte dieser Verlust die Kriegsindustrie der Nazis und insbesondere ihre Rüstungsbetriebe getroffen. „Im Vergleich zur Produktion in Großbritannien und den Vereinigten Staaten“, berichteten wir, „erscheint Deutschlands derzeitige Produktion gering und völlig unzureichend, um die Verluste zu ersetzen und riesige Armeen auszurüsten.“ Das bedeutete nicht zwangsläufig das Ende für die Nazis; wie wir anmerkten, hatte Deutschland beispielsweise bei der Herstellung von Bombenflugzeugen nie mit Großbritannien und Amerika Schritt halten können. Jetzt baute es jedoch kaum noch Schiffe, abgesehen von U-Booten und kleinen Booten.
Mit dem Verlust Polens hatten die Nazis auch Ackerland aufgegeben, auf dem große Mengen an Grundnahrungsmitteln produziert wurden. Einige Vorräte wurden während des Rückzugs zurückgelassen. „Große Mengen an Kartoffeln müssen zurückgelassen worden sein“, schrieben wir. Effiziente Verteilungsnetze gerieten „aus den Fugen“, als deutsche Städte „einen plötzlichen Zustrom von Evakuierten“ erlebten und die Eisenbahnen „mit Militärtransporten überlastet“ wurden. Infolgedessen wurde die Rationierung verschärft: „Die ursprünglich für den achtwöchigen Zeitraum vom 5. Februar bis zum 1. April ausgegebenen Lebensmittelkarten müssen nun für neun Wochen reichen, was einer Kürzung [der Rationen] um etwa 10 Prozent entspricht.“
Die Nazi-Propaganda wurde zunehmend verzweifelter. Der Volkssturm, eine von Hitler Ende 1944 zur letzten Verteidigung Deutschlands gegründete Miliz, spielte in den Parolen des Regimes eine wichtige Rolle. Doch die Moral in der eine Million starken Truppe war miserabel. Schlecht ausgerüstet und größtenteils unausgebildet, ließen sich nur wenige von Appellen an den Nazi-Fanatismus beeindrucken. Hinter den Kulissen bemühte sich das deutsche Heer unterdessen, sich nach der Vertreibung aus Frankreich und Polen neu zu formieren:

„Hinter dieser Propaganda, die noch nie so viele Superlative verwendet hat, um die Not der Flüchtlinge und die Gefahr für das Reich zu beschreiben, schreitet die Neuorganisation der Armeen zweifellos voran. Die politische Opposition von Generälen und anderen Offizieren, die im letzten Sommer einen Moment der Gefahr darstellte, scheint nicht vorhanden zu sein; tatsächlich erscheint nach den Säuberungen des letzten Jahres eine wirksame Opposition im Moment kaum wahrscheinlich. Bislang scheint die Politik der Alliierten in Richtung einer bedingungslosen Kapitulation zu einer ‚bedingungslosen Verteidigung‘ geführt zu haben.“

Und diese „bedingungslose Verteidigung“, wie The Economist es ausdrückte, wurde von den Nazis brutal durchgesetzt. Deutsche, die Anzeichen von Defätismus zeigten, wurden hart bestraft; zahlreiche Deserteure wurden erschossen. Für viele Deutsche war schon seit Monaten klar, dass der Krieg verloren war.

Fourth Marines Hit Iwo Jima Beach -- Fourth Marines dash from landing craft, dragging equipment, while others Go Over The Top of sand dune as they hit the beach of Iwo Jima, Volcano Islands, February 19. Smoke of artillery of Mortar fire in background. February 22, 1945. (Photo by Joe Rosenthal, AP).

21. Februar

Ärger in Tokio

Im Pazifik wendete sich Mitte Februar das Blatt zugunsten der Amerikaner. „Manila, die Hauptstadt der Philippinen, ist innerhalb von vier Wochen nach den ersten amerikanischen Landungen an den Stränden von Lingayen gefallen", schrieben wir am 10. Februar. Schon bald würden die Amerikaner die verbliebenen japanischen Streitkräfte auf den Inseln besiegen, die sie seit 1941 besetzt hielten. Admiral Chester Nimitz, der die amerikanische Flotte im Pazifik befehligte, plante, Manila als Hauptstützpunkt für weitere Marineoperationen gegen Japan zu nutzen. „Wir werden weiter in Richtung Japan vorrücken", sagte er, „und wir sind zuversichtlich, dass uns dies gelingen wird." Und tatsächlich befand sich Japan am 24. Februar in Aufruhr:

„Dies sind düstere Wochen für die Führung und das Volk Japans. Die Philippinen sind so gut wie verloren. Amerikanische Truppen landen auf Iwojima, nur knapp tausend Kilometer von der japanischen Küste entfernt. Tokio und andere Städte haben die ersten einer Serie von Bombenangriffen durch mehr als tausend amerikanische Flugzeuge erlebt. Gleichzeitig deuten die Nachrichten aus Europa—die Konferenz von Jalta und die weitreichenden sowjetischen Vorstöße in Deutschland—darauf hin, dass die Alliierten bald in der Lage sein können alle ihre Kräfte gegen Japan zu bündeln."

Der Angriff auf Iwojima (siehe Bild), eine strategisch wichtige Insel, die Amerika als Stützpunkt für Bombenangriffe auf das japanische Festland nutzen würde, war nur der jüngste in einer Reihe amerikanischer Vorstöße. In den vergangenen zweieinhalb Jahren hatten die amerikanischen Siege im Pazifik ein politisches Drama in Japan ausgelöst. Im Sommer 1944 war General Tojo Hideki nach einer Reihe von Niederlagen zum Rücktritt als Premierminister gezwungen worden. Sein Nachfolger, General Koiso Kuniaki, mühte sich ebenfalls vergeblich, Japans militärisches Geschick zu verbessern. Obwohl die japanische Presse ernsthafte Kritik an der mangelhaften Qualität der Flugzeuge des Landes geäußert hatte, war es Koiso nicht gelungen, die Kriegsmaschinerie zu verbessern (wenige Wochen nach dem Fall Manilas sollte auch er zurücktreten, als die Amerikaner im April 1945 in Okinawa landeten).
Der Verlust der Philippinen hatte Japans Schwächen offenbart. Wir stellten fest, dass der Mangel an Industriegütern (wahrscheinlich einschließlich Kautschuk und Öl aus Südostasien) zu einem gravierenden Problem geworden war. „Es ist offensichtlich", schrieben wir, „dass man in Japan angesichts dieser Lage schon sehr optimistisch sein muss, um noch an eine Chance zum Sieg zu glauben."

Asia Pacific, Feb 15th 1945

Allied control

Tokyo

Enemy control

JAPAN

CHINA

PACIFIC

OCEAN

Iwo Jima

Burma

PHILIPPINES

SIAM

Lingayen

Gulf

Manila

french

indochina

Dutch east indies

Source: United States government

Asia Pacific, Feb 15th 1945

Allied control

Enemy control

Tokyo

JAPAN

CHINA

Iwo Jima

Burma

PACIFIC

OCEAN

PHILIPPINES

SIAM

Lingayen

Gulf

Manila

french

indochina

Dutch east indies

Source: United States government

Asia Pacific, Feb 15th 1945

Allied control

Enemy control

JAPAN

Tokyo

CHINA

Iwo Jima

PACIFIC

OCEAN

PHILIPPINES

Lingayen

Gulf

Manila

Source: United States government

Würde das Land die Waffen strecken oder sich für einen Kampf bis zum bitteren Ende entscheiden, wie Deutschland es tat? Ein Vergleich mit Italien bot sich an. Dort hatten eine starke Monarchie und eine relativ schwache Unterstützung des Faschismus in der Bevölkerung dazu geführt, dass Italien schon bald nach den ersten großen militärischen Niederlagen kapitulierte: Der neu ernannte Premierminister Pietro Badoglio tat dies im September 1943. (König Viktor Emanuel hatte Benito Mussolini, den faschistischen Diktator des Landes und Badoglios Vorgänger, bereits früher im Jahr verhaften lassen.) Die gleichen Faktoren waren auch in Japan gegeben: Da der Kaiser noch immer an der Macht war und es keine Massenbewegung zur Unterstützung des Faschismus gab, konnte man auch von Japan erwarten, dass es aufgeben würde. Um das Land zu einem „Kampf bis zum Ende" zu zwingen, so unsere Überlegung, „bedürfte es wahrscheinlich der Unterstützung durch eine Massenpartei, die zu schaffen den Extremisten bisher nicht gelungen ist." Doch es gab einen Haken:

„Es gibt also einige Hinweise, die die Ansicht stützen, dass mit zunehmender Gewissheit einer Niederlage die Chance auf einen Regimewechsel in Japan steigt, der den japanischen Badoglio an die Macht bringt, der bereit wäre, nicht zu verhandeln, sondern die bedingungslose Kapitulation zu akzeptieren. Doch wäre es sehr gewagt, dies als Gewissheit anzunehmen, und es gibt andere Faktoren und Kräfte, die eine andere Geschichte erzählen. Das Zentrum des Extremismus in Japan ist die Armee, und bei jeder entscheidenden Wende in der japanischen Politik seit 1931 haben sich die militärischen Führer weitgehend durchgesetzt. Auch ist es wahr, dass ihr Weg bisher von schnellen Erfolgen gekrönt war."

Angesichts der Möglichkeit einer umfassenden amerikanischen Offensive schien es denkbar, dass die japanische Armee versuchen würde, die jungen Nationalisten des Landes zu radikalisieren und es von den verbliebenen Gemäßigten in der Regierung und am kaiserlichen Hof politisch zu säubern. „Auf einer solchen Grundlage", so befürchtete The Economist, „könnten sie vielleicht den Nazis nacheifern und ein Regime errichten, das hart genug ist, um bis zum bitteren Ende zu kämpfen."
Ob es ihnen gelingen würde, Japan zu überzeugen, war unklar; einige Gemäßigte, so schrieben wir, schienen noch immer die Oberhand zu haben. Dennoch war die Vorstellung von einem „Kampf bis zum Ende auf japanischem Boden" eine erschreckende Aussicht: Schließlich sollte sich die Schlacht um Iwojima als eine der blutigsten erweisen, die je von amerikanischen Marineinfanteristen geschlagen wurde. Als sie in erbitterte Kämpfe auf der stark befestigten Insel verwickelt wurden, wurde Iwojima zu einer Warnung, wie katastrophal eine Bodeninvasion auf dem japanischen Festland sein würde.

28. Februar

Ach, ich möchte am Meeresstrand sein!

Während einige der blutigsten Schlachten zwischen Amerika und Japan im Pazifik gerade erst begannen, fühlte sich der Sieg in Europa für die Briten so nah an, dass sich The Economist erlaubte, einen Blick auf das Kriegsende zu werfen. Das Leben würde nicht schnell zur Normalität zurückkehren. Die britische Wirtschaft hatte einen schweren Schlag erlitten, sodass die Regierung gezwungen war, einige Rationierungen bis 1954 aufrechtzuerhalten. Doch es war offensichtlich, dass nach dem Ende des Krieges der aufgestaute Wunsch nach Ruhe und Entspannung groß sein würde:

„Niemand glaubt heute, dass die ‚letzte Entwarnung' eine sofortige Rückkehr zum Vorkriegsleben mit seiner Fülle an Annehmlichkeiten einläuten wird. Die Fortsetzung der Rationierung, mit nur allmählicher Lockerung, wird als unvermeidlich akzeptiert. Nichtsdestotrotz wird der Waffenstillstand mit Deutschland eine Welle von Ausgaben freisetzen—wie sehr auch immer offiziell davon abgeraten wird,—die überall dort getätigt werden, wo es keine verhängte Pro-Kopf-Rationierung gibt. Das Kriegsende wird das Korsett sprengen, in das sich das soziale Gewissen in den letzten fünf Jahren hineingezwungen hat. Nur wenige werden zweimal überlegen, ob sie an Treibstoff oder Geld sparen, wenn es darum geht, sich irgendwie zu helfen, Reparaturen durchzuführen oder Reisen zu unternehmen, die per Definition nicht ‚wirklich notwendig' sind."

Es schien nur natürlich, dass die Briten sich nach „dem ersten Urlaub seit den letzten Friedenstagen" sehnen würden. Die Regierung hatte sie lange dazu angehalten, „Urlaub zu Hause" zu verbringen; nun hielt sie sie nicht mehr davon ab, sich außerhalb der eigenen vier Wände zu erholen. „Wiedervereinte Familien, entlassene Soldaten im bezahlten Urlaub, Arbeiter mit mit Anspruch auf bezahlten Urlaub, frisch verheiratete Paare, Familien mit Kindern, die noch nie das Meer gesehen haben, und andere, die auf Urlaub während des Krieges verzichtet haben," waren nur einige der Bevölkerungsgruppen, von denen wir erwarteten, dass sie bald in die britischen Badeorte wie Margate, Brighton und Eastbourne strömen würden.
Kinder würden im Sommer 1945 mit ihren Sandkasteneimern und -spaten an die Strände zurückkehren. In diesem Video vom Juli sieht man immer noch Stacheldraht über dem Geländer einer Strandpromenade.
Video: British Movietone/AP
Aber es war nicht klar, ob die Seebäder dafür gerüstet sein würden. Nach Jahren der Schließung zur Sicherheit der Marine konnte man sich ohne weiteres „endlose Warteschlangen für Mahlzeiten und Betten" vorstellen. Als 1944 einige Badeorte wiedereröffneten, hatten sie sogar Schwierigkeiten, mit kleineren Menschenmengen fertig zu werden:

„Der Bedarf des Gastgewerbes an staatlicher Unterstützung musste dringend gedeckt werden. Die Aufhebung des Reiseverbots in Verteidigungsgebiete im letzten Jahr führte zu einem Besucherstrom in die Ferienorte an der Ost- und Südostküste, auf den diese schlecht vorbereitet waren und den die Eisenbahn nicht bewältigen konnte. In diesem Jahr dürfte die Zahl der Urlauber angesichts der durch die militärische Lage hervorgerufenen Stimmung noch erheblich größer sein. Die Menschen sind jetzt bereit, sich eine gewisse Erholung von den Entbehrungen zu gönnen. Sollte der Waffenstillstand vor der Haupturlaubszeit kommen, wird die Nachfrage nach Urlaubsplätzen noch stärker ansteigen. Aus momentaner Sicht ist eine akute Knappheit an Ferienunterkünften zu erwarten."

Es gab einige Möglichkeiten, wie die Regierung versuchen könnte zu helfen, konstatierte The Economist. Einige hatten die Idee staatlich geführter Ferienlager in Umlauf gebracht—obwohl diese, wie wir anmerkten, „zum Glück wohl eher nicht so beliebt wären". Bessere Optionen wären unserer Meinung nach, wenn die Regierung alte Armeelager und Arbeiterwohnheime für große Gruppen zugänglich machte und Unternehmen, die Urlauber betreuen wollen, Sonderkredite anböte. Nach Jahren der Sorge um die Versorgung des Landes mit Kanonen und Butter muss es eine große Erleichterung gewesen sein, sich nun um die Beschaffung von Eiscreme und Sonnenschirmen kümmern zu müssen.

März

1945

7. März

Ein weiterer Fluss

In Westeuropa hatten die Alliierten einen schwierigen Start ins Jahr erlebt. Nachdem sie in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 durch das von den Nazis besetzte Frankreich vorgerückt waren, gerieten die Amerikaner und Briten ins Stocken. Mitte Dezember hatte der deutsche General Gerd von Rundstedt eine Gegenoffensive in den Ardennen zwischen Luxemburg und Belgien gestartet. Doch im Februar hatten die Alliierten Rundstedt zurückgeschlagen, dessen Truppen der Nachschub ausging; im März drangen sie erneut von Westen in deutsches Gebiet vor.
„Endlich stehen die Alliierten am Rhein, und morgen könnten sie ihn schon überqueren", schrieben wir hoffnungsvoll in unserer Ausgabe vom 10. März. Es galt nur noch einen großen Fluss zu überqueren, bevor sie das deutsche Kernland erreichten:

„In der ersten Märzwoche entbrannten Schlachten an Rhein und Oder, die das letzte Kapitel des europäischen Krieges einläuteten. Die alliierten Armeen im Westen erreichen den Rhein auf einer langen Front von Koblenz bis zur niederländischen Grenze. Rundstedt, hoffnungslos unterlegen, kann nicht einmal die großen Städte am linken Rheinufer als Brückenköpfe für die Wehrmacht halten... Sein eigentliches Ziel kann nur sein, die Errichtung alliierter Brückenköpfe über den Rhein so lange wie möglich zu verzögern. Selbst ein Teilerfolg hierin würde Deutschland keine wirkliche Entlastung bringen."

Im Osten war die Rote Armee unter dem Kommando von Georgi Schukow und Konstantin Rokossowski nordwärts zur polnischen Küste vorgedrungen und hatte die deutschen Kräfte um die Hafenstadt Danzig (heute Gdańsk) eingekesselt. Wie die am Rhein im Westen gesammelten Alliierten stand die Rote Armee nun vor der Aufgabe, den Unterlauf der Oder zu überqueren, die durch Ostdeutschland nordwärts zur Ostsee fließt. Bald würde die Rote Armee einen Angriff auf Stettin (heute Szczecin), eine Stadt an der Flussmündung, starten. „Die nächsten Wochen", so berichteten wir, „werden also mit Sicherheit die letzten beiden großen Schlachten um Flussübergänge im Krieg gegen Deutschland bringen."

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Sources: United States government; Mapping The International System, 1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

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Unterdessen intensivierte Amerika im Pazifik seine Bombenkampagne gegen Japan. Die Amerikaner hatten das japanische Festland bereits seit 1942 bombardiert, verstärkten ihre Kampagne jedoch 1944—zunächst von Luftwaffenstützpunkten auf dem chinesischen Festland aus und später von Saipan, einer Insel, die sie im Sommer Japan entrissen hatten. Die ersten Angriffe richteten sich gegen militärische und industrielle Ziele. Doch nachdem schwierige Wetterbedingungen eine Reihe von Angriffen scheitern ließen, gaben die amerikanischen Generäle diese Strategie auf. Im Januar übernahm Curtis LeMay die Leitung der Operationen und ordnete Brandbombenangriffe auf japanische Großstädte an.
Die meisten Gebäude in japanischen Städten, aus Holz und Papier errichtet, waren den Brandbomben schutzlos ausgeliefert. In der Nacht zum 9. März startete LeMay einen Großangriff auf Tokio. Fast 300 B-29-Bomber warfen weißen Phosphor und Napalm auf die Stadt ab, in der es seit Wochen kaum geregnet hatte. Es entstand ein Feuersturm. Mehr als 100.000 Einwohner kamen ums Leben und rund 40 Quadratkilometer der Stadt wurden verwüstet. Es war der tödlichste Bombenangriff des gesamten Zweiten Weltkriegs. Während die Kämpfe in Europa in die Endphase traten, erreichte der Konflikt im Pazifik seine gewaltsamste Phase.

14. März

Balkankrise

Im März 1945 wurden die Nazis von den Alliierten von Osten und Westen in die Zange genommen. Auch vom Süden her wuchs der Druck. Der Balkan war fast vier Jahre lang unter deutscher Besatzung gewesen. Doch 1944 verschoben sich die Machtverhältnisse. Nachdem die Rote Armee im Sommer westwärts durch die Ukraine gestürmt war, stieß sie nach Süden auf den Balkan vor. Dort vereinigte sie sich mit Widerstandskämpfern unter der Führung von Josip Broz, einem kroatischen Kommunisten, der unter dem Parteinamen „Tito“ bekannt war. Nachdem Anfang 1945 der Großteil der Halbinsel befreit war, traf Tito mit britischen und sowjetischen Offizieren zusammen, um die nächsten Schritte des Feldzugs zu planen. Wie wir am 10. März berichteten:

„Gegen Ende Februar besuchte Feldmarschall Alexander Jugoslawien und konferierte mit General Tolbuchin, dem sowjetischen Oberbefehlshaber auf dem Balkan, und mit Marschall Tito. Vermutlich erörterten sie Mittel und Wege zur vollständigen Befreiung des Balkans. Fast ganz Südosteuropa ist nun befreit, obgleich in Jugoslawien noch vereinzelte deutsche Widerstandsnester existieren. Die Wehrmacht hält jedoch nach wie vor ganz Kroatien sowie das Gebiet zwischen Plattensee und Donau im Nordwesten Ungarns. Diese beiden Bollwerke sichern die Zugänge nach Österreich.“

Die Befreiung des größten Teils Jugoslawiens—des Staates, der einen Großteil des westlichen Balkans umfasste—und ganz Rumäniens eröffnete der Roten Armee einen Weg durch Ungarn nach Österreich. Anfang April begann die Belagerung Wiens. Doch während sich der Krieg dem Ende zuneigte, wurde der Erfolg der Alliierten, die Nazis vom Balkan zu vertreiben, von den politischen, ethnischen und territorialen Konflikten überschattet, die in der Region selbst hochkochten:

„Die politische Lage auf dem Balkan und im Donauraum ist weit weniger zufriedenstellend als die militärische. Unruhe und Spannungen herrschen in der gesamten Region. Die befreiten Völker leiden unter zwei altbekannten Plagen: der Gewalt sozialer und politischer Konflikte und der Heftigkeit unzähliger nationalistischer Fehden. Sowohl die inneren Umwälzungen als auch die nationalen Konflikte sind auf die eine oder andere Weise mit den Beziehungen zwischen den alliierten Großmächten verknüpft. Die altbekannten Balkanprobleme tauchen in einer nur teilweise neuen Form wieder auf und drohen, internationale Schwierigkeiten zu verursachen.“

Die nach dem Rückzug der Nazis gebildeten Regierungen erwiesen sich als instabil. In Rumänien scheiterten König Michaels Bemühungen, eine nichtkommunistische Regierung zusammenzuhalten, im März zum dritten Mal, als Petru Groza, der Führer der linken Pflügerfront, mit russischer Unterstützung eine neue Regierung bildete. (Andrej Wyschinski, ein russischer Diplomat in Bukarest, „dürfte wohl als deren Geburtshelfer gelten“, schrieben wir.) In Jugoslawien rang Tito, der gerade die Unterstützung der Serbischen Demokratischen Partei gewonnen hatte, um die Balance zwischen Kroaten, Slowenen und anderen ethnischen Gruppen. In Griechenland, wo kurz nach der Befreiung ein Bürgerkrieg ausgebrochen war, hatte sich ein Waffenstillstand eingestellt. Doch die tiefen Gräben zwischen Monarchisten, Kommunisten und gemäßigten Republikanern ließen einen dauerhaften Frieden unwahrscheinlich erscheinen.
Auch grenzüberschreitende Konflikte drohten auszubrechen. „Die nationalistischen Strömungen auf dem Balkan spiegeln sich in der langen Liste territorialer Ansprüche wider, die bereits von fast allen Balkanregierungen offiziell angemeldet wurden“, schrieben wir. In Griechenland beobachteten wir zunehmende chauvinistische Demonstrationen für ein „Großgriechenland“, bei denen die Menge skandierte: „Besetzt Bulgarien für 55 Jahre“ und „Sofia! Sofia!“. Gleichzeitig befürchteten viele Griechen, dass die Türkei versuchen könnte, einige der Dodekanes-Inseln vor ihrer Küste zu beanspruchen. Auch Jugoslawien, Bulgarien und Rumänien erwogen eigene Gebietsansprüche.
Die Zunahme interner wie externer Streitigkeiten war besorgniserregend:

„Das Beunruhigende an diesen typischen Balkanturbulenzen ist, dass die lokalen Anführer, Generäle und Oberhäupter offenbar darauf hoffen, mögliche Rivalitäten zwischen den alliierten Großmächten für ihre eigenen Zwecke ausnutzen zu können. Beinahe zwangsläufig ist eine Situation entstanden, in der die Linke im Allgemeinen auf die Unterstützung Russlands setzt, während die Rechte ihre Hoffnungen auf eine Intervention der Westmächte richtet. Vage politische Berechnungen basieren auf den groteskesten Annahmen… Es ist sinnlos zu leugnen, dass die Politik der Großmächte vor Ort solchen Interpretationen manchmal Nahrung gibt.“

Brutale Strafen für Mitglieder kollaborationistischer Regime, kommunistische Verleumdungen westlicher Sympathisanten als „Faschisten“ und die sich abzeichnende Spaltung des Kalten Krieges zwischen pro-russischen Elementen und britischen sowie amerikanischen Vertretern schufen auf dem Balkan eine düstere, von Paranoia geprägte Atmosphäre. „Den lokalen Regierungen, Parteien und Gruppierungen sollte unmissverständlich klargemacht werden, dass ihre Hoffnungen, von der Rivalität der Alliierten zu profitieren, vergeblich sind“, mahnten wir. Obwohl in Griechenland der Bürgerkrieg 1946 erneut aufflammte, blieben die schlimmsten ethnischen Kriege, die wir befürchteten, in den 1940er Jahren aus. Doch obwohl ein Großteil des Balkans hinter den Eisernen Vorhang glitt, wurde die Halbinsel letztendlich durch den Kalten Krieg geteilt.

21. März

Russlands Wiederaufbau

„Es ist nicht leicht“, schrieb The Economist am 24. März, „ein Bild der russischen Wirtschaft im vierten Jahr des Deutsch-Sowjetischen Krieges zu zeichnen.“ Seit Beginn des Unternehmens Barbarossa im Sommer 1941, als die Nationalsozialisten die Sowjetunion überfielen, war der Kreml zu einem verzweifelten Kampf ums Überleben gezwungen. An der Ostfront tobten einige der heftigsten Kämpfe des Zweiten Weltkrieges: Die Sowjetunion verlor mehr Menschen als alle anderen Alliierten zusammen. Nun stand Josef Stalin, der sowjetische Staatschef, vor der gewaltigen Aufgabe, zerstörte Städte und Industrien wiederaufzubauen. Während sowjetische Truppen in Reichweite Berlins kämpften, analysierten wir die Probleme der russischen Wirtschaft und ihre Fähigkeit zur Erholung.
Die westlichen Regionen der Sowjetunion, Schauplatz erbitterter Kämpfe während ihrer Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft, hatten unvorstellbare Zerstörungen erlitten. Wir schrieben:

„Hinter den Frontlinien der Roten Armee erstrecken sich weite Flächen ‚verbrannter Erde‘. Dass die dort angerichtete Zerstörung enormen Ausmaßes ist, steht fest, auch wenn das Ausmaß von Provinz zu Provinz und von Stadt zu Stadt variiert. Eine vorläufige offizielle Schätzung beziffert die Fläche der totalen Zerstörung auf 1.800 Quadratkilometer. Aus Dutzenden von Städten und Gemeinden in der Ukraine und in Weißrussland [Belarus] treffen Berichte ein, wonach das Leben bis in seine Grundfesten erschüttert ist. In vielen Städten blieben von Tausenden Häusern nur wenige Dutzend oder einige Hundert stehen, nachdem die Deutschen vertrieben worden waren.“

Industriezentren in der Ostukraine hatten besonders schwere Verwüstungen erlitten. Ein Drittel der Gebäude in Charkiw war vollständig zerstört; vier Fünftel der verbliebenen Gebäude waren stark reparaturbedürftig. Die Situation in der gesamten Region war ähnlich. „Ein Großteil der Stadt- und Landbevölkerung“, schrieben wir, „ist in quasi-troglodytische Verhältnisse zurückgeworfen worden.“ Höhlen und Lehmhütten waren zu gewöhnlichen Unterkünften geworden. Bergwerke, die von den Nationalsozialisten auf ihrer Flucht geflutet worden waren, standen noch immer unter Wasser; die sowjetischen Behörden hatten nach der Rückeroberung des Gebiets nur 7,5% der Bergwerke im Donbass trockenlegen können.
Der Zustand der Wirtschaft war jedoch innerhalb der Sowjetunion nicht überall gleich. Wir erläuterten:

„Doch die Geschichte der Zerstörung, die sich endlos fortsetzen ließe, erzählt nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte, nicht weniger bemerkenswert, wird durch Berichte über die industrielle Entwicklung und Expansion im Osten Russlands während des Krieges illustriert, die sich aus der Verlagerung von Anlagen aus dem Westen und einer intensiven Kapitalakkumulation vor Ort ergab. Kürzlich veröffentlichte Zahlen und Erklärungen deuten darauf hin, dass das Entwicklungstempo im Osten so hoch war, dass es der russischen Schwerindustrie ermöglichte, ihr Vorkriegsproduktionsniveau wiederzuerlangen und sogar zu übertreffen.“

Die Industrieproduktion im Osten, insbesondere in der Region um das Uralgebirge und in Zentralasien, boomte. Zahlen zur Stahlproduktion—einem wichtigen Produktionsfaktor für Waffen, Transportmittel und landwirtschaftliche Geräte—verdeutlichten das erstaunliche Wachstum der sowjetischen Industrie: 1944 wurde rund 30% mehr hochwertiger Stahl produziert als 1940. Auch die Stromerzeugung boomte. Die Fähigkeit der Sowjetunion, verlorene Kapazitäten in den besetzten Gebieten durch den Ausbau der Industrie im Osten zu kompensieren, trug maßgeblich zu ihrem Sieg über die Nationalsozialisten bei:

„Durch harte Arbeit und beispiellose Opfer ist es Russland gelungen, den Krieg nicht nur militärisch auf den Schlachtfeldern, sondern auch wirtschaftlich in den Fabriken und Bergwerken zu gewinnen. Trotz der immensen Zerstörungen in den westlichen Gebieten kann es nun in seinen neu errichteten Fabriken im Osten die Grundlage für den Wiederaufbau finden.“

Der Wiederaufbau in den befreiten Gebieten der westlichen Sowjetunion würde zu einer leichten Verlangsamung der Produktion im Osten führen. „Schon jetzt“, schrieben wir, „gibt es Anzeichen dafür, dass die Befreiung der westlichen Industriegebiete bereits zu einer gewissen Abschwächung der Kriegsanstrengungen in den östlichen Provinzen geführt hat.“ Doch die Sowjetunion war entschlossen, ihr industrielles Wachstum beizubehalten, unter anderem durch Reparationsforderungen an Deutschland zur Finanzierung des Wiederaufbaus. Stalin war fest entschlossen, die Sowjetunion als Weltmacht zu etablieren. Die Fortsetzung der wirtschaftlichen Expansion aus der Kriegszeit war der Schlüssel zu diesem Ziel.

28. März

Die Schlacht um Deutschland

Ende März rückten die Alliierten unaufhaltsam auf das deutsche Kernland vor. Im Westen harrten ihre Armeen wochenlang am Rhein aus, dem letzten großen Fluss, der sie von den Städten Westdeutschlands trennte. Die Nazis hatten die meisten Brücken über den Fluss auf ihrem Rückzug gesprengt, um den Vormarsch der Alliierten zu verlangsamen. Anfang März überquerten einige kleine Einheiten den Fluss. Dann, in der Nacht zum 23. März, setzten die Alliierten mit Booten und schwimmfähigen Panzern über den Rhein auf einer 20 Kilometer breiten Front. Operation Plünderung hatte begonnen. Innerhalb weniger Tage errichteten die Alliierten Brücken über den Rhein und stießen nach Frankfurt und Münster vor. In unserer Ausgabe vom 31. März schrieben wir:

„Die Rheinüberquerung der Alliierten wird für immer zu den entscheidendsten und zweifellos zu den taktisch brillantesten Schlachten der Geschichte zählen. Artilleriebeschuss, Luftangriffe, Fallschirmlandungen—alles spielte seine präzise getimte Rolle, und die Ingenieure vollbrachten Meisterleistungen, indem sie unter schwerem Feuer Brücken über den breiten und reißenden Fluss schlugen. Entlang des gesamten Rheins, von Wesel bis Straßburg, entstanden in schneller, kaleidoskopischer Folge Brückenköpfe, die in kürzester Zeit zu einer durchgehenden Front verbunden wurden. Jenseits des Rheins erwies sich die deutsche Verteidigung als dünn und brüchig.“

Der alliierte Vormarsch hatte verheerende Folgen für die Deutschen. Mehr als 250.000 Wehrmachtssoldaten gerieten in Gefangenschaft, als die Alliierten über den Rhein vordrangen, berichteten wir. Dies erschwerte es Albert Kesselring, dem Oberbefehlshaber der deutschen Streitkräfte an der Westfront, eine wirksame Verteidigung aufzubauen, ohne sich in Richtung Hauptstadt zurückzuziehen. „Der Ring konzentrischer Verteidigungslinien um Berlin“, schrieben wir, „dürfte das letzte Schlachtfeld sein, das die deutsche Führung wählt. Dort hofft sie womöglich noch, die Götterdämmerung in den Trümmern der Hauptstadt zu verlängern und den Angreifern die Nachteile langer Nachschublinien über feindliches, im Chaos versunkenes Gebiet aufzuzwingen.“

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Angesichts der Roten Armee, die an der Oder im Nordosten Deutschlands aufmarschiert war und im Süden auf das von den Nazis besetzte Wien vorrückte, stand die Wehrmacht jedoch am Rande des Zusammenbruchs. „Der Tag ist nicht mehr fern“, schrieben wir, „an dem die Unterscheidung zwischen Ost- und Westfront ihre Bedeutung verliert.“ In Deutschland schien jede noch verbliebene Ordnung zu zerfallen. Der „Rumpfstaat des Reiches“, der unter Nazi-Kontrolle verblieben war, versank in Panik:

„Die völlige Lähmung des Verkehrs; die spärlichen industriellen Ressourcen Mitteldeutschlands, Österreichs und Westböhmens, die der Wehrmacht noch bleiben; der erbärmliche Zustand der zerbombten Städte; das zunehmende administrative Chaos—all dies kann von den offiziellen Nazi-Propagandisten nicht länger verschwiegen werden. Häufige Bekanntmachungen von Hinrichtungen sogenannter ‚Feiger‘ und Rundfunkaufrufe an Nazi-Organisationen und sogar an Zivilisten, bei der Ergreifung versprengter Soldaten und Deserteure zu helfen, sind untrügliche Zeichen eines rapiden Moralverfalls. Im letzten Krieg war es—der nationalsozialistischen Legende zufolge—die Heimatfront, die der Armee in den Rücken fiel. In diesem Krieg scheint es den Nazis, als hätte die Armee der Heimatfront den Dolch in den Rücken gestoßen.“

Ende März, so schrieben wir, flohen die Vertriebenen aus den von der Roten Armee im Osten befreiten Gebieten nach Mitteldeutschland, nur um dort auf andere zu treffen, die aus den von den Alliierten besetzten Gebieten im Westen evakuiert worden waren. Nazi-Propagandisten versuchten verzweifelt, „die benommene Nation mit einer aggressiven Propagandakampagne über die apokalyptischen Folgen einer Niederlage aufzurütteln“. Selbst als das unausweichliche Ende näher rückte, richteten die Sprachrohre des Regimes einen letzten Appell an den Nationalstolz „an die Ohren der betäubten und geschundenen deutschen Nation“.

April

1945

4. April

Krieg und Frieden

„Die letzte Stunde des Dritten Reichs hat geschlagen", erklärte The Economist am 7. April. Nachdem sich die Alliierten Ende März auf dem östlichen Rheinufer festgesetzt hatten, stießen britische und amerikanische Panzer und Infanterie „in das Herz Deutschlands“ vor. Auch die Rote Armee rückte von Osten her vor. Doch je näher die Niederlage der Nazis rückte, desto deutlicher wurden die Gräben zwischen den Alliierten:

„Die militärischen Aufgaben des Bündnisses sind zumindest in Europa nahezu erfüllt, die friedensstiftenden Aufgaben liegen jedoch größtenteils noch vor ihnen. Sie werden die alliierte Diplomatie mit Sicherheit auf eine härtere Probe stellen als alle Strapazen des Krieges. Der Sieg über den gemeinsamen Feind führt unweigerlich dazu, dass sich das Band der Solidarität, das die Verbündeten im Angesicht der tödlichen Gefahr zusammenhält, lockert. Am Vorabend des Sieges und vor allem am nächsten Tag treten die unterschiedlichen Auffassungen und Interessen wieder zutage.”

Einige Unstimmigkeiten waren bereits offensichtlich. Dazu gehörte die Struktur dessen, was später die Vereinten Nationen werden sollten. Im Jahr 1943 hatten sich die Alliierten darauf geeinigt, eine Nachfolgeorganisation des Völkerbundes zu schaffen. Im Jahr darauf kamen Diplomaten aus Amerika, Großbritannien, China und der Sowjetunion in Dumbarton Oaks, einem Herrenhaus in Washington, zusammen, um Vorschläge für die Organisation zu erarbeiten. Jetzt bereiteten sich Delegierte aus fast 50 alliierten Ländern darauf vor, in San Francisco zusammenzukommen, um ihre Pläne für die neue Liga fertigzustellen.
Die Forderungen der Sowjetunion führten jedoch zu Spannungen mit den USA. Josef Stalin verlangte nicht nur einen Sitz für die Sowjetunion, sondern auch für zwei ihrer Teilrepubliken, die Ukraine und Weißrussland, um mehr Macht in der Versammlung zu erhalten. Stalin wollte auch, dass Polen durch die kommunistische Regierung in Warschau vertreten wird und nicht durch die von den USA und Großbritannien unterstützte Exilregierung. Russlands Einstellung zu den internationalen Beziehungen, so berichteten wir, schien in erster Linie darauf abzuzielen, die eigene Macht zu konsolidieren. Wir schrieben:

„Angesichts dieser und ähnlicher Äußerungen kann es keinen Zweifel an der Zurückhaltung geben, mit der Russland der Weltorganisation beizutreten scheint. In der Tat ist die russische Haltung von einem Anti-Liga-Komplex geprägt, der seinen Ursprung in den Erfahrungen Russlands mit dem alten Völkerbund hat. Moskau hat nicht vergessen, dass Russland der einzige Staat war, gegen den in Genf die demütigendste Sanktion—der Ausschluss aus dem Völkerbund—verhängt wurde, während so viele schamlose Aggressionen mit milder Nachsicht behandelt worden waren. Mit dieser Genfer Demütigung noch frisch im Gedächtnis, zeigt Russland, das jetzt siegreich und begehrt ist, ein übertriebenes Bestreben, sein Prestige in San Francisco zur Geltung zu bringen.”

Die Sowjetunion, die immer noch gekränkt war, da sie wegen ihrer Invasion Finnlands 1939 aus dem Völkerbund geworfen wurde, will sicher sein, dass die neue Organisation sie nicht erneut „auf die Anklagebank setzen“ kann. „Diese Entschlossenheit, jede mögliche Lücke für Angriffe auf Russland zu stopfen“, bemerkten wir, “ist sicherlich kein Zeichen großer moralischer Stärke.“ Aber sie stellte die Alliierten auch vor ein größeres Problem. Wir erklärten:

„Für diejenigen, die die russische Politik verfolgt haben, ist diese Haltung vielleicht eine Enttäuschung, aber keine Überraschung. Jedoch gab es leider eine offizielle Verschwörung, die mehr aus Wunschdenken als aus Täuschungsabsicht geboren wurde, nämlich so zu tun, als ob alle Planungen für eine neue und bessere internationale Organisation reibungslos verlaufen würden. Dies traf besonders auf die Vereinigten Staaten zu. Die Amerikaner, die auf Papier geschriebenen Verfassungen gern magische Eigenschaften zuschreiben, wären auf jeden Fall geneigt gewesen, der formalen Bildung einer neuen internationalen Organisation eine übertriebene Bedeutung zu verleihen. Doch sahen sie sich in jüngster Zeit auch dem Druck einer Kampagne ihres Außenministeriums ausgesetzt, die Vorschläge der Konferenz von Dumbarton Oaks zu realisieren.”

Die Regierung von Franklin Roosevelt hatte die Gründung der neuen Organisation als „die größte Hoffnung auf dauerhaften Frieden und als Erfüllung des größten Teils der amerikanischen Verantwortung gegenüber der Welt“ angepriesen. Nun sah es so aus, als könnten die russischen Forderungen der Gründung einer Nachfolgeorganisation des Völkerbundes im Wege stehen.
Manche, so schrieben wir, hatten gefordert, die Gründungskonferenz in San Francisco zu verschieben. Dies wäre jedoch eine Demütigung für die Regierung Roosevelts gewesen. Die Konferenz, die von Ende April bis Ende Juni dauern sollte, würde schließlich die Vereinten Nationen ins Leben rufen. Und das, obwohl „die russischen und amerikanischen Ansichten darüber, wie der Frieden in der Welt zu sichern ist, radikal unterschiedlich sind“.

11. April

Zwei Präsidenten

Trotz seines schlechten Gesundheitszustand wurde Franklin Roosevelt 1933, zwölf Jahre nachdem Polio ihn von der Hüfte abwärts gelähmt hatte, Präsident von Amerika. Nach seinem Amtsantritt war seine Gesundheit zehn Jahre lang stabil. Doch die Führung der Vereinigten Staaten durch den Krieg forderte ihren Tribut.
Im Februar 1945, auf der Konferenz von Jalta, teilte Roosevelts Arzt seiner Tochter Anna mit, dass sein Gesundheitszustand wie eine „tickende Zeitbombe“ sei. Im März begab er sich nach Warm Springs, seinem Rückzugsort in Georgia, um sich zu erholen. Am 12. April, während er für ein Porträt posierte, brach er zusammen. Er wurde 63 Jahre alt. The Economist berichtete in seiner Ausgabe vom 21. April:

„Keine auch noch so übertriebene Beschreibung des Gefühls von Verlust würde dem gerecht, was die freie Welt bei der plötzlichen Nachricht vom Tod von Präsident Roosevelt empfand. Niemals zuvor wurde weltweit so feierlich um einen Staatsmann eines anderen Landes und selten zuvor um einen unserer eigenen Führer so tief getrauert. Dies war teilweise der Dankbarkeit für einen Menschen geschuldet, der als Helfer in der Not sehr präsent war. Kein Engländer, der diese zwölf furchtbaren Monate zwischen Juni 1940 und Juni 1941 miterlebt hat, wird je vergessen, wie sehr die Hoffnung der Nation auf einen Sieg auf dieser Zuversicht verbreitenden Persönlichkeit im Weißen Haus ruhte und wie sich diese Hoffnung Schritt für Schritt materialisierte.”

Roosevelts Tod rief die gleichen Gefühle der Trauer hervor wie der Tod von Königin Victoria im Jahr 1901. „Auch wenn Herr Roosevelt nicht 63 Jahre im Weißen Haus war“, schrieben wir, „fällt es trotzdem sehr schwer, sich an die Zeit von Präsident Hoover zu erinnern.“
Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hatte Roosevelt eine Sondersitzung des Kongresses einberufen, um Waffen an Großbritannien und Frankreich zu liefern. Dann, im Jahr 1941, setzte er gegen den Widerstand der Anhänger des Isolationismus den sogenannten Lend-Lease Act (das Leih-und Pachtgesetz) durch, ein militärisches Hilfsprogramm. „Mit ihm ist einer der wenigen Sicherheitsgaranten in einer unsicheren Welt von uns gegangen“. Als „Meisterpilot“ war Roosevelt ein Experte darin, Amerika durch Krisen zu führen:

„Es war kein Zufall, dass er sein Amt genau an dem Tag antrat, an dem die Banken schlossen, oder dass er der Nation im Angesicht der Weltwirtschaftskrise deutlich vor Augen führte, wozu sie verpflichtet ist. Freunde der Familie Roosevelt erzählen, dass er in den frühen 1920er Jahren, als er bei seiner Kandidatur für das Amt des Vizepräsidenten zunächst eine schmachvolle Niederlage erlitt und dann an Kinderlähmung erkrankte, nichts weiter vor ihm zu liegen schien als das Leben eines invaliden Herren auf dem Lande. Doch schon damals prophezeite er aus seinem Rollstuhl heraus, dass eine weitere große Krise auf Amerika und die Welt zukommen würde, eine Krise, die nur durch einen starken Präsidenten mit einer entschlossenen liberalen Politik überwunden werden könne, und dass er, der Krüppel Franklin Roosevelt, dieser Mann sein würde.”

Roosevelts Tod bedeutete, dass das Amt des Präsidenten an Harry Truman übergehen würde, den Roosevelt bei den Wahlen von 1944 zu seinem Vizekandidaten bestimmt hatte. Truman war weniger als 90 Tage lang Vizepräsident. Zweieinhalb Stunden nach Roosevelts Tod wurde er im Oval Office als Präsident vereidigt. „Jungs“, sagte er zu einer Schar von Reportern, nachdem er Präsident geworden war, „solltet ihr jemals beten, dann betet jetzt für mich.“ Der ehemalige Senator aus Missouri war außerhalb der Vereinigten Staaten kaum bekannt:

„Die Augen der Welt sind nun auf Präsident Truman gerichtet. Durch einen jener außergewöhnlichen Zufälle, die nur in Amerika passieren können, folgt auf den bekanntesten Mann der Welt einer der unbekanntesten Männer der Welt. Obwohl man sagt, dass nur ein einziger Herzschlag jeden Vizepräsidenten von dem größten Amt der Welt trennt, spielen seine Qualifikationen für dieses Amt kaum oder gar keine Rolle, wenn es um seine Aufstellung durch den Nominierungsparteitag geht. Vizepräsidenten werden als politische Nothelfer gewählt, um ein paar Stimmen zu sammeln oder (häufiger) um sie nicht zu verlieren. Sie sind fast immer unbedeutende Persönlichkeiten, wenn sie plötzlich ins Rampenlicht treten.”

Befürchtungen in Bezug auf die Übernahme der Präsidentschaft durch Truman waren eher ein Ausdruck der Sorge um die Stabilität und Stärke, die Roosevelt vermittelt hatte, als dass sie mit der Eignung des neuen Präsidenten für dieses Amt zu tun gehabt hätten. Ein beruhigendes Zeichen war, dass James Byrnes, der unter Roosevelt für die Kriegsmobilisierung zuständig war, weiterhin eine zentrale Rolle in der amerikanischen Außenpolitik spielen würde. (Truman sollte ihn im Juli zum Außenminister ernennen.) Von Truman, so schrieben wir, könne man erwarten, dass er „ein guter, durchschnittlicher Präsident“ sein würde. Nach den zwölf Jahren, in denen Roosevelt Amerika und seine Rolle in der Welt neu gestaltet hatte, war dieser Übergang jedoch ein Schock.

18. April

Russland und Japan

Während das Ende des Krieges in Europa näher rückt, verschieben sich die Positionen der Großmächte im pazifischen Raum. Die Sowjetunion kämpfte zwar an der Seite der Alliierten gegen die Nazis in Europa, hielt sich aber mit einer Beteiligung am Krieg gegen Japan zurück. Der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow hatte im April 1941 einen Neutralitätspakt mit Japan ausgehandelt. Das Abkommen verhinderte einen Krieg zwischen den beiden Ländern, selbst nachdem Deutschland, Japans Verbündeter, etwas später im selben Jahr in die Sowjetunion einmarschierte.
Da Deutschland jedoch so gut wie besiegt war, hatte die Sowjetunion im Fernen Osten bald freie Hand. Am 5. April 1945 verhöhnte Molotow den Pakt aufgrund der japanischen Unterstützung für die Nazis und schien anzudeuten, dass sich Russland nicht länger zur Neutralität verpflichtet fühlte. „Russland“, schrieb The Economist am 14. April, „erwacht aus seiner selbst auferlegten Passivität im Fernen Osten und übernimmt eine aktivere Rolle“. Die Strategie der Sowjetunion würde sich danach richten, was sie bei einem Zusammenschluss mit den Alliierten im Pazifik zu gewinnen hätte:

„Welche praktischen Erwägungen offenbarten sich? Im Allgemeinen ist der Krieg—wie der Frieden—unteilbar. Die Bindungen, die sich für Russland aus der Allianz mit den Vereinigten Staaten und Großbritannien entwickelten, sind zu vielfältig und vielseitig, als dass es weiterhin neutral bleiben könnte. Es ist kaum vorstellbar, dass ‚Die Großen Drei‘ gemeinsam eine europäische Nachkriegsordnung gestalten, ihr Bündnis aber an den Grenzen Asiens aufgeben würden...es läge nicht im Interesse Russlands, eine so sonderbare Aufteilung der Einflussgebiete zuzulassen und auf die Vorteile zu verzichten, die es von dieser Allianz auf dem pazifischen Kriegsschauplatz erwarten dürfte.”

Die Position der Sowjetunion in Ostasien war in den Jahren, bevor sie von Deutschland überfallen wurde, „fast zur Bedeutungslosigkeit reduziert“ worden. Aber der russische Wunsch nach Macht im Pazifik saß tief. Mehr als ein Jahrhundert lang, bevor die Kommunisten 1917 die Macht ergriffen, hatten die Zaren nach Einfluss in der Region gestrebt. Der sowjetische Führer Josef Stalin hegte ähnliche Ambitionen. „Marschall Stalin“, so schrieben wir, „wird seinen Wunsch, den Einfluss und die Stellung, die die Zaren im Fernen Osten verloren hatten, für Russland zurückzugewinnen, dort sehr wahrscheinlich mit demselben Nachdruck und derselben Entschlossenheit durchsetzen wie in Europa.“

South Pacific, April 15th 1945

Neutral

Axis control

Recent Allied gains

Allied control

Russia

Sakhalin

MONGOLIA

Vladivostok

KOREA

JAPAN

PACIFIC

OCEAN

Tokyo

CHINA

Chungking

Okinawa

Iwo Jima

Burma

PHILIPPINES

SIAM

Manila

french

indochina

Source: United States government

South Pacific, April 15th 1945

Neutral

Axis control

Recent Allied gains

Allied control

Russia

Sakhalin

MONGOLIA

Vladivostok

KOREA

JAPAN

Tokyo

CHINA

Chungking

Okinawa

Iwo Jima

Burma

PHILIPPINES

PACIFIC

OCEAN

SIAM

Manila

french

indochina

Source: United States government

South Pacific, April 15th 1945

Recent Allied gains

Allied control

Neutral

Axis control

Russia

Sakhalin

MONGOLIA

Vladivostok

KOREA

JAPAN

CHINA

Tokyo

Chungking

Okinawa

Iwo Jima

PHILIPPINES

PACIFIC

OCEAN

Manila

Source: United States government

Russland, das 1905 einen Krieg gegen Japan verloren hatte, stand kurz davor, ein Gebiet von seinem alten Feind zurückzugewinnen (siehe Karte). Die südliche Hälfte von Sachalin, die im selben Jahr durch den Vertrag von Portsmouth aufgeteilt wurde, war ein potenzieller Preis; eine Eisenbahnverbindung zwischen Wladiwostok und Sibirien, die 1935 an Japan verkauft worden war, ein weiterer. Doch die Kriegspolitik in Asien war kompliziert. Während sich die Alliierten zusammenschließen konnten, um Japan zu besiegen, drohte der lange Kampf in den Teilen Chinas und Koreas, die noch von Japan kontrolliert wurden, die Beziehungen zwischen den „Großen Drei“ zu belasten:

„Es liegt offensichtlich im Interesse der Alliierten, den Pazifikkrieg schnell zu beenden. Das deutsche Beispiel zeigt, dass ein Harakiri des Gegners die Sache für die siegreichen Alliierten nicht einfacher, sondern schwieriger macht, denn es hinterlässt wirtschaftliches Chaos und soziale Verunsicherung und damit eine sehr brüchige Grundlage für jede Friedensregelung. Ein japanischer Kampf bis zum bitteren Ende, ohne dass eine Zentralregierung zur Kapitulation bereit wäre, könnte durchaus bedeuten, dass der Krieg auch nach der Eroberung der Inseln in der Mandschurei, in Korea und in China weitergehen würde. Dies wiederum könnte zu schwerwiegenden politischen Problemen in China führen, wo die Russen mit der kommunistischen Administration in Yan’an zusammenarbeiten, und die Amerikaner und wahrscheinlich auch die Briten das Regime in Chungking unterstützen würden. Eine gefährliche Rivalität zwischen den Alliierten, für die es in Europa bereits einige Beispiele gegeben hat, könnte sich auch in Asien entwickeln.”

Wenn sich die Alliierten wegen China—wo die Nationalisten von Chiang Kai-shek (mit Sitz in Chongqing, damals Chungking genannt) einen brüchigen Waffenstillstand mit den Kommunisten von Mao Zedong geschlossen hatten, um Japan zu bekämpfen—ernsthaft miteinander überwerfen würden, würde dies „die Friedensregelung in Europa überschatten“. Und Japan schien wenig Ambition für eine Bereitschaft zur Kapitulation zu zeigen. Für die kaiserliche Regierung dürfte der Verlust von Okinawa, auf dem die Amerikaner im April gelandet waren, „nicht schlimmer aussehen als die Besetzung der Kanalinseln für die Briten im Jahr 1940“. Die Kämpfe im Pazifik schienen nicht abzuflauen. Die Sowjets hatten viel Zeit, um ihren Einmarsch im Fernen Osten zu planen.

25. April

Das Ende der Verbrecher

Am 20. April wird Berlin belagert. Nachdem Wien eine Woche zuvor an die Rote Armee gefallen war, konnten sich die sowjetischen Generäle auf die deutsche Hauptstadt konzentrieren. Kampfflugzeuge verwüsteten die Stadt, während 1,5 Millionen Soldaten durch ihre Trümmer stürmten. Die Artillerie der Roten Armee feuerte während des Angriffs fast zwei Millionen Granaten ab. Am 2. Mai kapitulierten die letzten deutschen Truppen in Berlin.
Damit war das Ende der Nazis und ihrer Verbündeten in Europa besiegelt. Benito Mussolini war 1943 nach seiner Absetzung durch den König mit der Leitung eines Nazi-Marionettenstaates in Norditalien betraut worden. Im April 1945 wurde das Gut des entmachteten Diktators von den Alliierten gestürmt; am 28. April wurde er von Partisanen getötet. Zwei Tage später erschoss sich Adolf Hitler in seinem Bunker in Berlin. Als sich der Staub über der Stadt gelegt hatte, machten Gerüchte über sein Ableben die Runde. Eines war sicher: Das Nazi-Regime war zwölf Jahre nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler am Ende. Am 5. Mai schrieb The Economist:

„Mussolini ist tot. Hitler ist es nach allgemeiner Auffassung ebenso, auch wenn der Welt kein spektakulärer Beweis für seinen Tod erbracht werden konnte, indem man seinen Leichnam von Fußtritten begleitet auf offener Straße präsentiert hätte. Ob er sich wirklich der Justiz entzogen oder nur versucht hat, ihr zu entkommen, ob er den Tod eines Soldaten oder den eines Verrückten erlitten hat, ob er eines natürlichen Todes oder durch Selbstmord gestorben ist oder von einem anderen Mitglied seiner Clique erschossen wurde—all das sind Fragen, für die es noch einige Tage lang keine Antworten geben wird.”

Einige Gerüchte kursierten um Admiral Karl Dönitz, der Hitler „als zweiter und letzter Führer des Deutschen Reiches“ folgte: „Wurde er tatsächlich von Hitler ernannt oder hat er die armseligen Reste der Macht an sich gerissen?“ Und was hat er geplant? Ein Kampf bis zum bitteren Ende in Norwegen, einem der letzten noch von den Nazis besetzten Gebieten Europas, oder der Einsatz der deutschen Marine wären wahnsinnig gewesen. „Das Dritte Reich ist tot“, schrieben wir. „Der Krieg endete mit einem unbeschreiblich schmutzigen Wirrwarr von Blut und Verrat.“
Nachdem Berlin gefallen war, dachten wir über die Endphase des Krieges in Europa nach. Der deutsche Gegenangriff mit der Ardennenoffensive im Dezember 1944 hatte dazu geführt, dass es bis zur endgültigen Niederlage der Nazis länger dauerte als die Alliierten im Jahr zuvor gehofft hatten:

„Das langsame, asymptotische Herannahen des Kriegsendes in diesen letzten Monaten, das zwar immer näher kam, aber nie ganz erreicht wurde, wird die Stunde des wohlverdienten Sieges, wenn sie kommt, zum Gegenteil eines Höhepunktes machen. Es wird kein großer Höhepunkt wie der 11. November 1918 sein, sondern lediglich die Überwindung einer weiteren und der Beginn einer neuen Etappe in einer Weltkrise, die seit dreißig Jahren tobt und noch viele Stürme vor sich hat. Der Augenblick des Jubels wird kurz sein, und der Jubel selbst wird durch das Wissen um die Anstrengungen und Opfer, die noch vor uns liegen, eher verhalten ausfallen. Trotzdem wird es einen Moment der Anerkennung geben, auch wenn das Urteil letztendlich der Geschichte überlassen bleibt, für die Stunde der Kapitulationen, der Freiheit und des Sieges.”

Josef Stalin, der sowjetische Führer, würdigte den Erfolg der Alliierten entsprechend. Wir berichteten: „Russland habe Blut gegeben, sagte er, Amerika materiellen Reichtum, während Großbritannien Zeit beigesteuert habe.” Die erfolgreiche britische Gegenwehr, zu einer Zeit, zu der ein Großteil des übrigen Europas besetzt war, gab alliierten Ländern wie Frankreich die Möglichkeit, eine Basis für ihre Exilregierungen zu errichten—und war schließlich der Ausgangspunkt für die Landung am D-Day. Durch die Widerstandskraft Großbritanniens und die Niederlage der Nazis wurde die Demokratie in Europa verteidigt:

„Der Krieg wurde sowohl militärisch klug als auch mutig geführt. So wie das erbärmliche Ende der Verbrecher, die wie Ratten in einer Falle gefangen saßen, eine der größten Rechtfertigungen der Moral in der Geschichte ist, so ist in politischer Hinsicht das Ende des Krieges ein unwiderlegbarer Beweis für die Werte der Freiheit. Wieder einmal hat sich gezeigt, auf welche immense moralische und materielle Ressourcen eine freie, tolerante und ehrliche Gesellschaft zurückgreifen kann. Das britische Volk hat in diesem Krieg länger als die meisten anderen gekämpft, kontinuierlicher als alle anderen und härter als viele andere. Das britische Volk hat den Krieg auf dem Schlachtfeld, zu Hause, zur See und in der Luft mit technischem Geschick und körperlichem Mut und großartigen menschlichen Eigenschaften wie Phantasie geführt. Auch wenn Adolf Hitler sie militärische Schwachköpfe nannte; haben die britischen Soldaten gerade deshalb wieder einmal hervorragend gekämpft.”

Das Ausmaß der Verwüstung in Europa bedeutete, dass die Alliierten nach Beendigung der Kämpfe vor der gewaltigen Aufgabe des Wiederaufbaus standen. Währenddessen kämpften in Osteuropa noch immer antikommunistische Partisanen gegen die Rote Armee, mit deren Hilfe die Sowjetunion ihre Kontrolle in der Region ausbaute. Trotz allem war der Zusammenbruch des Naziregimes ein Grund zur Freude. Abgesehen von den Formalitäten der Kapitulation war der Krieg gegen Deutschland beendet.

Mai

1945

2. Mai

Historische Opfer

„So the end has come“, schrieb The Economist in seiner Ausgabe vom 12. Mai. Anfang der Woche waren die Kämpfe zwischen den Alliierten und Nazi-Deutschland endgültig beendet. Nachdem die Rote Armee Berlin eingenommen hatte, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Karl Dönitz, der Nachfolger Adolf Hitlers, und Lutz Graf Schwerin von Krosigk, der Reichskanzler, die formelle Kapitulation Deutschlands verkündeten. Am frühen Montagmorgen des 7. Mai, beauftragten sie General Alfred Jodl, die formelle Urkunde im Hauptquartier der Alliierten in Frankreich zu unterzeichnen. Am nächsten Tag, dem 8. Mai, war der Victory in Europe (VE) Day, der Tag des Sieges in Europa:

„Am Dienstag wurde der Beschuss eingestellt. Europa befand sich nicht mehr im Krieg, auch wenn es noch weit vom Frieden entfernt war. Deutschland ist vollständig besetzt. Abgesehen von der Pseudo-Regierung Dönitz-Krosigk gibt es keine deutsche Regierung mehr. Das deutsche Volk ist, um es mit den verzweifelten Worten General Jodls zu sagen, auf Gedeih und Verderb in die Hände der Sieger gefallen. Mitten in Europa, wo noch vor kurzem die mächtigste und ausgetüftelste Kriegstyrannei wütete, die die Welt je gesehen hat, herrscht jetzt nichts als eine Leere der Trauer und des Schweigens.“

Der Blutzoll des Krieges war immens. Etwa eine halbe Million Briten waren gestorben—immerhin weniger als im Ersten Weltkrieg. Andere alliierte Mächte hatten mehr Opfer zu beklagen: Etwa 24 Millionen Sowjetbürger starben in Folge der Kämpfe. Aber „ein Menschenleben ist nicht statistisch zu verrechnen, und von allen Kriegswunden ist ein leeres Herz die einzige Wunde, die die Zeit nicht heilt“. Außer den Toten sollte es unzählige andere Menschen geben, die verwundet und traumatisiert nach Hause zurückkehrten. Das Ende der Kampfhandlungen wurde daher von gemischten Gefühlen begleitet:

„Es sind Tage der großen Emotionen. An erster Stelle steht natürlich die Dankbarkeit, dass der lange Leidensweg zumindest für die halbe Welt zu Ende ist und dass die Sünden wie Blindheit, Trägheit und Selbstgefälligkeit, die den Angreifer ermutigt haben—Sünden, vor denen niemand gefeit ist,—endlich abgelegt wurden. Es ist aber auch richtig, dass es eine kurze Pause des Jubels gab.“

Die Siegesfreude wurde jedoch durch zwei Tatsachen gedämpft. Erstens tobte noch immer der Krieg im Pazifik. Zweitens wurde Europa schnell unter den Alliierten, die es von den Nazis befreit hatten, aufgeteilt. „Es ist tragisch“, schrieb The Economist, „dass der Sieg—die Krönung der gemeinsamen militärischen Anstrengungen der drei Großmächte—von der schwersten politischen Meinungsverschiedenheit, die es je zwischen ihnen gegeben hat, überschattet wird.“
Winston Churchill, der Großbritannien seit 1940 führte, verkündete die Niederlage von Nazi Deutschland.
Die jüngsten Spannungen waren durch die Nachricht ausgelöst worden, dass 15 Führer des polnischen Untergrundwiderstands von der Sowjetunion verhaftet worden waren und in Moskau auf ihren Prozess warteten. Dieser Vorfall war ein Vorgeschmack auf den sich anbahnenden Kalten Krieg zwischen den Sowjets und dem Westen. Angesichts dieser Ungewissheit über die Zukunft des Kontinents würde der Frieden nur teilweise eine Entspannung bringen:

„Die Zeit des physischen Mutes und der physischen Opfer neigte sich ihrem Ende zu. Jetzt sind Zivilcourage und eine mentale Opferbereitschaft gefragt, um die so teuer erkaufte Chance des Neuanfangs zu nutzen. Das Beherrschen der stillen Tugenden ist nicht minder schwierig, vor allem für ein so großzügiges, tolerantes und gelassenes Volk, das langsam im Zorn und in der Vorausschau ist, aber schnell im Vergeben und Vergessen. Wenn jedoch die Schaffung des Friedens mit der gleichen hehren Mischung aus Einigkeit in Freiheit und Verantwortungsbewusstsein angegangen wird, die das britische Volk so siegreich durch die Gefahren dieser furchtbaren Jahre gebracht hat, dann wird es nichts geben, das nicht erreicht werden könnte.“

Mit seiner Rede am Tag des Sieges in Europa hatte Winston Churchill eine ähnliche Stimmung erzeugt. Der britische Premierminister erinnerte an die Aufgabe des „Wiederaufbaus von Heim und Herd“ und blickte auf das Ende des Krieges in Asien, wo Japan immer noch Teile des britischen Weltreichs, darunter Malaysia und Singapur, besetzt hielt. Die Kämpfe in Europa waren zwar beendet, aber das Ende des Zweiten Weltkriegs war noch Monate entfernt.

31st May 1945: US Marines of the 1st Division wait on the crest of a hill in southern Okinawa, as they watch phosphorous shells explode over Japanese soldiers dug into the hills.

9. Mai

Der andere Krieg

Nachdem die Nazis am 7. Mai kapituliert hatten, wurden die Kämpfe in den meisten Teilen Europas eingestellt. Doch die Siegesfeiern der Alliierten wurden durch die Fortsetzung des Krieges in Asien getrübt. „Bei all dem Jubel über das Ende des Krieges in Europa,“ schrieb The Economist am 12. Mai, „sollte man nicht vergessen, dass der Krieg für Tausende von Kämpfern und ihre Familien noch nicht vorbei ist, sondern weitergeht, genauso erbittert und mit allen Härten, die dieser Krieg mit sich bringt wie Trennung, fern der Heimat sein, unterschiedliche klimatische Bedingungen und den Widerstand des Feindes.“
In Asien kämpften die Alliierten darum, die Japaner aus den Gebieten zu vertreiben, die sie während des Krieges besetzt hatten. In Myanmar (damals Birma), seit dem späten 19. Jahrhundert eine britische Kolonie, waren die Alliierten an vorderster Front. Die britischen Truppen hatten Mandalay am Irrawaddy Fluss im März von den Japanern erobert. Am 3. Mai erlangten sie die Kontrolle über die Hauptstadt Yangon (damals Rangun) zurück.
Doch andernorts steckten die Alliierten in der Klemme. Auf Okinawa, einer Insel nur 640km südlich des japanischen Festlandes, kämpften die amerikanischen Soldaten bereits seit über einem Monat. Seitdem wurde die Schlacht „außerordentlich erbittert“ geführt: „Die nördliche Hälfte der Insel ist besetzt, aber der südliche Teil hat sich bisher als uneinnehmbar erwiesen.“
Wenn die Kämpfe auf Okinawa ein Vorgeschmack auf das waren, was ein Kampf auf dem japanischen Festland bedeuten würde, dann war klar, dass „harte, schwierige und langwierige Kämpfe bevorstanden“. Die Rückeroberung verlorener Kolonien war im Vergleich dazu einfacher, als das japanische Regime zur Kapitulation zu zwingen.

„...die Wurzeln und Ursachen für die japanische Aggression liegen im japanischen Heimatland. Die Rückeroberung von British Malaya und Niederländisch-Indien ist zwar ein erreichtes Ziel, das jedoch nicht direkt zur unmittelbaren Niederlage Japans beiträgt. Die Gefechte im inneren Ring der japanischen Verteidigungsanlagen haben sich bisher nicht als so entscheidend erwiesen wie die Kämpfe in der Ferne. Die Auswirkungen heftiger Luftangriffe sind immer schwer zu beurteilen, und niemand kann genau sagen, welchen Beitrag sie leisten bei der Zerstörung der feindlichen Kriegsindustrie und der Moral der Zivilbevölkerung. Dennoch kamen die Luftangriffe auf das japanische Festland bereits einer Großoffensive gleich.“

Die Alliierten hatten Tokio und die anderen großen japanischen Städte wochenlang bombardiert. Auch die Schwerindustrie und die Häfen waren von Bomben getroffen worden. Da nicht mehr für Europa benötigte britische Bomber für den Pazifikfeldzug eingesetzt werden konnten, sollten die Luftangriffe der Alliierten bald an Häufigkeit und Intensität zunehmen. Die Entscheidung, den japanischen Soldaten zu befehlen, ihre Waffen niederzulegen, lag jedoch letztlich bei der Führung des Landes. Die Lage schien sich gegen sie gewendet zu haben:

„In vielerlei Hinsicht könnten die politischen Aussichten kaum düsterer sein. Japan ist von seinem einzigen Verbündeten im Stich gelassen worden. In der Empörung der japanischen Presse über diese Abtrünnigkeit spiegelt sich ihr Unbehagen. Der Untergang Deutschlands ist eine eindrucksvolle Warnung für jede Nation, die bis zehn Minuten nach zwölf kämpfen will. Außerdem macht das Ende des europäischen Krieges den Weg frei für die Russen, die sich nun mit politischen und militärischen Aktionen im Fernen Osten einmischen könnten. Als erstes kündigten sie den sowjetisch-japanischen Neutralitätspakt auf. Ist der nächste Schritt ein offener oder ein nicht erklärter Krieg? Wenn ja, könnte Japan, das von Feinden umgeben ist, es nicht vorziehen, in der Hoffnung auf bessere Konditionen durch eine Verkürzung des Krieges eine Kapitulation anzubieten?“

Die japanische Führung machte jedoch keine Anstalten in Richtung Kapitulation. Obwohl die Sowjetunion ihren Neutralitätspakt mit Japan aufgekündigt hatte, war sie noch nicht in den Krieg gegen ihren Rivalen im Fernen Osten eingetreten. Das gab Japan die Hoffnung, dass es einen Kampf gegen die drei alliierten Hauptmächte vermeiden und sich stattdessen „durch Manöver und Verhandlungen Zugeständnisse verschaffen“ könnte. Vielleicht glaubte die japanische Führung, dass die Uneinigkeit unter den Alliierten, die bereits den neuen Frieden in Europa zu untergraben drohte, in Asien zu ihrem Vorteil sein würde.

9th July 1945: Women in post-war Berlin, East Germany, form a 'chain gang' to pass pails of rubble to a rubble dump, to clear bombed areas in the Russian sector of the city. (Photo by Fred Ramage/Keystone/Getty Images)

16. Mai

Neue Prioritäten für Europa

Als sich in den Wochen nach dem 8. Mai, dem Tag des Sieges, der Staub in Europa legte, wurde das ganze Ausmaß der Auswirkungen des Krieges immer deutlicher. „Berichte über den materiellen Zustand Europas sind verworren und unvollständig,” schrieb The Economist am 19. Mai, „aber es gibt genügend Beweise, die zeigen, dass das Chaos entsetzlich ist und sich noch verschlimmern wird.“
Die durch die Kampfhandlungen angerichteten Verwüstungen waren auf dem ganzen Kontinent unterschiedlich. Länder wie Frankreich und Belgien waren „relativ unversehrt“. An den meisten Orten schien sich die Lage jedoch zu verschlechtern. Rohstoffengpässe, insbesondere bei Kohle, waren an der Tagesordnung; die Transportwege waren zerstört. Deutschland, wo während des Vormarsches der Alliierten ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht worden waren, stellte ein besonderes Problem dar—nicht zuletzt, weil viele der Arbeiter des Landes in Kriegsgefangenschaft waren.

„All dies ist bekannt. Es ist auch schwierig, das Ausmaß des Problems zu begreifen, so sehr sind wir an Ruinen und Verwüstungen gewöhnt. Und doch ist es eine große Herausforderung. Die Wiederherstellung eines funktionierenden Systems in diesen von Schlachten verwüsteten und von Jahren der Hitler’schen Kriegswirtschaft verzerrten Ländern ist eine gewaltigere Aufgabe als die Kriegsführung selbst. Nicht nur ist das Problem an sich komplexer, es fehlt auch an den Mitteln, um es angemessen zu bewältigen.“

Wer würde für den Wiederaufbau Europas verantwortlich sein? Das Oberste Hauptquartier der Alliierten Expeditionsstreitkräfte, die ranghöchste alliierte Instanz, war für die Streitkräfte, die Transportnetze und die Kriegsgefangenen zuständig. Bald jedoch würde ein Flickenteppich aus militärischen und zivilen Gruppen—einschließlich Militärregierungen—die Führung übernehmen. Andere Gruppen erhielten enger gefasste Zuständigkeitsbereiche: Die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), eine 1943 gegründete Hilfsorganisation, sollte sich beispielsweise um Flüchtlinge kümmern. Der Übergang würde beschwerlich werden:

„Die Schwierigkeit, die bisherige Militärverwaltung an die Bedürfnisse Europas anzupassen, liegt darin, dass sie bisher von der ersten Planung bis zur letzten Ausführung eine klare Aufgabe mit einem sehr einfachen Ziel hatte, nämlich den Krieg zu gewinnen. Dementsprechend waren die Prioritäten einfach: Die militärischen Erfordernisse standen an erster Stelle. Und das wiederum hat die Verwaltung vereinfacht. Jetzt ist das Ziel sehr komplex: der Wiederaufbau eines zerrütteten Kontinents. Dementsprechend komplex sind die Prioritäten. Bei aller Komplexität müssen aber grundlegende Entscheidungen getroffen werden, was den militärischen Behörden natürlich sehr schwerfallen wird, denn nun müssen die zivilen und nicht die militärischen Bedürfnisse an erster Stelle stehen.“

Die Rolle des Militärs bei der Verwaltung des Kontinents führte zwangsläufig zu Ineffizienzen. Vertriebene Bauern wieder auf ihre Felder zu bringen, so argumentierte The Economist, sei für Europas Wirtschaft eine dringendere Priorität, als Soldaten schnellstmöglich nach Großbritannien und Amerika zurückzubringen. Die alliierten Militärbehörden schienen jedoch Letzteres zu bevorzugen.
Diese Umstände machten die Schaffung robuster ziviler Behörden in Europa zu einer dringenden Aufgabe. „Die Verteilung der sehr knappen Vorräte auf stark konkurrierende Bedürfnisse wird sich mit nahendem Winter eher verschlimmern als verbessern,” schrieb The Economist, „aber die Existenz einer Instanz, an die sich Regierungen, zivile Behörden wie die UNRRA und das Militär wenden könnten—wobei keine von ihnen in eigener Sache urteilen würde—böte eine gewisse Garantie dafür, dass sich die richtigen Prioritäten herauskristallisieren und der Wiederaufbau zumindest mit einem Teil des Elans und der Effizienz vorangetrieben würde, die bisher dem Krieg gewidmet waren.” Der Wiederaufbau des zerstörten Kontinents würde nicht nur eine starke Verwaltung erfordern, sondern auch eine, die dieselben Prioritäten verfolgt wie die Menschen, die sie regiert.

Admiral Karl Doenitz surrender and in custody along with Albert Speer May 1945, Germany's unconditional surrender to the allies. As Supreme Commander of the Navy beginning in 1943, Nazi Karl Doenitz played a major role in the naval history of World War II. He was briefly the last Fuhrer of the Third Reich, jailed for 10 years at the Nuremberg Trials and released in 1956

23. Mai

Kriegsverbrechen

Nach dem Ende des Krieges in Europa war es dringend geboten, die deutschen Soldaten für ihre Gräueltaten zur Rechenschaft zu ziehen und auf dem gesamten Kontinent wieder eine moralische Ordnung herzustellen. Die Alliierten hatten schon seit einiger Zeit mit sich darum gerungen was zu tun sei und gründeten im Oktober 1943 die Kriegsverbrechen-Kommission der Vereinten Nationen (UNWCC). Die Sowjets nahmen nicht daran teil, waren aber nicht weniger besorgt. Sie führten im Dezember 1943 in Charkiw den ersten öffentlichen Prozess gegen deutsche Kriegsverbrecher. Alle vier Angeklagten wurden gehängt.
Amerika, Großbritannien und die Sowjetunion hatten unterschiedliche Vorstellungen davon, was mit den Nazi-Kriegsverbrechern geschehen sollte. Die Amerikaner wollten sie unbedingt vor Gericht stellen, um sicherzustellen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde und dies auch so wahrgenommen wurde. Die Russen, die sich der Schuldigen bereits sicher waren, zogen Schauprozesse vor. Viele Mitglieder der britischen Elite befürworteten eine Hinrichtung im Schnellverfahren. Der britische Premierminister Winston Churchill schlug seinem Kabinett sogar vor, „Weltverbrecher“ nach ihrer Gefangennahme „innerhalb von sechs Stunden und ohne weitere Rücksprache mit einer höheren Instanz zu erschießen“.
Im Mai 1945 berichtete The Economist, dass die UNWCC sich darauf geeinigt hatte, dass „Straffreiheit für Straftäter, die gegen jede Regel des menschlichen Anstands verstoßen, eine katastrophale Auswirkung auf die internationale Moral hätte“, und dass sie deshalb Strafprozesse abhalten würde, um „neue Standards für internationales Verhalten zu setzen“. Von der Sowjetunion wurde erwartet, dass sie das Gleiche täte.

„Ihr Ziel ist es, neue Standards für internationales Verhalten zu setzen. Die Fälle sollen auf der Grundlage von Beweisen verhandelt werden. Nur die Schuldigen werden bestraft. Es wird keine wahllosen Repressalien geben. Bestraft werden Verbrechen, nicht politisches Vergehen. Die Annahme, die der ganzen unangenehmen Aufgabe zugrunde liegt, ist, dass Straffreiheit für Straftäter, die gegen jede Regel des menschlichen Anstands verstoßen, eine katastrophale Auswirkung auf die internationale Moral haben würde.“

Wenn die Prozesse erfolgreich sein sollten, so argumentierten wir, müssten sie schnell und nach gemeinsamen Standards durchgeführt werden. Einige Straftaten ließen sich leicht verfolgen: Das Völkerrecht kennt zahlreiche Präzedenzfälle für Soldaten, die gegen die Kriegsvölkerrechtsregeln verstoßen haben, ebenso für Verräter. Aber es gab im internationalen Recht keine Präzedenzfälle für die Verfolgung von Soldaten wegen Gräueltaten, die sie an ihren Landsleuten begangen hatten, einschließlich deutscher Juden, Roma und Homosexueller. Auch zivile Vorgesetzte waren nicht wirklich für die Taten ihrer Untergebenen zur Verantwortung gezogen worden.

„Die kompliziertere Tätergruppe ist diejenige, die Verbrechen gegen Deutsche, gegen mehrere Nationalitäten oder gegen die Menschheit im Allgemeinen begangen hat. Hier ist eine neue Form eines internationalen Gerichts erforderlich. Es gab bislang keinen Präzedenzfall für die Verfolgung von Kriegsverbrechen durch die Institutionen der organisierten internationalen Justiz. Wenn die Empfehlungen der Kriegsverbrechen-Kommission befolgt werden, wird es den anklagenden Nationen nicht allzu schwer fallen, sich auf ein Verfahren für eine kleine Gruppe von „Hauptverbrechern“ zu einigen, für die Göring der Prototyp wäre. Die größte Schwierigkeit wird darin bestehen, zu entscheiden, wo die Grenze zu den kleineren Verbrechern gezogen werden soll, insbesondere zu den Zehntausenden gefangenen SS-Leuten.“

Das Hauptproblem des UNNWC-Ansatzes war nach Ansicht von The Economist die Koordinierung mit den Russen. Wir befürchteten das Entstehen zweier paralleler Systeme zur Verfolgung von Kriegsverbrechen, eines im Westen und eines im Osten, die sich darum stritten, wer bestimmte prominente Nazis vor Gericht stellen sollte.
The Economist war sich nicht sicher, ob ein Gericht mehr Gerechtigkeit schaffen würde als ein Tod wie der von Benito Mussolini. Im April war der italienische Diktator am Straßenrand erschossen und kopfüber auf dem Piazzale Loreto in Mailand, wo ein Jahr zuvor 15 italienische Partisanen hingerichtet worden waren, aufgehängt worden.

„Es ist nicht anzunehmen, dass gerichtliche Prozesse zu einem gerechteren Resultat führen als zum Beispiel das erbärmliche Ende, das Mussolini ereilte. Sollten sie aber gerecht sein, dann müssen sie standrechtlich und sachlich durchgeführt werden. Den Gefangenen das berühmte letzte Wort wie in einem Hollywood-Film zu gewähren, hieße, den Zweck der Vereinten Nationen zu verfehlen. Das Gleiche gilt für Prozessverzögerungen, die dazu führen würden, dass sich der Gestank der Gräueltaten in Europa noch verstärken würde.“

Letztendlich wurde ein einheitliches Vorgehen beschlossen. Die Alliierten, einschließlich der Sowjetunion, kamen im Juni in London zusammen, um Verfahren für Kriegsverbrechertribunale zu entwickeln. Nach mehr als einem Monat angespannter rechtlicher und moralischer Diskussionen einigten sie sich auf einige Rahmenbedingungen, die später die Grundlage für die Prozesse in Nürnberg und Tokio bilden und die Rechtsprechung zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erheblich erweitern sollten.

Two bill posters enjoy a cigarette break after pasting up a campaign billboard poster for John Platts-Mills, the Labour Party candidate for the north London constituency of Finsbury, on 20th June 1945. John Platts-Mills would go on to win the seat for the Labour Party in the upcoming 1945 United Kingdom general election. (Photo by Konig/Popperfoto via Getty Images)

30. Mai

Ein neues Kapitel

Am 23. Mai endete die Koalitionsregierung, die Großbritannien seit 1940 regiert hatte. Das Kabinett trat zurück. Premierminister Winston Churchill berief Neuwahlen ein—die ersten seit 1935. „Die politische Luft ist nun rein“, schrieb The Economist am 26. Mai. Die Konservative Partei würde mit Churchills Bilanz als Kriegsführer Wahlkampf machen, während die Labour-Partei von Clement Attlee, seit 1942 stellvertretender Premierminister, mit einem erklärten sozialistischen Manifest für umfassende soziale und wirtschaftliche Reformen, darunter die Einrichtung eines nationalen Gesundheitsdienstes und Vollbeschäftigung, an die Öffentlichkeit treten würde.
Beide Seiten machten sich Sorgen um den Wahltermin. Attlee wollte, dass die Wahl im Herbst stattfinden sollte, aber die Basis der Labour-Partei war nach fünf Jahren, in denen die Parteipolitik praktisch eingefroren war, frustriert. Churchill stellte Labour vor die Wahl: Entweder würde die Wahl so schnell wie möglich—am 5. Juli—stattfinden, oder sie müsste nach der Kapitulation Japans gehalten werden. Letzteres war für viele in der Labour-Partei inakzeptabel. Daher war der Terminvorschlag darauf ausgerichtet, Attlee zu einer vorzeitigen Wahl zu zwingen. Er glaubte, dass Churchill aus taktischen Gründen eine Wahl im Juli bevorzugte, da den Wählern sein Sieg in Europa dann noch frisch im Gedächtnis sei:

„Beide Parteien schieben öffentliches Interesse als Grund für ihre Präferenzen vor. Doch ihre Haltungen sind widersprüchlich. Der wahre Grund ist der Vorteil für die Konservative Partei. Der Premierminister zeigte sich in seinem zweiten Brief an Herrn Attlee empört über die „Verleumdung“, dass seine Präferenz für Juli gegenüber Oktober auf politischen Kalkül beruhe. Dieser emotionale Ausbruch von Herrn Churchill war zweifellos aufrichtig. Ganz offensichtlich hatten einige seiner engsten Kollegen und Freunde aber sehr wohl kalkuliert, dass eine Wahl noch im Glanz der Siegesfeierlichkeiten mit ziemlicher Sicherheit den Hauptarchitekten dieses Sieges und der von ihm geführten Partei einen Wahlsieg bescheren würde.“

Attlees Gründe für seinen Wunschtermin einer Wahl erst im Herbst—eine Option, die Churchill nicht akzeptieren wollte—waren ebenfalls offensichtlich. Er „würde es vorziehen abzuwarten bis der Glanz von Churchills Ruhm aufgrund einer Reihe von Schwierigkeiten und vielleicht auch Fehlern gewichen ist und die Wähler in ihm nicht mehr den unangreifbaren Kriegsführer sehen, sondern ihn als Führer in Friedenszeiten in Frage stellen, da er hier möglicherweise viel schwächer sei“. Aber Churchills Ultimatum ließ Attlee keine andere Wahl, als einer Wahl im Juli zuzustimmen.
Churchill war erstaunlich beliebt: Im Mai lag seine Zustimmungsquote, die während des Krieges nie unter 78% gefallen war, bei 83%. Aber die im Lande vorherrschende Meinung über seine Partei war weit weniger positiv. Die Konservativen hatten Großbritannien seit 1922 allein oder an der Spitze einer Koalition mit kurzen Unterbrechungen in den Jahren 1924 und 1929-1931 regiert. Die Partei wurde immer noch für die Massenarbeitslosigkeit der 1920er und 1930er Jahre sowie für Neville Chamberlains Politik der Nachsicht gegenüber Nazi-Deutschland verantwortlich gemacht. Daher wurde ein knappes Wahlergebnis erwartet:

„Es ist sehr schwierig, das Ergebnis dieser Wahl vorherzusagen. Die allgemeine Erwartung, selbst unter vielen Labour-Anhängern, ist, dass die Konservative Partei mit einer Mehrheit, wenn auch einer geringeren, zurückkehren wird, und dass dieses Ergebnis ein persönliches Vertrauensvotum für Herrn Churchill sein wird. Dies ist zweifellos der wahrscheinlichste Wahlausgang. Aber er ist keineswegs sicher.“

Die Gelegenheit, das „sehr veraltete und überholte Unterhaus“ Großbritanniens zu erneuern, wurde, wie wir schrieben, begrüßt. Doch trotz der wichtigen Nachricht, dass erstmals seit einem Jahrzehnt wieder eine Wahl stattfinden würde, war die Stimmung gegenüber den beiden großen Parteien eher verhalten:

„Eine Parlamentswahl, insbesondere nach einer so langen Pause und nach so einschneidenden Ereignissen, sollte als Chance für eine große Erneuerung der nationalen Ziele betrachtet werden. Dass sie vom Durchschnittsbürger nicht so gesehen wird, sondern eher wie die Wiederaufnahme von normalen Sportveranstaltungen vergleichbar mit einem Cricket-Testspiel (und fast ebenso langatmig) wahrgenommen wird, spiegelt die Tatsache, dass es an Begeisterung für beide großen Parteien mangelt, wider.“

Der Grund dafür war, dass beide Parteien es versäumt hatten sich mit den Herausforderungen der Modernisierung der britischen Wirtschaft auseinanderzusetzen: „Tatsache ist, dass keine der beiden Parteien ein echtes, realisierbares politisches Konzept hat, weil keine der beiden Parteien sich jemals tiefgreifend mit dem Großbritannien des 20. Jahrhunderts in einer Welt des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt hat. Jede Partei hat sich daher lediglich in die reine Verwaltung des Status quo geflüchtet. Nuancen in der Gewichtung wurden mit den grundsätzlichen (‚parteipolitischen‘ Anm. d.Übers.) Unterschieden erklärt.” Der Wahltag wurde auf den 5. Juli festgelegt, sodass etwa sechs Wochen für den Wahlkampf zur Verfügung standen. Die Auszählung der Stimmen der im Ausland stationierten Soldaten würde weitere drei Wochen dauern. Der erste britische Wahl-Marathon seit einem Jahrzehnt hatte begonnen.

Juni

1945

6. Juni

Das Ende eines Traums

Als die Nazis Anfang Mai kapitulierten, lag Deutschland in Trümmern. Es lag auch politisch am Boden, da das Nazi-Regime aufgelöst und durch die Militärbehörden der Alliierten ersetzt worden war. Am 9. Juni veröffentlichte The Economist einen langen Bericht aus München, das nun unter amerikanischer Kontrolle stand. Darin wurde die surreale Lebenslage unmittelbar nach dem Krieg wie folgt beschrieben:

„Das Bild, das sich dem Besucher Deutschlands offenbart, ist so dermaßen abstrus, verwirrend und widersprüchlich, dass es sinnlos wäre, eine eindeutige Beschreibung überhaupt zu versuchen. Man reist durch Deutschland wie durch einen Traum. Das Leben hier hat jegliche festen Bahnen und Formen verloren—es wirkt komplett zerfallen. Die einstmals deutsche Nation scheint sich in Millionen von Individuen aufzulösen, von denen jedes seine eigenen Ängste und Sorgen hat. Eine klassische soziologische und politische Einordnung ist unmöglich, da es in der Bevölkerung, wenn überhaupt, nur wenige soziale Bindungen und Verbindungen gibt. Für eine gewisse Zeit hat sich die kollektive Identität der deutschen Nation in ein Nichts zerbröselt.“

Deutschland hatte weniger als 30 Jahre zuvor bereits eine Niederlage erlitten. Die jetzige Ausgangslage war jedoch eine andere. Nach dem Ersten Weltkrieg besetzten die Sieger nur Teile des Gebiets, wie das Rheinland und das Ruhrgebiet. Zum größten Teil „rettete das Land nicht nur sein Territorium, seinen Reichtum und sein gesellschaftliches Gefüge, sondern auch die Mittel für seine geistige und politische Identitätsbildung“.
Nun aber stand das gesamte Land unter Besatzung. Die Alliierten entthronten und entnazifizierten die Institutionen. „Im Jahr 1945 ist die Nation verstummt“, schrieben wir. Die Deutschen waren voller widersprüchlicher Gefühle, was den Untergang der Nazis betraf, der für viele wie das Ende eines Traums erschien. „Einige werden sagen, dass es nichts als ein schöner Traum von der Eroberung der Welt gewesen sei und dass die Deutschen vor allem Bedauern und Verzweiflung über den Verlust dieser Fata Morgana empfinden. Andere, allen voran die Deutschen selbst, behaupten, dass der Traum ein Albtraum war, der sie unterdrückte und erstickte, und dass sie nun Erleichterung und Dankbarkeit empfinden.“
Bayern nahm in der Geschichte der Nazis einen besonderen Platz ein, galt es doch als Wiege der NSDAP. Im Jahr 1923 versuchte Adolf Hitler, inspiriert von Benito Mussolinis Marsch auf Rom im Jahr zuvor, die Regionalregierung im sogenannten „Bierkeller-Putsch“ im Münchner Bürgerbräukeller wegzuputschen. In Bayern hatte sich die NSDAP jedoch nie vollständig etabliert, und der sogenannte „Kadavergehorsam“, den die Nazis eingefordert hatten, nahm mit ihrer unvermeidlichen Niederlage immer mehr ab.

„Hier in Bayern brach er in den letzten Tagen bzw. Wochen des Krieges ganz offensichtlich zusammen, hatte er doch bereits zuvor schon feine Risse bekommen. In München, auch ‚Hauptstadt der Bewegung‘ genannt, befindet sich im Zentrum der Stadt das ‚Mekka des Nationalsozialismus‘, der berühmte Bürgerbräukeller, der heute von einem amerikanischen Wachposten bewacht wird, vermutlich als schändliches Relikt von musealem Wert. Doch in dieser ‚Hauptstadt der Bewegung‘ ist es fast unmöglich, jemanden zu finden, der etwas die Nazi-Machenschaften sagt. Die Bürger erzählen dem Ausländer schüchtern, dass Münchens halb scherzhafter und inoffizieller Titel ‚Hauptstadt der Gegenbewegung‘ lautete. Selbst in der Hochzeit des Nationalsozialismus hätte die lokale Intelligenz einen Spaß daran gehabt, die Nazis auf offener Bühne diskret zu kritisieren oder unter vorgehaltener Hand einzugestehen, dass sie eine tiefsitzende Sympathie für die alte Wittelsbacher Dynastie hegte. Die bayerische Linke, die gelegentlich weniger bescheidene Gesten des Widerstands an den Tag legte, verwies auf das nahe gelegene Konzentrationslager Dachau, das jegliche antinazistischen Reflexe (aus Angst, Anm.d.Übersetzers) in den Köpfen der Bayern immer wieder dämpfte.“

Nur wenige Wochen nach dem Ende des Krieges in Europa gab es kaum Möglichkeiten, solche Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Die Besatzungsmächte kontrollierten alle politischen Entscheidungen. Die Alliierten verboten nicht nur die NSDAP, sondern setzten auch die Aktivitäten aller politischen Organisationen für vier Monate aus. Kommunalwahlen fanden zwar 1946 statt, aber es gab keine nationalen Wahlen bis 1949, als die Westdeutschen nach der Teilung des Landes an die Wahlurnen gingen. Unser Korrespondent berichtete:

„Das erste Aufkeimen eines neuen politischen Lebens im postnazistischen Bayern ist naturgemäß noch extrem schwach und kraftlos. Alle politischen Angelegenheiten werden von den Offizieren der Alliierten Militärregierung bearbeitet oder finden in den Privathäusern einiger weniger Überlebender der Weimarer Demokratie statt. Die führenden Köpfe der neuen bayerischen Verwaltung agieren als Einzelpersonen ohne die Unterstützung politisch organisierter Gruppierungen, deren Gründungen von der Militärregierung strengstens verboten wurden. Diese hat mehr als deutlich gemacht, dass es ,keine Politikausübung in Deutschland‘ geben darf und dass das Verbot jeglicher politischer Betätigung ausnahmslos für alle Gruppierungen galt, auch die, die gegen die Nazis waren.“

Dieser Zustand „verlängerte zweifellos die politische Lähmung, die nach dem Zusammenbruch des Einparteiensystems sichtbar wurde.“ Vor dem harten Durchgreifen der Alliierten hatten in den letzten Tagen des Krieges bereits einige Gruppierungen damit begonnen, sich zu organisieren: „Einzelne Überlebende der alten Parteien der Linken, wie die Sozialisten, Kommunisten und Gewerkschafter, kamen zusammen und diskutierten die neue Lage. Bald schlossen sich ihnen auch Überlebende der Konzentrationslager an.“ Doch jene Gruppen, von denen einige versucht hatten, den Vormarsch der Alliierten zu unterstützen, um das Kriegsende zu beschleunigen, waren verstummt.
Unserem Korrespondenten drängte sich daher die Frage auf: „Soll die Politik in Deutschland weiterhin so konturenlos bleiben—und wenn ja, wie lange? Oder sollte man nicht lieber die unbestreitbar vorhandene anti-nationalistische Einstellung der Bevölkerung als Beginn für die Entwicklung einer neuen politischen Perspektive für Deutschland nutzen?“ Der Westen des Landes sollte nach zwölf Jahren Diktatur zur Demokratie zurückkehren, allerdings erst nach vier weiteren schwierigen Jahren.

13. Juni

Zonen der Besatzung

Weniger als einen Monat nach der Verkündigung des Sieges in Europa versammelten sich die Alliierten in Berlin, um Deutschlands Kapitulation offiziell zu besiegeln. Nachdem sie die Aufteilung der Besatzungsgebiete untereinander vereinbart hatten, richteten sie ihren Blick auf den Wiederaufbau Deutschlands. Für den Economist stellte sich unmittelbar ein logistisches Problem: Die meisten Deutschen lebten im Westen, der Großteil der Nahrungsmittel befand sich jedoch im Osten. Da die Amerikaner, Briten und Franzosen den Westen kontrollierten, die Sowjetunion hingegen den Osten, war Kooperation unabdingbar.

„Die Bevölkerung der sowjetischen Zone hat sich allerdings durch die Flucht deutscher Zivilisten und die massenhafte Kapitulation von Wehrmachtssoldaten gegenüber den Westalliierten erheblich reduziert. Das bereits im Vorkriegsdeutschland bestehende Ungleichgewicht hat sich dadurch noch verschärft. Ohne eine rasche Organisation des Transfers von Arbeitskräften nach Osten und der Lieferung von Nahrungsmitteln nach Westen werden die Lebensmittel im Osten wegen mangelnder Arbeitskräften nicht geerntet werden können und der Westen wird mangels Versorgung hungern. Dieses Problem lässt sich nur durch gemeinsames Handeln der Alliierten lösen.“

Über die unmittelbare Aufgabe hinaus, die Deutschen vor Hunger zu bewahren, sahen sich die Alliierten mit einer für Leser Lenins bekannten und brennenden Frage konfrontiert: Was tun? Der Economist zeigte sich bestürzt darüber, dass keine der Siegermächte eine Strategie für die politische Neuordnung Deutschlands nach dessen Niederlage zu haben schien.

„Wollen die Alliierten den zentralisierten deutschen Staat für immer zerschlagen? Wenn ja, soll dies durch Dezentralisierung oder Föderalisierung geschehen? Oder sollen unabhängige Staaten aus dem alten Reich hervorgehen? Oder ist beabsichtigt, Deutschland zu spalten, indem die verschiedenen Besatzungszonen dauerhaft in die jeweiligen „Einflusssphären“ der Siegermächte eingegliedert werden?“

Ohne eine solche Strategie, so unsere damalige Ansicht, könnte es keinen Plan für die deutsche Wirtschaft geben. Wir kritisierten, dass die Alliierten noch nicht einmal entschieden hatten, ob Deutschland eine „industrielle oder eine landwirtschaftliche Zukunft“ haben sollte. Mangels einer kohärenten Politik verfolgte jede Macht ihre eigenen Interessen. Sollte sich dies fortsetzen, so unsere Warnung, „führt der Weg unweigerlich in den Ruin“.
Angesichts des rasanten Wirtschaftsaufschwungs Westdeutschlands nach dem Krieg erwies sich diese Einschätzung als übermäßig pessimistisch. Damals jedoch schien es, als würden die Sowjets Deutschlands Wiederaufbau anführen. Wir tadelten Briten und Amerikaner, da sie dem deutschen Volk keine positive Zukunftsvision präsentierten, während sowjetische Radiosender—so unwahrscheinlich es auch klingen möchte—Hoffnung verbreiteten.

„Ein letzter Unterschied ist das Bild, das die Siegermächte dem deutschen Volk von seiner Zukunft vermitteln. Briten und Amerikaner schweigen. Sie betreiben keine Propaganda. Sie verfolgen keine klare Linie. Ihre Radiosender verbreiten kaum mehr als Verbots- und Straflisten. Radio Berlin hingegen gibt den Deutschen einen Schimmer Hoffnung: dass sie—wenn sie nur hart arbeiten und die Nazis in den eigenen Reihen eliminieren—eines Tages mit „Hilfe der großen Sowjetunion“ den Weg zurück in die Völkergemeinschaft finden würden. Man möchte diese Sendungen als Propaganda abtun. Doch wenn dem so ist, dann ist es wirksame Propaganda. Die vor den Deutschen liegende Dunkelheit ist so undurchdringlich und ihr Schicksal liegt so unwiderruflich außerhalb ihrer Kontrolle, dass jedes Anzeichen einer politischen Strategie, jede Hoffnung auf eine positive Zukunft, ihre Gemüter bewegen und sie—wenn auch zögerlich—einen Hoffnungsschimmer am östlichen Horizont suchen lassen muss.“

Der Economist beschwor die Alliierten, einen Weg zur Einigung Deutschlands zu finden, und argumentierte, dass die „Kämpfe um die Wiedervereinigung“ des geteilten Landes sonst „die Politik Europas über Jahrzehnte hinweg belasten“ würden. Der Kalte Krieg stand unmittelbar bevor.

20. Juni

Die neue Charta

Die Gründung der UNO war seit langem in Vorbereitung. Bereits 1941 hatten Amerika und Großbritannien ihren Wunsch bekundet, „ein umfassenderes und dauerhaftes allgemein gültiges Sicherheitssystem“ zu schaffen. Im April 1945 versammelten sich Delegierte aus 50 Ländern in San Francisco, um dieses Ziel zu verwirklichen. Nach neun Wochen der Diskussion unterzeichneten sie am 26. Juni die Charta der Vereinten Nationen und schufen damit eine staatenübergreifende Organisation, die die kriegerischen Ambitionen in der Welt eindämmen sollte.
Die Delegierten hatten das Scheitern des Völkerbundes noch nicht vergessen. Seine Gründung war nach dem Ersten Weltkrieg ein ähnlicher Versuch, den Frieden zu sichern. Dennoch war The Economist optimistisch, dass die UNO dort Erfolg haben könnte, wo der Völkerbund versagt hatte.
Warum? Erstens würden, anders als beim Völkerbund, Amerika und die Sowjetunion von Anfang an in die UN eingebunden sein. Dies sei entscheidend, argumentierten wir, da die Stärke einer solchen Organisation unweigerlich von ihren mächtigsten Mitgliedern ausgehe, die „über dem Gesetz stehen, weil sie die Macht hinter dem Gesetz ausüben“. Dass Amerika, Großbritannien, China, Frankreich und die Sowjetunion ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates mit jeweils einem Vetorecht in Bezug auf die UN-Politik sein würden, spiegelte dies wider.
Zweitens wurde die vergebliche Hoffnung, dass Länder durch das ihnen innewohnende bessere Wesen zum Frieden gelangen, diesmal zugunsten eines eher hobb’schen Realismus in den Hintergrund gedrängt.
Harry Truman, der amerikanische Präsident, legt dar, was bei der Gründung der Vereinten Nationen auf dem Spiel steht.

„Der UN-Charta kann kein übertriebener Idealismus vorgeworfen werden. Im Gegenteil, fast jeder Artikel ist geprägt von den Erfahrungen zweier düsterer Jahrzehnte zwischen den Kriegen, in denen sich insbesondere in Europa Machtpolitik, Imperialismus und Aggression wie Wildwuchs innerhalb und außerhalb des neuen Völkerbundes ausgebreitet hatten. In der Charta der Vereinten Nationen wird nicht auf bessere, idealistische Methoden zur Gestaltung internationaler Beziehungen gesetzt. Eine führende Position wird von denjenigen eingenommen, die sich dank ihrer physischen Stärke in einer wie auch immer gearteten unorganisierten Weltgesellschaft eine Vormachtstellung verschaffen würden.“

Zyniker, so schrieben wir, könnten beklagen, dass die Charta nichts anderes sei als „alte Notlösungen und separater Nationalismus in Großbuchstaben, überzogen mit einer Schicht allgemeiner guter Absichten”. Wir wiesen jedoch darauf hin, dass der Völkerbund tatsächlich wegen seiner Hochherzigkeit scheiterte. Zu sehr vom Wert ihrer gemeinsamen Bemühungen um einen dauerhaften Frieden überzeugt, verloren seine Mitglieder aus den Augen, dass sie auch eine individuelle militärische Verantwortung für seine Verteidigung übernehmen müssen.

„Hat nicht der Glaube, dass der Völkerbund mehr sei als die vereinte Macht seiner Mitglieder, und er per se als Garant gegen den Krieg galt, dass eine kollektive Sicherheit als eine Alternative zur nationalen Verteidigung und nicht als deren Erweiterung gesehen wurde—haben nicht diese Illusionen die Chance auf einen dauerhaften Frieden eher erschwert als erleichtert? Indem man die Verantwortung für die Eindämmung von Aggressionen zugunsten einer kollektiven Sicherheit dem Bund als Ganzes übertrug, fühlte sich individuell niemand verantwortlich.“

Wir berichteten, dass das neue Gremium nicht den „utopischen Elan“ des Völkerbundes hatte und die Verantwortung für die Wahrung des Friedens bei den Großmächten lag. Es ähnelte damit eher einem Sammelsurium aus unterschiedlichen Allianzen, die bisher leider nicht vermochten, einen Krieg zu verhindern. Dennoch hatte es einen großen Vorteil, denn es bot ein Forum für die Äußerung von Beschwerden.

„Die Konferenz selbst hat bereits gezeigt, wie stark die Weltöffentlichkeit die Politik der Großmächte beeinflussen kann und wie heilsam es sein kann, Unrecht und Willkür öffentlich anzuprangern. Als Plattform der Weltöffentlichkeit kann die internationale Struktur der neuen Staatenorganisation direkt dazu beitragen, Fehlverhalten und Aggressionen einzudämmen.“

Wie schon der Völkerbund zuvor würde auch die UNO nur dann funktionieren, „wenn ihre Mitgliedstaaten dies wünschen und darauf hinarbeiten“ und wenn die mächtigsten Länder dieses Völkerbunds „einen guten und friedlichen internationalen Umgang miteinander“ an den Tag legen. Wie die ersten 80 Jahre der UNO gezeigt haben, mangelte es leider allzu oft an einem derartigen Wohlwollen.

1945: Liberated French prisoners on a road, west of Berlin, passing by a Russian Stalin tanks which had travelled 2,000 miles during the course of the war.

27. Juni

Bayerische Straßen

Im Juni 1945 veröffentlichte The Economist den zweiten Lagebericht eines Korrespondenten aus München. Unser Artikel beschrieb seine Reise durch den Süden Bayerns zu Beginn der Nachkriegszeit. In anderen Teilen Deutschlands gab es einen „jähen Kontrast“ zwischen dem Leben in den Städten, die „auf einen deutschen Propheten Jeremia zu warten schienen, um ihre Ruinen zu beweinen“, und der friedlichen Landschaft ringsherum. Auf den bayerischen Straßen bot sich eine Art „Querschnitt der großen Probleme Deutschlands und Europas“. Deutsche Soldaten, die nach der Kapitulation der Nazis demobilisiert worden waren, befanden sich auf dem Weg nach Hause:

„Südlich von München, vor der klaren Silhouette der Alpen, kann man die letzten Szenen der kapitulierenden Wehrmacht gut beobachten. Lange Konvois von Lastwagen, voll mit deutschen Soldaten, angeführt von Offizieren in Dienstwagen, rollen zu Sammelplätzen und Gefangenenlagern. Die Soldaten werden entwaffnet. Einige Offiziere der Luftwaffe, der SS sowie der Infanterie tragen noch ihre Seitengewehre und geben brüllend in typischer Feldwebel-Manier ihre letzten Befehle an die Männer.“

Auch Menschen, die den Holocaust überlebt hatten, waren auf den Straßen unterwegs. Einige, die aus den Konzentrationslagern der Nazis befreit worden waren, reisten zurück in ihre Heimatstädte. Andere begaben sich nach Westen in die von den Alliierten befreiten Gebiete, wo Auffanglager eingerichtet worden waren, um sie aufzunehmen.
Die sich kreuzenden Wege von Soldaten und Flüchtlingen führten zu manchen surrealen Begegnungen. Unser Korrespondent schrieb über eine Begegnung zwischen einem befreiten KZ-Häftling und einem Offizier der Schutzstaffel (SS), der wichtigsten paramilitärischen Einheit der Nazis während des Krieges:

„Irgendwo am Straßenrand schleppt sich ein Mann im KZ-Sträflingsanzug langsam nach Hause. Kurz davor war er von einem SS-Offizier angehalten worden, der mit seinem Adjutanten in einem Auto unterwegs war. Es kommt zu einem heftigen Wortwechsel und Drohungen mit wilden Gestikulierungen. Als sich ein amerikanischer Jeep nähert, hört der Streit auf und das Auto des SS-Offiziers fährt davon. Der ehemalige KZ-Häftling erklärt mit einem gewissen Stolz, dass er Funktionär der Sozialdemokratischen Partei in Breslau war. Es war tatsächlich so, dass SS-Männer gelegentlich solche Menschen auf den Straßen schikanierten.“

Der Mann, der nach Breslau (heute Wroclaw in Polen) unterwegs war, sah sich unter russischer Besatzung einem ungewissen Schicksal gegenüber. Bis er „in das Konzentrationslager verschleppt worden war“, schrieben wir, „war er in den Augen der lokalen Kommunisten ein ‚Sozialfaschist‘ gewesen“.
Auch andere waren unterwegs. Eine Gruppe von Roma aus Deutschland, die von den Nazis verfolgt worden waren, reiste in einem Konvoi. „Sie wollen arbeiten, und das Vaterland oder die Sieger sollten ihnen Arbeit geben.“ Andere Menschen suchten nach ihren Familien:

„Auf der anderen Straßenseite versucht eine große, dünne Frau, zwei amerikanischen Offizieren in gebrochenem Englisch etwas zu erklären. In ihrer verwirrten, unverständlichen Geschichte tauchen immer wieder zwei Worte auf: Gas und Kammer. Es stellt sich heraus, dass ihr Kind vor sieben Jahren von einem Nazi-Arzt als geistig behindert eingestuft worden war. Der Hausarzt teilte diese Diagnose nicht, seine Meinung wurde jedoch ignoriert. Nach den Regeln der „Rassenhygiene“ sollte das Kind in eine Gaskammer kommen, der Nazi-Version des Tarpejischen Fels (im antiken Rom Anmerk. d. Übers). Die Mutter versteckte das Kind an einem etwa 200 Kilometer entfernten, abgelegenen Ort. Als sie es zum letzten Mal gesehen hatte, war es fast verhungert. Würde sie nun von der Militärregierung eine Genehmigung erhalten, ihr Kind zu holen?“

Mit der Verfolgung von Juden, Slawen, Roma und anderen ethnischen und sozialen Gruppen, einschließlich seiner politischen Gegner, hatte Adolf Hitler den Kontinent verwüstet. Nun folgte eine Migrationswelle. „Die Leiden und Ängste eines halben Dutzend unterschiedlicher Nationalitäten trafen für eine Weile hier, mitten auf der schönen, sonnenbeschienenen bayerischen Straße aufeinander. Bald werden sie vom Wind in alle Richtungen und in andere Länder verweht.“ Die Demografie Europas— dessen Vielfalt, Verteilung der Völker und Kulturen—wurde für immer verändert.

Juli

1945

4. Juli

Ende des Wahlkampfgetöses

Am 5. Juli gingen die Briten zur Wahl. Die ersten Parlamentswahlen seit 1935 waren ungewöhnlich. Die Parteipolitik war während der sechs langen Kriegsjahre praktisch zum Erliegen gekommen. Obwohl die Kämpfe in Europa vorbei waren, mussten Millionen von Menschen noch nach Hause zurückkehren. Unter den 25 Millionen Wählern, die ihre Stimme abgaben, wählten etwa 1,7 Millionen Soldaten und Soldatinnen per Vollmacht oder per Briefwahl. „Es folgte eine seltsame Zeit des Dahindämmerns und Wartens auf das Wahlergebnis, das der Öffentlichkeit noch wie ein Geheimnis in den versiegelten Wahlurnen verborgen blieb während in jedem Hotel des Landes erschöpfte Kandidaten in nervöser Erwartung verharrten“, schrieb The Economist am 7. Juli. Das Warten würde länger als gewöhnlich dauern, denn um genug Zeit für die Auszählung aller Stimmen zu haben, würde das Ergebnis erst nach drei Wochen bekannt gegeben werden.
Die Partei der Konservativen von Winston Churchill und die Labour-Partei von Clement Attlee, die im Krieg Partner waren, kämpften nun hart um den Regierungsauftrag in Friedenszeiten. Lokale Labour-Aktivisten erwarben sich dabei einen schlechten Ruf, da sie Versammlungen der Konservativen und Liberalen störten und unterbrachen. Auf nationaler Ebene waren es jedoch die Tories, die Kritik verdienten:

„Auf nationaler Ebene, in den Zeitungen und im Rundfunk sah es allerdings genau umgekehrt aus. Hier hat die Labour-Partei ihren Wahlkampf mit großer Würde und gutem Gespür geführt, während die Konservativen mit Tricks, Ablenkungsmanövern und unfairen Praktiken operierten, die viele ihrer Freunde und Anhänger, und ehrlich gesagt, auch die meisten aus ihrem eigenen Führungspersonal jenseits des engsten Kreises verabscheuten. Die konstruktiv gemäßigte Haltung eines Mr. Eden, Mr. Butler und Sir John Anderson wurde mit aktiver Unterstützung des Premierministers von diesem Zirkus konterkariert.“

Winston Churchill, der 1940 Premierminister wurde, nachdem das Unterhaus Neville Chamberlain zum Rücktritt gezwungen hatte, hatte nie eine Parlamentswahl gewonnen. Er beklagte sich über die ihm fehlende überzeugende Zukunftsvision, die er den Wählern vermitteln hätte können: „Ich habe keine Botschaft für sie.“ Deshalb bediente er sich einer düsteren Rhetorik. Am 4. Juni, weniger als zwei Wochen nachdem Attlee aus seiner Regierung ausgetreten war, sagte Churchill, der Labour-Vorsitzende würde „eine Art Gestapo“ zur Umsetzung seines Wahlprogramms benötigen. In Anspielung auf die Schrecken des Faschismus und Kommunismus, die den Kontinent erschüttert hatten, warnte er davor, dass Attlees linke Plattform „untrennbar mit Totalitarismus und einer unterwürfigen Staatsverehrung verwoben sei.“
„Tatsächlich fällt es sehr schwer, in Churchill, so wie er sich in den letzten Wochen darstellte, den Staatsmann zu sehen, der sein Land über seine Partei stellt“, schrieben wir. Dass die Konservativen ihren Wahlkampf so verbittert geführt hatten, war ein beunruhigendes Zeichen dafür, dass die Partei nicht auf die Aufgabe vorbereitet war, Großbritannien wieder aufzubauen. Die neue Regierung würde sich mit vielfältigen Problemen auseinandersetzen müssen:

„Letztendlich sah es nicht so hoffnungsvoll aus, dass eine der beiden großen Parteien die enormen und neuartigen Aufgaben der nächsten Jahre mit dem notwendigen Elan angehen würde, die die miserable Lage des Landes erforderte. Bereiche wie die Außen- und Machtpolitik, der Umgang mit einer enormen Auslandsverschuldung, die Wahrung des wirtschaftlichen Friedens und der sozialen Einheit erforderten immense Anstrengungen, großes Geschick, die Bereitschaft, neue Methoden auszuprobieren, klares Denken und großen Mut.“

Im Vormonat hatte The Economist Attlees Wahlkampf lobend erwähnt. Im Gegensatz zu Churchill waren die Rundfunkansprachen des Labour-Vorsitzenden „gemäßigt, vernünftig, konstruktiv und fair“ gewesen. Dennoch war es schwer vorstellbar, dass Attlee, ein zurückhaltender ehemaliger Anwalt, den Premierminister besiegen würde, der zum Symbol für den Kampf Großbritanniens im Krieg geworden war: „Bei Wahlen ... kann man niemanden mit niemandem besiegen.“ Es war auch schwer vorherzusagen, ob Attlees erste Riege dieser Aufgabe gewachsen war. Für die Labour-Partei, die noch nie eine Mehrheit bei einer Parlamentswahl gewonnen hatte, würde es schwierig werden, die Wähler davon zu überzeugen, dass sie kompetenter regieren würde als die Tories. Dennoch:

„Eines Tages wird es eine Neuordnung der politischen Kräfte geben, die die Anstrengungen der Nation für den Frieden mobilisieren werden, so wie sie 1940 für den Krieg mobilisiert wurden. Churchill hätte diese zweite Aufgabe in Angriff nehmen können, so wie er die erste abgeschlossen hat. Er hat es sich selbst schwer gemacht, indem er die Parteiführung übernommen hatte. Zusätzlich hat er sich mit seinem Verhalten bei dieser Wahl als Identifikationsfigur für eine wirklich nationale Politik der sozialen und wirtschaftlichen Erneuerung diskreditiert.“

Die Labour-Partei hatte sich sehr bemüht, diese Stimmung für sich zu nutzen. „Und jetzt—den Frieden gewinnen“ lautete die Botschaft auf einem der bekanntesten Wahlplakate der Partei. Im Gegensatz dazu hatte Churchill seine überragende persönliche Popularität verspielt, indem er „sich zu einem engstirnigen Parteipolitiker gewandelt“ hatte. So standen nun beiden Seiten sowie den Wählern drei nervenaufreibende Wochen des Wartens bevor.
Dies ist die aktuelle Ausgabe unserer Zeitreihe zum Zweiten Weltkrieg. Die nächste können Sie am kommenden Freitag lesen. Für eine rechtzeitige Benachrichtigung abonnieren Sie unseren Newsletter The War Room.

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As part of Archive 1945, we have been publishing guest essays on the end of the second world war. Read Dan Stone on the liberation of Dachau, Richard Evans on Adolf Hitler’s death, Stephen Kotkin on the Yalta conference and Alexis Dudden on the firebombing of Tokyo. Also try our piece on five of the best books about the second world war.
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Archiv 1945

Wie The Economist Woche für Woche über das letzte Jahr des Zweiten Weltkriegs berichtete

Im Januar 1945 vor 80 Jahren begann das siebte Jahr des Zweiten Weltkrieges. Die Kämpfe tobten in Europa, nachdem die Armeen der Alliierten große Teile Frankreichs und Belgiens von der Naziherrschaft befreit hatten. Die Rote Armee rückte von der Sowjetunion aus nach Polen vor und verdrängte die deutschen Truppen aus dem Osten. Inzwischen gewann der Feldzug der Alliierten im Pazifischen Raum an Fahrt und die USA bereiteten sich auf einen Einmarsch in Japan vor. Nach dem Ende des Krieges sollte sich das globale Machtgefüge in Politik und Wirtschaft in einer Art und Weise verändern, wie es sich noch heute darstellt.
Wie in einer Art Zeitkapsel veröffentlichen wir wöchentlich Ausschnitte unserer damaligen Berichterstattung über den Kriegsverlauf im letzten Jahr bis zu seinem Ende aus unserem Economist-Archiv. Bis August wird auf dieser Plattform jeden Freitag eine neue Ausgabe veröffentlicht. Für eine rechtzeitige Ankündigung können Sie unseren wöchentlichen Newsletter zum Thema Verteidigung unter „The War Room" abonnieren. Archiv 1945 ist auch auf Englisch verfügbar.
Jan
Feb
Mär
Apr
Mai
Jun
Jul
Aug
Kommt bald
American infantrymen of the 290th Regiment of the US Army fight in fresh snowfall near Amonines, Belgium. The fighting and German counter-offensive on the Belgian-German border later became famous as the Battle of the Bulge

3. Januar

Stillstand in Europa

Am 6. Januar 1945, als wir unsere erste Ausgabe des Jahres veröffentlichten, befand sich der Konflikt in Europa in seiner Endphase. Wir schrieben, dass Ende 1944 „nicht nur der Mann und die Frau auf der Straße meinten: ‚Bis Weihnachten ist alles vorbei.‘“ Doch der Vormarsch der Alliierten in die von den Nazis besetzten Teile Europas hatte sich verlangsamt. Die deutsche Ardennenoffensive (im Angelsächsischen besser bekannt als „The Battle of the Bulge") hatte die Alliierten in Belgien und Luxemburg in die Defensive gedrängt. Die Briten kämpften noch immer in Griechenland. Polens Kommunisten, bekannt als das Lubliner Komitee, lagen mit der polnischen Exilregierung in London im Clinch darüber, wer das Land kontrollieren sollte.
Die Stimmung in Großbritannien war bedrückend. Obwohl die Nazis auf beiden Seiten des Kontinents weiterhin in Bedrängnis gerieten, konstatierte The Economist „Stillstand in Europa“:

„Das Jahr 1945 beginnt für die Alliierten düster. In Athen wird immer noch gekämpft. Das Lubliner Komitee hat die verworrene polnische Politik weiter verkompliziert, indem es sich selbst zur provisorischen Regierung Polens erklärt hat. Auf der anderen Seite des Atlantiks sind die Kritik der USA an Großbritannien und das Misstrauen gegenüber Russland kaum Anzeichen für eine Entschärfung des Konflikts. Auch in militärischer Hinsicht ist die Lage enttäuschend. Die Ardennenoffensive wurde zwar gestoppt, doch dass sie überhaupt Erfolg hatte, steht in starkem Widerspruch zu den großen Hoffnungen des vergangenen Sommers.“

Nicht, dass der Sieg den Briten fern erschien—er galt sogar als so gut wie sicher. Aber „militärischer Stillstand und politische Uneinigkeit“ hatten die Niederlage der Nazis verzögert. Zudem waren Unstimmigkeiten über den Umgang mit Deutschland nach dem Krieg problematisch. Die Nazis, so schrieben wir, hofften, „dass die Koalition gegen sie doch noch zerbricht“. Und ein von Frankreich und der Sowjetunion unterbreiteter Vorschlag, Deutschland solle nach dem Krieg seine industriellen Kerngebiete abtreten, stärkte den Kampfeswillen der Deutschen.
Großbritannien hatte auch jenseits des Schlachtfeldes Grund zur Niedergeschlagenheit. Die Kriegswirtschaft hatte der Bevölkerung schwer zugesetzt. The Economist hatte kürzlich eine der ersten umfassenden Veröffentlichungen statistischer Daten seit Kriegsbeginn erhalten (obwohl wir erklärten, dass „aus Sicherheitsgründen einige bis zur Niederlage sowohl Deutschlands als auch Japans geheim bleiben müssen“). Der Krieg hatte die britische Wirtschaft grundlegend verändert. Nicht nur, dass die Regierung die Steuern erhöht hatte, um die Kriegsanstrengungen zu finanzieren. Die Ausgaben für Konsumgüter waren drastisch eingebrochen, auch wenn sich Brennstoffe und Beleuchtung während des Blitzkriegs gut verkauften—wie wir in dieser Grafik veranschaulichten:

„Seit 1942 wurden keine Autos, Kühlschränke, Klaviere, Staubsauger, Tennis- oder Golfbälle mehr hergestellt, und nur sehr wenige Radios, Fahrräder, Uhren und Füllfederhalter.“

Im Jahr 1944 waren Gerüchte aufgekommen, Adolf Hitler sei tot, wahnsinnig geworden oder von Heinrich Himmler, dem Chef der SS (der wichtigsten paramilitärischen Organisation der Nazis), eingesperrt worden. Doch Hitlers Neujahrsansprache, so schrieben wir, zeigte, dass er „am Leben, nicht wahnsinniger als sonst und keineswegs auf dramatische Weise gefangen“ war:

„Seine Rede war voller deutscher Mythen, vom Wiederaufbau größerer und besserer deutscher Städte, vom Scheitern der bürgerlichen Welt und vom Anbruch einer neuen Ära nationalsozialistischer Prinzipien… Er scheint jenseits einer Einmischung in die Kriegsstrategie, sei sie auch noch so gering, zu sein und kümmert sich nur noch um den verzweifelten Nationalismus des deutschen Volkes.“

Doch angesichts des Drucks, den die Alliierten im Westen und die Sowjetunion im Osten auf die Nazis ausübten, klangen die nationalistischen Appelle des Diktators hohl. Seine Botschaft hatte vielmehr den Beigeschmack von Prahlerei und Verzweiflung.

10. Januar

Geteiltes China

Während die Alliierten die Nazis in Europa in die Enge trieben, erhöhten die amerikanischen Streitkräfte im Pazifik den Druck auf Japan. Das Land hatte am 7. Dezember 1941 Pearl Harbor, einen Marinestützpunkt auf Hawaii, bombardiert und dabei fast 2.500 Menschen getötet. Am nächsten Tag zog Präsident Franklin Roosevelt in den Krieg in Asien. Zu Beginn des Jahres 1945 hatte Amerika die Expansion des japanischen Imperiums gestoppt und machte Fortschritte auf den Philippinen, die seit 1941 unter japanischer Besatzung standen:

"Die Landung auf Luzon, der größten der philippinischen Inseln, hat begonnen. Große amerikanische Truppenverbände haben bereits vier Brückenköpfe errichtet, und obwohl noch harte Kämpfe bevorstehen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die letzte Phase der Rückeroberung der Philippinen begonnen hat und das Ende in Sicht ist."

The Economist wandte sich als nächstes China zu. Amerika unterstützte das Land seit 1940 mit Krediten und Waffen gegen Japan. Im Jahr 1941 entsandte es Militärberater und errichtete Luftwaffenstützpunkte auf dem Festland. Es hatte ein starkes Interesse daran, China bei der Beendigung der japanischen Besatzung zu helfen—nicht nur, um Japan zu schwächen, sondern auch, um China als Großmacht zu stärken, die nach dem Krieg den Frieden in Asien sichern würde.
Das war keine leichte Aufgabe. China wurde damals von unterschiedlichen rivalisierenden Regierungen beherrscht. Außerhalb der von Japan kontrollierten Gebiete wurde ein Teil des Landes von der Kuomintang regiert, einer nationalistischen Gruppe unter Chiang Kai-shek mit Basis in Chongqing in Zentralchina; ein anderer Teil wurde von den Kommunisten unter Mao Zedong kontrolliert, mit Hochburg in Yan'an, einer Stadt im Norden. Japans Niederlage könnte in China eine Situation „größter Verwirrung" hervorrufen, schrieben wir. Die beiden rivalisierenden Mächte des Landes hatten zwar Seite an Seite gegen die Japaner gekämpft, befanden sich aber auch „seit einigen Jahren in einem Zustand des tatsächlichen oder latenten Bürgerkriegs".
Die in den befreiten Ländern Europas ausgebrochenen Bürgerkriege schienen für China nichts Gutes zu verheißen:

„Angesichts dieser Situation—eines potenziellen Griechenlands des Fernen Ostens in einem noch größeren und verheerenderen Ausmaß—welche Politik sollten die Alliierten verfolgen? Chinas Verbündete leiden unter dem gravierenden Nachteil, dass ausländische Interventionen stets unpopulär sind und eine Einmischung, wenn sie zu weit getrieben wird, lediglich zu heftiger Abneigung gegen die Intervenierenden führen kann... Deshalb müssen die Alliierten mit äußerster Geduld und Fingerspitzengefühl beide Seiten in China zur Einheit drängen."

Doch Einheit, so stellten wir fest, würde schwer zu erreichen sein. Chiang schien „mehr vom Wunsch beseelt, Macht zu erhalten und auszubauen, als von der Bereitschaft, in einer neuen Regierung Macht mit den Kommunisten zu teilen". Die Kommunisten waren entschlossen, „die Macht in ihren eigenen Gebieten zu behaupten und, wo immer möglich, auszuweiten". Obwohl wir argumentierten, dass eine Regierung der nationalen Einheit das Beste für China wäre, war schwer zu erkennen, wie sie „ins Leben gerufen werden sollte".

17. Januar

Der vernachlässigte Verbündete

Anfang 1945 war der größte Teil Frankreichs befreit. Im August davor hatten die Alliierten Paris der deutschen Kontrolle entrissen, und Charles de Gaulle, der von London und Algier aus eine provisorische Exilregierung geführt hatte, kehrte in die Hauptstadt zurück. Die Besetzung war folgenschwer. Am 20. Januar 1945 schrieb The Economist:

„Frankreich ist in eine Lage gekommen, aus der es schleunigst gerettet werden muss. Die Bevölkerung von Paris und vielen anderen Städten friert aus Mangel an Kohle; in der ersten Januarwoche wurden täglich durchschnittlich knapp über 10.000 Tonnen Kohle nach Paris geliefert, ein Bruchteil dessen, was normalerweise benötigt wird und kaum genug, um den dringenden Bedarf von Krankenhäusern, Schulen und essentieller öffentlicher Dienstleistungen zu decken.“

Brot wurde auf 370 Gramm pro Tag rationiert, Käse auf 20 Gramm pro Woche. Selbst dann gab es „keine Garantie, dass wenigstens diese kärglichen Rationen geliefert werden können“.
Auch die französische Industrie befand sich in einem beklagenswerten Zustand: „Zusätzlich zu der Not durch Mangel an Wärme, Nahrung und Kleidung in den Industriezentren Frankreichs kam das Elend durch Arbeitslosigkeit—allein in Paris sind etwa 400.000 Menschen ohne Arbeit.“ Damit einher ging die Furcht vor politischer Instabilität. Wir warnten: „Die französische Geduld hat Grenzen. Und diese Grenze ist in Sicht... Angesichts der wachsenden Unzufriedenheit könnte die Position der Regierung geschwächt werden.“ Es sei im Interesse aller, dass „Frankreich nicht zum vernachlässigten Verbündeten wird“.
Frankreichs Hafenstädte waren schwer getroffen. Boulogne lag in Trümmern, doch Marseille schickte bereits Nachschub an die Front. In Nantes begrüßten am 14. Januar große Menschenmengen de Gaulle.
Video: Getty Images
Unserer Ansicht nach sollten Großbritannien und Amerika Frankreich als gleichberechtigten Partner in den Kriegsanstrengungen behandeln, „nicht nur bei der Strategieentwicklung, sondern auch bei der Ressourcenverteilung“. Amerika mit seinen reichhaltigen Bodenschätzen könnte die Lieferungen an Frankreich aufstocken. Aber auch Großbritannien sollte seinen Teil beitragen—selbst wenn es „nur Pfennige zu Amerikas Dollars beisteuern kann“.
In Osteuropa, wo die Nazis von der Sowjetunion vertrieben worden waren, zeichnete sich derweil ein ganz anderes Bild der Befreiung ab:

„Ein undurchdringlicher Schleier der Geheimhaltung hat sich über das sowjetisch besetzte Europa gelegt. Vereinzelte Hinweise und Informationsfetzen deuten auf politische Spannungen hier und da und teilweise auf bewaffnete Zusammenstöße zwischen Russen und lokalen Kräften hin. Doch die Geheimhaltung macht es nahezu unmöglich, das Ausmaß und die Bedeutung dieser Unruhen einzuschätzen. Wie auch immer ihre Politik in den besetzten Gebieten aussehen mag, die sowjetische Regierung wird nicht durch die hohen Ansprüche demokratischer Meinungsbildung und parlamentarischer Kontrolle behindert.“

Es schienen Unterschiede zwischen den unter sowjetischem Einfluss gebildeten Regierungen zu bestehen. In manchen Ländern waren die Kommunisten tatsächlich nicht darauf aus, alle Überreste der alten Ordnung zu zerstören. Bulgarien setzte seinen König nach der kommunistischen Machtübernahme im September 1944 nicht ab; König Michael von Rumänien erhielt sogar Lob von den Kommunisten seines Landes, die Mäßigung demonstrieren wollten (obwohl beide Länder später Republiken wurden: Bulgarien 1946 und Rumänien 1947). In Polen hingegen waren die politischen Gegensätze viel schärfer. Die von der Sowjetunion unterstützte Lubliner Regierung wollte die polnische Verfassung von 1935 abschaffen (was ihr schließlich auch gelang), und es kam zu Kämpfen zwischen Partisanen und russischen Soldaten.
Wir diskutierten, welche Politik die Sowjetunion in den von ihr befreiten Gebieten verfolgen würde. Einerseits könnte sie „beschließen, die Kontrolle so auszuüben, dass die nationale Souveränität der einzelnen Kleinstaaten ernsthaft beeinträchtigt wird“. Das würde eine „ideologische Gleichschaltung“ bedeuten—ein Begriff, den die Nazis für die totale Kontrolle der Gesellschaft verwendeten. Andererseits könnte sie sich dafür entscheiden, ihren Einfluss in der Region indirekt auszuüben. Im Januar 1945 war schwer zu sagen, welchen Weg die Sowjetunion einschlagen würde.

German infantry, assisted by a Sd.Kfz 234/2 'Puma' tank, carrying out a counter-attack in the Upper Silesia, 26 February 1945

24. Januar

Deutschlands Kriegsmaschinerie

Ende Januar zog die Rote Armee durch Mitteleuropa und rückte unaufhaltsam auf die deutsche Hauptstadt Berlin vor. Die Ukraine, die die Nazis 1941 erobert hatten, um ihre reichen Bodenschätze inklusive Weizen und Eisenerz zu kontrollieren, war 1944 von der Sowjetunion zurückerobert worden. In Polen war die Rote Armee inzwischen in Warschau und Krakau einmarschiert.
Auch die weiter südlich gelegenen, von Deutschland kontrollierten Gebiete gerieten unter Beschuss. Eine dieser Regionen war Oberschlesien, das heute größtenteils in Südpolen liegt. Als industrielles Kernland, reich an Kohle und anderen Rohstoffen, war es zu einem der Motoren der deutschen Kriegswirtschaft geworden (siehe die Karte unten, die wir in unserer Ausgabe vom 27. Januar veröffentlichten). Hier befanden sich auch einige der größten Zwangsarbeits- und Konzentrationslager der Nazis, darunter die Lager von Auschwitz.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts waren Teile Oberschlesiens im Besitz des Deutschen Kaiserreichs, Österreich-Ungarns, des zaristischen Russlands, Polens und der Tschechoslowakei. Nach dem Einmarsch der Nazis in Polen 1939 kamen diese Gebiete vollständig unter deutsche Kontrolle. Die Region erstreckte sich über 21.000 Quadratkilometer und beherbergte 4,5 Millionen Menschen. „In dieser Region“, so schrieben wir, „befinden sich die reichsten Kohlevorkommen des gesamten Kontinents“. Auch die Zinkvorkommen in Oberschlesien galten als „die größten der Welt“. Die Kohle dieses Gebiets war für die Chemie- und Stromproduktion unerlässlich: „Ein dichtes Gas- und Stromnetz, das bis nach Breslau reicht, hängt von der oberschlesischen Kohle ab.“
Im Vergleich zum Ruhrgebiet, das für seine Kohle- und Stahlproduktion bekannt ist, hinkte Oberschlesien industriell hinterher. Die Stahlproduktion in Oberschlesien war vergleichsweise gering, was zum Teil auf zu wenige lokale Eisenerzgruben zurückzuführen war. Dennoch war diese Region für die Nazi-Kriegsmaschinerie von zentraler Bedeutung, vor allem nachdem die Alliierten 1943 begannen, das Ruhrgebiet massiv zu bombardieren:

„Es steht daher außer Zweifel, dass Oberschlesien in den letzten zwei Jahren zahlreiche neue Industriezweige entwickelt hat. Neben neuen Chemiewerken sind überall in der Gegend große Fabriken für Kriegsmaterial aller Art entstanden, meist abseits bewohnter Orte und gut durch Wälder und Hügel getarnt.“

Nach der Intensivierung der alliierten Bombardements verlagerten die Nazis einen Teil ihrer Schwerindustrie vom Ruhrgebiet nach Oberschlesien. „Es besteht kein Zweifel“, schrieben wir, „dass die wichtigsten Kriegsfabriken unterirdisch gebaut wurden.“ Von Zement und Düngemitteln bis hin zu Zügen und Eisenbahnschienen wurde dort alles produziert. Bis 1945 waren die Eisenbahnen in Ostdeutschland von der Kohle der Region abhängig. Der Verlust Oberschlesiens, so schrieb The Economist, „wäre ein schwerer Schlag für die deutsche Kriegsindustrie“.
Er würde auch die Befreiung Tausender Gefangener bedeuten. Am 27. Januar, dem Tag, an dem der Artikel des Economist über Oberschlesien in Druck ging, übernahm die Rote Armee die Kontrolle über Auschwitz von den Nazis. Dies war das größte Konzentrationslager der Nazis; mehr als eine Million Menschen wurden dort während des Holocaust ermordet. Mit dem weiteren Vormarsch der Roten Armee sollte das Ausmaß der von den Nazis im besetzten Polen und anderswo verübten Gräueltaten noch deutlicher zutage treten.

31. Januar

Werbung in Kriegszeiten

Der Zweite Weltkrieg war für britische Unternehmen eine harte Zeit. Viele Waren, die sie vor dem Krieg verkauft hatten, wurden nicht mehr hergestellt, da das Land seine Ressourcen auf die Unterstützung der Streitkräfte umstellte. Die Werbebranche spürte dies besonders. „Der Markenwert", schrieb die Advertising Association 1940, „ist ein Kapitalwert von nahezu unbegrenztem Wert: schwer aufzubauen, aber allzu leicht zu verlieren." Sie ermahnte die Unternehmen: „Lasst uns unsere Markennamen in dieser Zeit des wirtschaftlichen Umbruchs schützen."
Nicht nur hatten sie weniger Produkte anzupreisen; sie sahen sich auch einer energischen Kampagne gegen Verschwendung gegenüber. Der „Verschwendungskäfer", eine von der Regierung erfundene Karikatur eines Schädlings, die Käufer dazu verleitete, Geld zu verschwenden, anstatt in Kriegsanleihen zu investieren, tauchte wiederholt in der Propaganda auf. Der Käfer wurde als „Hitlers Kumpan" bezeichnet.
Dennoch blieben einige britische Markennamen während des gesamten Krieges im Bewusstsein der Verbraucher haften. Ein Blick auf die Anzeigen, die wir Anfang 1945 druckten, verrät viel über das Leben an der Heimatfront. Die Hersteller von Bovril, einer Fleischextraktpaste, die zu einem kräftigen Getränk aufgebrüht werden kann, priesen die „Wärme und Behaglichkeit", die sie den Briten im tiefsten Winter bereiten konnte. Crookes, ein Pharmaunternehmen, vermarktete Heilbuttöl als „unverzichtbaren Bestandteil der Kriegsernährung", besonders „in diesem sechsten Kriegswinter".
Anzeigen für feinere Waren erschienen ebenfalls in unseren Seiten—mit einer besonderen Note. Die Whiskyproduktion war Anfang der 1940er Jahre eingebrochen, da die Getreidevorräte in die Lebensmittelproduktion flossen, bevor sie 1944 langsam wieder anlief. White Horse, eine Brennerei, versuchte, aus dieser Wende Kapital zu schlagen, indem sie für ihren Bestand an „Vorkriegswhisky" warb, der „alt wurde, als dieser Krieg noch jung war". Eine Anzeige für Black Magic (eine Marke, die noch heute verkauft wird, jetzt im Besitz von Nestlé) versprach, dass Pralinen, die lange nicht mehr produziert wurden, bald wieder erhältlich sein würden: „Kommt der Frieden, kommt Black Magic."
Andere Unternehmen nutzten ihre Anzeigen, um ihre Rolle während der Kriegsanstrengungen zu demonstrieren. Daimler und Singer, zwei Autohersteller, versuchten, die Leser des Economist zu gewinnen, indem sie die Ausrüstung präsentierten, mit der sie Großbritanniens Macht in der Luft, zu Lande und zur See gesichert hatten. Daimler baute gepanzerte Fahrzeuge für die Infanterie; beide Firmen stellten auch Flugzeugteile her. Kodak, ein amerikanisches Unternehmen, fertigte Kameras für Alliierte Soldaten und Bomberteams, die damit ihre Position über einem feindlichen Ziel beim Bombenabwurf festhielten.
Unternehmen hatten Werbeflächen auf diese Weise seit Kriegsbeginn genutzt. Doch im Januar 1945 hatten sie bereits das Kriegsende im Blick. Singer versprach, dass seine Ingenieure, ihre durch „fünf Jahre Hingabe an die Sache der Nation verbesserten" Fähigkeiten nun ganz in den Dienst „der Herstellung der besten Autos der Zukunft widmen würden". Ebenso machte es auch der Autobauer Lanchester. „Der Nachkriegs-Lanchester", so das Versprechen, würde sich tatsächlich als ein Auto erweisen, „für das sich das Warten lohnt".

Februar

1945

7. Februar

Konferenz auf der Krim

Winston Churchill, Franklin Roosevelt und Josef Stalin hatten sich zuletzt Ende 1943 in Teheran, der Hauptstadt des Iran, getroffen. Dort hatten sie vereinbart, dass Großbritannien und Amerika eine zweite Front gegen die Nazis in Westeuropa eröffnen würden, während die Sowjetunion von Osten her angreifen sollte. Nun, da die deutsche Verteidigung zusammenbrach, trafen sich die Führer Großbritanniens, der USA und der Sowjetunion erneut—in Jalta, einem Kurort auf der Krim. „Das Triumvirat der Welt“, schrieben wir am 3. Februar 1945, „wird wieder von Angesicht zu Angesicht zusammenkommen, um die letzten Phasen des Krieges und die ersten Schritte des Friedens zu bestimmen.“
Die vom 4. bis 11. Februar abgehaltene Konferenz von Jalta sollte einen Plan ausarbeiten, wie die Alliierten Europa nach der Niederlage der Nazis regieren würden. In Teheran hatten sich die drei Mächte auf „Einflusssphären“ geeinigt: Russlands Einflusssphäre sollte sich auf Mittel- und Osteuropa sowie den Balkan erstrecken, während Großbritannien und den USA der Mittelmeerraum zugesprochen wurde. Doch die in Jalta erzielte Vereinbarung, über die wir nach dem Ende der Konferenz berichteten, revidierte diese Pläne. Stattdessen verpflichteten sich die drei, „allen Völkern das Recht zu gewähren, ihre eigene Regierungsform zu wählen“.
Deutschland als der Aggressor sollte von den Alliierten besetzt werden, um ein Wiederaufleben des Nationalsozialismus zu verhindern und den Übergang des Landes zur Demokratie sicherzustellen. Die Kontrolle sollte zwischen den drei Siegermächten und Frankreich aufgeteilt werden (wobei die Grenzen dieser „Besatzungszonen“ noch nicht endgültig festgelegt waren: Die Frontlinien bewegten sich zum Zeitpunkt der Jalta-Konferenz im Osten und Westen noch). Darüber hinaus sollte Deutschland entmilitarisiert werden:

„Die Zerschlagung des deutschen Militarismus und des deutschen Generalstabs wird zum ersten Mal neben der Vernichtung des Nationalsozialismus erwähnt. Die Bestrafung von Kriegsverbrechern wird erneut bekräftigt. Erstmals wird offiziell angedeutet, dass die Deutschen schließlich ‚ein anständiges Leben ... und einen Platz in der Völkergemeinschaft‘ gewinnen können. Unklarheiten gibt es bei der wirtschaftlichen und territorialen Regelung.“

Doch vieles an der Umsetzung dieses Plans blieb vage, angefangen bei der Forderung nach Entmilitarisierung Deutschlands. „Hart ausgelegt könnte dies die völlige Zerstörung der deutschen Schwerindustrie bedeuten“, schrieben wir. „Milder verstanden könnte es ein—zugegebenermaßen schwieriges—Maß an alliierter Aufsicht über ein funktionierendes deutsches Industriesystem bedeuten.“ Unklar blieb auch, ob die Forderung nach Reparationszahlungen durch das Land „einen Mindestlebensstandard für die Deutschen“ unmöglich machen würde. Wir befürchteten sogar, dass die Erklärung der Besatzungsmächte dazu benutzt werden könnte, die Zwangsarbeit von Deutschen als Form der Wiedergutmachung zu rechtfertigen.
The Economist hielt sich daher mit einem Urteil über das in Jalta Vereinbarte zurück: „Über die Bedingungen, wie sie dastehen, kann kein Urteil gefällt werden. Alles hängt von der Auslegung ab.“ Am Ende sollten die USA und Großbritannien, die eine nachsichtigere Politik befürworteten, mit der Sowjetunion wegen deren rücksichtsloser Enteignung deutscher Fabriken und ihrer Weigerung, Lebensmittel aus dem Osten des Landes in den bevölkerungsreicheren Westen zu schicken, aneinandergeraten. Die Spannungen darüber, wie mit dem besetzten Deutschland umzugehen sei, sollten die frühen Jahre des Kalten Krieges prägen.
In den Jahren nach Jalta war der Westen auch in der Frage des Umgangs mit Osteuropa uneins mit der Sowjetunion. Die Beschlüsse ließen dies offen. Die Alliierten hatten sich darauf geeinigt, dass Polen „auf einer breiteren demokratischen Grundlage unter Einbeziehung demokratischer Führungskräfte aus Polen selbst und von im Ausland lebenden Polen reorganisiert werden“ sollte. Nach Jahren des Krieges schien dies ein faires Ergebnis für Polen—wenn es denn verwirklicht werden könnte:

„Alles hängt davon ab, wie Begriffe wie ‚demokratisch‘, ‚freie und ungehinderte Wahlen‘, ‚demokratische und nicht-nazistische Parteien‘, ‚nicht durch Kollaboration mit dem Feind kompromittiert‘ in der Praxis ausgelegt werden. Wenn diese Worte bedeuten, was sie sagen, und was Briten und Amerikaner darunter verstehen, dann würde eindeutig ein großer Fortschritt erzielt werden. Darauf kann jedoch allein die Umsetzung dieser Beschlüsse eine endgültige Antwort geben... Es gibt jedoch einen sicheren Test. Wenn die auf der Basis der Krim-Erklärung eingesetzten Regierungen und die von ihnen verwalteten Gesellschaften gesunde Anzeichen von Auseinandersetzungen, Meinungsverschiedenheiten und echter politischer Unabhängigkeit zeigen, kann man getrost ‚Amen‘ zu den vorliegenden Vorschlägen sagen.“

Die Beschlüsse von Jalta sollten den Test des Economist leider nicht bestehen. Stalin hielt sein Versprechen nicht, freie Wahlen in Mittel- und Osteuropa zuzulassen; da die Rote Armee einen Großteil des Gebiets kontrollierte, konnten Amerika und Großbritannien wenig tun, um ihn dazu zu zwingen. In Polen begannen die sowjetischen Streitkräfte noch während des Treffens der Staats- und Regierungschefs in Jalta, den Widerstand gegen die kommunistische Herrschaft zu zerschlagen.

14. Februar

Der deutsche Rumpfstaat

Während Churchill, Roosevelt und Stalin in Jalta zusammensaßen, rückte die Sowjetunion in Osteuropa mit atemberaubender Geschwindigkeit vor. Am 12. Januar hatte die Rote Armee ihren Vorstoß durch Polen in Richtung Deutschland begonnen. Mitte Februar hatten die Alliierten „Deutschland auf sein Kernland zwischen Rhein und Oder reduziert“. Während die Nazis den Vormarsch der Alliierten im Westen verlangsamen konnten, war die Rote Armee kaum aufzuhalten. Wir erklärten das so:

„Erstens sind die russischen Armeen zahlenmäßig deutlich überlegen. Nachdem der Durchbruch erfolgt war, wurde der Vormarsch durch das dichte Straßennetz beschleunigt. Die für Ostdeutschland und Westpolen typischen Flüsse, Seen und Sümpfe stellten daher kein Hindernis dar. Unter diesen Umständen kann eine bloße Stabilisierung der Kämpfe an einer neuen Front entlang der Oder bestenfalls ein vorübergehendes Aufhalten bedeuten, wenn überhaupt.“

Mit anderen Worten: Immer größere Teile Deutschlands, so prognostizierten wir, würden bald unter sowjetische Besatzung fallen. Das von den Nazis kontrollierte Gebiet war noch immer beträchtlich und erstreckte sich vom Nordwestbalkan und Norditalien bis nach Norwegen, wo ein kollaboratives Regime weiterhin an der Macht war. Entscheidend war jedoch, dass die sowjetische Offensive den Nachschublinien, die Deutschland noch im Kampf hielten, einen schweren Schlag versetzt hatte.
Mitte Februar kontrollierte die Rote Armee fast ganz Oberschlesien, eine für die deutsche Versorgung mit Kohle und Metallen unverzichtbare Industrieregion. In den Wochen zuvor hatte dieser Verlust die Kriegsindustrie der Nazis und insbesondere ihre Rüstungsbetriebe getroffen. „Im Vergleich zur Produktion in Großbritannien und den Vereinigten Staaten“, berichteten wir, „erscheint Deutschlands derzeitige Produktion gering und völlig unzureichend, um die Verluste zu ersetzen und riesige Armeen auszurüsten.“ Das bedeutete nicht zwangsläufig das Ende für die Nazis; wie wir anmerkten, hatte Deutschland beispielsweise bei der Herstellung von Bombenflugzeugen nie mit Großbritannien und Amerika Schritt halten können. Jetzt baute es jedoch kaum noch Schiffe, abgesehen von U-Booten und kleinen Booten.
Mit dem Verlust Polens hatten die Nazis auch Ackerland aufgegeben, auf dem große Mengen an Grundnahrungsmitteln produziert wurden. Einige Vorräte wurden während des Rückzugs zurückgelassen. „Große Mengen an Kartoffeln müssen zurückgelassen worden sein“, schrieben wir. Effiziente Verteilungsnetze gerieten „aus den Fugen“, als deutsche Städte „einen plötzlichen Zustrom von Evakuierten“ erlebten und die Eisenbahnen „mit Militärtransporten überlastet“ wurden. Infolgedessen wurde die Rationierung verschärft: „Die ursprünglich für den achtwöchigen Zeitraum vom 5. Februar bis zum 1. April ausgegebenen Lebensmittelkarten müssen nun für neun Wochen reichen, was einer Kürzung [der Rationen] um etwa 10 Prozent entspricht.“
Die Nazi-Propaganda wurde zunehmend verzweifelter. Der Volkssturm, eine von Hitler Ende 1944 zur letzten Verteidigung Deutschlands gegründete Miliz, spielte in den Parolen des Regimes eine wichtige Rolle. Doch die Moral in der eine Million starken Truppe war miserabel. Schlecht ausgerüstet und größtenteils unausgebildet, ließen sich nur wenige von Appellen an den Nazi-Fanatismus beeindrucken. Hinter den Kulissen bemühte sich das deutsche Heer unterdessen, sich nach der Vertreibung aus Frankreich und Polen neu zu formieren:

„Hinter dieser Propaganda, die noch nie so viele Superlative verwendet hat, um die Not der Flüchtlinge und die Gefahr für das Reich zu beschreiben, schreitet die Neuorganisation der Armeen zweifellos voran. Die politische Opposition von Generälen und anderen Offizieren, die im letzten Sommer einen Moment der Gefahr darstellte, scheint nicht vorhanden zu sein; tatsächlich erscheint nach den Säuberungen des letzten Jahres eine wirksame Opposition im Moment kaum wahrscheinlich. Bislang scheint die Politik der Alliierten in Richtung einer bedingungslosen Kapitulation zu einer ‚bedingungslosen Verteidigung‘ geführt zu haben.“

Und diese „bedingungslose Verteidigung“, wie The Economist es ausdrückte, wurde von den Nazis brutal durchgesetzt. Deutsche, die Anzeichen von Defätismus zeigten, wurden hart bestraft; zahlreiche Deserteure wurden erschossen. Für viele Deutsche war schon seit Monaten klar, dass der Krieg verloren war.

Fourth Marines Hit Iwo Jima Beach -- Fourth Marines dash from landing craft, dragging equipment, while others Go Over The Top of sand dune as they hit the beach of Iwo Jima, Volcano Islands, February 19. Smoke of artillery of Mortar fire in background. February 22, 1945. (Photo by Joe Rosenthal, AP).

21. Februar

Ärger in Tokio

Im Pazifik wendete sich Mitte Februar das Blatt zugunsten der Amerikaner. „Manila, die Hauptstadt der Philippinen, ist innerhalb von vier Wochen nach den ersten amerikanischen Landungen an den Stränden von Lingayen gefallen", schrieben wir am 10. Februar. Schon bald würden die Amerikaner die verbliebenen japanischen Streitkräfte auf den Inseln besiegen, die sie seit 1941 besetzt hielten. Admiral Chester Nimitz, der die amerikanische Flotte im Pazifik befehligte, plante, Manila als Hauptstützpunkt für weitere Marineoperationen gegen Japan zu nutzen. „Wir werden weiter in Richtung Japan vorrücken", sagte er, „und wir sind zuversichtlich, dass uns dies gelingen wird." Und tatsächlich befand sich Japan am 24. Februar in Aufruhr:

„Dies sind düstere Wochen für die Führung und das Volk Japans. Die Philippinen sind so gut wie verloren. Amerikanische Truppen landen auf Iwojima, nur knapp tausend Kilometer von der japanischen Küste entfernt. Tokio und andere Städte haben die ersten einer Serie von Bombenangriffen durch mehr als tausend amerikanische Flugzeuge erlebt. Gleichzeitig deuten die Nachrichten aus Europa—die Konferenz von Jalta und die weitreichenden sowjetischen Vorstöße in Deutschland—darauf hin, dass die Alliierten bald in der Lage sein können alle ihre Kräfte gegen Japan zu bündeln."

Der Angriff auf Iwojima (siehe Bild), eine strategisch wichtige Insel, die Amerika als Stützpunkt für Bombenangriffe auf das japanische Festland nutzen würde, war nur der jüngste in einer Reihe amerikanischer Vorstöße. In den vergangenen zweieinhalb Jahren hatten die amerikanischen Siege im Pazifik ein politisches Drama in Japan ausgelöst. Im Sommer 1944 war General Tojo Hideki nach einer Reihe von Niederlagen zum Rücktritt als Premierminister gezwungen worden. Sein Nachfolger, General Koiso Kuniaki, mühte sich ebenfalls vergeblich, Japans militärisches Geschick zu verbessern. Obwohl die japanische Presse ernsthafte Kritik an der mangelhaften Qualität der Flugzeuge des Landes geäußert hatte, war es Koiso nicht gelungen, die Kriegsmaschinerie zu verbessern (wenige Wochen nach dem Fall Manilas sollte auch er zurücktreten, als die Amerikaner im April 1945 in Okinawa landeten).
Der Verlust der Philippinen hatte Japans Schwächen offenbart. Wir stellten fest, dass der Mangel an Industriegütern (wahrscheinlich einschließlich Kautschuk und Öl aus Südostasien) zu einem gravierenden Problem geworden war. „Es ist offensichtlich", schrieben wir, „dass man in Japan angesichts dieser Lage schon sehr optimistisch sein muss, um noch an eine Chance zum Sieg zu glauben."

Asia Pacific, Feb 15th 1945

Allied control

Tokyo

Enemy control

JAPAN

CHINA

PACIFIC

OCEAN

Iwo Jima

Burma

PHILIPPINES

SIAM

Lingayen

Gulf

Manila

french

indochina

Dutch east indies

Source: United States government

Asia Pacific, Feb 15th 1945

Allied control

Enemy control

Tokyo

JAPAN

CHINA

Iwo Jima

Burma

PACIFIC

OCEAN

PHILIPPINES

SIAM

Lingayen

Gulf

Manila

french

indochina

Dutch east indies

Source: United States government

Asia Pacific, Feb 15th 1945

Allied control

Enemy control

JAPAN

Tokyo

CHINA

Iwo Jima

PACIFIC

OCEAN

PHILIPPINES

Lingayen

Gulf

Manila

Source: United States government

Würde das Land die Waffen strecken oder sich für einen Kampf bis zum bitteren Ende entscheiden, wie Deutschland es tat? Ein Vergleich mit Italien bot sich an. Dort hatten eine starke Monarchie und eine relativ schwache Unterstützung des Faschismus in der Bevölkerung dazu geführt, dass Italien schon bald nach den ersten großen militärischen Niederlagen kapitulierte: Der neu ernannte Premierminister Pietro Badoglio tat dies im September 1943. (König Viktor Emanuel hatte Benito Mussolini, den faschistischen Diktator des Landes und Badoglios Vorgänger, bereits früher im Jahr verhaften lassen.) Die gleichen Faktoren waren auch in Japan gegeben: Da der Kaiser noch immer an der Macht war und es keine Massenbewegung zur Unterstützung des Faschismus gab, konnte man auch von Japan erwarten, dass es aufgeben würde. Um das Land zu einem „Kampf bis zum Ende" zu zwingen, so unsere Überlegung, „bedürfte es wahrscheinlich der Unterstützung durch eine Massenpartei, die zu schaffen den Extremisten bisher nicht gelungen ist." Doch es gab einen Haken:

„Es gibt also einige Hinweise, die die Ansicht stützen, dass mit zunehmender Gewissheit einer Niederlage die Chance auf einen Regimewechsel in Japan steigt, der den japanischen Badoglio an die Macht bringt, der bereit wäre, nicht zu verhandeln, sondern die bedingungslose Kapitulation zu akzeptieren. Doch wäre es sehr gewagt, dies als Gewissheit anzunehmen, und es gibt andere Faktoren und Kräfte, die eine andere Geschichte erzählen. Das Zentrum des Extremismus in Japan ist die Armee, und bei jeder entscheidenden Wende in der japanischen Politik seit 1931 haben sich die militärischen Führer weitgehend durchgesetzt. Auch ist es wahr, dass ihr Weg bisher von schnellen Erfolgen gekrönt war."

Angesichts der Möglichkeit einer umfassenden amerikanischen Offensive schien es denkbar, dass die japanische Armee versuchen würde, die jungen Nationalisten des Landes zu radikalisieren und es von den verbliebenen Gemäßigten in der Regierung und am kaiserlichen Hof politisch zu säubern. „Auf einer solchen Grundlage", so befürchtete The Economist, „könnten sie vielleicht den Nazis nacheifern und ein Regime errichten, das hart genug ist, um bis zum bitteren Ende zu kämpfen."
Ob es ihnen gelingen würde, Japan zu überzeugen, war unklar; einige Gemäßigte, so schrieben wir, schienen noch immer die Oberhand zu haben. Dennoch war die Vorstellung von einem „Kampf bis zum Ende auf japanischem Boden" eine erschreckende Aussicht: Schließlich sollte sich die Schlacht um Iwojima als eine der blutigsten erweisen, die je von amerikanischen Marineinfanteristen geschlagen wurde. Als sie in erbitterte Kämpfe auf der stark befestigten Insel verwickelt wurden, wurde Iwojima zu einer Warnung, wie katastrophal eine Bodeninvasion auf dem japanischen Festland sein würde.

28. Februar

Ach, ich möchte am Meeresstrand sein!

Während einige der blutigsten Schlachten zwischen Amerika und Japan im Pazifik gerade erst begannen, fühlte sich der Sieg in Europa für die Briten so nah an, dass sich The Economist erlaubte, einen Blick auf das Kriegsende zu werfen. Das Leben würde nicht schnell zur Normalität zurückkehren. Die britische Wirtschaft hatte einen schweren Schlag erlitten, sodass die Regierung gezwungen war, einige Rationierungen bis 1954 aufrechtzuerhalten. Doch es war offensichtlich, dass nach dem Ende des Krieges der aufgestaute Wunsch nach Ruhe und Entspannung groß sein würde:

„Niemand glaubt heute, dass die ‚letzte Entwarnung' eine sofortige Rückkehr zum Vorkriegsleben mit seiner Fülle an Annehmlichkeiten einläuten wird. Die Fortsetzung der Rationierung, mit nur allmählicher Lockerung, wird als unvermeidlich akzeptiert. Nichtsdestotrotz wird der Waffenstillstand mit Deutschland eine Welle von Ausgaben freisetzen—wie sehr auch immer offiziell davon abgeraten wird,—die überall dort getätigt werden, wo es keine verhängte Pro-Kopf-Rationierung gibt. Das Kriegsende wird das Korsett sprengen, in das sich das soziale Gewissen in den letzten fünf Jahren hineingezwungen hat. Nur wenige werden zweimal überlegen, ob sie an Treibstoff oder Geld sparen, wenn es darum geht, sich irgendwie zu helfen, Reparaturen durchzuführen oder Reisen zu unternehmen, die per Definition nicht ‚wirklich notwendig' sind."

Es schien nur natürlich, dass die Briten sich nach „dem ersten Urlaub seit den letzten Friedenstagen" sehnen würden. Die Regierung hatte sie lange dazu angehalten, „Urlaub zu Hause" zu verbringen; nun hielt sie sie nicht mehr davon ab, sich außerhalb der eigenen vier Wände zu erholen. „Wiedervereinte Familien, entlassene Soldaten im bezahlten Urlaub, Arbeiter mit mit Anspruch auf bezahlten Urlaub, frisch verheiratete Paare, Familien mit Kindern, die noch nie das Meer gesehen haben, und andere, die auf Urlaub während des Krieges verzichtet haben," waren nur einige der Bevölkerungsgruppen, von denen wir erwarteten, dass sie bald in die britischen Badeorte wie Margate, Brighton und Eastbourne strömen würden.
Kinder würden im Sommer 1945 mit ihren Sandkasteneimern und -spaten an die Strände zurückkehren. In diesem Video vom Juli sieht man immer noch Stacheldraht über dem Geländer einer Strandpromenade.
Video: British Movietone/AP
Aber es war nicht klar, ob die Seebäder dafür gerüstet sein würden. Nach Jahren der Schließung zur Sicherheit der Marine konnte man sich ohne weiteres „endlose Warteschlangen für Mahlzeiten und Betten" vorstellen. Als 1944 einige Badeorte wiedereröffneten, hatten sie sogar Schwierigkeiten, mit kleineren Menschenmengen fertig zu werden:

„Der Bedarf des Gastgewerbes an staatlicher Unterstützung musste dringend gedeckt werden. Die Aufhebung des Reiseverbots in Verteidigungsgebiete im letzten Jahr führte zu einem Besucherstrom in die Ferienorte an der Ost- und Südostküste, auf den diese schlecht vorbereitet waren und den die Eisenbahn nicht bewältigen konnte. In diesem Jahr dürfte die Zahl der Urlauber angesichts der durch die militärische Lage hervorgerufenen Stimmung noch erheblich größer sein. Die Menschen sind jetzt bereit, sich eine gewisse Erholung von den Entbehrungen zu gönnen. Sollte der Waffenstillstand vor der Haupturlaubszeit kommen, wird die Nachfrage nach Urlaubsplätzen noch stärker ansteigen. Aus momentaner Sicht ist eine akute Knappheit an Ferienunterkünften zu erwarten."

Es gab einige Möglichkeiten, wie die Regierung versuchen könnte zu helfen, konstatierte The Economist. Einige hatten die Idee staatlich geführter Ferienlager in Umlauf gebracht—obwohl diese, wie wir anmerkten, „zum Glück wohl eher nicht so beliebt wären". Bessere Optionen wären unserer Meinung nach, wenn die Regierung alte Armeelager und Arbeiterwohnheime für große Gruppen zugänglich machte und Unternehmen, die Urlauber betreuen wollen, Sonderkredite anböte. Nach Jahren der Sorge um die Versorgung des Landes mit Kanonen und Butter muss es eine große Erleichterung gewesen sein, sich nun um die Beschaffung von Eiscreme und Sonnenschirmen kümmern zu müssen.

März

1945

7. März

Ein weiterer Fluss

In Westeuropa hatten die Alliierten einen schwierigen Start ins Jahr erlebt. Nachdem sie in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 durch das von den Nazis besetzte Frankreich vorgerückt waren, gerieten die Amerikaner und Briten ins Stocken. Mitte Dezember hatte der deutsche General Gerd von Rundstedt eine Gegenoffensive in den Ardennen zwischen Luxemburg und Belgien gestartet. Doch im Februar hatten die Alliierten Rundstedt zurückgeschlagen, dessen Truppen der Nachschub ausging; im März drangen sie erneut von Westen in deutsches Gebiet vor.
„Endlich stehen die Alliierten am Rhein, und morgen könnten sie ihn schon überqueren", schrieben wir hoffnungsvoll in unserer Ausgabe vom 10. März. Es galt nur noch einen großen Fluss zu überqueren, bevor sie das deutsche Kernland erreichten:

„In der ersten Märzwoche entbrannten Schlachten an Rhein und Oder, die das letzte Kapitel des europäischen Krieges einläuteten. Die alliierten Armeen im Westen erreichen den Rhein auf einer langen Front von Koblenz bis zur niederländischen Grenze. Rundstedt, hoffnungslos unterlegen, kann nicht einmal die großen Städte am linken Rheinufer als Brückenköpfe für die Wehrmacht halten... Sein eigentliches Ziel kann nur sein, die Errichtung alliierter Brückenköpfe über den Rhein so lange wie möglich zu verzögern. Selbst ein Teilerfolg hierin würde Deutschland keine wirkliche Entlastung bringen."

Im Osten war die Rote Armee unter dem Kommando von Georgi Schukow und Konstantin Rokossowski nordwärts zur polnischen Küste vorgedrungen und hatte die deutschen Kräfte um die Hafenstadt Danzig (heute Gdańsk) eingekesselt. Wie die am Rhein im Westen gesammelten Alliierten stand die Rote Armee nun vor der Aufgabe, den Unterlauf der Oder zu überqueren, die durch Ostdeutschland nordwärts zur Ostsee fließt. Bald würde die Rote Armee einen Angriff auf Stettin (heute Szczecin), eine Stadt an der Flussmündung, starten. „Die nächsten Wochen", so berichteten wir, „werden also mit Sicherheit die letzten beiden großen Schlachten um Flussübergänge im Krieg gegen Deutschland bringen."

Europe, March 15th 1945

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Unterdessen intensivierte Amerika im Pazifik seine Bombenkampagne gegen Japan. Die Amerikaner hatten das japanische Festland bereits seit 1942 bombardiert, verstärkten ihre Kampagne jedoch 1944—zunächst von Luftwaffenstützpunkten auf dem chinesischen Festland aus und später von Saipan, einer Insel, die sie im Sommer Japan entrissen hatten. Die ersten Angriffe richteten sich gegen militärische und industrielle Ziele. Doch nachdem schwierige Wetterbedingungen eine Reihe von Angriffen scheitern ließen, gaben die amerikanischen Generäle diese Strategie auf. Im Januar übernahm Curtis LeMay die Leitung der Operationen und ordnete Brandbombenangriffe auf japanische Großstädte an.
Die meisten Gebäude in japanischen Städten, aus Holz und Papier errichtet, waren den Brandbomben schutzlos ausgeliefert. In der Nacht zum 9. März startete LeMay einen Großangriff auf Tokio. Fast 300 B-29-Bomber warfen weißen Phosphor und Napalm auf die Stadt ab, in der es seit Wochen kaum geregnet hatte. Es entstand ein Feuersturm. Mehr als 100.000 Einwohner kamen ums Leben und rund 40 Quadratkilometer der Stadt wurden verwüstet. Es war der tödlichste Bombenangriff des gesamten Zweiten Weltkriegs. Während die Kämpfe in Europa in die Endphase traten, erreichte der Konflikt im Pazifik seine gewaltsamste Phase.

14. März

Balkankrise

Im März 1945 wurden die Nazis von den Alliierten von Osten und Westen in die Zange genommen. Auch vom Süden her wuchs der Druck. Der Balkan war fast vier Jahre lang unter deutscher Besatzung gewesen. Doch 1944 verschoben sich die Machtverhältnisse. Nachdem die Rote Armee im Sommer westwärts durch die Ukraine gestürmt war, stieß sie nach Süden auf den Balkan vor. Dort vereinigte sie sich mit Widerstandskämpfern unter der Führung von Josip Broz, einem kroatischen Kommunisten, der unter dem Parteinamen „Tito“ bekannt war. Nachdem Anfang 1945 der Großteil der Halbinsel befreit war, traf Tito mit britischen und sowjetischen Offizieren zusammen, um die nächsten Schritte des Feldzugs zu planen. Wie wir am 10. März berichteten:

„Gegen Ende Februar besuchte Feldmarschall Alexander Jugoslawien und konferierte mit General Tolbuchin, dem sowjetischen Oberbefehlshaber auf dem Balkan, und mit Marschall Tito. Vermutlich erörterten sie Mittel und Wege zur vollständigen Befreiung des Balkans. Fast ganz Südosteuropa ist nun befreit, obgleich in Jugoslawien noch vereinzelte deutsche Widerstandsnester existieren. Die Wehrmacht hält jedoch nach wie vor ganz Kroatien sowie das Gebiet zwischen Plattensee und Donau im Nordwesten Ungarns. Diese beiden Bollwerke sichern die Zugänge nach Österreich.“

Die Befreiung des größten Teils Jugoslawiens—des Staates, der einen Großteil des westlichen Balkans umfasste—und ganz Rumäniens eröffnete der Roten Armee einen Weg durch Ungarn nach Österreich. Anfang April begann die Belagerung Wiens. Doch während sich der Krieg dem Ende zuneigte, wurde der Erfolg der Alliierten, die Nazis vom Balkan zu vertreiben, von den politischen, ethnischen und territorialen Konflikten überschattet, die in der Region selbst hochkochten:

„Die politische Lage auf dem Balkan und im Donauraum ist weit weniger zufriedenstellend als die militärische. Unruhe und Spannungen herrschen in der gesamten Region. Die befreiten Völker leiden unter zwei altbekannten Plagen: der Gewalt sozialer und politischer Konflikte und der Heftigkeit unzähliger nationalistischer Fehden. Sowohl die inneren Umwälzungen als auch die nationalen Konflikte sind auf die eine oder andere Weise mit den Beziehungen zwischen den alliierten Großmächten verknüpft. Die altbekannten Balkanprobleme tauchen in einer nur teilweise neuen Form wieder auf und drohen, internationale Schwierigkeiten zu verursachen.“

Die nach dem Rückzug der Nazis gebildeten Regierungen erwiesen sich als instabil. In Rumänien scheiterten König Michaels Bemühungen, eine nichtkommunistische Regierung zusammenzuhalten, im März zum dritten Mal, als Petru Groza, der Führer der linken Pflügerfront, mit russischer Unterstützung eine neue Regierung bildete. (Andrej Wyschinski, ein russischer Diplomat in Bukarest, „dürfte wohl als deren Geburtshelfer gelten“, schrieben wir.) In Jugoslawien rang Tito, der gerade die Unterstützung der Serbischen Demokratischen Partei gewonnen hatte, um die Balance zwischen Kroaten, Slowenen und anderen ethnischen Gruppen. In Griechenland, wo kurz nach der Befreiung ein Bürgerkrieg ausgebrochen war, hatte sich ein Waffenstillstand eingestellt. Doch die tiefen Gräben zwischen Monarchisten, Kommunisten und gemäßigten Republikanern ließen einen dauerhaften Frieden unwahrscheinlich erscheinen.
Auch grenzüberschreitende Konflikte drohten auszubrechen. „Die nationalistischen Strömungen auf dem Balkan spiegeln sich in der langen Liste territorialer Ansprüche wider, die bereits von fast allen Balkanregierungen offiziell angemeldet wurden“, schrieben wir. In Griechenland beobachteten wir zunehmende chauvinistische Demonstrationen für ein „Großgriechenland“, bei denen die Menge skandierte: „Besetzt Bulgarien für 55 Jahre“ und „Sofia! Sofia!“. Gleichzeitig befürchteten viele Griechen, dass die Türkei versuchen könnte, einige der Dodekanes-Inseln vor ihrer Küste zu beanspruchen. Auch Jugoslawien, Bulgarien und Rumänien erwogen eigene Gebietsansprüche.
Die Zunahme interner wie externer Streitigkeiten war besorgniserregend:

„Das Beunruhigende an diesen typischen Balkanturbulenzen ist, dass die lokalen Anführer, Generäle und Oberhäupter offenbar darauf hoffen, mögliche Rivalitäten zwischen den alliierten Großmächten für ihre eigenen Zwecke ausnutzen zu können. Beinahe zwangsläufig ist eine Situation entstanden, in der die Linke im Allgemeinen auf die Unterstützung Russlands setzt, während die Rechte ihre Hoffnungen auf eine Intervention der Westmächte richtet. Vage politische Berechnungen basieren auf den groteskesten Annahmen… Es ist sinnlos zu leugnen, dass die Politik der Großmächte vor Ort solchen Interpretationen manchmal Nahrung gibt.“

Brutale Strafen für Mitglieder kollaborationistischer Regime, kommunistische Verleumdungen westlicher Sympathisanten als „Faschisten“ und die sich abzeichnende Spaltung des Kalten Krieges zwischen pro-russischen Elementen und britischen sowie amerikanischen Vertretern schufen auf dem Balkan eine düstere, von Paranoia geprägte Atmosphäre. „Den lokalen Regierungen, Parteien und Gruppierungen sollte unmissverständlich klargemacht werden, dass ihre Hoffnungen, von der Rivalität der Alliierten zu profitieren, vergeblich sind“, mahnten wir. Obwohl in Griechenland der Bürgerkrieg 1946 erneut aufflammte, blieben die schlimmsten ethnischen Kriege, die wir befürchteten, in den 1940er Jahren aus. Doch obwohl ein Großteil des Balkans hinter den Eisernen Vorhang glitt, wurde die Halbinsel letztendlich durch den Kalten Krieg geteilt.

21. März

Russlands Wiederaufbau

„Es ist nicht leicht“, schrieb The Economist am 24. März, „ein Bild der russischen Wirtschaft im vierten Jahr des Deutsch-Sowjetischen Krieges zu zeichnen.“ Seit Beginn des Unternehmens Barbarossa im Sommer 1941, als die Nationalsozialisten die Sowjetunion überfielen, war der Kreml zu einem verzweifelten Kampf ums Überleben gezwungen. An der Ostfront tobten einige der heftigsten Kämpfe des Zweiten Weltkrieges: Die Sowjetunion verlor mehr Menschen als alle anderen Alliierten zusammen. Nun stand Josef Stalin, der sowjetische Staatschef, vor der gewaltigen Aufgabe, zerstörte Städte und Industrien wiederaufzubauen. Während sowjetische Truppen in Reichweite Berlins kämpften, analysierten wir die Probleme der russischen Wirtschaft und ihre Fähigkeit zur Erholung.
Die westlichen Regionen der Sowjetunion, Schauplatz erbitterter Kämpfe während ihrer Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft, hatten unvorstellbare Zerstörungen erlitten. Wir schrieben:

„Hinter den Frontlinien der Roten Armee erstrecken sich weite Flächen ‚verbrannter Erde‘. Dass die dort angerichtete Zerstörung enormen Ausmaßes ist, steht fest, auch wenn das Ausmaß von Provinz zu Provinz und von Stadt zu Stadt variiert. Eine vorläufige offizielle Schätzung beziffert die Fläche der totalen Zerstörung auf 1.800 Quadratkilometer. Aus Dutzenden von Städten und Gemeinden in der Ukraine und in Weißrussland [Belarus] treffen Berichte ein, wonach das Leben bis in seine Grundfesten erschüttert ist. In vielen Städten blieben von Tausenden Häusern nur wenige Dutzend oder einige Hundert stehen, nachdem die Deutschen vertrieben worden waren.“

Industriezentren in der Ostukraine hatten besonders schwere Verwüstungen erlitten. Ein Drittel der Gebäude in Charkiw war vollständig zerstört; vier Fünftel der verbliebenen Gebäude waren stark reparaturbedürftig. Die Situation in der gesamten Region war ähnlich. „Ein Großteil der Stadt- und Landbevölkerung“, schrieben wir, „ist in quasi-troglodytische Verhältnisse zurückgeworfen worden.“ Höhlen und Lehmhütten waren zu gewöhnlichen Unterkünften geworden. Bergwerke, die von den Nationalsozialisten auf ihrer Flucht geflutet worden waren, standen noch immer unter Wasser; die sowjetischen Behörden hatten nach der Rückeroberung des Gebiets nur 7,5% der Bergwerke im Donbass trockenlegen können.
Der Zustand der Wirtschaft war jedoch innerhalb der Sowjetunion nicht überall gleich. Wir erläuterten:

„Doch die Geschichte der Zerstörung, die sich endlos fortsetzen ließe, erzählt nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte, nicht weniger bemerkenswert, wird durch Berichte über die industrielle Entwicklung und Expansion im Osten Russlands während des Krieges illustriert, die sich aus der Verlagerung von Anlagen aus dem Westen und einer intensiven Kapitalakkumulation vor Ort ergab. Kürzlich veröffentlichte Zahlen und Erklärungen deuten darauf hin, dass das Entwicklungstempo im Osten so hoch war, dass es der russischen Schwerindustrie ermöglichte, ihr Vorkriegsproduktionsniveau wiederzuerlangen und sogar zu übertreffen.“

Die Industrieproduktion im Osten, insbesondere in der Region um das Uralgebirge und in Zentralasien, boomte. Zahlen zur Stahlproduktion—einem wichtigen Produktionsfaktor für Waffen, Transportmittel und landwirtschaftliche Geräte—verdeutlichten das erstaunliche Wachstum der sowjetischen Industrie: 1944 wurde rund 30% mehr hochwertiger Stahl produziert als 1940. Auch die Stromerzeugung boomte. Die Fähigkeit der Sowjetunion, verlorene Kapazitäten in den besetzten Gebieten durch den Ausbau der Industrie im Osten zu kompensieren, trug maßgeblich zu ihrem Sieg über die Nationalsozialisten bei:

„Durch harte Arbeit und beispiellose Opfer ist es Russland gelungen, den Krieg nicht nur militärisch auf den Schlachtfeldern, sondern auch wirtschaftlich in den Fabriken und Bergwerken zu gewinnen. Trotz der immensen Zerstörungen in den westlichen Gebieten kann es nun in seinen neu errichteten Fabriken im Osten die Grundlage für den Wiederaufbau finden.“

Der Wiederaufbau in den befreiten Gebieten der westlichen Sowjetunion würde zu einer leichten Verlangsamung der Produktion im Osten führen. „Schon jetzt“, schrieben wir, „gibt es Anzeichen dafür, dass die Befreiung der westlichen Industriegebiete bereits zu einer gewissen Abschwächung der Kriegsanstrengungen in den östlichen Provinzen geführt hat.“ Doch die Sowjetunion war entschlossen, ihr industrielles Wachstum beizubehalten, unter anderem durch Reparationsforderungen an Deutschland zur Finanzierung des Wiederaufbaus. Stalin war fest entschlossen, die Sowjetunion als Weltmacht zu etablieren. Die Fortsetzung der wirtschaftlichen Expansion aus der Kriegszeit war der Schlüssel zu diesem Ziel.

28. März

Die Schlacht um Deutschland

Ende März rückten die Alliierten unaufhaltsam auf das deutsche Kernland vor. Im Westen harrten ihre Armeen wochenlang am Rhein aus, dem letzten großen Fluss, der sie von den Städten Westdeutschlands trennte. Die Nazis hatten die meisten Brücken über den Fluss auf ihrem Rückzug gesprengt, um den Vormarsch der Alliierten zu verlangsamen. Anfang März überquerten einige kleine Einheiten den Fluss. Dann, in der Nacht zum 23. März, setzten die Alliierten mit Booten und schwimmfähigen Panzern über den Rhein auf einer 20 Kilometer breiten Front. Operation Plünderung hatte begonnen. Innerhalb weniger Tage errichteten die Alliierten Brücken über den Rhein und stießen nach Frankfurt und Münster vor. In unserer Ausgabe vom 31. März schrieben wir:

„Die Rheinüberquerung der Alliierten wird für immer zu den entscheidendsten und zweifellos zu den taktisch brillantesten Schlachten der Geschichte zählen. Artilleriebeschuss, Luftangriffe, Fallschirmlandungen—alles spielte seine präzise getimte Rolle, und die Ingenieure vollbrachten Meisterleistungen, indem sie unter schwerem Feuer Brücken über den breiten und reißenden Fluss schlugen. Entlang des gesamten Rheins, von Wesel bis Straßburg, entstanden in schneller, kaleidoskopischer Folge Brückenköpfe, die in kürzester Zeit zu einer durchgehenden Front verbunden wurden. Jenseits des Rheins erwies sich die deutsche Verteidigung als dünn und brüchig.“

Der alliierte Vormarsch hatte verheerende Folgen für die Deutschen. Mehr als 250.000 Wehrmachtssoldaten gerieten in Gefangenschaft, als die Alliierten über den Rhein vordrangen, berichteten wir. Dies erschwerte es Albert Kesselring, dem Oberbefehlshaber der deutschen Streitkräfte an der Westfront, eine wirksame Verteidigung aufzubauen, ohne sich in Richtung Hauptstadt zurückzuziehen. „Der Ring konzentrischer Verteidigungslinien um Berlin“, schrieben wir, „dürfte das letzte Schlachtfeld sein, das die deutsche Führung wählt. Dort hofft sie womöglich noch, die Götterdämmerung in den Trümmern der Hauptstadt zu verlängern und den Angreifern die Nachteile langer Nachschublinien über feindliches, im Chaos versunkenes Gebiet aufzuzwingen.“

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Angesichts der Roten Armee, die an der Oder im Nordosten Deutschlands aufmarschiert war und im Süden auf das von den Nazis besetzte Wien vorrückte, stand die Wehrmacht jedoch am Rande des Zusammenbruchs. „Der Tag ist nicht mehr fern“, schrieben wir, „an dem die Unterscheidung zwischen Ost- und Westfront ihre Bedeutung verliert.“ In Deutschland schien jede noch verbliebene Ordnung zu zerfallen. Der „Rumpfstaat des Reiches“, der unter Nazi-Kontrolle verblieben war, versank in Panik:

„Die völlige Lähmung des Verkehrs; die spärlichen industriellen Ressourcen Mitteldeutschlands, Österreichs und Westböhmens, die der Wehrmacht noch bleiben; der erbärmliche Zustand der zerbombten Städte; das zunehmende administrative Chaos—all dies kann von den offiziellen Nazi-Propagandisten nicht länger verschwiegen werden. Häufige Bekanntmachungen von Hinrichtungen sogenannter ‚Feiger‘ und Rundfunkaufrufe an Nazi-Organisationen und sogar an Zivilisten, bei der Ergreifung versprengter Soldaten und Deserteure zu helfen, sind untrügliche Zeichen eines rapiden Moralverfalls. Im letzten Krieg war es—der nationalsozialistischen Legende zufolge—die Heimatfront, die der Armee in den Rücken fiel. In diesem Krieg scheint es den Nazis, als hätte die Armee der Heimatfront den Dolch in den Rücken gestoßen.“

Ende März, so schrieben wir, flohen die Vertriebenen aus den von der Roten Armee im Osten befreiten Gebieten nach Mitteldeutschland, nur um dort auf andere zu treffen, die aus den von den Alliierten besetzten Gebieten im Westen evakuiert worden waren. Nazi-Propagandisten versuchten verzweifelt, „die benommene Nation mit einer aggressiven Propagandakampagne über die apokalyptischen Folgen einer Niederlage aufzurütteln“. Selbst als das unausweichliche Ende näher rückte, richteten die Sprachrohre des Regimes einen letzten Appell an den Nationalstolz „an die Ohren der betäubten und geschundenen deutschen Nation“.

April

1945

4. April

Krieg und Frieden

„Die letzte Stunde des Dritten Reichs hat geschlagen", erklärte The Economist am 7. April. Nachdem sich die Alliierten Ende März auf dem östlichen Rheinufer festgesetzt hatten, stießen britische und amerikanische Panzer und Infanterie „in das Herz Deutschlands“ vor. Auch die Rote Armee rückte von Osten her vor. Doch je näher die Niederlage der Nazis rückte, desto deutlicher wurden die Gräben zwischen den Alliierten:

„Die militärischen Aufgaben des Bündnisses sind zumindest in Europa nahezu erfüllt, die friedensstiftenden Aufgaben liegen jedoch größtenteils noch vor ihnen. Sie werden die alliierte Diplomatie mit Sicherheit auf eine härtere Probe stellen als alle Strapazen des Krieges. Der Sieg über den gemeinsamen Feind führt unweigerlich dazu, dass sich das Band der Solidarität, das die Verbündeten im Angesicht der tödlichen Gefahr zusammenhält, lockert. Am Vorabend des Sieges und vor allem am nächsten Tag treten die unterschiedlichen Auffassungen und Interessen wieder zutage.”

Einige Unstimmigkeiten waren bereits offensichtlich. Dazu gehörte die Struktur dessen, was später die Vereinten Nationen werden sollten. Im Jahr 1943 hatten sich die Alliierten darauf geeinigt, eine Nachfolgeorganisation des Völkerbundes zu schaffen. Im Jahr darauf kamen Diplomaten aus Amerika, Großbritannien, China und der Sowjetunion in Dumbarton Oaks, einem Herrenhaus in Washington, zusammen, um Vorschläge für die Organisation zu erarbeiten. Jetzt bereiteten sich Delegierte aus fast 50 alliierten Ländern darauf vor, in San Francisco zusammenzukommen, um ihre Pläne für die neue Liga fertigzustellen.
Die Forderungen der Sowjetunion führten jedoch zu Spannungen mit den USA. Josef Stalin verlangte nicht nur einen Sitz für die Sowjetunion, sondern auch für zwei ihrer Teilrepubliken, die Ukraine und Weißrussland, um mehr Macht in der Versammlung zu erhalten. Stalin wollte auch, dass Polen durch die kommunistische Regierung in Warschau vertreten wird und nicht durch die von den USA und Großbritannien unterstützte Exilregierung. Russlands Einstellung zu den internationalen Beziehungen, so berichteten wir, schien in erster Linie darauf abzuzielen, die eigene Macht zu konsolidieren. Wir schrieben:

„Angesichts dieser und ähnlicher Äußerungen kann es keinen Zweifel an der Zurückhaltung geben, mit der Russland der Weltorganisation beizutreten scheint. In der Tat ist die russische Haltung von einem Anti-Liga-Komplex geprägt, der seinen Ursprung in den Erfahrungen Russlands mit dem alten Völkerbund hat. Moskau hat nicht vergessen, dass Russland der einzige Staat war, gegen den in Genf die demütigendste Sanktion—der Ausschluss aus dem Völkerbund—verhängt wurde, während so viele schamlose Aggressionen mit milder Nachsicht behandelt worden waren. Mit dieser Genfer Demütigung noch frisch im Gedächtnis, zeigt Russland, das jetzt siegreich und begehrt ist, ein übertriebenes Bestreben, sein Prestige in San Francisco zur Geltung zu bringen.”

Die Sowjetunion, die immer noch gekränkt war, da sie wegen ihrer Invasion Finnlands 1939 aus dem Völkerbund geworfen wurde, will sicher sein, dass die neue Organisation sie nicht erneut „auf die Anklagebank setzen“ kann. „Diese Entschlossenheit, jede mögliche Lücke für Angriffe auf Russland zu stopfen“, bemerkten wir, “ist sicherlich kein Zeichen großer moralischer Stärke.“ Aber sie stellte die Alliierten auch vor ein größeres Problem. Wir erklärten:

„Für diejenigen, die die russische Politik verfolgt haben, ist diese Haltung vielleicht eine Enttäuschung, aber keine Überraschung. Jedoch gab es leider eine offizielle Verschwörung, die mehr aus Wunschdenken als aus Täuschungsabsicht geboren wurde, nämlich so zu tun, als ob alle Planungen für eine neue und bessere internationale Organisation reibungslos verlaufen würden. Dies traf besonders auf die Vereinigten Staaten zu. Die Amerikaner, die auf Papier geschriebenen Verfassungen gern magische Eigenschaften zuschreiben, wären auf jeden Fall geneigt gewesen, der formalen Bildung einer neuen internationalen Organisation eine übertriebene Bedeutung zu verleihen. Doch sahen sie sich in jüngster Zeit auch dem Druck einer Kampagne ihres Außenministeriums ausgesetzt, die Vorschläge der Konferenz von Dumbarton Oaks zu realisieren.”

Die Regierung von Franklin Roosevelt hatte die Gründung der neuen Organisation als „die größte Hoffnung auf dauerhaften Frieden und als Erfüllung des größten Teils der amerikanischen Verantwortung gegenüber der Welt“ angepriesen. Nun sah es so aus, als könnten die russischen Forderungen der Gründung einer Nachfolgeorganisation des Völkerbundes im Wege stehen.
Manche, so schrieben wir, hatten gefordert, die Gründungskonferenz in San Francisco zu verschieben. Dies wäre jedoch eine Demütigung für die Regierung Roosevelts gewesen. Die Konferenz, die von Ende April bis Ende Juni dauern sollte, würde schließlich die Vereinten Nationen ins Leben rufen. Und das, obwohl „die russischen und amerikanischen Ansichten darüber, wie der Frieden in der Welt zu sichern ist, radikal unterschiedlich sind“.

11. April

Zwei Präsidenten

Trotz seines schlechten Gesundheitszustand wurde Franklin Roosevelt 1933, zwölf Jahre nachdem Polio ihn von der Hüfte abwärts gelähmt hatte, Präsident von Amerika. Nach seinem Amtsantritt war seine Gesundheit zehn Jahre lang stabil. Doch die Führung der Vereinigten Staaten durch den Krieg forderte ihren Tribut.
Im Februar 1945, auf der Konferenz von Jalta, teilte Roosevelts Arzt seiner Tochter Anna mit, dass sein Gesundheitszustand wie eine „tickende Zeitbombe“ sei. Im März begab er sich nach Warm Springs, seinem Rückzugsort in Georgia, um sich zu erholen. Am 12. April, während er für ein Porträt posierte, brach er zusammen. Er wurde 63 Jahre alt. The Economist berichtete in seiner Ausgabe vom 21. April:

„Keine auch noch so übertriebene Beschreibung des Gefühls von Verlust würde dem gerecht, was die freie Welt bei der plötzlichen Nachricht vom Tod von Präsident Roosevelt empfand. Niemals zuvor wurde weltweit so feierlich um einen Staatsmann eines anderen Landes und selten zuvor um einen unserer eigenen Führer so tief getrauert. Dies war teilweise der Dankbarkeit für einen Menschen geschuldet, der als Helfer in der Not sehr präsent war. Kein Engländer, der diese zwölf furchtbaren Monate zwischen Juni 1940 und Juni 1941 miterlebt hat, wird je vergessen, wie sehr die Hoffnung der Nation auf einen Sieg auf dieser Zuversicht verbreitenden Persönlichkeit im Weißen Haus ruhte und wie sich diese Hoffnung Schritt für Schritt materialisierte.”

Roosevelts Tod rief die gleichen Gefühle der Trauer hervor wie der Tod von Königin Victoria im Jahr 1901. „Auch wenn Herr Roosevelt nicht 63 Jahre im Weißen Haus war“, schrieben wir, „fällt es trotzdem sehr schwer, sich an die Zeit von Präsident Hoover zu erinnern.“
Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hatte Roosevelt eine Sondersitzung des Kongresses einberufen, um Waffen an Großbritannien und Frankreich zu liefern. Dann, im Jahr 1941, setzte er gegen den Widerstand der Anhänger des Isolationismus den sogenannten Lend-Lease Act (das Leih-und Pachtgesetz) durch, ein militärisches Hilfsprogramm. „Mit ihm ist einer der wenigen Sicherheitsgaranten in einer unsicheren Welt von uns gegangen“. Als „Meisterpilot“ war Roosevelt ein Experte darin, Amerika durch Krisen zu führen:

„Es war kein Zufall, dass er sein Amt genau an dem Tag antrat, an dem die Banken schlossen, oder dass er der Nation im Angesicht der Weltwirtschaftskrise deutlich vor Augen führte, wozu sie verpflichtet ist. Freunde der Familie Roosevelt erzählen, dass er in den frühen 1920er Jahren, als er bei seiner Kandidatur für das Amt des Vizepräsidenten zunächst eine schmachvolle Niederlage erlitt und dann an Kinderlähmung erkrankte, nichts weiter vor ihm zu liegen schien als das Leben eines invaliden Herren auf dem Lande. Doch schon damals prophezeite er aus seinem Rollstuhl heraus, dass eine weitere große Krise auf Amerika und die Welt zukommen würde, eine Krise, die nur durch einen starken Präsidenten mit einer entschlossenen liberalen Politik überwunden werden könne, und dass er, der Krüppel Franklin Roosevelt, dieser Mann sein würde.”

Roosevelts Tod bedeutete, dass das Amt des Präsidenten an Harry Truman übergehen würde, den Roosevelt bei den Wahlen von 1944 zu seinem Vizekandidaten bestimmt hatte. Truman war weniger als 90 Tage lang Vizepräsident. Zweieinhalb Stunden nach Roosevelts Tod wurde er im Oval Office als Präsident vereidigt. „Jungs“, sagte er zu einer Schar von Reportern, nachdem er Präsident geworden war, „solltet ihr jemals beten, dann betet jetzt für mich.“ Der ehemalige Senator aus Missouri war außerhalb der Vereinigten Staaten kaum bekannt:

„Die Augen der Welt sind nun auf Präsident Truman gerichtet. Durch einen jener außergewöhnlichen Zufälle, die nur in Amerika passieren können, folgt auf den bekanntesten Mann der Welt einer der unbekanntesten Männer der Welt. Obwohl man sagt, dass nur ein einziger Herzschlag jeden Vizepräsidenten von dem größten Amt der Welt trennt, spielen seine Qualifikationen für dieses Amt kaum oder gar keine Rolle, wenn es um seine Aufstellung durch den Nominierungsparteitag geht. Vizepräsidenten werden als politische Nothelfer gewählt, um ein paar Stimmen zu sammeln oder (häufiger) um sie nicht zu verlieren. Sie sind fast immer unbedeutende Persönlichkeiten, wenn sie plötzlich ins Rampenlicht treten.”

Befürchtungen in Bezug auf die Übernahme der Präsidentschaft durch Truman waren eher ein Ausdruck der Sorge um die Stabilität und Stärke, die Roosevelt vermittelt hatte, als dass sie mit der Eignung des neuen Präsidenten für dieses Amt zu tun gehabt hätten. Ein beruhigendes Zeichen war, dass James Byrnes, der unter Roosevelt für die Kriegsmobilisierung zuständig war, weiterhin eine zentrale Rolle in der amerikanischen Außenpolitik spielen würde. (Truman sollte ihn im Juli zum Außenminister ernennen.) Von Truman, so schrieben wir, könne man erwarten, dass er „ein guter, durchschnittlicher Präsident“ sein würde. Nach den zwölf Jahren, in denen Roosevelt Amerika und seine Rolle in der Welt neu gestaltet hatte, war dieser Übergang jedoch ein Schock.

18. April

Russland und Japan

Während das Ende des Krieges in Europa näher rückt, verschieben sich die Positionen der Großmächte im pazifischen Raum. Die Sowjetunion kämpfte zwar an der Seite der Alliierten gegen die Nazis in Europa, hielt sich aber mit einer Beteiligung am Krieg gegen Japan zurück. Der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow hatte im April 1941 einen Neutralitätspakt mit Japan ausgehandelt. Das Abkommen verhinderte einen Krieg zwischen den beiden Ländern, selbst nachdem Deutschland, Japans Verbündeter, etwas später im selben Jahr in die Sowjetunion einmarschierte.
Da Deutschland jedoch so gut wie besiegt war, hatte die Sowjetunion im Fernen Osten bald freie Hand. Am 5. April 1945 verhöhnte Molotow den Pakt aufgrund der japanischen Unterstützung für die Nazis und schien anzudeuten, dass sich Russland nicht länger zur Neutralität verpflichtet fühlte. „Russland“, schrieb The Economist am 14. April, „erwacht aus seiner selbst auferlegten Passivität im Fernen Osten und übernimmt eine aktivere Rolle“. Die Strategie der Sowjetunion würde sich danach richten, was sie bei einem Zusammenschluss mit den Alliierten im Pazifik zu gewinnen hätte:

„Welche praktischen Erwägungen offenbarten sich? Im Allgemeinen ist der Krieg—wie der Frieden—unteilbar. Die Bindungen, die sich für Russland aus der Allianz mit den Vereinigten Staaten und Großbritannien entwickelten, sind zu vielfältig und vielseitig, als dass es weiterhin neutral bleiben könnte. Es ist kaum vorstellbar, dass ‚Die Großen Drei‘ gemeinsam eine europäische Nachkriegsordnung gestalten, ihr Bündnis aber an den Grenzen Asiens aufgeben würden...es läge nicht im Interesse Russlands, eine so sonderbare Aufteilung der Einflussgebiete zuzulassen und auf die Vorteile zu verzichten, die es von dieser Allianz auf dem pazifischen Kriegsschauplatz erwarten dürfte.”

Die Position der Sowjetunion in Ostasien war in den Jahren, bevor sie von Deutschland überfallen wurde, „fast zur Bedeutungslosigkeit reduziert“ worden. Aber der russische Wunsch nach Macht im Pazifik saß tief. Mehr als ein Jahrhundert lang, bevor die Kommunisten 1917 die Macht ergriffen, hatten die Zaren nach Einfluss in der Region gestrebt. Der sowjetische Führer Josef Stalin hegte ähnliche Ambitionen. „Marschall Stalin“, so schrieben wir, „wird seinen Wunsch, den Einfluss und die Stellung, die die Zaren im Fernen Osten verloren hatten, für Russland zurückzugewinnen, dort sehr wahrscheinlich mit demselben Nachdruck und derselben Entschlossenheit durchsetzen wie in Europa.“

South Pacific, April 15th 1945

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Source: United States government

Russland, das 1905 einen Krieg gegen Japan verloren hatte, stand kurz davor, ein Gebiet von seinem alten Feind zurückzugewinnen (siehe Karte). Die südliche Hälfte von Sachalin, die im selben Jahr durch den Vertrag von Portsmouth aufgeteilt wurde, war ein potenzieller Preis; eine Eisenbahnverbindung zwischen Wladiwostok und Sibirien, die 1935 an Japan verkauft worden war, ein weiterer. Doch die Kriegspolitik in Asien war kompliziert. Während sich die Alliierten zusammenschließen konnten, um Japan zu besiegen, drohte der lange Kampf in den Teilen Chinas und Koreas, die noch von Japan kontrolliert wurden, die Beziehungen zwischen den „Großen Drei“ zu belasten:

„Es liegt offensichtlich im Interesse der Alliierten, den Pazifikkrieg schnell zu beenden. Das deutsche Beispiel zeigt, dass ein Harakiri des Gegners die Sache für die siegreichen Alliierten nicht einfacher, sondern schwieriger macht, denn es hinterlässt wirtschaftliches Chaos und soziale Verunsicherung und damit eine sehr brüchige Grundlage für jede Friedensregelung. Ein japanischer Kampf bis zum bitteren Ende, ohne dass eine Zentralregierung zur Kapitulation bereit wäre, könnte durchaus bedeuten, dass der Krieg auch nach der Eroberung der Inseln in der Mandschurei, in Korea und in China weitergehen würde. Dies wiederum könnte zu schwerwiegenden politischen Problemen in China führen, wo die Russen mit der kommunistischen Administration in Yan’an zusammenarbeiten, und die Amerikaner und wahrscheinlich auch die Briten das Regime in Chungking unterstützen würden. Eine gefährliche Rivalität zwischen den Alliierten, für die es in Europa bereits einige Beispiele gegeben hat, könnte sich auch in Asien entwickeln.”

Wenn sich die Alliierten wegen China—wo die Nationalisten von Chiang Kai-shek (mit Sitz in Chongqing, damals Chungking genannt) einen brüchigen Waffenstillstand mit den Kommunisten von Mao Zedong geschlossen hatten, um Japan zu bekämpfen—ernsthaft miteinander überwerfen würden, würde dies „die Friedensregelung in Europa überschatten“. Und Japan schien wenig Ambition für eine Bereitschaft zur Kapitulation zu zeigen. Für die kaiserliche Regierung dürfte der Verlust von Okinawa, auf dem die Amerikaner im April gelandet waren, „nicht schlimmer aussehen als die Besetzung der Kanalinseln für die Briten im Jahr 1940“. Die Kämpfe im Pazifik schienen nicht abzuflauen. Die Sowjets hatten viel Zeit, um ihren Einmarsch im Fernen Osten zu planen.

25. April

Das Ende der Verbrecher

Am 20. April wird Berlin belagert. Nachdem Wien eine Woche zuvor an die Rote Armee gefallen war, konnten sich die sowjetischen Generäle auf die deutsche Hauptstadt konzentrieren. Kampfflugzeuge verwüsteten die Stadt, während 1,5 Millionen Soldaten durch ihre Trümmer stürmten. Die Artillerie der Roten Armee feuerte während des Angriffs fast zwei Millionen Granaten ab. Am 2. Mai kapitulierten die letzten deutschen Truppen in Berlin.
Damit war das Ende der Nazis und ihrer Verbündeten in Europa besiegelt. Benito Mussolini war 1943 nach seiner Absetzung durch den König mit der Leitung eines Nazi-Marionettenstaates in Norditalien betraut worden. Im April 1945 wurde das Gut des entmachteten Diktators von den Alliierten gestürmt; am 28. April wurde er von Partisanen getötet. Zwei Tage später erschoss sich Adolf Hitler in seinem Bunker in Berlin. Als sich der Staub über der Stadt gelegt hatte, machten Gerüchte über sein Ableben die Runde. Eines war sicher: Das Nazi-Regime war zwölf Jahre nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler am Ende. Am 5. Mai schrieb The Economist:

„Mussolini ist tot. Hitler ist es nach allgemeiner Auffassung ebenso, auch wenn der Welt kein spektakulärer Beweis für seinen Tod erbracht werden konnte, indem man seinen Leichnam von Fußtritten begleitet auf offener Straße präsentiert hätte. Ob er sich wirklich der Justiz entzogen oder nur versucht hat, ihr zu entkommen, ob er den Tod eines Soldaten oder den eines Verrückten erlitten hat, ob er eines natürlichen Todes oder durch Selbstmord gestorben ist oder von einem anderen Mitglied seiner Clique erschossen wurde—all das sind Fragen, für die es noch einige Tage lang keine Antworten geben wird.”

Einige Gerüchte kursierten um Admiral Karl Dönitz, der Hitler „als zweiter und letzter Führer des Deutschen Reiches“ folgte: „Wurde er tatsächlich von Hitler ernannt oder hat er die armseligen Reste der Macht an sich gerissen?“ Und was hat er geplant? Ein Kampf bis zum bitteren Ende in Norwegen, einem der letzten noch von den Nazis besetzten Gebieten Europas, oder der Einsatz der deutschen Marine wären wahnsinnig gewesen. „Das Dritte Reich ist tot“, schrieben wir. „Der Krieg endete mit einem unbeschreiblich schmutzigen Wirrwarr von Blut und Verrat.“
Nachdem Berlin gefallen war, dachten wir über die Endphase des Krieges in Europa nach. Der deutsche Gegenangriff mit der Ardennenoffensive im Dezember 1944 hatte dazu geführt, dass es bis zur endgültigen Niederlage der Nazis länger dauerte als die Alliierten im Jahr zuvor gehofft hatten:

„Das langsame, asymptotische Herannahen des Kriegsendes in diesen letzten Monaten, das zwar immer näher kam, aber nie ganz erreicht wurde, wird die Stunde des wohlverdienten Sieges, wenn sie kommt, zum Gegenteil eines Höhepunktes machen. Es wird kein großer Höhepunkt wie der 11. November 1918 sein, sondern lediglich die Überwindung einer weiteren und der Beginn einer neuen Etappe in einer Weltkrise, die seit dreißig Jahren tobt und noch viele Stürme vor sich hat. Der Augenblick des Jubels wird kurz sein, und der Jubel selbst wird durch das Wissen um die Anstrengungen und Opfer, die noch vor uns liegen, eher verhalten ausfallen. Trotzdem wird es einen Moment der Anerkennung geben, auch wenn das Urteil letztendlich der Geschichte überlassen bleibt, für die Stunde der Kapitulationen, der Freiheit und des Sieges.”

Josef Stalin, der sowjetische Führer, würdigte den Erfolg der Alliierten entsprechend. Wir berichteten: „Russland habe Blut gegeben, sagte er, Amerika materiellen Reichtum, während Großbritannien Zeit beigesteuert habe.” Die erfolgreiche britische Gegenwehr, zu einer Zeit, zu der ein Großteil des übrigen Europas besetzt war, gab alliierten Ländern wie Frankreich die Möglichkeit, eine Basis für ihre Exilregierungen zu errichten—und war schließlich der Ausgangspunkt für die Landung am D-Day. Durch die Widerstandskraft Großbritanniens und die Niederlage der Nazis wurde die Demokratie in Europa verteidigt:

„Der Krieg wurde sowohl militärisch klug als auch mutig geführt. So wie das erbärmliche Ende der Verbrecher, die wie Ratten in einer Falle gefangen saßen, eine der größten Rechtfertigungen der Moral in der Geschichte ist, so ist in politischer Hinsicht das Ende des Krieges ein unwiderlegbarer Beweis für die Werte der Freiheit. Wieder einmal hat sich gezeigt, auf welche immense moralische und materielle Ressourcen eine freie, tolerante und ehrliche Gesellschaft zurückgreifen kann. Das britische Volk hat in diesem Krieg länger als die meisten anderen gekämpft, kontinuierlicher als alle anderen und härter als viele andere. Das britische Volk hat den Krieg auf dem Schlachtfeld, zu Hause, zur See und in der Luft mit technischem Geschick und körperlichem Mut und großartigen menschlichen Eigenschaften wie Phantasie geführt. Auch wenn Adolf Hitler sie militärische Schwachköpfe nannte; haben die britischen Soldaten gerade deshalb wieder einmal hervorragend gekämpft.”

Das Ausmaß der Verwüstung in Europa bedeutete, dass die Alliierten nach Beendigung der Kämpfe vor der gewaltigen Aufgabe des Wiederaufbaus standen. Währenddessen kämpften in Osteuropa noch immer antikommunistische Partisanen gegen die Rote Armee, mit deren Hilfe die Sowjetunion ihre Kontrolle in der Region ausbaute. Trotz allem war der Zusammenbruch des Naziregimes ein Grund zur Freude. Abgesehen von den Formalitäten der Kapitulation war der Krieg gegen Deutschland beendet.

Mai

1945

2. Mai

Historische Opfer

„So the end has come“, schrieb The Economist in seiner Ausgabe vom 12. Mai. Anfang der Woche waren die Kämpfe zwischen den Alliierten und Nazi-Deutschland endgültig beendet. Nachdem die Rote Armee Berlin eingenommen hatte, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Karl Dönitz, der Nachfolger Adolf Hitlers, und Lutz Graf Schwerin von Krosigk, der Reichskanzler, die formelle Kapitulation Deutschlands verkündeten. Am frühen Montagmorgen des 7. Mai, beauftragten sie General Alfred Jodl, die formelle Urkunde im Hauptquartier der Alliierten in Frankreich zu unterzeichnen. Am nächsten Tag, dem 8. Mai, war der Victory in Europe (VE) Day, der Tag des Sieges in Europa:

„Am Dienstag wurde der Beschuss eingestellt. Europa befand sich nicht mehr im Krieg, auch wenn es noch weit vom Frieden entfernt war. Deutschland ist vollständig besetzt. Abgesehen von der Pseudo-Regierung Dönitz-Krosigk gibt es keine deutsche Regierung mehr. Das deutsche Volk ist, um es mit den verzweifelten Worten General Jodls zu sagen, auf Gedeih und Verderb in die Hände der Sieger gefallen. Mitten in Europa, wo noch vor kurzem die mächtigste und ausgetüftelste Kriegstyrannei wütete, die die Welt je gesehen hat, herrscht jetzt nichts als eine Leere der Trauer und des Schweigens.“

Der Blutzoll des Krieges war immens. Etwa eine halbe Million Briten waren gestorben—immerhin weniger als im Ersten Weltkrieg. Andere alliierte Mächte hatten mehr Opfer zu beklagen: Etwa 24 Millionen Sowjetbürger starben in Folge der Kämpfe. Aber „ein Menschenleben ist nicht statistisch zu verrechnen, und von allen Kriegswunden ist ein leeres Herz die einzige Wunde, die die Zeit nicht heilt“. Außer den Toten sollte es unzählige andere Menschen geben, die verwundet und traumatisiert nach Hause zurückkehrten. Das Ende der Kampfhandlungen wurde daher von gemischten Gefühlen begleitet:

„Es sind Tage der großen Emotionen. An erster Stelle steht natürlich die Dankbarkeit, dass der lange Leidensweg zumindest für die halbe Welt zu Ende ist und dass die Sünden wie Blindheit, Trägheit und Selbstgefälligkeit, die den Angreifer ermutigt haben—Sünden, vor denen niemand gefeit ist,—endlich abgelegt wurden. Es ist aber auch richtig, dass es eine kurze Pause des Jubels gab.“

Die Siegesfreude wurde jedoch durch zwei Tatsachen gedämpft. Erstens tobte noch immer der Krieg im Pazifik. Zweitens wurde Europa schnell unter den Alliierten, die es von den Nazis befreit hatten, aufgeteilt. „Es ist tragisch“, schrieb The Economist, „dass der Sieg—die Krönung der gemeinsamen militärischen Anstrengungen der drei Großmächte—von der schwersten politischen Meinungsverschiedenheit, die es je zwischen ihnen gegeben hat, überschattet wird.“
Winston Churchill, der Großbritannien seit 1940 führte, verkündete die Niederlage von Nazi Deutschland.
Die jüngsten Spannungen waren durch die Nachricht ausgelöst worden, dass 15 Führer des polnischen Untergrundwiderstands von der Sowjetunion verhaftet worden waren und in Moskau auf ihren Prozess warteten. Dieser Vorfall war ein Vorgeschmack auf den sich anbahnenden Kalten Krieg zwischen den Sowjets und dem Westen. Angesichts dieser Ungewissheit über die Zukunft des Kontinents würde der Frieden nur teilweise eine Entspannung bringen:

„Die Zeit des physischen Mutes und der physischen Opfer neigte sich ihrem Ende zu. Jetzt sind Zivilcourage und eine mentale Opferbereitschaft gefragt, um die so teuer erkaufte Chance des Neuanfangs zu nutzen. Das Beherrschen der stillen Tugenden ist nicht minder schwierig, vor allem für ein so großzügiges, tolerantes und gelassenes Volk, das langsam im Zorn und in der Vorausschau ist, aber schnell im Vergeben und Vergessen. Wenn jedoch die Schaffung des Friedens mit der gleichen hehren Mischung aus Einigkeit in Freiheit und Verantwortungsbewusstsein angegangen wird, die das britische Volk so siegreich durch die Gefahren dieser furchtbaren Jahre gebracht hat, dann wird es nichts geben, das nicht erreicht werden könnte.“

Mit seiner Rede am Tag des Sieges in Europa hatte Winston Churchill eine ähnliche Stimmung erzeugt. Der britische Premierminister erinnerte an die Aufgabe des „Wiederaufbaus von Heim und Herd“ und blickte auf das Ende des Krieges in Asien, wo Japan immer noch Teile des britischen Weltreichs, darunter Malaysia und Singapur, besetzt hielt. Die Kämpfe in Europa waren zwar beendet, aber das Ende des Zweiten Weltkriegs war noch Monate entfernt.

31st May 1945: US Marines of the 1st Division wait on the crest of a hill in southern Okinawa, as they watch phosphorous shells explode over Japanese soldiers dug into the hills.

9. Mai

Der andere Krieg

Nachdem die Nazis am 7. Mai kapituliert hatten, wurden die Kämpfe in den meisten Teilen Europas eingestellt. Doch die Siegesfeiern der Alliierten wurden durch die Fortsetzung des Krieges in Asien getrübt. „Bei all dem Jubel über das Ende des Krieges in Europa,“ schrieb The Economist am 12. Mai, „sollte man nicht vergessen, dass der Krieg für Tausende von Kämpfern und ihre Familien noch nicht vorbei ist, sondern weitergeht, genauso erbittert und mit allen Härten, die dieser Krieg mit sich bringt wie Trennung, fern der Heimat sein, unterschiedliche klimatische Bedingungen und den Widerstand des Feindes.“
In Asien kämpften die Alliierten darum, die Japaner aus den Gebieten zu vertreiben, die sie während des Krieges besetzt hatten. In Myanmar (damals Birma), seit dem späten 19. Jahrhundert eine britische Kolonie, waren die Alliierten an vorderster Front. Die britischen Truppen hatten Mandalay am Irrawaddy Fluss im März von den Japanern erobert. Am 3. Mai erlangten sie die Kontrolle über die Hauptstadt Yangon (damals Rangun) zurück.
Doch andernorts steckten die Alliierten in der Klemme. Auf Okinawa, einer Insel nur 640km südlich des japanischen Festlandes, kämpften die amerikanischen Soldaten bereits seit über einem Monat. Seitdem wurde die Schlacht „außerordentlich erbittert“ geführt: „Die nördliche Hälfte der Insel ist besetzt, aber der südliche Teil hat sich bisher als uneinnehmbar erwiesen.“
Wenn die Kämpfe auf Okinawa ein Vorgeschmack auf das waren, was ein Kampf auf dem japanischen Festland bedeuten würde, dann war klar, dass „harte, schwierige und langwierige Kämpfe bevorstanden“. Die Rückeroberung verlorener Kolonien war im Vergleich dazu einfacher, als das japanische Regime zur Kapitulation zu zwingen.

„...die Wurzeln und Ursachen für die japanische Aggression liegen im japanischen Heimatland. Die Rückeroberung von British Malaya und Niederländisch-Indien ist zwar ein erreichtes Ziel, das jedoch nicht direkt zur unmittelbaren Niederlage Japans beiträgt. Die Gefechte im inneren Ring der japanischen Verteidigungsanlagen haben sich bisher nicht als so entscheidend erwiesen wie die Kämpfe in der Ferne. Die Auswirkungen heftiger Luftangriffe sind immer schwer zu beurteilen, und niemand kann genau sagen, welchen Beitrag sie leisten bei der Zerstörung der feindlichen Kriegsindustrie und der Moral der Zivilbevölkerung. Dennoch kamen die Luftangriffe auf das japanische Festland bereits einer Großoffensive gleich.“

Die Alliierten hatten Tokio und die anderen großen japanischen Städte wochenlang bombardiert. Auch die Schwerindustrie und die Häfen waren von Bomben getroffen worden. Da nicht mehr für Europa benötigte britische Bomber für den Pazifikfeldzug eingesetzt werden konnten, sollten die Luftangriffe der Alliierten bald an Häufigkeit und Intensität zunehmen. Die Entscheidung, den japanischen Soldaten zu befehlen, ihre Waffen niederzulegen, lag jedoch letztlich bei der Führung des Landes. Die Lage schien sich gegen sie gewendet zu haben:

„In vielerlei Hinsicht könnten die politischen Aussichten kaum düsterer sein. Japan ist von seinem einzigen Verbündeten im Stich gelassen worden. In der Empörung der japanischen Presse über diese Abtrünnigkeit spiegelt sich ihr Unbehagen. Der Untergang Deutschlands ist eine eindrucksvolle Warnung für jede Nation, die bis zehn Minuten nach zwölf kämpfen will. Außerdem macht das Ende des europäischen Krieges den Weg frei für die Russen, die sich nun mit politischen und militärischen Aktionen im Fernen Osten einmischen könnten. Als erstes kündigten sie den sowjetisch-japanischen Neutralitätspakt auf. Ist der nächste Schritt ein offener oder ein nicht erklärter Krieg? Wenn ja, könnte Japan, das von Feinden umgeben ist, es nicht vorziehen, in der Hoffnung auf bessere Konditionen durch eine Verkürzung des Krieges eine Kapitulation anzubieten?“

Die japanische Führung machte jedoch keine Anstalten in Richtung Kapitulation. Obwohl die Sowjetunion ihren Neutralitätspakt mit Japan aufgekündigt hatte, war sie noch nicht in den Krieg gegen ihren Rivalen im Fernen Osten eingetreten. Das gab Japan die Hoffnung, dass es einen Kampf gegen die drei alliierten Hauptmächte vermeiden und sich stattdessen „durch Manöver und Verhandlungen Zugeständnisse verschaffen“ könnte. Vielleicht glaubte die japanische Führung, dass die Uneinigkeit unter den Alliierten, die bereits den neuen Frieden in Europa zu untergraben drohte, in Asien zu ihrem Vorteil sein würde.

9th July 1945: Women in post-war Berlin, East Germany, form a 'chain gang' to pass pails of rubble to a rubble dump, to clear bombed areas in the Russian sector of the city. (Photo by Fred Ramage/Keystone/Getty Images)

16. Mai

Neue Prioritäten für Europa

Als sich in den Wochen nach dem 8. Mai, dem Tag des Sieges, der Staub in Europa legte, wurde das ganze Ausmaß der Auswirkungen des Krieges immer deutlicher. „Berichte über den materiellen Zustand Europas sind verworren und unvollständig,” schrieb The Economist am 19. Mai, „aber es gibt genügend Beweise, die zeigen, dass das Chaos entsetzlich ist und sich noch verschlimmern wird.“
Die durch die Kampfhandlungen angerichteten Verwüstungen waren auf dem ganzen Kontinent unterschiedlich. Länder wie Frankreich und Belgien waren „relativ unversehrt“. An den meisten Orten schien sich die Lage jedoch zu verschlechtern. Rohstoffengpässe, insbesondere bei Kohle, waren an der Tagesordnung; die Transportwege waren zerstört. Deutschland, wo während des Vormarsches der Alliierten ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht worden waren, stellte ein besonderes Problem dar—nicht zuletzt, weil viele der Arbeiter des Landes in Kriegsgefangenschaft waren.

„All dies ist bekannt. Es ist auch schwierig, das Ausmaß des Problems zu begreifen, so sehr sind wir an Ruinen und Verwüstungen gewöhnt. Und doch ist es eine große Herausforderung. Die Wiederherstellung eines funktionierenden Systems in diesen von Schlachten verwüsteten und von Jahren der Hitler’schen Kriegswirtschaft verzerrten Ländern ist eine gewaltigere Aufgabe als die Kriegsführung selbst. Nicht nur ist das Problem an sich komplexer, es fehlt auch an den Mitteln, um es angemessen zu bewältigen.“

Wer würde für den Wiederaufbau Europas verantwortlich sein? Das Oberste Hauptquartier der Alliierten Expeditionsstreitkräfte, die ranghöchste alliierte Instanz, war für die Streitkräfte, die Transportnetze und die Kriegsgefangenen zuständig. Bald jedoch würde ein Flickenteppich aus militärischen und zivilen Gruppen—einschließlich Militärregierungen—die Führung übernehmen. Andere Gruppen erhielten enger gefasste Zuständigkeitsbereiche: Die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), eine 1943 gegründete Hilfsorganisation, sollte sich beispielsweise um Flüchtlinge kümmern. Der Übergang würde beschwerlich werden:

„Die Schwierigkeit, die bisherige Militärverwaltung an die Bedürfnisse Europas anzupassen, liegt darin, dass sie bisher von der ersten Planung bis zur letzten Ausführung eine klare Aufgabe mit einem sehr einfachen Ziel hatte, nämlich den Krieg zu gewinnen. Dementsprechend waren die Prioritäten einfach: Die militärischen Erfordernisse standen an erster Stelle. Und das wiederum hat die Verwaltung vereinfacht. Jetzt ist das Ziel sehr komplex: der Wiederaufbau eines zerrütteten Kontinents. Dementsprechend komplex sind die Prioritäten. Bei aller Komplexität müssen aber grundlegende Entscheidungen getroffen werden, was den militärischen Behörden natürlich sehr schwerfallen wird, denn nun müssen die zivilen und nicht die militärischen Bedürfnisse an erster Stelle stehen.“

Die Rolle des Militärs bei der Verwaltung des Kontinents führte zwangsläufig zu Ineffizienzen. Vertriebene Bauern wieder auf ihre Felder zu bringen, so argumentierte The Economist, sei für Europas Wirtschaft eine dringendere Priorität, als Soldaten schnellstmöglich nach Großbritannien und Amerika zurückzubringen. Die alliierten Militärbehörden schienen jedoch Letzteres zu bevorzugen.
Diese Umstände machten die Schaffung robuster ziviler Behörden in Europa zu einer dringenden Aufgabe. „Die Verteilung der sehr knappen Vorräte auf stark konkurrierende Bedürfnisse wird sich mit nahendem Winter eher verschlimmern als verbessern,” schrieb The Economist, „aber die Existenz einer Instanz, an die sich Regierungen, zivile Behörden wie die UNRRA und das Militär wenden könnten—wobei keine von ihnen in eigener Sache urteilen würde—böte eine gewisse Garantie dafür, dass sich die richtigen Prioritäten herauskristallisieren und der Wiederaufbau zumindest mit einem Teil des Elans und der Effizienz vorangetrieben würde, die bisher dem Krieg gewidmet waren.” Der Wiederaufbau des zerstörten Kontinents würde nicht nur eine starke Verwaltung erfordern, sondern auch eine, die dieselben Prioritäten verfolgt wie die Menschen, die sie regiert.

Admiral Karl Doenitz surrender and in custody along with Albert Speer May 1945, Germany's unconditional surrender to the allies. As Supreme Commander of the Navy beginning in 1943, Nazi Karl Doenitz played a major role in the naval history of World War II. He was briefly the last Fuhrer of the Third Reich, jailed for 10 years at the Nuremberg Trials and released in 1956

23. Mai

Kriegsverbrechen

Nach dem Ende des Krieges in Europa war es dringend geboten, die deutschen Soldaten für ihre Gräueltaten zur Rechenschaft zu ziehen und auf dem gesamten Kontinent wieder eine moralische Ordnung herzustellen. Die Alliierten hatten schon seit einiger Zeit mit sich darum gerungen was zu tun sei und gründeten im Oktober 1943 die Kriegsverbrechen-Kommission der Vereinten Nationen (UNWCC). Die Sowjets nahmen nicht daran teil, waren aber nicht weniger besorgt. Sie führten im Dezember 1943 in Charkiw den ersten öffentlichen Prozess gegen deutsche Kriegsverbrecher. Alle vier Angeklagten wurden gehängt.
Amerika, Großbritannien und die Sowjetunion hatten unterschiedliche Vorstellungen davon, was mit den Nazi-Kriegsverbrechern geschehen sollte. Die Amerikaner wollten sie unbedingt vor Gericht stellen, um sicherzustellen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde und dies auch so wahrgenommen wurde. Die Russen, die sich der Schuldigen bereits sicher waren, zogen Schauprozesse vor. Viele Mitglieder der britischen Elite befürworteten eine Hinrichtung im Schnellverfahren. Der britische Premierminister Winston Churchill schlug seinem Kabinett sogar vor, „Weltverbrecher“ nach ihrer Gefangennahme „innerhalb von sechs Stunden und ohne weitere Rücksprache mit einer höheren Instanz zu erschießen“.
Im Mai 1945 berichtete The Economist, dass die UNWCC sich darauf geeinigt hatte, dass „Straffreiheit für Straftäter, die gegen jede Regel des menschlichen Anstands verstoßen, eine katastrophale Auswirkung auf die internationale Moral hätte“, und dass sie deshalb Strafprozesse abhalten würde, um „neue Standards für internationales Verhalten zu setzen“. Von der Sowjetunion wurde erwartet, dass sie das Gleiche täte.

„Ihr Ziel ist es, neue Standards für internationales Verhalten zu setzen. Die Fälle sollen auf der Grundlage von Beweisen verhandelt werden. Nur die Schuldigen werden bestraft. Es wird keine wahllosen Repressalien geben. Bestraft werden Verbrechen, nicht politisches Vergehen. Die Annahme, die der ganzen unangenehmen Aufgabe zugrunde liegt, ist, dass Straffreiheit für Straftäter, die gegen jede Regel des menschlichen Anstands verstoßen, eine katastrophale Auswirkung auf die internationale Moral haben würde.“

Wenn die Prozesse erfolgreich sein sollten, so argumentierten wir, müssten sie schnell und nach gemeinsamen Standards durchgeführt werden. Einige Straftaten ließen sich leicht verfolgen: Das Völkerrecht kennt zahlreiche Präzedenzfälle für Soldaten, die gegen die Kriegsvölkerrechtsregeln verstoßen haben, ebenso für Verräter. Aber es gab im internationalen Recht keine Präzedenzfälle für die Verfolgung von Soldaten wegen Gräueltaten, die sie an ihren Landsleuten begangen hatten, einschließlich deutscher Juden, Roma und Homosexueller. Auch zivile Vorgesetzte waren nicht wirklich für die Taten ihrer Untergebenen zur Verantwortung gezogen worden.

„Die kompliziertere Tätergruppe ist diejenige, die Verbrechen gegen Deutsche, gegen mehrere Nationalitäten oder gegen die Menschheit im Allgemeinen begangen hat. Hier ist eine neue Form eines internationalen Gerichts erforderlich. Es gab bislang keinen Präzedenzfall für die Verfolgung von Kriegsverbrechen durch die Institutionen der organisierten internationalen Justiz. Wenn die Empfehlungen der Kriegsverbrechen-Kommission befolgt werden, wird es den anklagenden Nationen nicht allzu schwer fallen, sich auf ein Verfahren für eine kleine Gruppe von „Hauptverbrechern“ zu einigen, für die Göring der Prototyp wäre. Die größte Schwierigkeit wird darin bestehen, zu entscheiden, wo die Grenze zu den kleineren Verbrechern gezogen werden soll, insbesondere zu den Zehntausenden gefangenen SS-Leuten.“

Das Hauptproblem des UNNWC-Ansatzes war nach Ansicht von The Economist die Koordinierung mit den Russen. Wir befürchteten das Entstehen zweier paralleler Systeme zur Verfolgung von Kriegsverbrechen, eines im Westen und eines im Osten, die sich darum stritten, wer bestimmte prominente Nazis vor Gericht stellen sollte.
The Economist war sich nicht sicher, ob ein Gericht mehr Gerechtigkeit schaffen würde als ein Tod wie der von Benito Mussolini. Im April war der italienische Diktator am Straßenrand erschossen und kopfüber auf dem Piazzale Loreto in Mailand, wo ein Jahr zuvor 15 italienische Partisanen hingerichtet worden waren, aufgehängt worden.

„Es ist nicht anzunehmen, dass gerichtliche Prozesse zu einem gerechteren Resultat führen als zum Beispiel das erbärmliche Ende, das Mussolini ereilte. Sollten sie aber gerecht sein, dann müssen sie standrechtlich und sachlich durchgeführt werden. Den Gefangenen das berühmte letzte Wort wie in einem Hollywood-Film zu gewähren, hieße, den Zweck der Vereinten Nationen zu verfehlen. Das Gleiche gilt für Prozessverzögerungen, die dazu führen würden, dass sich der Gestank der Gräueltaten in Europa noch verstärken würde.“

Letztendlich wurde ein einheitliches Vorgehen beschlossen. Die Alliierten, einschließlich der Sowjetunion, kamen im Juni in London zusammen, um Verfahren für Kriegsverbrechertribunale zu entwickeln. Nach mehr als einem Monat angespannter rechtlicher und moralischer Diskussionen einigten sie sich auf einige Rahmenbedingungen, die später die Grundlage für die Prozesse in Nürnberg und Tokio bilden und die Rechtsprechung zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erheblich erweitern sollten.

Two bill posters enjoy a cigarette break after pasting up a campaign billboard poster for John Platts-Mills, the Labour Party candidate for the north London constituency of Finsbury, on 20th June 1945. John Platts-Mills would go on to win the seat for the Labour Party in the upcoming 1945 United Kingdom general election. (Photo by Konig/Popperfoto via Getty Images)

30. Mai

Ein neues Kapitel

Am 23. Mai endete die Koalitionsregierung, die Großbritannien seit 1940 regiert hatte. Das Kabinett trat zurück. Premierminister Winston Churchill berief Neuwahlen ein—die ersten seit 1935. „Die politische Luft ist nun rein“, schrieb The Economist am 26. Mai. Die Konservative Partei würde mit Churchills Bilanz als Kriegsführer Wahlkampf machen, während die Labour-Partei von Clement Attlee, seit 1942 stellvertretender Premierminister, mit einem erklärten sozialistischen Manifest für umfassende soziale und wirtschaftliche Reformen, darunter die Einrichtung eines nationalen Gesundheitsdienstes und Vollbeschäftigung, an die Öffentlichkeit treten würde.
Beide Seiten machten sich Sorgen um den Wahltermin. Attlee wollte, dass die Wahl im Herbst stattfinden sollte, aber die Basis der Labour-Partei war nach fünf Jahren, in denen die Parteipolitik praktisch eingefroren war, frustriert. Churchill stellte Labour vor die Wahl: Entweder würde die Wahl so schnell wie möglich—am 5. Juli—stattfinden, oder sie müsste nach der Kapitulation Japans gehalten werden. Letzteres war für viele in der Labour-Partei inakzeptabel. Daher war der Terminvorschlag darauf ausgerichtet, Attlee zu einer vorzeitigen Wahl zu zwingen. Er glaubte, dass Churchill aus taktischen Gründen eine Wahl im Juli bevorzugte, da den Wählern sein Sieg in Europa dann noch frisch im Gedächtnis sei:

„Beide Parteien schieben öffentliches Interesse als Grund für ihre Präferenzen vor. Doch ihre Haltungen sind widersprüchlich. Der wahre Grund ist der Vorteil für die Konservative Partei. Der Premierminister zeigte sich in seinem zweiten Brief an Herrn Attlee empört über die „Verleumdung“, dass seine Präferenz für Juli gegenüber Oktober auf politischen Kalkül beruhe. Dieser emotionale Ausbruch von Herrn Churchill war zweifellos aufrichtig. Ganz offensichtlich hatten einige seiner engsten Kollegen und Freunde aber sehr wohl kalkuliert, dass eine Wahl noch im Glanz der Siegesfeierlichkeiten mit ziemlicher Sicherheit den Hauptarchitekten dieses Sieges und der von ihm geführten Partei einen Wahlsieg bescheren würde.“

Attlees Gründe für seinen Wunschtermin einer Wahl erst im Herbst—eine Option, die Churchill nicht akzeptieren wollte—waren ebenfalls offensichtlich. Er „würde es vorziehen abzuwarten bis der Glanz von Churchills Ruhm aufgrund einer Reihe von Schwierigkeiten und vielleicht auch Fehlern gewichen ist und die Wähler in ihm nicht mehr den unangreifbaren Kriegsführer sehen, sondern ihn als Führer in Friedenszeiten in Frage stellen, da er hier möglicherweise viel schwächer sei“. Aber Churchills Ultimatum ließ Attlee keine andere Wahl, als einer Wahl im Juli zuzustimmen.
Churchill war erstaunlich beliebt: Im Mai lag seine Zustimmungsquote, die während des Krieges nie unter 78% gefallen war, bei 83%. Aber die im Lande vorherrschende Meinung über seine Partei war weit weniger positiv. Die Konservativen hatten Großbritannien seit 1922 allein oder an der Spitze einer Koalition mit kurzen Unterbrechungen in den Jahren 1924 und 1929-1931 regiert. Die Partei wurde immer noch für die Massenarbeitslosigkeit der 1920er und 1930er Jahre sowie für Neville Chamberlains Politik der Nachsicht gegenüber Nazi-Deutschland verantwortlich gemacht. Daher wurde ein knappes Wahlergebnis erwartet:

„Es ist sehr schwierig, das Ergebnis dieser Wahl vorherzusagen. Die allgemeine Erwartung, selbst unter vielen Labour-Anhängern, ist, dass die Konservative Partei mit einer Mehrheit, wenn auch einer geringeren, zurückkehren wird, und dass dieses Ergebnis ein persönliches Vertrauensvotum für Herrn Churchill sein wird. Dies ist zweifellos der wahrscheinlichste Wahlausgang. Aber er ist keineswegs sicher.“

Die Gelegenheit, das „sehr veraltete und überholte Unterhaus“ Großbritanniens zu erneuern, wurde, wie wir schrieben, begrüßt. Doch trotz der wichtigen Nachricht, dass erstmals seit einem Jahrzehnt wieder eine Wahl stattfinden würde, war die Stimmung gegenüber den beiden großen Parteien eher verhalten:

„Eine Parlamentswahl, insbesondere nach einer so langen Pause und nach so einschneidenden Ereignissen, sollte als Chance für eine große Erneuerung der nationalen Ziele betrachtet werden. Dass sie vom Durchschnittsbürger nicht so gesehen wird, sondern eher wie die Wiederaufnahme von normalen Sportveranstaltungen vergleichbar mit einem Cricket-Testspiel (und fast ebenso langatmig) wahrgenommen wird, spiegelt die Tatsache, dass es an Begeisterung für beide großen Parteien mangelt, wider.“

Der Grund dafür war, dass beide Parteien es versäumt hatten sich mit den Herausforderungen der Modernisierung der britischen Wirtschaft auseinanderzusetzen: „Tatsache ist, dass keine der beiden Parteien ein echtes, realisierbares politisches Konzept hat, weil keine der beiden Parteien sich jemals tiefgreifend mit dem Großbritannien des 20. Jahrhunderts in einer Welt des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt hat. Jede Partei hat sich daher lediglich in die reine Verwaltung des Status quo geflüchtet. Nuancen in der Gewichtung wurden mit den grundsätzlichen (‚parteipolitischen‘ Anm. d.Übers.) Unterschieden erklärt.” Der Wahltag wurde auf den 5. Juli festgelegt, sodass etwa sechs Wochen für den Wahlkampf zur Verfügung standen. Die Auszählung der Stimmen der im Ausland stationierten Soldaten würde weitere drei Wochen dauern. Der erste britische Wahl-Marathon seit einem Jahrzehnt hatte begonnen.

Juni

1945

6. Juni

Das Ende eines Traums

Als die Nazis Anfang Mai kapitulierten, lag Deutschland in Trümmern. Es lag auch politisch am Boden, da das Nazi-Regime aufgelöst und durch die Militärbehörden der Alliierten ersetzt worden war. Am 9. Juni veröffentlichte The Economist einen langen Bericht aus München, das nun unter amerikanischer Kontrolle stand. Darin wurde die surreale Lebenslage unmittelbar nach dem Krieg wie folgt beschrieben:

„Das Bild, das sich dem Besucher Deutschlands offenbart, ist so dermaßen abstrus, verwirrend und widersprüchlich, dass es sinnlos wäre, eine eindeutige Beschreibung überhaupt zu versuchen. Man reist durch Deutschland wie durch einen Traum. Das Leben hier hat jegliche festen Bahnen und Formen verloren—es wirkt komplett zerfallen. Die einstmals deutsche Nation scheint sich in Millionen von Individuen aufzulösen, von denen jedes seine eigenen Ängste und Sorgen hat. Eine klassische soziologische und politische Einordnung ist unmöglich, da es in der Bevölkerung, wenn überhaupt, nur wenige soziale Bindungen und Verbindungen gibt. Für eine gewisse Zeit hat sich die kollektive Identität der deutschen Nation in ein Nichts zerbröselt.“

Deutschland hatte weniger als 30 Jahre zuvor bereits eine Niederlage erlitten. Die jetzige Ausgangslage war jedoch eine andere. Nach dem Ersten Weltkrieg besetzten die Sieger nur Teile des Gebiets, wie das Rheinland und das Ruhrgebiet. Zum größten Teil „rettete das Land nicht nur sein Territorium, seinen Reichtum und sein gesellschaftliches Gefüge, sondern auch die Mittel für seine geistige und politische Identitätsbildung“.
Nun aber stand das gesamte Land unter Besatzung. Die Alliierten entthronten und entnazifizierten die Institutionen. „Im Jahr 1945 ist die Nation verstummt“, schrieben wir. Die Deutschen waren voller widersprüchlicher Gefühle, was den Untergang der Nazis betraf, der für viele wie das Ende eines Traums erschien. „Einige werden sagen, dass es nichts als ein schöner Traum von der Eroberung der Welt gewesen sei und dass die Deutschen vor allem Bedauern und Verzweiflung über den Verlust dieser Fata Morgana empfinden. Andere, allen voran die Deutschen selbst, behaupten, dass der Traum ein Albtraum war, der sie unterdrückte und erstickte, und dass sie nun Erleichterung und Dankbarkeit empfinden.“
Bayern nahm in der Geschichte der Nazis einen besonderen Platz ein, galt es doch als Wiege der NSDAP. Im Jahr 1923 versuchte Adolf Hitler, inspiriert von Benito Mussolinis Marsch auf Rom im Jahr zuvor, die Regionalregierung im sogenannten „Bierkeller-Putsch“ im Münchner Bürgerbräukeller wegzuputschen. In Bayern hatte sich die NSDAP jedoch nie vollständig etabliert, und der sogenannte „Kadavergehorsam“, den die Nazis eingefordert hatten, nahm mit ihrer unvermeidlichen Niederlage immer mehr ab.

„Hier in Bayern brach er in den letzten Tagen bzw. Wochen des Krieges ganz offensichtlich zusammen, hatte er doch bereits zuvor schon feine Risse bekommen. In München, auch ‚Hauptstadt der Bewegung‘ genannt, befindet sich im Zentrum der Stadt das ‚Mekka des Nationalsozialismus‘, der berühmte Bürgerbräukeller, der heute von einem amerikanischen Wachposten bewacht wird, vermutlich als schändliches Relikt von musealem Wert. Doch in dieser ‚Hauptstadt der Bewegung‘ ist es fast unmöglich, jemanden zu finden, der etwas die Nazi-Machenschaften sagt. Die Bürger erzählen dem Ausländer schüchtern, dass Münchens halb scherzhafter und inoffizieller Titel ‚Hauptstadt der Gegenbewegung‘ lautete. Selbst in der Hochzeit des Nationalsozialismus hätte die lokale Intelligenz einen Spaß daran gehabt, die Nazis auf offener Bühne diskret zu kritisieren oder unter vorgehaltener Hand einzugestehen, dass sie eine tiefsitzende Sympathie für die alte Wittelsbacher Dynastie hegte. Die bayerische Linke, die gelegentlich weniger bescheidene Gesten des Widerstands an den Tag legte, verwies auf das nahe gelegene Konzentrationslager Dachau, das jegliche antinazistischen Reflexe (aus Angst, Anm.d.Übersetzers) in den Köpfen der Bayern immer wieder dämpfte.“

Nur wenige Wochen nach dem Ende des Krieges in Europa gab es kaum Möglichkeiten, solche Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Die Besatzungsmächte kontrollierten alle politischen Entscheidungen. Die Alliierten verboten nicht nur die NSDAP, sondern setzten auch die Aktivitäten aller politischen Organisationen für vier Monate aus. Kommunalwahlen fanden zwar 1946 statt, aber es gab keine nationalen Wahlen bis 1949, als die Westdeutschen nach der Teilung des Landes an die Wahlurnen gingen. Unser Korrespondent berichtete:

„Das erste Aufkeimen eines neuen politischen Lebens im postnazistischen Bayern ist naturgemäß noch extrem schwach und kraftlos. Alle politischen Angelegenheiten werden von den Offizieren der Alliierten Militärregierung bearbeitet oder finden in den Privathäusern einiger weniger Überlebender der Weimarer Demokratie statt. Die führenden Köpfe der neuen bayerischen Verwaltung agieren als Einzelpersonen ohne die Unterstützung politisch organisierter Gruppierungen, deren Gründungen von der Militärregierung strengstens verboten wurden. Diese hat mehr als deutlich gemacht, dass es ,keine Politikausübung in Deutschland‘ geben darf und dass das Verbot jeglicher politischer Betätigung ausnahmslos für alle Gruppierungen galt, auch die, die gegen die Nazis waren.“

Dieser Zustand „verlängerte zweifellos die politische Lähmung, die nach dem Zusammenbruch des Einparteiensystems sichtbar wurde.“ Vor dem harten Durchgreifen der Alliierten hatten in den letzten Tagen des Krieges bereits einige Gruppierungen damit begonnen, sich zu organisieren: „Einzelne Überlebende der alten Parteien der Linken, wie die Sozialisten, Kommunisten und Gewerkschafter, kamen zusammen und diskutierten die neue Lage. Bald schlossen sich ihnen auch Überlebende der Konzentrationslager an.“ Doch jene Gruppen, von denen einige versucht hatten, den Vormarsch der Alliierten zu unterstützen, um das Kriegsende zu beschleunigen, waren verstummt.
Unserem Korrespondenten drängte sich daher die Frage auf: „Soll die Politik in Deutschland weiterhin so konturenlos bleiben—und wenn ja, wie lange? Oder sollte man nicht lieber die unbestreitbar vorhandene anti-nationalistische Einstellung der Bevölkerung als Beginn für die Entwicklung einer neuen politischen Perspektive für Deutschland nutzen?“ Der Westen des Landes sollte nach zwölf Jahren Diktatur zur Demokratie zurückkehren, allerdings erst nach vier weiteren schwierigen Jahren.

13. Juni

Zonen der Besatzung

Weniger als einen Monat nach der Verkündigung des Sieges in Europa versammelten sich die Alliierten in Berlin, um Deutschlands Kapitulation offiziell zu besiegeln. Nachdem sie die Aufteilung der Besatzungsgebiete untereinander vereinbart hatten, richteten sie ihren Blick auf den Wiederaufbau Deutschlands. Für den Economist stellte sich unmittelbar ein logistisches Problem: Die meisten Deutschen lebten im Westen, der Großteil der Nahrungsmittel befand sich jedoch im Osten. Da die Amerikaner, Briten und Franzosen den Westen kontrollierten, die Sowjetunion hingegen den Osten, war Kooperation unabdingbar.

„Die Bevölkerung der sowjetischen Zone hat sich allerdings durch die Flucht deutscher Zivilisten und die massenhafte Kapitulation von Wehrmachtssoldaten gegenüber den Westalliierten erheblich reduziert. Das bereits im Vorkriegsdeutschland bestehende Ungleichgewicht hat sich dadurch noch verschärft. Ohne eine rasche Organisation des Transfers von Arbeitskräften nach Osten und der Lieferung von Nahrungsmitteln nach Westen werden die Lebensmittel im Osten wegen mangelnder Arbeitskräften nicht geerntet werden können und der Westen wird mangels Versorgung hungern. Dieses Problem lässt sich nur durch gemeinsames Handeln der Alliierten lösen.“

Über die unmittelbare Aufgabe hinaus, die Deutschen vor Hunger zu bewahren, sahen sich die Alliierten mit einer für Leser Lenins bekannten und brennenden Frage konfrontiert: Was tun? Der Economist zeigte sich bestürzt darüber, dass keine der Siegermächte eine Strategie für die politische Neuordnung Deutschlands nach dessen Niederlage zu haben schien.

„Wollen die Alliierten den zentralisierten deutschen Staat für immer zerschlagen? Wenn ja, soll dies durch Dezentralisierung oder Föderalisierung geschehen? Oder sollen unabhängige Staaten aus dem alten Reich hervorgehen? Oder ist beabsichtigt, Deutschland zu spalten, indem die verschiedenen Besatzungszonen dauerhaft in die jeweiligen „Einflusssphären“ der Siegermächte eingegliedert werden?“

Ohne eine solche Strategie, so unsere damalige Ansicht, könnte es keinen Plan für die deutsche Wirtschaft geben. Wir kritisierten, dass die Alliierten noch nicht einmal entschieden hatten, ob Deutschland eine „industrielle oder eine landwirtschaftliche Zukunft“ haben sollte. Mangels einer kohärenten Politik verfolgte jede Macht ihre eigenen Interessen. Sollte sich dies fortsetzen, so unsere Warnung, „führt der Weg unweigerlich in den Ruin“.
Angesichts des rasanten Wirtschaftsaufschwungs Westdeutschlands nach dem Krieg erwies sich diese Einschätzung als übermäßig pessimistisch. Damals jedoch schien es, als würden die Sowjets Deutschlands Wiederaufbau anführen. Wir tadelten Briten und Amerikaner, da sie dem deutschen Volk keine positive Zukunftsvision präsentierten, während sowjetische Radiosender—so unwahrscheinlich es auch klingen möchte—Hoffnung verbreiteten.

„Ein letzter Unterschied ist das Bild, das die Siegermächte dem deutschen Volk von seiner Zukunft vermitteln. Briten und Amerikaner schweigen. Sie betreiben keine Propaganda. Sie verfolgen keine klare Linie. Ihre Radiosender verbreiten kaum mehr als Verbots- und Straflisten. Radio Berlin hingegen gibt den Deutschen einen Schimmer Hoffnung: dass sie—wenn sie nur hart arbeiten und die Nazis in den eigenen Reihen eliminieren—eines Tages mit „Hilfe der großen Sowjetunion“ den Weg zurück in die Völkergemeinschaft finden würden. Man möchte diese Sendungen als Propaganda abtun. Doch wenn dem so ist, dann ist es wirksame Propaganda. Die vor den Deutschen liegende Dunkelheit ist so undurchdringlich und ihr Schicksal liegt so unwiderruflich außerhalb ihrer Kontrolle, dass jedes Anzeichen einer politischen Strategie, jede Hoffnung auf eine positive Zukunft, ihre Gemüter bewegen und sie—wenn auch zögerlich—einen Hoffnungsschimmer am östlichen Horizont suchen lassen muss.“

Der Economist beschwor die Alliierten, einen Weg zur Einigung Deutschlands zu finden, und argumentierte, dass die „Kämpfe um die Wiedervereinigung“ des geteilten Landes sonst „die Politik Europas über Jahrzehnte hinweg belasten“ würden. Der Kalte Krieg stand unmittelbar bevor.

20. Juni

Die neue Charta

Die Gründung der UNO war seit langem in Vorbereitung. Bereits 1941 hatten Amerika und Großbritannien ihren Wunsch bekundet, „ein umfassenderes und dauerhaftes allgemein gültiges Sicherheitssystem“ zu schaffen. Im April 1945 versammelten sich Delegierte aus 50 Ländern in San Francisco, um dieses Ziel zu verwirklichen. Nach neun Wochen der Diskussion unterzeichneten sie am 26. Juni die Charta der Vereinten Nationen und schufen damit eine staatenübergreifende Organisation, die die kriegerischen Ambitionen in der Welt eindämmen sollte.
Die Delegierten hatten das Scheitern des Völkerbundes noch nicht vergessen. Seine Gründung war nach dem Ersten Weltkrieg ein ähnlicher Versuch, den Frieden zu sichern. Dennoch war The Economist optimistisch, dass die UNO dort Erfolg haben könnte, wo der Völkerbund versagt hatte.
Warum? Erstens würden, anders als beim Völkerbund, Amerika und die Sowjetunion von Anfang an in die UN eingebunden sein. Dies sei entscheidend, argumentierten wir, da die Stärke einer solchen Organisation unweigerlich von ihren mächtigsten Mitgliedern ausgehe, die „über dem Gesetz stehen, weil sie die Macht hinter dem Gesetz ausüben“. Dass Amerika, Großbritannien, China, Frankreich und die Sowjetunion ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates mit jeweils einem Vetorecht in Bezug auf die UN-Politik sein würden, spiegelte dies wider.
Zweitens wurde die vergebliche Hoffnung, dass Länder durch das ihnen innewohnende bessere Wesen zum Frieden gelangen, diesmal zugunsten eines eher hobb’schen Realismus in den Hintergrund gedrängt.
Harry Truman, der amerikanische Präsident, legt dar, was bei der Gründung der Vereinten Nationen auf dem Spiel steht.

„Der UN-Charta kann kein übertriebener Idealismus vorgeworfen werden. Im Gegenteil, fast jeder Artikel ist geprägt von den Erfahrungen zweier düsterer Jahrzehnte zwischen den Kriegen, in denen sich insbesondere in Europa Machtpolitik, Imperialismus und Aggression wie Wildwuchs innerhalb und außerhalb des neuen Völkerbundes ausgebreitet hatten. In der Charta der Vereinten Nationen wird nicht auf bessere, idealistische Methoden zur Gestaltung internationaler Beziehungen gesetzt. Eine führende Position wird von denjenigen eingenommen, die sich dank ihrer physischen Stärke in einer wie auch immer gearteten unorganisierten Weltgesellschaft eine Vormachtstellung verschaffen würden.“

Zyniker, so schrieben wir, könnten beklagen, dass die Charta nichts anderes sei als „alte Notlösungen und separater Nationalismus in Großbuchstaben, überzogen mit einer Schicht allgemeiner guter Absichten”. Wir wiesen jedoch darauf hin, dass der Völkerbund tatsächlich wegen seiner Hochherzigkeit scheiterte. Zu sehr vom Wert ihrer gemeinsamen Bemühungen um einen dauerhaften Frieden überzeugt, verloren seine Mitglieder aus den Augen, dass sie auch eine individuelle militärische Verantwortung für seine Verteidigung übernehmen müssen.

„Hat nicht der Glaube, dass der Völkerbund mehr sei als die vereinte Macht seiner Mitglieder, und er per se als Garant gegen den Krieg galt, dass eine kollektive Sicherheit als eine Alternative zur nationalen Verteidigung und nicht als deren Erweiterung gesehen wurde—haben nicht diese Illusionen die Chance auf einen dauerhaften Frieden eher erschwert als erleichtert? Indem man die Verantwortung für die Eindämmung von Aggressionen zugunsten einer kollektiven Sicherheit dem Bund als Ganzes übertrug, fühlte sich individuell niemand verantwortlich.“

Wir berichteten, dass das neue Gremium nicht den „utopischen Elan“ des Völkerbundes hatte und die Verantwortung für die Wahrung des Friedens bei den Großmächten lag. Es ähnelte damit eher einem Sammelsurium aus unterschiedlichen Allianzen, die bisher leider nicht vermochten, einen Krieg zu verhindern. Dennoch hatte es einen großen Vorteil, denn es bot ein Forum für die Äußerung von Beschwerden.

„Die Konferenz selbst hat bereits gezeigt, wie stark die Weltöffentlichkeit die Politik der Großmächte beeinflussen kann und wie heilsam es sein kann, Unrecht und Willkür öffentlich anzuprangern. Als Plattform der Weltöffentlichkeit kann die internationale Struktur der neuen Staatenorganisation direkt dazu beitragen, Fehlverhalten und Aggressionen einzudämmen.“

Wie schon der Völkerbund zuvor würde auch die UNO nur dann funktionieren, „wenn ihre Mitgliedstaaten dies wünschen und darauf hinarbeiten“ und wenn die mächtigsten Länder dieses Völkerbunds „einen guten und friedlichen internationalen Umgang miteinander“ an den Tag legen. Wie die ersten 80 Jahre der UNO gezeigt haben, mangelte es leider allzu oft an einem derartigen Wohlwollen.

1945: Liberated French prisoners on a road, west of Berlin, passing by a Russian Stalin tanks which had travelled 2,000 miles during the course of the war.

27. Juni

Bayerische Straßen

Im Juni 1945 veröffentlichte The Economist den zweiten Lagebericht eines Korrespondenten aus München. Unser Artikel beschrieb seine Reise durch den Süden Bayerns zu Beginn der Nachkriegszeit. In anderen Teilen Deutschlands gab es einen „jähen Kontrast“ zwischen dem Leben in den Städten, die „auf einen deutschen Propheten Jeremia zu warten schienen, um ihre Ruinen zu beweinen“, und der friedlichen Landschaft ringsherum. Auf den bayerischen Straßen bot sich eine Art „Querschnitt der großen Probleme Deutschlands und Europas“. Deutsche Soldaten, die nach der Kapitulation der Nazis demobilisiert worden waren, befanden sich auf dem Weg nach Hause:

„Südlich von München, vor der klaren Silhouette der Alpen, kann man die letzten Szenen der kapitulierenden Wehrmacht gut beobachten. Lange Konvois von Lastwagen, voll mit deutschen Soldaten, angeführt von Offizieren in Dienstwagen, rollen zu Sammelplätzen und Gefangenenlagern. Die Soldaten werden entwaffnet. Einige Offiziere der Luftwaffe, der SS sowie der Infanterie tragen noch ihre Seitengewehre und geben brüllend in typischer Feldwebel-Manier ihre letzten Befehle an die Männer.“

Auch Menschen, die den Holocaust überlebt hatten, waren auf den Straßen unterwegs. Einige, die aus den Konzentrationslagern der Nazis befreit worden waren, reisten zurück in ihre Heimatstädte. Andere begaben sich nach Westen in die von den Alliierten befreiten Gebiete, wo Auffanglager eingerichtet worden waren, um sie aufzunehmen.
Die sich kreuzenden Wege von Soldaten und Flüchtlingen führten zu manchen surrealen Begegnungen. Unser Korrespondent schrieb über eine Begegnung zwischen einem befreiten KZ-Häftling und einem Offizier der Schutzstaffel (SS), der wichtigsten paramilitärischen Einheit der Nazis während des Krieges:

„Irgendwo am Straßenrand schleppt sich ein Mann im KZ-Sträflingsanzug langsam nach Hause. Kurz davor war er von einem SS-Offizier angehalten worden, der mit seinem Adjutanten in einem Auto unterwegs war. Es kommt zu einem heftigen Wortwechsel und Drohungen mit wilden Gestikulierungen. Als sich ein amerikanischer Jeep nähert, hört der Streit auf und das Auto des SS-Offiziers fährt davon. Der ehemalige KZ-Häftling erklärt mit einem gewissen Stolz, dass er Funktionär der Sozialdemokratischen Partei in Breslau war. Es war tatsächlich so, dass SS-Männer gelegentlich solche Menschen auf den Straßen schikanierten.“

Der Mann, der nach Breslau (heute Wroclaw in Polen) unterwegs war, sah sich unter russischer Besatzung einem ungewissen Schicksal gegenüber. Bis er „in das Konzentrationslager verschleppt worden war“, schrieben wir, „war er in den Augen der lokalen Kommunisten ein ‚Sozialfaschist‘ gewesen“.
Auch andere waren unterwegs. Eine Gruppe von Roma aus Deutschland, die von den Nazis verfolgt worden waren, reiste in einem Konvoi. „Sie wollen arbeiten, und das Vaterland oder die Sieger sollten ihnen Arbeit geben.“ Andere Menschen suchten nach ihren Familien:

„Auf der anderen Straßenseite versucht eine große, dünne Frau, zwei amerikanischen Offizieren in gebrochenem Englisch etwas zu erklären. In ihrer verwirrten, unverständlichen Geschichte tauchen immer wieder zwei Worte auf: Gas und Kammer. Es stellt sich heraus, dass ihr Kind vor sieben Jahren von einem Nazi-Arzt als geistig behindert eingestuft worden war. Der Hausarzt teilte diese Diagnose nicht, seine Meinung wurde jedoch ignoriert. Nach den Regeln der „Rassenhygiene“ sollte das Kind in eine Gaskammer kommen, der Nazi-Version des Tarpejischen Fels (im antiken Rom Anmerk. d. Übers). Die Mutter versteckte das Kind an einem etwa 200 Kilometer entfernten, abgelegenen Ort. Als sie es zum letzten Mal gesehen hatte, war es fast verhungert. Würde sie nun von der Militärregierung eine Genehmigung erhalten, ihr Kind zu holen?“

Mit der Verfolgung von Juden, Slawen, Roma und anderen ethnischen und sozialen Gruppen, einschließlich seiner politischen Gegner, hatte Adolf Hitler den Kontinent verwüstet. Nun folgte eine Migrationswelle. „Die Leiden und Ängste eines halben Dutzend unterschiedlicher Nationalitäten trafen für eine Weile hier, mitten auf der schönen, sonnenbeschienenen bayerischen Straße aufeinander. Bald werden sie vom Wind in alle Richtungen und in andere Länder verweht.“ Die Demografie Europas— dessen Vielfalt, Verteilung der Völker und Kulturen—wurde für immer verändert.

Juli

1945

4. Juli

Ende des Wahlkampfgetöses

Am 5. Juli gingen die Briten zur Wahl. Die ersten Parlamentswahlen seit 1935 waren ungewöhnlich. Die Parteipolitik war während der sechs langen Kriegsjahre praktisch zum Erliegen gekommen. Obwohl die Kämpfe in Europa vorbei waren, mussten Millionen von Menschen noch nach Hause zurückkehren. Unter den 25 Millionen Wählern, die ihre Stimme abgaben, wählten etwa 1,7 Millionen Soldaten und Soldatinnen per Vollmacht oder per Briefwahl. „Es folgte eine seltsame Zeit des Dahindämmerns und Wartens auf das Wahlergebnis, das der Öffentlichkeit noch wie ein Geheimnis in den versiegelten Wahlurnen verborgen blieb während in jedem Hotel des Landes erschöpfte Kandidaten in nervöser Erwartung verharrten“, schrieb The Economist am 7. Juli. Das Warten würde länger als gewöhnlich dauern, denn um genug Zeit für die Auszählung aller Stimmen zu haben, würde das Ergebnis erst nach drei Wochen bekannt gegeben werden.
Die Partei der Konservativen von Winston Churchill und die Labour-Partei von Clement Attlee, die im Krieg Partner waren, kämpften nun hart um den Regierungsauftrag in Friedenszeiten. Lokale Labour-Aktivisten erwarben sich dabei einen schlechten Ruf, da sie Versammlungen der Konservativen und Liberalen störten und unterbrachen. Auf nationaler Ebene waren es jedoch die Tories, die Kritik verdienten:

„Auf nationaler Ebene, in den Zeitungen und im Rundfunk sah es allerdings genau umgekehrt aus. Hier hat die Labour-Partei ihren Wahlkampf mit großer Würde und gutem Gespür geführt, während die Konservativen mit Tricks, Ablenkungsmanövern und unfairen Praktiken operierten, die viele ihrer Freunde und Anhänger, und ehrlich gesagt, auch die meisten aus ihrem eigenen Führungspersonal jenseits des engsten Kreises verabscheuten. Die konstruktiv gemäßigte Haltung eines Mr. Eden, Mr. Butler und Sir John Anderson wurde mit aktiver Unterstützung des Premierministers von diesem Zirkus konterkariert.“

Winston Churchill, der 1940 Premierminister wurde, nachdem das Unterhaus Neville Chamberlain zum Rücktritt gezwungen hatte, hatte nie eine Parlamentswahl gewonnen. Er beklagte sich über die ihm fehlende überzeugende Zukunftsvision, die er den Wählern vermitteln hätte können: „Ich habe keine Botschaft für sie.“ Deshalb bediente er sich einer düsteren Rhetorik. Am 4. Juni, weniger als zwei Wochen nachdem Attlee aus seiner Regierung ausgetreten war, sagte Churchill, der Labour-Vorsitzende würde „eine Art Gestapo“ zur Umsetzung seines Wahlprogramms benötigen. In Anspielung auf die Schrecken des Faschismus und Kommunismus, die den Kontinent erschüttert hatten, warnte er davor, dass Attlees linke Plattform „untrennbar mit Totalitarismus und einer unterwürfigen Staatsverehrung verwoben sei.“
„Tatsächlich fällt es sehr schwer, in Churchill, so wie er sich in den letzten Wochen darstellte, den Staatsmann zu sehen, der sein Land über seine Partei stellt“, schrieben wir. Dass die Konservativen ihren Wahlkampf so verbittert geführt hatten, war ein beunruhigendes Zeichen dafür, dass die Partei nicht auf die Aufgabe vorbereitet war, Großbritannien wieder aufzubauen. Die neue Regierung würde sich mit vielfältigen Problemen auseinandersetzen müssen:

„Letztendlich sah es nicht so hoffnungsvoll aus, dass eine der beiden großen Parteien die enormen und neuartigen Aufgaben der nächsten Jahre mit dem notwendigen Elan angehen würde, die die miserable Lage des Landes erforderte. Bereiche wie die Außen- und Machtpolitik, der Umgang mit einer enormen Auslandsverschuldung, die Wahrung des wirtschaftlichen Friedens und der sozialen Einheit erforderten immense Anstrengungen, großes Geschick, die Bereitschaft, neue Methoden auszuprobieren, klares Denken und großen Mut.“

Im Vormonat hatte The Economist Attlees Wahlkampf lobend erwähnt. Im Gegensatz zu Churchill waren die Rundfunkansprachen des Labour-Vorsitzenden „gemäßigt, vernünftig, konstruktiv und fair“ gewesen. Dennoch war es schwer vorstellbar, dass Attlee, ein zurückhaltender ehemaliger Anwalt, den Premierminister besiegen würde, der zum Symbol für den Kampf Großbritanniens im Krieg geworden war: „Bei Wahlen ... kann man niemanden mit niemandem besiegen.“ Es war auch schwer vorherzusagen, ob Attlees erste Riege dieser Aufgabe gewachsen war. Für die Labour-Partei, die noch nie eine Mehrheit bei einer Parlamentswahl gewonnen hatte, würde es schwierig werden, die Wähler davon zu überzeugen, dass sie kompetenter regieren würde als die Tories. Dennoch:

„Eines Tages wird es eine Neuordnung der politischen Kräfte geben, die die Anstrengungen der Nation für den Frieden mobilisieren werden, so wie sie 1940 für den Krieg mobilisiert wurden. Churchill hätte diese zweite Aufgabe in Angriff nehmen können, so wie er die erste abgeschlossen hat. Er hat es sich selbst schwer gemacht, indem er die Parteiführung übernommen hatte. Zusätzlich hat er sich mit seinem Verhalten bei dieser Wahl als Identifikationsfigur für eine wirklich nationale Politik der sozialen und wirtschaftlichen Erneuerung diskreditiert.“

Die Labour-Partei hatte sich sehr bemüht, diese Stimmung für sich zu nutzen. „Und jetzt—den Frieden gewinnen“ lautete die Botschaft auf einem der bekanntesten Wahlplakate der Partei. Im Gegensatz dazu hatte Churchill seine überragende persönliche Popularität verspielt, indem er „sich zu einem engstirnigen Parteipolitiker gewandelt“ hatte. So standen nun beiden Seiten sowie den Wählern drei nervenaufreibende Wochen des Wartens bevor.
Dies ist die aktuelle Ausgabe unserer Zeitreihe zum Zweiten Weltkrieg. Die nächste können Sie am kommenden Freitag lesen. Für eine rechtzeitige Benachrichtigung abonnieren Sie unseren Newsletter The War Room.

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As part of Archive 1945, we have been publishing guest essays on the end of the second world war. Read Dan Stone on the liberation of Dachau, Richard Evans on Adolf Hitler’s death, Stephen Kotkin on the Yalta conference and Alexis Dudden on the firebombing of Tokyo. Also try our piece on five of the best books about the second world war.
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Archiv 1945

Wie The Economist Woche für Woche über das letzte Jahr des Zweiten Weltkriegs berichtete

Im Januar 1945 vor 80 Jahren begann das siebte Jahr des Zweiten Weltkrieges. Die Kämpfe tobten in Europa, nachdem die Armeen der Alliierten große Teile Frankreichs und Belgiens von der Naziherrschaft befreit hatten. Die Rote Armee rückte von der Sowjetunion aus nach Polen vor und verdrängte die deutschen Truppen aus dem Osten. Inzwischen gewann der Feldzug der Alliierten im Pazifischen Raum an Fahrt und die USA bereiteten sich auf einen Einmarsch in Japan vor. Nach dem Ende des Krieges sollte sich das globale Machtgefüge in Politik und Wirtschaft in einer Art und Weise verändern, wie es sich noch heute darstellt.
Wie in einer Art Zeitkapsel veröffentlichen wir wöchentlich Ausschnitte unserer damaligen Berichterstattung über den Kriegsverlauf im letzten Jahr bis zu seinem Ende aus unserem Economist-Archiv. Bis August wird auf dieser Plattform jeden Freitag eine neue Ausgabe veröffentlicht. Für eine rechtzeitige Ankündigung können Sie unseren wöchentlichen Newsletter zum Thema Verteidigung unter „The War Room" abonnieren. Archiv 1945 ist auch auf Englisch verfügbar.
Jan
Feb
Mär
Apr
Mai
Jun
Jul
Aug
Kommt bald
American infantrymen of the 290th Regiment of the US Army fight in fresh snowfall near Amonines, Belgium. The fighting and German counter-offensive on the Belgian-German border later became famous as the Battle of the Bulge

3. Januar

Stillstand in Europa

Am 6. Januar 1945, als wir unsere erste Ausgabe des Jahres veröffentlichten, befand sich der Konflikt in Europa in seiner Endphase. Wir schrieben, dass Ende 1944 „nicht nur der Mann und die Frau auf der Straße meinten: ‚Bis Weihnachten ist alles vorbei.‘“ Doch der Vormarsch der Alliierten in die von den Nazis besetzten Teile Europas hatte sich verlangsamt. Die deutsche Ardennenoffensive (im Angelsächsischen besser bekannt als „The Battle of the Bulge") hatte die Alliierten in Belgien und Luxemburg in die Defensive gedrängt. Die Briten kämpften noch immer in Griechenland. Polens Kommunisten, bekannt als das Lubliner Komitee, lagen mit der polnischen Exilregierung in London im Clinch darüber, wer das Land kontrollieren sollte.
Die Stimmung in Großbritannien war bedrückend. Obwohl die Nazis auf beiden Seiten des Kontinents weiterhin in Bedrängnis gerieten, konstatierte The Economist „Stillstand in Europa“:

„Das Jahr 1945 beginnt für die Alliierten düster. In Athen wird immer noch gekämpft. Das Lubliner Komitee hat die verworrene polnische Politik weiter verkompliziert, indem es sich selbst zur provisorischen Regierung Polens erklärt hat. Auf der anderen Seite des Atlantiks sind die Kritik der USA an Großbritannien und das Misstrauen gegenüber Russland kaum Anzeichen für eine Entschärfung des Konflikts. Auch in militärischer Hinsicht ist die Lage enttäuschend. Die Ardennenoffensive wurde zwar gestoppt, doch dass sie überhaupt Erfolg hatte, steht in starkem Widerspruch zu den großen Hoffnungen des vergangenen Sommers.“

Nicht, dass der Sieg den Briten fern erschien—er galt sogar als so gut wie sicher. Aber „militärischer Stillstand und politische Uneinigkeit“ hatten die Niederlage der Nazis verzögert. Zudem waren Unstimmigkeiten über den Umgang mit Deutschland nach dem Krieg problematisch. Die Nazis, so schrieben wir, hofften, „dass die Koalition gegen sie doch noch zerbricht“. Und ein von Frankreich und der Sowjetunion unterbreiteter Vorschlag, Deutschland solle nach dem Krieg seine industriellen Kerngebiete abtreten, stärkte den Kampfeswillen der Deutschen.
Großbritannien hatte auch jenseits des Schlachtfeldes Grund zur Niedergeschlagenheit. Die Kriegswirtschaft hatte der Bevölkerung schwer zugesetzt. The Economist hatte kürzlich eine der ersten umfassenden Veröffentlichungen statistischer Daten seit Kriegsbeginn erhalten (obwohl wir erklärten, dass „aus Sicherheitsgründen einige bis zur Niederlage sowohl Deutschlands als auch Japans geheim bleiben müssen“). Der Krieg hatte die britische Wirtschaft grundlegend verändert. Nicht nur, dass die Regierung die Steuern erhöht hatte, um die Kriegsanstrengungen zu finanzieren. Die Ausgaben für Konsumgüter waren drastisch eingebrochen, auch wenn sich Brennstoffe und Beleuchtung während des Blitzkriegs gut verkauften—wie wir in dieser Grafik veranschaulichten:

„Seit 1942 wurden keine Autos, Kühlschränke, Klaviere, Staubsauger, Tennis- oder Golfbälle mehr hergestellt, und nur sehr wenige Radios, Fahrräder, Uhren und Füllfederhalter.“

Im Jahr 1944 waren Gerüchte aufgekommen, Adolf Hitler sei tot, wahnsinnig geworden oder von Heinrich Himmler, dem Chef der SS (der wichtigsten paramilitärischen Organisation der Nazis), eingesperrt worden. Doch Hitlers Neujahrsansprache, so schrieben wir, zeigte, dass er „am Leben, nicht wahnsinniger als sonst und keineswegs auf dramatische Weise gefangen“ war:

„Seine Rede war voller deutscher Mythen, vom Wiederaufbau größerer und besserer deutscher Städte, vom Scheitern der bürgerlichen Welt und vom Anbruch einer neuen Ära nationalsozialistischer Prinzipien… Er scheint jenseits einer Einmischung in die Kriegsstrategie, sei sie auch noch so gering, zu sein und kümmert sich nur noch um den verzweifelten Nationalismus des deutschen Volkes.“

Doch angesichts des Drucks, den die Alliierten im Westen und die Sowjetunion im Osten auf die Nazis ausübten, klangen die nationalistischen Appelle des Diktators hohl. Seine Botschaft hatte vielmehr den Beigeschmack von Prahlerei und Verzweiflung.

10. Januar

Geteiltes China

Während die Alliierten die Nazis in Europa in die Enge trieben, erhöhten die amerikanischen Streitkräfte im Pazifik den Druck auf Japan. Das Land hatte am 7. Dezember 1941 Pearl Harbor, einen Marinestützpunkt auf Hawaii, bombardiert und dabei fast 2.500 Menschen getötet. Am nächsten Tag zog Präsident Franklin Roosevelt in den Krieg in Asien. Zu Beginn des Jahres 1945 hatte Amerika die Expansion des japanischen Imperiums gestoppt und machte Fortschritte auf den Philippinen, die seit 1941 unter japanischer Besatzung standen:

"Die Landung auf Luzon, der größten der philippinischen Inseln, hat begonnen. Große amerikanische Truppenverbände haben bereits vier Brückenköpfe errichtet, und obwohl noch harte Kämpfe bevorstehen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die letzte Phase der Rückeroberung der Philippinen begonnen hat und das Ende in Sicht ist."

The Economist wandte sich als nächstes China zu. Amerika unterstützte das Land seit 1940 mit Krediten und Waffen gegen Japan. Im Jahr 1941 entsandte es Militärberater und errichtete Luftwaffenstützpunkte auf dem Festland. Es hatte ein starkes Interesse daran, China bei der Beendigung der japanischen Besatzung zu helfen—nicht nur, um Japan zu schwächen, sondern auch, um China als Großmacht zu stärken, die nach dem Krieg den Frieden in Asien sichern würde.
Das war keine leichte Aufgabe. China wurde damals von unterschiedlichen rivalisierenden Regierungen beherrscht. Außerhalb der von Japan kontrollierten Gebiete wurde ein Teil des Landes von der Kuomintang regiert, einer nationalistischen Gruppe unter Chiang Kai-shek mit Basis in Chongqing in Zentralchina; ein anderer Teil wurde von den Kommunisten unter Mao Zedong kontrolliert, mit Hochburg in Yan'an, einer Stadt im Norden. Japans Niederlage könnte in China eine Situation „größter Verwirrung" hervorrufen, schrieben wir. Die beiden rivalisierenden Mächte des Landes hatten zwar Seite an Seite gegen die Japaner gekämpft, befanden sich aber auch „seit einigen Jahren in einem Zustand des tatsächlichen oder latenten Bürgerkriegs".
Die in den befreiten Ländern Europas ausgebrochenen Bürgerkriege schienen für China nichts Gutes zu verheißen:

„Angesichts dieser Situation—eines potenziellen Griechenlands des Fernen Ostens in einem noch größeren und verheerenderen Ausmaß—welche Politik sollten die Alliierten verfolgen? Chinas Verbündete leiden unter dem gravierenden Nachteil, dass ausländische Interventionen stets unpopulär sind und eine Einmischung, wenn sie zu weit getrieben wird, lediglich zu heftiger Abneigung gegen die Intervenierenden führen kann... Deshalb müssen die Alliierten mit äußerster Geduld und Fingerspitzengefühl beide Seiten in China zur Einheit drängen."

Doch Einheit, so stellten wir fest, würde schwer zu erreichen sein. Chiang schien „mehr vom Wunsch beseelt, Macht zu erhalten und auszubauen, als von der Bereitschaft, in einer neuen Regierung Macht mit den Kommunisten zu teilen". Die Kommunisten waren entschlossen, „die Macht in ihren eigenen Gebieten zu behaupten und, wo immer möglich, auszuweiten". Obwohl wir argumentierten, dass eine Regierung der nationalen Einheit das Beste für China wäre, war schwer zu erkennen, wie sie „ins Leben gerufen werden sollte".

17. Januar

Der vernachlässigte Verbündete

Anfang 1945 war der größte Teil Frankreichs befreit. Im August davor hatten die Alliierten Paris der deutschen Kontrolle entrissen, und Charles de Gaulle, der von London und Algier aus eine provisorische Exilregierung geführt hatte, kehrte in die Hauptstadt zurück. Die Besetzung war folgenschwer. Am 20. Januar 1945 schrieb The Economist:

„Frankreich ist in eine Lage gekommen, aus der es schleunigst gerettet werden muss. Die Bevölkerung von Paris und vielen anderen Städten friert aus Mangel an Kohle; in der ersten Januarwoche wurden täglich durchschnittlich knapp über 10.000 Tonnen Kohle nach Paris geliefert, ein Bruchteil dessen, was normalerweise benötigt wird und kaum genug, um den dringenden Bedarf von Krankenhäusern, Schulen und essentieller öffentlicher Dienstleistungen zu decken.“

Brot wurde auf 370 Gramm pro Tag rationiert, Käse auf 20 Gramm pro Woche. Selbst dann gab es „keine Garantie, dass wenigstens diese kärglichen Rationen geliefert werden können“.
Auch die französische Industrie befand sich in einem beklagenswerten Zustand: „Zusätzlich zu der Not durch Mangel an Wärme, Nahrung und Kleidung in den Industriezentren Frankreichs kam das Elend durch Arbeitslosigkeit—allein in Paris sind etwa 400.000 Menschen ohne Arbeit.“ Damit einher ging die Furcht vor politischer Instabilität. Wir warnten: „Die französische Geduld hat Grenzen. Und diese Grenze ist in Sicht... Angesichts der wachsenden Unzufriedenheit könnte die Position der Regierung geschwächt werden.“ Es sei im Interesse aller, dass „Frankreich nicht zum vernachlässigten Verbündeten wird“.
Frankreichs Hafenstädte waren schwer getroffen. Boulogne lag in Trümmern, doch Marseille schickte bereits Nachschub an die Front. In Nantes begrüßten am 14. Januar große Menschenmengen de Gaulle.
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Unserer Ansicht nach sollten Großbritannien und Amerika Frankreich als gleichberechtigten Partner in den Kriegsanstrengungen behandeln, „nicht nur bei der Strategieentwicklung, sondern auch bei der Ressourcenverteilung“. Amerika mit seinen reichhaltigen Bodenschätzen könnte die Lieferungen an Frankreich aufstocken. Aber auch Großbritannien sollte seinen Teil beitragen—selbst wenn es „nur Pfennige zu Amerikas Dollars beisteuern kann“.
In Osteuropa, wo die Nazis von der Sowjetunion vertrieben worden waren, zeichnete sich derweil ein ganz anderes Bild der Befreiung ab:

„Ein undurchdringlicher Schleier der Geheimhaltung hat sich über das sowjetisch besetzte Europa gelegt. Vereinzelte Hinweise und Informationsfetzen deuten auf politische Spannungen hier und da und teilweise auf bewaffnete Zusammenstöße zwischen Russen und lokalen Kräften hin. Doch die Geheimhaltung macht es nahezu unmöglich, das Ausmaß und die Bedeutung dieser Unruhen einzuschätzen. Wie auch immer ihre Politik in den besetzten Gebieten aussehen mag, die sowjetische Regierung wird nicht durch die hohen Ansprüche demokratischer Meinungsbildung und parlamentarischer Kontrolle behindert.“

Es schienen Unterschiede zwischen den unter sowjetischem Einfluss gebildeten Regierungen zu bestehen. In manchen Ländern waren die Kommunisten tatsächlich nicht darauf aus, alle Überreste der alten Ordnung zu zerstören. Bulgarien setzte seinen König nach der kommunistischen Machtübernahme im September 1944 nicht ab; König Michael von Rumänien erhielt sogar Lob von den Kommunisten seines Landes, die Mäßigung demonstrieren wollten (obwohl beide Länder später Republiken wurden: Bulgarien 1946 und Rumänien 1947). In Polen hingegen waren die politischen Gegensätze viel schärfer. Die von der Sowjetunion unterstützte Lubliner Regierung wollte die polnische Verfassung von 1935 abschaffen (was ihr schließlich auch gelang), und es kam zu Kämpfen zwischen Partisanen und russischen Soldaten.
Wir diskutierten, welche Politik die Sowjetunion in den von ihr befreiten Gebieten verfolgen würde. Einerseits könnte sie „beschließen, die Kontrolle so auszuüben, dass die nationale Souveränität der einzelnen Kleinstaaten ernsthaft beeinträchtigt wird“. Das würde eine „ideologische Gleichschaltung“ bedeuten—ein Begriff, den die Nazis für die totale Kontrolle der Gesellschaft verwendeten. Andererseits könnte sie sich dafür entscheiden, ihren Einfluss in der Region indirekt auszuüben. Im Januar 1945 war schwer zu sagen, welchen Weg die Sowjetunion einschlagen würde.

German infantry, assisted by a Sd.Kfz 234/2 'Puma' tank, carrying out a counter-attack in the Upper Silesia, 26 February 1945

24. Januar

Deutschlands Kriegsmaschinerie

Ende Januar zog die Rote Armee durch Mitteleuropa und rückte unaufhaltsam auf die deutsche Hauptstadt Berlin vor. Die Ukraine, die die Nazis 1941 erobert hatten, um ihre reichen Bodenschätze inklusive Weizen und Eisenerz zu kontrollieren, war 1944 von der Sowjetunion zurückerobert worden. In Polen war die Rote Armee inzwischen in Warschau und Krakau einmarschiert.
Auch die weiter südlich gelegenen, von Deutschland kontrollierten Gebiete gerieten unter Beschuss. Eine dieser Regionen war Oberschlesien, das heute größtenteils in Südpolen liegt. Als industrielles Kernland, reich an Kohle und anderen Rohstoffen, war es zu einem der Motoren der deutschen Kriegswirtschaft geworden (siehe die Karte unten, die wir in unserer Ausgabe vom 27. Januar veröffentlichten). Hier befanden sich auch einige der größten Zwangsarbeits- und Konzentrationslager der Nazis, darunter die Lager von Auschwitz.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts waren Teile Oberschlesiens im Besitz des Deutschen Kaiserreichs, Österreich-Ungarns, des zaristischen Russlands, Polens und der Tschechoslowakei. Nach dem Einmarsch der Nazis in Polen 1939 kamen diese Gebiete vollständig unter deutsche Kontrolle. Die Region erstreckte sich über 21.000 Quadratkilometer und beherbergte 4,5 Millionen Menschen. „In dieser Region“, so schrieben wir, „befinden sich die reichsten Kohlevorkommen des gesamten Kontinents“. Auch die Zinkvorkommen in Oberschlesien galten als „die größten der Welt“. Die Kohle dieses Gebiets war für die Chemie- und Stromproduktion unerlässlich: „Ein dichtes Gas- und Stromnetz, das bis nach Breslau reicht, hängt von der oberschlesischen Kohle ab.“
Im Vergleich zum Ruhrgebiet, das für seine Kohle- und Stahlproduktion bekannt ist, hinkte Oberschlesien industriell hinterher. Die Stahlproduktion in Oberschlesien war vergleichsweise gering, was zum Teil auf zu wenige lokale Eisenerzgruben zurückzuführen war. Dennoch war diese Region für die Nazi-Kriegsmaschinerie von zentraler Bedeutung, vor allem nachdem die Alliierten 1943 begannen, das Ruhrgebiet massiv zu bombardieren:

„Es steht daher außer Zweifel, dass Oberschlesien in den letzten zwei Jahren zahlreiche neue Industriezweige entwickelt hat. Neben neuen Chemiewerken sind überall in der Gegend große Fabriken für Kriegsmaterial aller Art entstanden, meist abseits bewohnter Orte und gut durch Wälder und Hügel getarnt.“

Nach der Intensivierung der alliierten Bombardements verlagerten die Nazis einen Teil ihrer Schwerindustrie vom Ruhrgebiet nach Oberschlesien. „Es besteht kein Zweifel“, schrieben wir, „dass die wichtigsten Kriegsfabriken unterirdisch gebaut wurden.“ Von Zement und Düngemitteln bis hin zu Zügen und Eisenbahnschienen wurde dort alles produziert. Bis 1945 waren die Eisenbahnen in Ostdeutschland von der Kohle der Region abhängig. Der Verlust Oberschlesiens, so schrieb The Economist, „wäre ein schwerer Schlag für die deutsche Kriegsindustrie“.
Er würde auch die Befreiung Tausender Gefangener bedeuten. Am 27. Januar, dem Tag, an dem der Artikel des Economist über Oberschlesien in Druck ging, übernahm die Rote Armee die Kontrolle über Auschwitz von den Nazis. Dies war das größte Konzentrationslager der Nazis; mehr als eine Million Menschen wurden dort während des Holocaust ermordet. Mit dem weiteren Vormarsch der Roten Armee sollte das Ausmaß der von den Nazis im besetzten Polen und anderswo verübten Gräueltaten noch deutlicher zutage treten.

31. Januar

Werbung in Kriegszeiten

Der Zweite Weltkrieg war für britische Unternehmen eine harte Zeit. Viele Waren, die sie vor dem Krieg verkauft hatten, wurden nicht mehr hergestellt, da das Land seine Ressourcen auf die Unterstützung der Streitkräfte umstellte. Die Werbebranche spürte dies besonders. „Der Markenwert", schrieb die Advertising Association 1940, „ist ein Kapitalwert von nahezu unbegrenztem Wert: schwer aufzubauen, aber allzu leicht zu verlieren." Sie ermahnte die Unternehmen: „Lasst uns unsere Markennamen in dieser Zeit des wirtschaftlichen Umbruchs schützen."
Nicht nur hatten sie weniger Produkte anzupreisen; sie sahen sich auch einer energischen Kampagne gegen Verschwendung gegenüber. Der „Verschwendungskäfer", eine von der Regierung erfundene Karikatur eines Schädlings, die Käufer dazu verleitete, Geld zu verschwenden, anstatt in Kriegsanleihen zu investieren, tauchte wiederholt in der Propaganda auf. Der Käfer wurde als „Hitlers Kumpan" bezeichnet.
Dennoch blieben einige britische Markennamen während des gesamten Krieges im Bewusstsein der Verbraucher haften. Ein Blick auf die Anzeigen, die wir Anfang 1945 druckten, verrät viel über das Leben an der Heimatfront. Die Hersteller von Bovril, einer Fleischextraktpaste, die zu einem kräftigen Getränk aufgebrüht werden kann, priesen die „Wärme und Behaglichkeit", die sie den Briten im tiefsten Winter bereiten konnte. Crookes, ein Pharmaunternehmen, vermarktete Heilbuttöl als „unverzichtbaren Bestandteil der Kriegsernährung", besonders „in diesem sechsten Kriegswinter".
Anzeigen für feinere Waren erschienen ebenfalls in unseren Seiten—mit einer besonderen Note. Die Whiskyproduktion war Anfang der 1940er Jahre eingebrochen, da die Getreidevorräte in die Lebensmittelproduktion flossen, bevor sie 1944 langsam wieder anlief. White Horse, eine Brennerei, versuchte, aus dieser Wende Kapital zu schlagen, indem sie für ihren Bestand an „Vorkriegswhisky" warb, der „alt wurde, als dieser Krieg noch jung war". Eine Anzeige für Black Magic (eine Marke, die noch heute verkauft wird, jetzt im Besitz von Nestlé) versprach, dass Pralinen, die lange nicht mehr produziert wurden, bald wieder erhältlich sein würden: „Kommt der Frieden, kommt Black Magic."
Andere Unternehmen nutzten ihre Anzeigen, um ihre Rolle während der Kriegsanstrengungen zu demonstrieren. Daimler und Singer, zwei Autohersteller, versuchten, die Leser des Economist zu gewinnen, indem sie die Ausrüstung präsentierten, mit der sie Großbritanniens Macht in der Luft, zu Lande und zur See gesichert hatten. Daimler baute gepanzerte Fahrzeuge für die Infanterie; beide Firmen stellten auch Flugzeugteile her. Kodak, ein amerikanisches Unternehmen, fertigte Kameras für Alliierte Soldaten und Bomberteams, die damit ihre Position über einem feindlichen Ziel beim Bombenabwurf festhielten.
Unternehmen hatten Werbeflächen auf diese Weise seit Kriegsbeginn genutzt. Doch im Januar 1945 hatten sie bereits das Kriegsende im Blick. Singer versprach, dass seine Ingenieure, ihre durch „fünf Jahre Hingabe an die Sache der Nation verbesserten" Fähigkeiten nun ganz in den Dienst „der Herstellung der besten Autos der Zukunft widmen würden". Ebenso machte es auch der Autobauer Lanchester. „Der Nachkriegs-Lanchester", so das Versprechen, würde sich tatsächlich als ein Auto erweisen, „für das sich das Warten lohnt".

Februar

1945

7. Februar

Konferenz auf der Krim

Winston Churchill, Franklin Roosevelt und Josef Stalin hatten sich zuletzt Ende 1943 in Teheran, der Hauptstadt des Iran, getroffen. Dort hatten sie vereinbart, dass Großbritannien und Amerika eine zweite Front gegen die Nazis in Westeuropa eröffnen würden, während die Sowjetunion von Osten her angreifen sollte. Nun, da die deutsche Verteidigung zusammenbrach, trafen sich die Führer Großbritanniens, der USA und der Sowjetunion erneut—in Jalta, einem Kurort auf der Krim. „Das Triumvirat der Welt“, schrieben wir am 3. Februar 1945, „wird wieder von Angesicht zu Angesicht zusammenkommen, um die letzten Phasen des Krieges und die ersten Schritte des Friedens zu bestimmen.“
Die vom 4. bis 11. Februar abgehaltene Konferenz von Jalta sollte einen Plan ausarbeiten, wie die Alliierten Europa nach der Niederlage der Nazis regieren würden. In Teheran hatten sich die drei Mächte auf „Einflusssphären“ geeinigt: Russlands Einflusssphäre sollte sich auf Mittel- und Osteuropa sowie den Balkan erstrecken, während Großbritannien und den USA der Mittelmeerraum zugesprochen wurde. Doch die in Jalta erzielte Vereinbarung, über die wir nach dem Ende der Konferenz berichteten, revidierte diese Pläne. Stattdessen verpflichteten sich die drei, „allen Völkern das Recht zu gewähren, ihre eigene Regierungsform zu wählen“.
Deutschland als der Aggressor sollte von den Alliierten besetzt werden, um ein Wiederaufleben des Nationalsozialismus zu verhindern und den Übergang des Landes zur Demokratie sicherzustellen. Die Kontrolle sollte zwischen den drei Siegermächten und Frankreich aufgeteilt werden (wobei die Grenzen dieser „Besatzungszonen“ noch nicht endgültig festgelegt waren: Die Frontlinien bewegten sich zum Zeitpunkt der Jalta-Konferenz im Osten und Westen noch). Darüber hinaus sollte Deutschland entmilitarisiert werden:

„Die Zerschlagung des deutschen Militarismus und des deutschen Generalstabs wird zum ersten Mal neben der Vernichtung des Nationalsozialismus erwähnt. Die Bestrafung von Kriegsverbrechern wird erneut bekräftigt. Erstmals wird offiziell angedeutet, dass die Deutschen schließlich ‚ein anständiges Leben ... und einen Platz in der Völkergemeinschaft‘ gewinnen können. Unklarheiten gibt es bei der wirtschaftlichen und territorialen Regelung.“

Doch vieles an der Umsetzung dieses Plans blieb vage, angefangen bei der Forderung nach Entmilitarisierung Deutschlands. „Hart ausgelegt könnte dies die völlige Zerstörung der deutschen Schwerindustrie bedeuten“, schrieben wir. „Milder verstanden könnte es ein—zugegebenermaßen schwieriges—Maß an alliierter Aufsicht über ein funktionierendes deutsches Industriesystem bedeuten.“ Unklar blieb auch, ob die Forderung nach Reparationszahlungen durch das Land „einen Mindestlebensstandard für die Deutschen“ unmöglich machen würde. Wir befürchteten sogar, dass die Erklärung der Besatzungsmächte dazu benutzt werden könnte, die Zwangsarbeit von Deutschen als Form der Wiedergutmachung zu rechtfertigen.
The Economist hielt sich daher mit einem Urteil über das in Jalta Vereinbarte zurück: „Über die Bedingungen, wie sie dastehen, kann kein Urteil gefällt werden. Alles hängt von der Auslegung ab.“ Am Ende sollten die USA und Großbritannien, die eine nachsichtigere Politik befürworteten, mit der Sowjetunion wegen deren rücksichtsloser Enteignung deutscher Fabriken und ihrer Weigerung, Lebensmittel aus dem Osten des Landes in den bevölkerungsreicheren Westen zu schicken, aneinandergeraten. Die Spannungen darüber, wie mit dem besetzten Deutschland umzugehen sei, sollten die frühen Jahre des Kalten Krieges prägen.
In den Jahren nach Jalta war der Westen auch in der Frage des Umgangs mit Osteuropa uneins mit der Sowjetunion. Die Beschlüsse ließen dies offen. Die Alliierten hatten sich darauf geeinigt, dass Polen „auf einer breiteren demokratischen Grundlage unter Einbeziehung demokratischer Führungskräfte aus Polen selbst und von im Ausland lebenden Polen reorganisiert werden“ sollte. Nach Jahren des Krieges schien dies ein faires Ergebnis für Polen—wenn es denn verwirklicht werden könnte:

„Alles hängt davon ab, wie Begriffe wie ‚demokratisch‘, ‚freie und ungehinderte Wahlen‘, ‚demokratische und nicht-nazistische Parteien‘, ‚nicht durch Kollaboration mit dem Feind kompromittiert‘ in der Praxis ausgelegt werden. Wenn diese Worte bedeuten, was sie sagen, und was Briten und Amerikaner darunter verstehen, dann würde eindeutig ein großer Fortschritt erzielt werden. Darauf kann jedoch allein die Umsetzung dieser Beschlüsse eine endgültige Antwort geben... Es gibt jedoch einen sicheren Test. Wenn die auf der Basis der Krim-Erklärung eingesetzten Regierungen und die von ihnen verwalteten Gesellschaften gesunde Anzeichen von Auseinandersetzungen, Meinungsverschiedenheiten und echter politischer Unabhängigkeit zeigen, kann man getrost ‚Amen‘ zu den vorliegenden Vorschlägen sagen.“

Die Beschlüsse von Jalta sollten den Test des Economist leider nicht bestehen. Stalin hielt sein Versprechen nicht, freie Wahlen in Mittel- und Osteuropa zuzulassen; da die Rote Armee einen Großteil des Gebiets kontrollierte, konnten Amerika und Großbritannien wenig tun, um ihn dazu zu zwingen. In Polen begannen die sowjetischen Streitkräfte noch während des Treffens der Staats- und Regierungschefs in Jalta, den Widerstand gegen die kommunistische Herrschaft zu zerschlagen.

14. Februar

Der deutsche Rumpfstaat

Während Churchill, Roosevelt und Stalin in Jalta zusammensaßen, rückte die Sowjetunion in Osteuropa mit atemberaubender Geschwindigkeit vor. Am 12. Januar hatte die Rote Armee ihren Vorstoß durch Polen in Richtung Deutschland begonnen. Mitte Februar hatten die Alliierten „Deutschland auf sein Kernland zwischen Rhein und Oder reduziert“. Während die Nazis den Vormarsch der Alliierten im Westen verlangsamen konnten, war die Rote Armee kaum aufzuhalten. Wir erklärten das so:

„Erstens sind die russischen Armeen zahlenmäßig deutlich überlegen. Nachdem der Durchbruch erfolgt war, wurde der Vormarsch durch das dichte Straßennetz beschleunigt. Die für Ostdeutschland und Westpolen typischen Flüsse, Seen und Sümpfe stellten daher kein Hindernis dar. Unter diesen Umständen kann eine bloße Stabilisierung der Kämpfe an einer neuen Front entlang der Oder bestenfalls ein vorübergehendes Aufhalten bedeuten, wenn überhaupt.“

Mit anderen Worten: Immer größere Teile Deutschlands, so prognostizierten wir, würden bald unter sowjetische Besatzung fallen. Das von den Nazis kontrollierte Gebiet war noch immer beträchtlich und erstreckte sich vom Nordwestbalkan und Norditalien bis nach Norwegen, wo ein kollaboratives Regime weiterhin an der Macht war. Entscheidend war jedoch, dass die sowjetische Offensive den Nachschublinien, die Deutschland noch im Kampf hielten, einen schweren Schlag versetzt hatte.
Mitte Februar kontrollierte die Rote Armee fast ganz Oberschlesien, eine für die deutsche Versorgung mit Kohle und Metallen unverzichtbare Industrieregion. In den Wochen zuvor hatte dieser Verlust die Kriegsindustrie der Nazis und insbesondere ihre Rüstungsbetriebe getroffen. „Im Vergleich zur Produktion in Großbritannien und den Vereinigten Staaten“, berichteten wir, „erscheint Deutschlands derzeitige Produktion gering und völlig unzureichend, um die Verluste zu ersetzen und riesige Armeen auszurüsten.“ Das bedeutete nicht zwangsläufig das Ende für die Nazis; wie wir anmerkten, hatte Deutschland beispielsweise bei der Herstellung von Bombenflugzeugen nie mit Großbritannien und Amerika Schritt halten können. Jetzt baute es jedoch kaum noch Schiffe, abgesehen von U-Booten und kleinen Booten.
Mit dem Verlust Polens hatten die Nazis auch Ackerland aufgegeben, auf dem große Mengen an Grundnahrungsmitteln produziert wurden. Einige Vorräte wurden während des Rückzugs zurückgelassen. „Große Mengen an Kartoffeln müssen zurückgelassen worden sein“, schrieben wir. Effiziente Verteilungsnetze gerieten „aus den Fugen“, als deutsche Städte „einen plötzlichen Zustrom von Evakuierten“ erlebten und die Eisenbahnen „mit Militärtransporten überlastet“ wurden. Infolgedessen wurde die Rationierung verschärft: „Die ursprünglich für den achtwöchigen Zeitraum vom 5. Februar bis zum 1. April ausgegebenen Lebensmittelkarten müssen nun für neun Wochen reichen, was einer Kürzung [der Rationen] um etwa 10 Prozent entspricht.“
Die Nazi-Propaganda wurde zunehmend verzweifelter. Der Volkssturm, eine von Hitler Ende 1944 zur letzten Verteidigung Deutschlands gegründete Miliz, spielte in den Parolen des Regimes eine wichtige Rolle. Doch die Moral in der eine Million starken Truppe war miserabel. Schlecht ausgerüstet und größtenteils unausgebildet, ließen sich nur wenige von Appellen an den Nazi-Fanatismus beeindrucken. Hinter den Kulissen bemühte sich das deutsche Heer unterdessen, sich nach der Vertreibung aus Frankreich und Polen neu zu formieren:

„Hinter dieser Propaganda, die noch nie so viele Superlative verwendet hat, um die Not der Flüchtlinge und die Gefahr für das Reich zu beschreiben, schreitet die Neuorganisation der Armeen zweifellos voran. Die politische Opposition von Generälen und anderen Offizieren, die im letzten Sommer einen Moment der Gefahr darstellte, scheint nicht vorhanden zu sein; tatsächlich erscheint nach den Säuberungen des letzten Jahres eine wirksame Opposition im Moment kaum wahrscheinlich. Bislang scheint die Politik der Alliierten in Richtung einer bedingungslosen Kapitulation zu einer ‚bedingungslosen Verteidigung‘ geführt zu haben.“

Und diese „bedingungslose Verteidigung“, wie The Economist es ausdrückte, wurde von den Nazis brutal durchgesetzt. Deutsche, die Anzeichen von Defätismus zeigten, wurden hart bestraft; zahlreiche Deserteure wurden erschossen. Für viele Deutsche war schon seit Monaten klar, dass der Krieg verloren war.

Fourth Marines Hit Iwo Jima Beach -- Fourth Marines dash from landing craft, dragging equipment, while others Go Over The Top of sand dune as they hit the beach of Iwo Jima, Volcano Islands, February 19. Smoke of artillery of Mortar fire in background. February 22, 1945. (Photo by Joe Rosenthal, AP).

21. Februar

Ärger in Tokio

Im Pazifik wendete sich Mitte Februar das Blatt zugunsten der Amerikaner. „Manila, die Hauptstadt der Philippinen, ist innerhalb von vier Wochen nach den ersten amerikanischen Landungen an den Stränden von Lingayen gefallen", schrieben wir am 10. Februar. Schon bald würden die Amerikaner die verbliebenen japanischen Streitkräfte auf den Inseln besiegen, die sie seit 1941 besetzt hielten. Admiral Chester Nimitz, der die amerikanische Flotte im Pazifik befehligte, plante, Manila als Hauptstützpunkt für weitere Marineoperationen gegen Japan zu nutzen. „Wir werden weiter in Richtung Japan vorrücken", sagte er, „und wir sind zuversichtlich, dass uns dies gelingen wird." Und tatsächlich befand sich Japan am 24. Februar in Aufruhr:

„Dies sind düstere Wochen für die Führung und das Volk Japans. Die Philippinen sind so gut wie verloren. Amerikanische Truppen landen auf Iwojima, nur knapp tausend Kilometer von der japanischen Küste entfernt. Tokio und andere Städte haben die ersten einer Serie von Bombenangriffen durch mehr als tausend amerikanische Flugzeuge erlebt. Gleichzeitig deuten die Nachrichten aus Europa—die Konferenz von Jalta und die weitreichenden sowjetischen Vorstöße in Deutschland—darauf hin, dass die Alliierten bald in der Lage sein können alle ihre Kräfte gegen Japan zu bündeln."

Der Angriff auf Iwojima (siehe Bild), eine strategisch wichtige Insel, die Amerika als Stützpunkt für Bombenangriffe auf das japanische Festland nutzen würde, war nur der jüngste in einer Reihe amerikanischer Vorstöße. In den vergangenen zweieinhalb Jahren hatten die amerikanischen Siege im Pazifik ein politisches Drama in Japan ausgelöst. Im Sommer 1944 war General Tojo Hideki nach einer Reihe von Niederlagen zum Rücktritt als Premierminister gezwungen worden. Sein Nachfolger, General Koiso Kuniaki, mühte sich ebenfalls vergeblich, Japans militärisches Geschick zu verbessern. Obwohl die japanische Presse ernsthafte Kritik an der mangelhaften Qualität der Flugzeuge des Landes geäußert hatte, war es Koiso nicht gelungen, die Kriegsmaschinerie zu verbessern (wenige Wochen nach dem Fall Manilas sollte auch er zurücktreten, als die Amerikaner im April 1945 in Okinawa landeten).
Der Verlust der Philippinen hatte Japans Schwächen offenbart. Wir stellten fest, dass der Mangel an Industriegütern (wahrscheinlich einschließlich Kautschuk und Öl aus Südostasien) zu einem gravierenden Problem geworden war. „Es ist offensichtlich", schrieben wir, „dass man in Japan angesichts dieser Lage schon sehr optimistisch sein muss, um noch an eine Chance zum Sieg zu glauben."

Asia Pacific, Feb 15th 1945

Allied control

Tokyo

Enemy control

JAPAN

CHINA

PACIFIC

OCEAN

Iwo Jima

Burma

PHILIPPINES

SIAM

Lingayen

Gulf

Manila

french

indochina

Dutch east indies

Source: United States government

Asia Pacific, Feb 15th 1945

Allied control

Enemy control

Tokyo

JAPAN

CHINA

Iwo Jima

Burma

PACIFIC

OCEAN

PHILIPPINES

SIAM

Lingayen

Gulf

Manila

french

indochina

Dutch east indies

Source: United States government

Asia Pacific, Feb 15th 1945

Allied control

Enemy control

JAPAN

Tokyo

CHINA

Iwo Jima

PACIFIC

OCEAN

PHILIPPINES

Lingayen

Gulf

Manila

Source: United States government

Würde das Land die Waffen strecken oder sich für einen Kampf bis zum bitteren Ende entscheiden, wie Deutschland es tat? Ein Vergleich mit Italien bot sich an. Dort hatten eine starke Monarchie und eine relativ schwache Unterstützung des Faschismus in der Bevölkerung dazu geführt, dass Italien schon bald nach den ersten großen militärischen Niederlagen kapitulierte: Der neu ernannte Premierminister Pietro Badoglio tat dies im September 1943. (König Viktor Emanuel hatte Benito Mussolini, den faschistischen Diktator des Landes und Badoglios Vorgänger, bereits früher im Jahr verhaften lassen.) Die gleichen Faktoren waren auch in Japan gegeben: Da der Kaiser noch immer an der Macht war und es keine Massenbewegung zur Unterstützung des Faschismus gab, konnte man auch von Japan erwarten, dass es aufgeben würde. Um das Land zu einem „Kampf bis zum Ende" zu zwingen, so unsere Überlegung, „bedürfte es wahrscheinlich der Unterstützung durch eine Massenpartei, die zu schaffen den Extremisten bisher nicht gelungen ist." Doch es gab einen Haken:

„Es gibt also einige Hinweise, die die Ansicht stützen, dass mit zunehmender Gewissheit einer Niederlage die Chance auf einen Regimewechsel in Japan steigt, der den japanischen Badoglio an die Macht bringt, der bereit wäre, nicht zu verhandeln, sondern die bedingungslose Kapitulation zu akzeptieren. Doch wäre es sehr gewagt, dies als Gewissheit anzunehmen, und es gibt andere Faktoren und Kräfte, die eine andere Geschichte erzählen. Das Zentrum des Extremismus in Japan ist die Armee, und bei jeder entscheidenden Wende in der japanischen Politik seit 1931 haben sich die militärischen Führer weitgehend durchgesetzt. Auch ist es wahr, dass ihr Weg bisher von schnellen Erfolgen gekrönt war."

Angesichts der Möglichkeit einer umfassenden amerikanischen Offensive schien es denkbar, dass die japanische Armee versuchen würde, die jungen Nationalisten des Landes zu radikalisieren und es von den verbliebenen Gemäßigten in der Regierung und am kaiserlichen Hof politisch zu säubern. „Auf einer solchen Grundlage", so befürchtete The Economist, „könnten sie vielleicht den Nazis nacheifern und ein Regime errichten, das hart genug ist, um bis zum bitteren Ende zu kämpfen."
Ob es ihnen gelingen würde, Japan zu überzeugen, war unklar; einige Gemäßigte, so schrieben wir, schienen noch immer die Oberhand zu haben. Dennoch war die Vorstellung von einem „Kampf bis zum Ende auf japanischem Boden" eine erschreckende Aussicht: Schließlich sollte sich die Schlacht um Iwojima als eine der blutigsten erweisen, die je von amerikanischen Marineinfanteristen geschlagen wurde. Als sie in erbitterte Kämpfe auf der stark befestigten Insel verwickelt wurden, wurde Iwojima zu einer Warnung, wie katastrophal eine Bodeninvasion auf dem japanischen Festland sein würde.

28. Februar

Ach, ich möchte am Meeresstrand sein!

Während einige der blutigsten Schlachten zwischen Amerika und Japan im Pazifik gerade erst begannen, fühlte sich der Sieg in Europa für die Briten so nah an, dass sich The Economist erlaubte, einen Blick auf das Kriegsende zu werfen. Das Leben würde nicht schnell zur Normalität zurückkehren. Die britische Wirtschaft hatte einen schweren Schlag erlitten, sodass die Regierung gezwungen war, einige Rationierungen bis 1954 aufrechtzuerhalten. Doch es war offensichtlich, dass nach dem Ende des Krieges der aufgestaute Wunsch nach Ruhe und Entspannung groß sein würde:

„Niemand glaubt heute, dass die ‚letzte Entwarnung' eine sofortige Rückkehr zum Vorkriegsleben mit seiner Fülle an Annehmlichkeiten einläuten wird. Die Fortsetzung der Rationierung, mit nur allmählicher Lockerung, wird als unvermeidlich akzeptiert. Nichtsdestotrotz wird der Waffenstillstand mit Deutschland eine Welle von Ausgaben freisetzen—wie sehr auch immer offiziell davon abgeraten wird,—die überall dort getätigt werden, wo es keine verhängte Pro-Kopf-Rationierung gibt. Das Kriegsende wird das Korsett sprengen, in das sich das soziale Gewissen in den letzten fünf Jahren hineingezwungen hat. Nur wenige werden zweimal überlegen, ob sie an Treibstoff oder Geld sparen, wenn es darum geht, sich irgendwie zu helfen, Reparaturen durchzuführen oder Reisen zu unternehmen, die per Definition nicht ‚wirklich notwendig' sind."

Es schien nur natürlich, dass die Briten sich nach „dem ersten Urlaub seit den letzten Friedenstagen" sehnen würden. Die Regierung hatte sie lange dazu angehalten, „Urlaub zu Hause" zu verbringen; nun hielt sie sie nicht mehr davon ab, sich außerhalb der eigenen vier Wände zu erholen. „Wiedervereinte Familien, entlassene Soldaten im bezahlten Urlaub, Arbeiter mit mit Anspruch auf bezahlten Urlaub, frisch verheiratete Paare, Familien mit Kindern, die noch nie das Meer gesehen haben, und andere, die auf Urlaub während des Krieges verzichtet haben," waren nur einige der Bevölkerungsgruppen, von denen wir erwarteten, dass sie bald in die britischen Badeorte wie Margate, Brighton und Eastbourne strömen würden.
Kinder würden im Sommer 1945 mit ihren Sandkasteneimern und -spaten an die Strände zurückkehren. In diesem Video vom Juli sieht man immer noch Stacheldraht über dem Geländer einer Strandpromenade.
Video: British Movietone/AP
Aber es war nicht klar, ob die Seebäder dafür gerüstet sein würden. Nach Jahren der Schließung zur Sicherheit der Marine konnte man sich ohne weiteres „endlose Warteschlangen für Mahlzeiten und Betten" vorstellen. Als 1944 einige Badeorte wiedereröffneten, hatten sie sogar Schwierigkeiten, mit kleineren Menschenmengen fertig zu werden:

„Der Bedarf des Gastgewerbes an staatlicher Unterstützung musste dringend gedeckt werden. Die Aufhebung des Reiseverbots in Verteidigungsgebiete im letzten Jahr führte zu einem Besucherstrom in die Ferienorte an der Ost- und Südostküste, auf den diese schlecht vorbereitet waren und den die Eisenbahn nicht bewältigen konnte. In diesem Jahr dürfte die Zahl der Urlauber angesichts der durch die militärische Lage hervorgerufenen Stimmung noch erheblich größer sein. Die Menschen sind jetzt bereit, sich eine gewisse Erholung von den Entbehrungen zu gönnen. Sollte der Waffenstillstand vor der Haupturlaubszeit kommen, wird die Nachfrage nach Urlaubsplätzen noch stärker ansteigen. Aus momentaner Sicht ist eine akute Knappheit an Ferienunterkünften zu erwarten."

Es gab einige Möglichkeiten, wie die Regierung versuchen könnte zu helfen, konstatierte The Economist. Einige hatten die Idee staatlich geführter Ferienlager in Umlauf gebracht—obwohl diese, wie wir anmerkten, „zum Glück wohl eher nicht so beliebt wären". Bessere Optionen wären unserer Meinung nach, wenn die Regierung alte Armeelager und Arbeiterwohnheime für große Gruppen zugänglich machte und Unternehmen, die Urlauber betreuen wollen, Sonderkredite anböte. Nach Jahren der Sorge um die Versorgung des Landes mit Kanonen und Butter muss es eine große Erleichterung gewesen sein, sich nun um die Beschaffung von Eiscreme und Sonnenschirmen kümmern zu müssen.

März

1945

7. März

Ein weiterer Fluss

In Westeuropa hatten die Alliierten einen schwierigen Start ins Jahr erlebt. Nachdem sie in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 durch das von den Nazis besetzte Frankreich vorgerückt waren, gerieten die Amerikaner und Briten ins Stocken. Mitte Dezember hatte der deutsche General Gerd von Rundstedt eine Gegenoffensive in den Ardennen zwischen Luxemburg und Belgien gestartet. Doch im Februar hatten die Alliierten Rundstedt zurückgeschlagen, dessen Truppen der Nachschub ausging; im März drangen sie erneut von Westen in deutsches Gebiet vor.
„Endlich stehen die Alliierten am Rhein, und morgen könnten sie ihn schon überqueren", schrieben wir hoffnungsvoll in unserer Ausgabe vom 10. März. Es galt nur noch einen großen Fluss zu überqueren, bevor sie das deutsche Kernland erreichten:

„In der ersten Märzwoche entbrannten Schlachten an Rhein und Oder, die das letzte Kapitel des europäischen Krieges einläuteten. Die alliierten Armeen im Westen erreichen den Rhein auf einer langen Front von Koblenz bis zur niederländischen Grenze. Rundstedt, hoffnungslos unterlegen, kann nicht einmal die großen Städte am linken Rheinufer als Brückenköpfe für die Wehrmacht halten... Sein eigentliches Ziel kann nur sein, die Errichtung alliierter Brückenköpfe über den Rhein so lange wie möglich zu verzögern. Selbst ein Teilerfolg hierin würde Deutschland keine wirkliche Entlastung bringen."

Im Osten war die Rote Armee unter dem Kommando von Georgi Schukow und Konstantin Rokossowski nordwärts zur polnischen Küste vorgedrungen und hatte die deutschen Kräfte um die Hafenstadt Danzig (heute Gdańsk) eingekesselt. Wie die am Rhein im Westen gesammelten Alliierten stand die Rote Armee nun vor der Aufgabe, den Unterlauf der Oder zu überqueren, die durch Ostdeutschland nordwärts zur Ostsee fließt. Bald würde die Rote Armee einen Angriff auf Stettin (heute Szczecin), eine Stadt an der Flussmündung, starten. „Die nächsten Wochen", so berichteten wir, „werden also mit Sicherheit die letzten beiden großen Schlachten um Flussübergänge im Krieg gegen Deutschland bringen."

Europe, March 15th 1945

Axis control

Neutral

Recent Allied gains

Allied control

On pre-war borders

sweden

Baltic

Sea

denmark

denmark

North

Sea

Danzig

Stettin

Berlin

POLAND

neth.

britain

neth.

Oder

germany

Cologne

Bel.

czechoslovakia

Rhine

Lux.

AUSTRIA

hungary

switz.

france

yugoslavia

italy

Sources: United States government; Mapping The International System, 1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

Europe, March 15th 1945

On pre-war borders

Recent Allied gains

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Neutral

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Stettin

Berlin

POLAND

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Bel.

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Rhine

Lux.

AUSTRIA

hungary

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france

yugoslavia

italy

Sources: United States government; Mapping The

International System, 1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

Europe, March 15th 1945

On pre-war borders

Axis control

Neutral

Recent Allied gains

Allied control

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Baltic

Sea

denmark

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North

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neth.

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Rhine

Lux.

AUSTRIA

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switz.

france

yugoslavia

italy

Sources: United States government; Mapping The International System,

1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

Unterdessen intensivierte Amerika im Pazifik seine Bombenkampagne gegen Japan. Die Amerikaner hatten das japanische Festland bereits seit 1942 bombardiert, verstärkten ihre Kampagne jedoch 1944—zunächst von Luftwaffenstützpunkten auf dem chinesischen Festland aus und später von Saipan, einer Insel, die sie im Sommer Japan entrissen hatten. Die ersten Angriffe richteten sich gegen militärische und industrielle Ziele. Doch nachdem schwierige Wetterbedingungen eine Reihe von Angriffen scheitern ließen, gaben die amerikanischen Generäle diese Strategie auf. Im Januar übernahm Curtis LeMay die Leitung der Operationen und ordnete Brandbombenangriffe auf japanische Großstädte an.
Die meisten Gebäude in japanischen Städten, aus Holz und Papier errichtet, waren den Brandbomben schutzlos ausgeliefert. In der Nacht zum 9. März startete LeMay einen Großangriff auf Tokio. Fast 300 B-29-Bomber warfen weißen Phosphor und Napalm auf die Stadt ab, in der es seit Wochen kaum geregnet hatte. Es entstand ein Feuersturm. Mehr als 100.000 Einwohner kamen ums Leben und rund 40 Quadratkilometer der Stadt wurden verwüstet. Es war der tödlichste Bombenangriff des gesamten Zweiten Weltkriegs. Während die Kämpfe in Europa in die Endphase traten, erreichte der Konflikt im Pazifik seine gewaltsamste Phase.

14. März

Balkankrise

Im März 1945 wurden die Nazis von den Alliierten von Osten und Westen in die Zange genommen. Auch vom Süden her wuchs der Druck. Der Balkan war fast vier Jahre lang unter deutscher Besatzung gewesen. Doch 1944 verschoben sich die Machtverhältnisse. Nachdem die Rote Armee im Sommer westwärts durch die Ukraine gestürmt war, stieß sie nach Süden auf den Balkan vor. Dort vereinigte sie sich mit Widerstandskämpfern unter der Führung von Josip Broz, einem kroatischen Kommunisten, der unter dem Parteinamen „Tito“ bekannt war. Nachdem Anfang 1945 der Großteil der Halbinsel befreit war, traf Tito mit britischen und sowjetischen Offizieren zusammen, um die nächsten Schritte des Feldzugs zu planen. Wie wir am 10. März berichteten:

„Gegen Ende Februar besuchte Feldmarschall Alexander Jugoslawien und konferierte mit General Tolbuchin, dem sowjetischen Oberbefehlshaber auf dem Balkan, und mit Marschall Tito. Vermutlich erörterten sie Mittel und Wege zur vollständigen Befreiung des Balkans. Fast ganz Südosteuropa ist nun befreit, obgleich in Jugoslawien noch vereinzelte deutsche Widerstandsnester existieren. Die Wehrmacht hält jedoch nach wie vor ganz Kroatien sowie das Gebiet zwischen Plattensee und Donau im Nordwesten Ungarns. Diese beiden Bollwerke sichern die Zugänge nach Österreich.“

Die Befreiung des größten Teils Jugoslawiens—des Staates, der einen Großteil des westlichen Balkans umfasste—und ganz Rumäniens eröffnete der Roten Armee einen Weg durch Ungarn nach Österreich. Anfang April begann die Belagerung Wiens. Doch während sich der Krieg dem Ende zuneigte, wurde der Erfolg der Alliierten, die Nazis vom Balkan zu vertreiben, von den politischen, ethnischen und territorialen Konflikten überschattet, die in der Region selbst hochkochten:

„Die politische Lage auf dem Balkan und im Donauraum ist weit weniger zufriedenstellend als die militärische. Unruhe und Spannungen herrschen in der gesamten Region. Die befreiten Völker leiden unter zwei altbekannten Plagen: der Gewalt sozialer und politischer Konflikte und der Heftigkeit unzähliger nationalistischer Fehden. Sowohl die inneren Umwälzungen als auch die nationalen Konflikte sind auf die eine oder andere Weise mit den Beziehungen zwischen den alliierten Großmächten verknüpft. Die altbekannten Balkanprobleme tauchen in einer nur teilweise neuen Form wieder auf und drohen, internationale Schwierigkeiten zu verursachen.“

Die nach dem Rückzug der Nazis gebildeten Regierungen erwiesen sich als instabil. In Rumänien scheiterten König Michaels Bemühungen, eine nichtkommunistische Regierung zusammenzuhalten, im März zum dritten Mal, als Petru Groza, der Führer der linken Pflügerfront, mit russischer Unterstützung eine neue Regierung bildete. (Andrej Wyschinski, ein russischer Diplomat in Bukarest, „dürfte wohl als deren Geburtshelfer gelten“, schrieben wir.) In Jugoslawien rang Tito, der gerade die Unterstützung der Serbischen Demokratischen Partei gewonnen hatte, um die Balance zwischen Kroaten, Slowenen und anderen ethnischen Gruppen. In Griechenland, wo kurz nach der Befreiung ein Bürgerkrieg ausgebrochen war, hatte sich ein Waffenstillstand eingestellt. Doch die tiefen Gräben zwischen Monarchisten, Kommunisten und gemäßigten Republikanern ließen einen dauerhaften Frieden unwahrscheinlich erscheinen.
Auch grenzüberschreitende Konflikte drohten auszubrechen. „Die nationalistischen Strömungen auf dem Balkan spiegeln sich in der langen Liste territorialer Ansprüche wider, die bereits von fast allen Balkanregierungen offiziell angemeldet wurden“, schrieben wir. In Griechenland beobachteten wir zunehmende chauvinistische Demonstrationen für ein „Großgriechenland“, bei denen die Menge skandierte: „Besetzt Bulgarien für 55 Jahre“ und „Sofia! Sofia!“. Gleichzeitig befürchteten viele Griechen, dass die Türkei versuchen könnte, einige der Dodekanes-Inseln vor ihrer Küste zu beanspruchen. Auch Jugoslawien, Bulgarien und Rumänien erwogen eigene Gebietsansprüche.
Die Zunahme interner wie externer Streitigkeiten war besorgniserregend:

„Das Beunruhigende an diesen typischen Balkanturbulenzen ist, dass die lokalen Anführer, Generäle und Oberhäupter offenbar darauf hoffen, mögliche Rivalitäten zwischen den alliierten Großmächten für ihre eigenen Zwecke ausnutzen zu können. Beinahe zwangsläufig ist eine Situation entstanden, in der die Linke im Allgemeinen auf die Unterstützung Russlands setzt, während die Rechte ihre Hoffnungen auf eine Intervention der Westmächte richtet. Vage politische Berechnungen basieren auf den groteskesten Annahmen… Es ist sinnlos zu leugnen, dass die Politik der Großmächte vor Ort solchen Interpretationen manchmal Nahrung gibt.“

Brutale Strafen für Mitglieder kollaborationistischer Regime, kommunistische Verleumdungen westlicher Sympathisanten als „Faschisten“ und die sich abzeichnende Spaltung des Kalten Krieges zwischen pro-russischen Elementen und britischen sowie amerikanischen Vertretern schufen auf dem Balkan eine düstere, von Paranoia geprägte Atmosphäre. „Den lokalen Regierungen, Parteien und Gruppierungen sollte unmissverständlich klargemacht werden, dass ihre Hoffnungen, von der Rivalität der Alliierten zu profitieren, vergeblich sind“, mahnten wir. Obwohl in Griechenland der Bürgerkrieg 1946 erneut aufflammte, blieben die schlimmsten ethnischen Kriege, die wir befürchteten, in den 1940er Jahren aus. Doch obwohl ein Großteil des Balkans hinter den Eisernen Vorhang glitt, wurde die Halbinsel letztendlich durch den Kalten Krieg geteilt.

21. März

Russlands Wiederaufbau

„Es ist nicht leicht“, schrieb The Economist am 24. März, „ein Bild der russischen Wirtschaft im vierten Jahr des Deutsch-Sowjetischen Krieges zu zeichnen.“ Seit Beginn des Unternehmens Barbarossa im Sommer 1941, als die Nationalsozialisten die Sowjetunion überfielen, war der Kreml zu einem verzweifelten Kampf ums Überleben gezwungen. An der Ostfront tobten einige der heftigsten Kämpfe des Zweiten Weltkrieges: Die Sowjetunion verlor mehr Menschen als alle anderen Alliierten zusammen. Nun stand Josef Stalin, der sowjetische Staatschef, vor der gewaltigen Aufgabe, zerstörte Städte und Industrien wiederaufzubauen. Während sowjetische Truppen in Reichweite Berlins kämpften, analysierten wir die Probleme der russischen Wirtschaft und ihre Fähigkeit zur Erholung.
Die westlichen Regionen der Sowjetunion, Schauplatz erbitterter Kämpfe während ihrer Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft, hatten unvorstellbare Zerstörungen erlitten. Wir schrieben:

„Hinter den Frontlinien der Roten Armee erstrecken sich weite Flächen ‚verbrannter Erde‘. Dass die dort angerichtete Zerstörung enormen Ausmaßes ist, steht fest, auch wenn das Ausmaß von Provinz zu Provinz und von Stadt zu Stadt variiert. Eine vorläufige offizielle Schätzung beziffert die Fläche der totalen Zerstörung auf 1.800 Quadratkilometer. Aus Dutzenden von Städten und Gemeinden in der Ukraine und in Weißrussland [Belarus] treffen Berichte ein, wonach das Leben bis in seine Grundfesten erschüttert ist. In vielen Städten blieben von Tausenden Häusern nur wenige Dutzend oder einige Hundert stehen, nachdem die Deutschen vertrieben worden waren.“

Industriezentren in der Ostukraine hatten besonders schwere Verwüstungen erlitten. Ein Drittel der Gebäude in Charkiw war vollständig zerstört; vier Fünftel der verbliebenen Gebäude waren stark reparaturbedürftig. Die Situation in der gesamten Region war ähnlich. „Ein Großteil der Stadt- und Landbevölkerung“, schrieben wir, „ist in quasi-troglodytische Verhältnisse zurückgeworfen worden.“ Höhlen und Lehmhütten waren zu gewöhnlichen Unterkünften geworden. Bergwerke, die von den Nationalsozialisten auf ihrer Flucht geflutet worden waren, standen noch immer unter Wasser; die sowjetischen Behörden hatten nach der Rückeroberung des Gebiets nur 7,5% der Bergwerke im Donbass trockenlegen können.
Der Zustand der Wirtschaft war jedoch innerhalb der Sowjetunion nicht überall gleich. Wir erläuterten:

„Doch die Geschichte der Zerstörung, die sich endlos fortsetzen ließe, erzählt nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte, nicht weniger bemerkenswert, wird durch Berichte über die industrielle Entwicklung und Expansion im Osten Russlands während des Krieges illustriert, die sich aus der Verlagerung von Anlagen aus dem Westen und einer intensiven Kapitalakkumulation vor Ort ergab. Kürzlich veröffentlichte Zahlen und Erklärungen deuten darauf hin, dass das Entwicklungstempo im Osten so hoch war, dass es der russischen Schwerindustrie ermöglichte, ihr Vorkriegsproduktionsniveau wiederzuerlangen und sogar zu übertreffen.“

Die Industrieproduktion im Osten, insbesondere in der Region um das Uralgebirge und in Zentralasien, boomte. Zahlen zur Stahlproduktion—einem wichtigen Produktionsfaktor für Waffen, Transportmittel und landwirtschaftliche Geräte—verdeutlichten das erstaunliche Wachstum der sowjetischen Industrie: 1944 wurde rund 30% mehr hochwertiger Stahl produziert als 1940. Auch die Stromerzeugung boomte. Die Fähigkeit der Sowjetunion, verlorene Kapazitäten in den besetzten Gebieten durch den Ausbau der Industrie im Osten zu kompensieren, trug maßgeblich zu ihrem Sieg über die Nationalsozialisten bei:

„Durch harte Arbeit und beispiellose Opfer ist es Russland gelungen, den Krieg nicht nur militärisch auf den Schlachtfeldern, sondern auch wirtschaftlich in den Fabriken und Bergwerken zu gewinnen. Trotz der immensen Zerstörungen in den westlichen Gebieten kann es nun in seinen neu errichteten Fabriken im Osten die Grundlage für den Wiederaufbau finden.“

Der Wiederaufbau in den befreiten Gebieten der westlichen Sowjetunion würde zu einer leichten Verlangsamung der Produktion im Osten führen. „Schon jetzt“, schrieben wir, „gibt es Anzeichen dafür, dass die Befreiung der westlichen Industriegebiete bereits zu einer gewissen Abschwächung der Kriegsanstrengungen in den östlichen Provinzen geführt hat.“ Doch die Sowjetunion war entschlossen, ihr industrielles Wachstum beizubehalten, unter anderem durch Reparationsforderungen an Deutschland zur Finanzierung des Wiederaufbaus. Stalin war fest entschlossen, die Sowjetunion als Weltmacht zu etablieren. Die Fortsetzung der wirtschaftlichen Expansion aus der Kriegszeit war der Schlüssel zu diesem Ziel.

28. März

Die Schlacht um Deutschland

Ende März rückten die Alliierten unaufhaltsam auf das deutsche Kernland vor. Im Westen harrten ihre Armeen wochenlang am Rhein aus, dem letzten großen Fluss, der sie von den Städten Westdeutschlands trennte. Die Nazis hatten die meisten Brücken über den Fluss auf ihrem Rückzug gesprengt, um den Vormarsch der Alliierten zu verlangsamen. Anfang März überquerten einige kleine Einheiten den Fluss. Dann, in der Nacht zum 23. März, setzten die Alliierten mit Booten und schwimmfähigen Panzern über den Rhein auf einer 20 Kilometer breiten Front. Operation Plünderung hatte begonnen. Innerhalb weniger Tage errichteten die Alliierten Brücken über den Rhein und stießen nach Frankfurt und Münster vor. In unserer Ausgabe vom 31. März schrieben wir:

„Die Rheinüberquerung der Alliierten wird für immer zu den entscheidendsten und zweifellos zu den taktisch brillantesten Schlachten der Geschichte zählen. Artilleriebeschuss, Luftangriffe, Fallschirmlandungen—alles spielte seine präzise getimte Rolle, und die Ingenieure vollbrachten Meisterleistungen, indem sie unter schwerem Feuer Brücken über den breiten und reißenden Fluss schlugen. Entlang des gesamten Rheins, von Wesel bis Straßburg, entstanden in schneller, kaleidoskopischer Folge Brückenköpfe, die in kürzester Zeit zu einer durchgehenden Front verbunden wurden. Jenseits des Rheins erwies sich die deutsche Verteidigung als dünn und brüchig.“

Der alliierte Vormarsch hatte verheerende Folgen für die Deutschen. Mehr als 250.000 Wehrmachtssoldaten gerieten in Gefangenschaft, als die Alliierten über den Rhein vordrangen, berichteten wir. Dies erschwerte es Albert Kesselring, dem Oberbefehlshaber der deutschen Streitkräfte an der Westfront, eine wirksame Verteidigung aufzubauen, ohne sich in Richtung Hauptstadt zurückzuziehen. „Der Ring konzentrischer Verteidigungslinien um Berlin“, schrieben wir, „dürfte das letzte Schlachtfeld sein, das die deutsche Führung wählt. Dort hofft sie womöglich noch, die Götterdämmerung in den Trümmern der Hauptstadt zu verlängern und den Angreifern die Nachteile langer Nachschublinien über feindliches, im Chaos versunkenes Gebiet aufzuzwingen.“

Europe, April 1st 1945

Axis control

Neutral

Recent Allied gains

Allied control

On pre-war borders

sweden

Baltic

Sea

denmark

denmark

North

Sea

Berlin

POLAND

neth.

britain

neth.

Oder

germany

Wesel

Bel.

czechoslovakia

Rhine

Vienna

Strasbourg

Danube

hungary

AUSTRIA

switz.

france

italy

yugoslavia

Sources: United States government; Mapping The International System, 1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

Europe, April 1st 1945

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Sources: United States government; Mapping The

International System, 1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

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Sources: United States government; Mapping The International System,

1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

Angesichts der Roten Armee, die an der Oder im Nordosten Deutschlands aufmarschiert war und im Süden auf das von den Nazis besetzte Wien vorrückte, stand die Wehrmacht jedoch am Rande des Zusammenbruchs. „Der Tag ist nicht mehr fern“, schrieben wir, „an dem die Unterscheidung zwischen Ost- und Westfront ihre Bedeutung verliert.“ In Deutschland schien jede noch verbliebene Ordnung zu zerfallen. Der „Rumpfstaat des Reiches“, der unter Nazi-Kontrolle verblieben war, versank in Panik:

„Die völlige Lähmung des Verkehrs; die spärlichen industriellen Ressourcen Mitteldeutschlands, Österreichs und Westböhmens, die der Wehrmacht noch bleiben; der erbärmliche Zustand der zerbombten Städte; das zunehmende administrative Chaos—all dies kann von den offiziellen Nazi-Propagandisten nicht länger verschwiegen werden. Häufige Bekanntmachungen von Hinrichtungen sogenannter ‚Feiger‘ und Rundfunkaufrufe an Nazi-Organisationen und sogar an Zivilisten, bei der Ergreifung versprengter Soldaten und Deserteure zu helfen, sind untrügliche Zeichen eines rapiden Moralverfalls. Im letzten Krieg war es—der nationalsozialistischen Legende zufolge—die Heimatfront, die der Armee in den Rücken fiel. In diesem Krieg scheint es den Nazis, als hätte die Armee der Heimatfront den Dolch in den Rücken gestoßen.“

Ende März, so schrieben wir, flohen die Vertriebenen aus den von der Roten Armee im Osten befreiten Gebieten nach Mitteldeutschland, nur um dort auf andere zu treffen, die aus den von den Alliierten besetzten Gebieten im Westen evakuiert worden waren. Nazi-Propagandisten versuchten verzweifelt, „die benommene Nation mit einer aggressiven Propagandakampagne über die apokalyptischen Folgen einer Niederlage aufzurütteln“. Selbst als das unausweichliche Ende näher rückte, richteten die Sprachrohre des Regimes einen letzten Appell an den Nationalstolz „an die Ohren der betäubten und geschundenen deutschen Nation“.

April

1945

4. April

Krieg und Frieden

„Die letzte Stunde des Dritten Reichs hat geschlagen", erklärte The Economist am 7. April. Nachdem sich die Alliierten Ende März auf dem östlichen Rheinufer festgesetzt hatten, stießen britische und amerikanische Panzer und Infanterie „in das Herz Deutschlands“ vor. Auch die Rote Armee rückte von Osten her vor. Doch je näher die Niederlage der Nazis rückte, desto deutlicher wurden die Gräben zwischen den Alliierten:

„Die militärischen Aufgaben des Bündnisses sind zumindest in Europa nahezu erfüllt, die friedensstiftenden Aufgaben liegen jedoch größtenteils noch vor ihnen. Sie werden die alliierte Diplomatie mit Sicherheit auf eine härtere Probe stellen als alle Strapazen des Krieges. Der Sieg über den gemeinsamen Feind führt unweigerlich dazu, dass sich das Band der Solidarität, das die Verbündeten im Angesicht der tödlichen Gefahr zusammenhält, lockert. Am Vorabend des Sieges und vor allem am nächsten Tag treten die unterschiedlichen Auffassungen und Interessen wieder zutage.”

Einige Unstimmigkeiten waren bereits offensichtlich. Dazu gehörte die Struktur dessen, was später die Vereinten Nationen werden sollten. Im Jahr 1943 hatten sich die Alliierten darauf geeinigt, eine Nachfolgeorganisation des Völkerbundes zu schaffen. Im Jahr darauf kamen Diplomaten aus Amerika, Großbritannien, China und der Sowjetunion in Dumbarton Oaks, einem Herrenhaus in Washington, zusammen, um Vorschläge für die Organisation zu erarbeiten. Jetzt bereiteten sich Delegierte aus fast 50 alliierten Ländern darauf vor, in San Francisco zusammenzukommen, um ihre Pläne für die neue Liga fertigzustellen.
Die Forderungen der Sowjetunion führten jedoch zu Spannungen mit den USA. Josef Stalin verlangte nicht nur einen Sitz für die Sowjetunion, sondern auch für zwei ihrer Teilrepubliken, die Ukraine und Weißrussland, um mehr Macht in der Versammlung zu erhalten. Stalin wollte auch, dass Polen durch die kommunistische Regierung in Warschau vertreten wird und nicht durch die von den USA und Großbritannien unterstützte Exilregierung. Russlands Einstellung zu den internationalen Beziehungen, so berichteten wir, schien in erster Linie darauf abzuzielen, die eigene Macht zu konsolidieren. Wir schrieben:

„Angesichts dieser und ähnlicher Äußerungen kann es keinen Zweifel an der Zurückhaltung geben, mit der Russland der Weltorganisation beizutreten scheint. In der Tat ist die russische Haltung von einem Anti-Liga-Komplex geprägt, der seinen Ursprung in den Erfahrungen Russlands mit dem alten Völkerbund hat. Moskau hat nicht vergessen, dass Russland der einzige Staat war, gegen den in Genf die demütigendste Sanktion—der Ausschluss aus dem Völkerbund—verhängt wurde, während so viele schamlose Aggressionen mit milder Nachsicht behandelt worden waren. Mit dieser Genfer Demütigung noch frisch im Gedächtnis, zeigt Russland, das jetzt siegreich und begehrt ist, ein übertriebenes Bestreben, sein Prestige in San Francisco zur Geltung zu bringen.”

Die Sowjetunion, die immer noch gekränkt war, da sie wegen ihrer Invasion Finnlands 1939 aus dem Völkerbund geworfen wurde, will sicher sein, dass die neue Organisation sie nicht erneut „auf die Anklagebank setzen“ kann. „Diese Entschlossenheit, jede mögliche Lücke für Angriffe auf Russland zu stopfen“, bemerkten wir, “ist sicherlich kein Zeichen großer moralischer Stärke.“ Aber sie stellte die Alliierten auch vor ein größeres Problem. Wir erklärten:

„Für diejenigen, die die russische Politik verfolgt haben, ist diese Haltung vielleicht eine Enttäuschung, aber keine Überraschung. Jedoch gab es leider eine offizielle Verschwörung, die mehr aus Wunschdenken als aus Täuschungsabsicht geboren wurde, nämlich so zu tun, als ob alle Planungen für eine neue und bessere internationale Organisation reibungslos verlaufen würden. Dies traf besonders auf die Vereinigten Staaten zu. Die Amerikaner, die auf Papier geschriebenen Verfassungen gern magische Eigenschaften zuschreiben, wären auf jeden Fall geneigt gewesen, der formalen Bildung einer neuen internationalen Organisation eine übertriebene Bedeutung zu verleihen. Doch sahen sie sich in jüngster Zeit auch dem Druck einer Kampagne ihres Außenministeriums ausgesetzt, die Vorschläge der Konferenz von Dumbarton Oaks zu realisieren.”

Die Regierung von Franklin Roosevelt hatte die Gründung der neuen Organisation als „die größte Hoffnung auf dauerhaften Frieden und als Erfüllung des größten Teils der amerikanischen Verantwortung gegenüber der Welt“ angepriesen. Nun sah es so aus, als könnten die russischen Forderungen der Gründung einer Nachfolgeorganisation des Völkerbundes im Wege stehen.
Manche, so schrieben wir, hatten gefordert, die Gründungskonferenz in San Francisco zu verschieben. Dies wäre jedoch eine Demütigung für die Regierung Roosevelts gewesen. Die Konferenz, die von Ende April bis Ende Juni dauern sollte, würde schließlich die Vereinten Nationen ins Leben rufen. Und das, obwohl „die russischen und amerikanischen Ansichten darüber, wie der Frieden in der Welt zu sichern ist, radikal unterschiedlich sind“.

11. April

Zwei Präsidenten

Trotz seines schlechten Gesundheitszustand wurde Franklin Roosevelt 1933, zwölf Jahre nachdem Polio ihn von der Hüfte abwärts gelähmt hatte, Präsident von Amerika. Nach seinem Amtsantritt war seine Gesundheit zehn Jahre lang stabil. Doch die Führung der Vereinigten Staaten durch den Krieg forderte ihren Tribut.
Im Februar 1945, auf der Konferenz von Jalta, teilte Roosevelts Arzt seiner Tochter Anna mit, dass sein Gesundheitszustand wie eine „tickende Zeitbombe“ sei. Im März begab er sich nach Warm Springs, seinem Rückzugsort in Georgia, um sich zu erholen. Am 12. April, während er für ein Porträt posierte, brach er zusammen. Er wurde 63 Jahre alt. The Economist berichtete in seiner Ausgabe vom 21. April:

„Keine auch noch so übertriebene Beschreibung des Gefühls von Verlust würde dem gerecht, was die freie Welt bei der plötzlichen Nachricht vom Tod von Präsident Roosevelt empfand. Niemals zuvor wurde weltweit so feierlich um einen Staatsmann eines anderen Landes und selten zuvor um einen unserer eigenen Führer so tief getrauert. Dies war teilweise der Dankbarkeit für einen Menschen geschuldet, der als Helfer in der Not sehr präsent war. Kein Engländer, der diese zwölf furchtbaren Monate zwischen Juni 1940 und Juni 1941 miterlebt hat, wird je vergessen, wie sehr die Hoffnung der Nation auf einen Sieg auf dieser Zuversicht verbreitenden Persönlichkeit im Weißen Haus ruhte und wie sich diese Hoffnung Schritt für Schritt materialisierte.”

Roosevelts Tod rief die gleichen Gefühle der Trauer hervor wie der Tod von Königin Victoria im Jahr 1901. „Auch wenn Herr Roosevelt nicht 63 Jahre im Weißen Haus war“, schrieben wir, „fällt es trotzdem sehr schwer, sich an die Zeit von Präsident Hoover zu erinnern.“
Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hatte Roosevelt eine Sondersitzung des Kongresses einberufen, um Waffen an Großbritannien und Frankreich zu liefern. Dann, im Jahr 1941, setzte er gegen den Widerstand der Anhänger des Isolationismus den sogenannten Lend-Lease Act (das Leih-und Pachtgesetz) durch, ein militärisches Hilfsprogramm. „Mit ihm ist einer der wenigen Sicherheitsgaranten in einer unsicheren Welt von uns gegangen“. Als „Meisterpilot“ war Roosevelt ein Experte darin, Amerika durch Krisen zu führen:

„Es war kein Zufall, dass er sein Amt genau an dem Tag antrat, an dem die Banken schlossen, oder dass er der Nation im Angesicht der Weltwirtschaftskrise deutlich vor Augen führte, wozu sie verpflichtet ist. Freunde der Familie Roosevelt erzählen, dass er in den frühen 1920er Jahren, als er bei seiner Kandidatur für das Amt des Vizepräsidenten zunächst eine schmachvolle Niederlage erlitt und dann an Kinderlähmung erkrankte, nichts weiter vor ihm zu liegen schien als das Leben eines invaliden Herren auf dem Lande. Doch schon damals prophezeite er aus seinem Rollstuhl heraus, dass eine weitere große Krise auf Amerika und die Welt zukommen würde, eine Krise, die nur durch einen starken Präsidenten mit einer entschlossenen liberalen Politik überwunden werden könne, und dass er, der Krüppel Franklin Roosevelt, dieser Mann sein würde.”

Roosevelts Tod bedeutete, dass das Amt des Präsidenten an Harry Truman übergehen würde, den Roosevelt bei den Wahlen von 1944 zu seinem Vizekandidaten bestimmt hatte. Truman war weniger als 90 Tage lang Vizepräsident. Zweieinhalb Stunden nach Roosevelts Tod wurde er im Oval Office als Präsident vereidigt. „Jungs“, sagte er zu einer Schar von Reportern, nachdem er Präsident geworden war, „solltet ihr jemals beten, dann betet jetzt für mich.“ Der ehemalige Senator aus Missouri war außerhalb der Vereinigten Staaten kaum bekannt:

„Die Augen der Welt sind nun auf Präsident Truman gerichtet. Durch einen jener außergewöhnlichen Zufälle, die nur in Amerika passieren können, folgt auf den bekanntesten Mann der Welt einer der unbekanntesten Männer der Welt. Obwohl man sagt, dass nur ein einziger Herzschlag jeden Vizepräsidenten von dem größten Amt der Welt trennt, spielen seine Qualifikationen für dieses Amt kaum oder gar keine Rolle, wenn es um seine Aufstellung durch den Nominierungsparteitag geht. Vizepräsidenten werden als politische Nothelfer gewählt, um ein paar Stimmen zu sammeln oder (häufiger) um sie nicht zu verlieren. Sie sind fast immer unbedeutende Persönlichkeiten, wenn sie plötzlich ins Rampenlicht treten.”

Befürchtungen in Bezug auf die Übernahme der Präsidentschaft durch Truman waren eher ein Ausdruck der Sorge um die Stabilität und Stärke, die Roosevelt vermittelt hatte, als dass sie mit der Eignung des neuen Präsidenten für dieses Amt zu tun gehabt hätten. Ein beruhigendes Zeichen war, dass James Byrnes, der unter Roosevelt für die Kriegsmobilisierung zuständig war, weiterhin eine zentrale Rolle in der amerikanischen Außenpolitik spielen würde. (Truman sollte ihn im Juli zum Außenminister ernennen.) Von Truman, so schrieben wir, könne man erwarten, dass er „ein guter, durchschnittlicher Präsident“ sein würde. Nach den zwölf Jahren, in denen Roosevelt Amerika und seine Rolle in der Welt neu gestaltet hatte, war dieser Übergang jedoch ein Schock.

18. April

Russland und Japan

Während das Ende des Krieges in Europa näher rückt, verschieben sich die Positionen der Großmächte im pazifischen Raum. Die Sowjetunion kämpfte zwar an der Seite der Alliierten gegen die Nazis in Europa, hielt sich aber mit einer Beteiligung am Krieg gegen Japan zurück. Der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow hatte im April 1941 einen Neutralitätspakt mit Japan ausgehandelt. Das Abkommen verhinderte einen Krieg zwischen den beiden Ländern, selbst nachdem Deutschland, Japans Verbündeter, etwas später im selben Jahr in die Sowjetunion einmarschierte.
Da Deutschland jedoch so gut wie besiegt war, hatte die Sowjetunion im Fernen Osten bald freie Hand. Am 5. April 1945 verhöhnte Molotow den Pakt aufgrund der japanischen Unterstützung für die Nazis und schien anzudeuten, dass sich Russland nicht länger zur Neutralität verpflichtet fühlte. „Russland“, schrieb The Economist am 14. April, „erwacht aus seiner selbst auferlegten Passivität im Fernen Osten und übernimmt eine aktivere Rolle“. Die Strategie der Sowjetunion würde sich danach richten, was sie bei einem Zusammenschluss mit den Alliierten im Pazifik zu gewinnen hätte:

„Welche praktischen Erwägungen offenbarten sich? Im Allgemeinen ist der Krieg—wie der Frieden—unteilbar. Die Bindungen, die sich für Russland aus der Allianz mit den Vereinigten Staaten und Großbritannien entwickelten, sind zu vielfältig und vielseitig, als dass es weiterhin neutral bleiben könnte. Es ist kaum vorstellbar, dass ‚Die Großen Drei‘ gemeinsam eine europäische Nachkriegsordnung gestalten, ihr Bündnis aber an den Grenzen Asiens aufgeben würden...es läge nicht im Interesse Russlands, eine so sonderbare Aufteilung der Einflussgebiete zuzulassen und auf die Vorteile zu verzichten, die es von dieser Allianz auf dem pazifischen Kriegsschauplatz erwarten dürfte.”

Die Position der Sowjetunion in Ostasien war in den Jahren, bevor sie von Deutschland überfallen wurde, „fast zur Bedeutungslosigkeit reduziert“ worden. Aber der russische Wunsch nach Macht im Pazifik saß tief. Mehr als ein Jahrhundert lang, bevor die Kommunisten 1917 die Macht ergriffen, hatten die Zaren nach Einfluss in der Region gestrebt. Der sowjetische Führer Josef Stalin hegte ähnliche Ambitionen. „Marschall Stalin“, so schrieben wir, „wird seinen Wunsch, den Einfluss und die Stellung, die die Zaren im Fernen Osten verloren hatten, für Russland zurückzugewinnen, dort sehr wahrscheinlich mit demselben Nachdruck und derselben Entschlossenheit durchsetzen wie in Europa.“

South Pacific, April 15th 1945

Neutral

Axis control

Recent Allied gains

Allied control

Russia

Sakhalin

MONGOLIA

Vladivostok

KOREA

JAPAN

PACIFIC

OCEAN

Tokyo

CHINA

Chungking

Okinawa

Iwo Jima

Burma

PHILIPPINES

SIAM

Manila

french

indochina

Source: United States government

South Pacific, April 15th 1945

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Source: United States government

South Pacific, April 15th 1945

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Source: United States government

Russland, das 1905 einen Krieg gegen Japan verloren hatte, stand kurz davor, ein Gebiet von seinem alten Feind zurückzugewinnen (siehe Karte). Die südliche Hälfte von Sachalin, die im selben Jahr durch den Vertrag von Portsmouth aufgeteilt wurde, war ein potenzieller Preis; eine Eisenbahnverbindung zwischen Wladiwostok und Sibirien, die 1935 an Japan verkauft worden war, ein weiterer. Doch die Kriegspolitik in Asien war kompliziert. Während sich die Alliierten zusammenschließen konnten, um Japan zu besiegen, drohte der lange Kampf in den Teilen Chinas und Koreas, die noch von Japan kontrolliert wurden, die Beziehungen zwischen den „Großen Drei“ zu belasten:

„Es liegt offensichtlich im Interesse der Alliierten, den Pazifikkrieg schnell zu beenden. Das deutsche Beispiel zeigt, dass ein Harakiri des Gegners die Sache für die siegreichen Alliierten nicht einfacher, sondern schwieriger macht, denn es hinterlässt wirtschaftliches Chaos und soziale Verunsicherung und damit eine sehr brüchige Grundlage für jede Friedensregelung. Ein japanischer Kampf bis zum bitteren Ende, ohne dass eine Zentralregierung zur Kapitulation bereit wäre, könnte durchaus bedeuten, dass der Krieg auch nach der Eroberung der Inseln in der Mandschurei, in Korea und in China weitergehen würde. Dies wiederum könnte zu schwerwiegenden politischen Problemen in China führen, wo die Russen mit der kommunistischen Administration in Yan’an zusammenarbeiten, und die Amerikaner und wahrscheinlich auch die Briten das Regime in Chungking unterstützen würden. Eine gefährliche Rivalität zwischen den Alliierten, für die es in Europa bereits einige Beispiele gegeben hat, könnte sich auch in Asien entwickeln.”

Wenn sich die Alliierten wegen China—wo die Nationalisten von Chiang Kai-shek (mit Sitz in Chongqing, damals Chungking genannt) einen brüchigen Waffenstillstand mit den Kommunisten von Mao Zedong geschlossen hatten, um Japan zu bekämpfen—ernsthaft miteinander überwerfen würden, würde dies „die Friedensregelung in Europa überschatten“. Und Japan schien wenig Ambition für eine Bereitschaft zur Kapitulation zu zeigen. Für die kaiserliche Regierung dürfte der Verlust von Okinawa, auf dem die Amerikaner im April gelandet waren, „nicht schlimmer aussehen als die Besetzung der Kanalinseln für die Briten im Jahr 1940“. Die Kämpfe im Pazifik schienen nicht abzuflauen. Die Sowjets hatten viel Zeit, um ihren Einmarsch im Fernen Osten zu planen.

25. April

Das Ende der Verbrecher

Am 20. April wird Berlin belagert. Nachdem Wien eine Woche zuvor an die Rote Armee gefallen war, konnten sich die sowjetischen Generäle auf die deutsche Hauptstadt konzentrieren. Kampfflugzeuge verwüsteten die Stadt, während 1,5 Millionen Soldaten durch ihre Trümmer stürmten. Die Artillerie der Roten Armee feuerte während des Angriffs fast zwei Millionen Granaten ab. Am 2. Mai kapitulierten die letzten deutschen Truppen in Berlin.
Damit war das Ende der Nazis und ihrer Verbündeten in Europa besiegelt. Benito Mussolini war 1943 nach seiner Absetzung durch den König mit der Leitung eines Nazi-Marionettenstaates in Norditalien betraut worden. Im April 1945 wurde das Gut des entmachteten Diktators von den Alliierten gestürmt; am 28. April wurde er von Partisanen getötet. Zwei Tage später erschoss sich Adolf Hitler in seinem Bunker in Berlin. Als sich der Staub über der Stadt gelegt hatte, machten Gerüchte über sein Ableben die Runde. Eines war sicher: Das Nazi-Regime war zwölf Jahre nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler am Ende. Am 5. Mai schrieb The Economist:

„Mussolini ist tot. Hitler ist es nach allgemeiner Auffassung ebenso, auch wenn der Welt kein spektakulärer Beweis für seinen Tod erbracht werden konnte, indem man seinen Leichnam von Fußtritten begleitet auf offener Straße präsentiert hätte. Ob er sich wirklich der Justiz entzogen oder nur versucht hat, ihr zu entkommen, ob er den Tod eines Soldaten oder den eines Verrückten erlitten hat, ob er eines natürlichen Todes oder durch Selbstmord gestorben ist oder von einem anderen Mitglied seiner Clique erschossen wurde—all das sind Fragen, für die es noch einige Tage lang keine Antworten geben wird.”

Einige Gerüchte kursierten um Admiral Karl Dönitz, der Hitler „als zweiter und letzter Führer des Deutschen Reiches“ folgte: „Wurde er tatsächlich von Hitler ernannt oder hat er die armseligen Reste der Macht an sich gerissen?“ Und was hat er geplant? Ein Kampf bis zum bitteren Ende in Norwegen, einem der letzten noch von den Nazis besetzten Gebieten Europas, oder der Einsatz der deutschen Marine wären wahnsinnig gewesen. „Das Dritte Reich ist tot“, schrieben wir. „Der Krieg endete mit einem unbeschreiblich schmutzigen Wirrwarr von Blut und Verrat.“
Nachdem Berlin gefallen war, dachten wir über die Endphase des Krieges in Europa nach. Der deutsche Gegenangriff mit der Ardennenoffensive im Dezember 1944 hatte dazu geführt, dass es bis zur endgültigen Niederlage der Nazis länger dauerte als die Alliierten im Jahr zuvor gehofft hatten:

„Das langsame, asymptotische Herannahen des Kriegsendes in diesen letzten Monaten, das zwar immer näher kam, aber nie ganz erreicht wurde, wird die Stunde des wohlverdienten Sieges, wenn sie kommt, zum Gegenteil eines Höhepunktes machen. Es wird kein großer Höhepunkt wie der 11. November 1918 sein, sondern lediglich die Überwindung einer weiteren und der Beginn einer neuen Etappe in einer Weltkrise, die seit dreißig Jahren tobt und noch viele Stürme vor sich hat. Der Augenblick des Jubels wird kurz sein, und der Jubel selbst wird durch das Wissen um die Anstrengungen und Opfer, die noch vor uns liegen, eher verhalten ausfallen. Trotzdem wird es einen Moment der Anerkennung geben, auch wenn das Urteil letztendlich der Geschichte überlassen bleibt, für die Stunde der Kapitulationen, der Freiheit und des Sieges.”

Josef Stalin, der sowjetische Führer, würdigte den Erfolg der Alliierten entsprechend. Wir berichteten: „Russland habe Blut gegeben, sagte er, Amerika materiellen Reichtum, während Großbritannien Zeit beigesteuert habe.” Die erfolgreiche britische Gegenwehr, zu einer Zeit, zu der ein Großteil des übrigen Europas besetzt war, gab alliierten Ländern wie Frankreich die Möglichkeit, eine Basis für ihre Exilregierungen zu errichten—und war schließlich der Ausgangspunkt für die Landung am D-Day. Durch die Widerstandskraft Großbritanniens und die Niederlage der Nazis wurde die Demokratie in Europa verteidigt:

„Der Krieg wurde sowohl militärisch klug als auch mutig geführt. So wie das erbärmliche Ende der Verbrecher, die wie Ratten in einer Falle gefangen saßen, eine der größten Rechtfertigungen der Moral in der Geschichte ist, so ist in politischer Hinsicht das Ende des Krieges ein unwiderlegbarer Beweis für die Werte der Freiheit. Wieder einmal hat sich gezeigt, auf welche immense moralische und materielle Ressourcen eine freie, tolerante und ehrliche Gesellschaft zurückgreifen kann. Das britische Volk hat in diesem Krieg länger als die meisten anderen gekämpft, kontinuierlicher als alle anderen und härter als viele andere. Das britische Volk hat den Krieg auf dem Schlachtfeld, zu Hause, zur See und in der Luft mit technischem Geschick und körperlichem Mut und großartigen menschlichen Eigenschaften wie Phantasie geführt. Auch wenn Adolf Hitler sie militärische Schwachköpfe nannte; haben die britischen Soldaten gerade deshalb wieder einmal hervorragend gekämpft.”

Das Ausmaß der Verwüstung in Europa bedeutete, dass die Alliierten nach Beendigung der Kämpfe vor der gewaltigen Aufgabe des Wiederaufbaus standen. Währenddessen kämpften in Osteuropa noch immer antikommunistische Partisanen gegen die Rote Armee, mit deren Hilfe die Sowjetunion ihre Kontrolle in der Region ausbaute. Trotz allem war der Zusammenbruch des Naziregimes ein Grund zur Freude. Abgesehen von den Formalitäten der Kapitulation war der Krieg gegen Deutschland beendet.

Mai

1945

2. Mai

Historische Opfer

„So the end has come“, schrieb The Economist in seiner Ausgabe vom 12. Mai. Anfang der Woche waren die Kämpfe zwischen den Alliierten und Nazi-Deutschland endgültig beendet. Nachdem die Rote Armee Berlin eingenommen hatte, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Karl Dönitz, der Nachfolger Adolf Hitlers, und Lutz Graf Schwerin von Krosigk, der Reichskanzler, die formelle Kapitulation Deutschlands verkündeten. Am frühen Montagmorgen des 7. Mai, beauftragten sie General Alfred Jodl, die formelle Urkunde im Hauptquartier der Alliierten in Frankreich zu unterzeichnen. Am nächsten Tag, dem 8. Mai, war der Victory in Europe (VE) Day, der Tag des Sieges in Europa:

„Am Dienstag wurde der Beschuss eingestellt. Europa befand sich nicht mehr im Krieg, auch wenn es noch weit vom Frieden entfernt war. Deutschland ist vollständig besetzt. Abgesehen von der Pseudo-Regierung Dönitz-Krosigk gibt es keine deutsche Regierung mehr. Das deutsche Volk ist, um es mit den verzweifelten Worten General Jodls zu sagen, auf Gedeih und Verderb in die Hände der Sieger gefallen. Mitten in Europa, wo noch vor kurzem die mächtigste und ausgetüftelste Kriegstyrannei wütete, die die Welt je gesehen hat, herrscht jetzt nichts als eine Leere der Trauer und des Schweigens.“

Der Blutzoll des Krieges war immens. Etwa eine halbe Million Briten waren gestorben—immerhin weniger als im Ersten Weltkrieg. Andere alliierte Mächte hatten mehr Opfer zu beklagen: Etwa 24 Millionen Sowjetbürger starben in Folge der Kämpfe. Aber „ein Menschenleben ist nicht statistisch zu verrechnen, und von allen Kriegswunden ist ein leeres Herz die einzige Wunde, die die Zeit nicht heilt“. Außer den Toten sollte es unzählige andere Menschen geben, die verwundet und traumatisiert nach Hause zurückkehrten. Das Ende der Kampfhandlungen wurde daher von gemischten Gefühlen begleitet:

„Es sind Tage der großen Emotionen. An erster Stelle steht natürlich die Dankbarkeit, dass der lange Leidensweg zumindest für die halbe Welt zu Ende ist und dass die Sünden wie Blindheit, Trägheit und Selbstgefälligkeit, die den Angreifer ermutigt haben—Sünden, vor denen niemand gefeit ist,—endlich abgelegt wurden. Es ist aber auch richtig, dass es eine kurze Pause des Jubels gab.“

Die Siegesfreude wurde jedoch durch zwei Tatsachen gedämpft. Erstens tobte noch immer der Krieg im Pazifik. Zweitens wurde Europa schnell unter den Alliierten, die es von den Nazis befreit hatten, aufgeteilt. „Es ist tragisch“, schrieb The Economist, „dass der Sieg—die Krönung der gemeinsamen militärischen Anstrengungen der drei Großmächte—von der schwersten politischen Meinungsverschiedenheit, die es je zwischen ihnen gegeben hat, überschattet wird.“
Winston Churchill, der Großbritannien seit 1940 führte, verkündete die Niederlage von Nazi Deutschland.
Die jüngsten Spannungen waren durch die Nachricht ausgelöst worden, dass 15 Führer des polnischen Untergrundwiderstands von der Sowjetunion verhaftet worden waren und in Moskau auf ihren Prozess warteten. Dieser Vorfall war ein Vorgeschmack auf den sich anbahnenden Kalten Krieg zwischen den Sowjets und dem Westen. Angesichts dieser Ungewissheit über die Zukunft des Kontinents würde der Frieden nur teilweise eine Entspannung bringen:

„Die Zeit des physischen Mutes und der physischen Opfer neigte sich ihrem Ende zu. Jetzt sind Zivilcourage und eine mentale Opferbereitschaft gefragt, um die so teuer erkaufte Chance des Neuanfangs zu nutzen. Das Beherrschen der stillen Tugenden ist nicht minder schwierig, vor allem für ein so großzügiges, tolerantes und gelassenes Volk, das langsam im Zorn und in der Vorausschau ist, aber schnell im Vergeben und Vergessen. Wenn jedoch die Schaffung des Friedens mit der gleichen hehren Mischung aus Einigkeit in Freiheit und Verantwortungsbewusstsein angegangen wird, die das britische Volk so siegreich durch die Gefahren dieser furchtbaren Jahre gebracht hat, dann wird es nichts geben, das nicht erreicht werden könnte.“

Mit seiner Rede am Tag des Sieges in Europa hatte Winston Churchill eine ähnliche Stimmung erzeugt. Der britische Premierminister erinnerte an die Aufgabe des „Wiederaufbaus von Heim und Herd“ und blickte auf das Ende des Krieges in Asien, wo Japan immer noch Teile des britischen Weltreichs, darunter Malaysia und Singapur, besetzt hielt. Die Kämpfe in Europa waren zwar beendet, aber das Ende des Zweiten Weltkriegs war noch Monate entfernt.

31st May 1945: US Marines of the 1st Division wait on the crest of a hill in southern Okinawa, as they watch phosphorous shells explode over Japanese soldiers dug into the hills.

9. Mai

Der andere Krieg

Nachdem die Nazis am 7. Mai kapituliert hatten, wurden die Kämpfe in den meisten Teilen Europas eingestellt. Doch die Siegesfeiern der Alliierten wurden durch die Fortsetzung des Krieges in Asien getrübt. „Bei all dem Jubel über das Ende des Krieges in Europa,“ schrieb The Economist am 12. Mai, „sollte man nicht vergessen, dass der Krieg für Tausende von Kämpfern und ihre Familien noch nicht vorbei ist, sondern weitergeht, genauso erbittert und mit allen Härten, die dieser Krieg mit sich bringt wie Trennung, fern der Heimat sein, unterschiedliche klimatische Bedingungen und den Widerstand des Feindes.“
In Asien kämpften die Alliierten darum, die Japaner aus den Gebieten zu vertreiben, die sie während des Krieges besetzt hatten. In Myanmar (damals Birma), seit dem späten 19. Jahrhundert eine britische Kolonie, waren die Alliierten an vorderster Front. Die britischen Truppen hatten Mandalay am Irrawaddy Fluss im März von den Japanern erobert. Am 3. Mai erlangten sie die Kontrolle über die Hauptstadt Yangon (damals Rangun) zurück.
Doch andernorts steckten die Alliierten in der Klemme. Auf Okinawa, einer Insel nur 640km südlich des japanischen Festlandes, kämpften die amerikanischen Soldaten bereits seit über einem Monat. Seitdem wurde die Schlacht „außerordentlich erbittert“ geführt: „Die nördliche Hälfte der Insel ist besetzt, aber der südliche Teil hat sich bisher als uneinnehmbar erwiesen.“
Wenn die Kämpfe auf Okinawa ein Vorgeschmack auf das waren, was ein Kampf auf dem japanischen Festland bedeuten würde, dann war klar, dass „harte, schwierige und langwierige Kämpfe bevorstanden“. Die Rückeroberung verlorener Kolonien war im Vergleich dazu einfacher, als das japanische Regime zur Kapitulation zu zwingen.

„...die Wurzeln und Ursachen für die japanische Aggression liegen im japanischen Heimatland. Die Rückeroberung von British Malaya und Niederländisch-Indien ist zwar ein erreichtes Ziel, das jedoch nicht direkt zur unmittelbaren Niederlage Japans beiträgt. Die Gefechte im inneren Ring der japanischen Verteidigungsanlagen haben sich bisher nicht als so entscheidend erwiesen wie die Kämpfe in der Ferne. Die Auswirkungen heftiger Luftangriffe sind immer schwer zu beurteilen, und niemand kann genau sagen, welchen Beitrag sie leisten bei der Zerstörung der feindlichen Kriegsindustrie und der Moral der Zivilbevölkerung. Dennoch kamen die Luftangriffe auf das japanische Festland bereits einer Großoffensive gleich.“

Die Alliierten hatten Tokio und die anderen großen japanischen Städte wochenlang bombardiert. Auch die Schwerindustrie und die Häfen waren von Bomben getroffen worden. Da nicht mehr für Europa benötigte britische Bomber für den Pazifikfeldzug eingesetzt werden konnten, sollten die Luftangriffe der Alliierten bald an Häufigkeit und Intensität zunehmen. Die Entscheidung, den japanischen Soldaten zu befehlen, ihre Waffen niederzulegen, lag jedoch letztlich bei der Führung des Landes. Die Lage schien sich gegen sie gewendet zu haben:

„In vielerlei Hinsicht könnten die politischen Aussichten kaum düsterer sein. Japan ist von seinem einzigen Verbündeten im Stich gelassen worden. In der Empörung der japanischen Presse über diese Abtrünnigkeit spiegelt sich ihr Unbehagen. Der Untergang Deutschlands ist eine eindrucksvolle Warnung für jede Nation, die bis zehn Minuten nach zwölf kämpfen will. Außerdem macht das Ende des europäischen Krieges den Weg frei für die Russen, die sich nun mit politischen und militärischen Aktionen im Fernen Osten einmischen könnten. Als erstes kündigten sie den sowjetisch-japanischen Neutralitätspakt auf. Ist der nächste Schritt ein offener oder ein nicht erklärter Krieg? Wenn ja, könnte Japan, das von Feinden umgeben ist, es nicht vorziehen, in der Hoffnung auf bessere Konditionen durch eine Verkürzung des Krieges eine Kapitulation anzubieten?“

Die japanische Führung machte jedoch keine Anstalten in Richtung Kapitulation. Obwohl die Sowjetunion ihren Neutralitätspakt mit Japan aufgekündigt hatte, war sie noch nicht in den Krieg gegen ihren Rivalen im Fernen Osten eingetreten. Das gab Japan die Hoffnung, dass es einen Kampf gegen die drei alliierten Hauptmächte vermeiden und sich stattdessen „durch Manöver und Verhandlungen Zugeständnisse verschaffen“ könnte. Vielleicht glaubte die japanische Führung, dass die Uneinigkeit unter den Alliierten, die bereits den neuen Frieden in Europa zu untergraben drohte, in Asien zu ihrem Vorteil sein würde.

9th July 1945: Women in post-war Berlin, East Germany, form a 'chain gang' to pass pails of rubble to a rubble dump, to clear bombed areas in the Russian sector of the city. (Photo by Fred Ramage/Keystone/Getty Images)

16. Mai

Neue Prioritäten für Europa

Als sich in den Wochen nach dem 8. Mai, dem Tag des Sieges, der Staub in Europa legte, wurde das ganze Ausmaß der Auswirkungen des Krieges immer deutlicher. „Berichte über den materiellen Zustand Europas sind verworren und unvollständig,” schrieb The Economist am 19. Mai, „aber es gibt genügend Beweise, die zeigen, dass das Chaos entsetzlich ist und sich noch verschlimmern wird.“
Die durch die Kampfhandlungen angerichteten Verwüstungen waren auf dem ganzen Kontinent unterschiedlich. Länder wie Frankreich und Belgien waren „relativ unversehrt“. An den meisten Orten schien sich die Lage jedoch zu verschlechtern. Rohstoffengpässe, insbesondere bei Kohle, waren an der Tagesordnung; die Transportwege waren zerstört. Deutschland, wo während des Vormarsches der Alliierten ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht worden waren, stellte ein besonderes Problem dar—nicht zuletzt, weil viele der Arbeiter des Landes in Kriegsgefangenschaft waren.

„All dies ist bekannt. Es ist auch schwierig, das Ausmaß des Problems zu begreifen, so sehr sind wir an Ruinen und Verwüstungen gewöhnt. Und doch ist es eine große Herausforderung. Die Wiederherstellung eines funktionierenden Systems in diesen von Schlachten verwüsteten und von Jahren der Hitler’schen Kriegswirtschaft verzerrten Ländern ist eine gewaltigere Aufgabe als die Kriegsführung selbst. Nicht nur ist das Problem an sich komplexer, es fehlt auch an den Mitteln, um es angemessen zu bewältigen.“

Wer würde für den Wiederaufbau Europas verantwortlich sein? Das Oberste Hauptquartier der Alliierten Expeditionsstreitkräfte, die ranghöchste alliierte Instanz, war für die Streitkräfte, die Transportnetze und die Kriegsgefangenen zuständig. Bald jedoch würde ein Flickenteppich aus militärischen und zivilen Gruppen—einschließlich Militärregierungen—die Führung übernehmen. Andere Gruppen erhielten enger gefasste Zuständigkeitsbereiche: Die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), eine 1943 gegründete Hilfsorganisation, sollte sich beispielsweise um Flüchtlinge kümmern. Der Übergang würde beschwerlich werden:

„Die Schwierigkeit, die bisherige Militärverwaltung an die Bedürfnisse Europas anzupassen, liegt darin, dass sie bisher von der ersten Planung bis zur letzten Ausführung eine klare Aufgabe mit einem sehr einfachen Ziel hatte, nämlich den Krieg zu gewinnen. Dementsprechend waren die Prioritäten einfach: Die militärischen Erfordernisse standen an erster Stelle. Und das wiederum hat die Verwaltung vereinfacht. Jetzt ist das Ziel sehr komplex: der Wiederaufbau eines zerrütteten Kontinents. Dementsprechend komplex sind die Prioritäten. Bei aller Komplexität müssen aber grundlegende Entscheidungen getroffen werden, was den militärischen Behörden natürlich sehr schwerfallen wird, denn nun müssen die zivilen und nicht die militärischen Bedürfnisse an erster Stelle stehen.“

Die Rolle des Militärs bei der Verwaltung des Kontinents führte zwangsläufig zu Ineffizienzen. Vertriebene Bauern wieder auf ihre Felder zu bringen, so argumentierte The Economist, sei für Europas Wirtschaft eine dringendere Priorität, als Soldaten schnellstmöglich nach Großbritannien und Amerika zurückzubringen. Die alliierten Militärbehörden schienen jedoch Letzteres zu bevorzugen.
Diese Umstände machten die Schaffung robuster ziviler Behörden in Europa zu einer dringenden Aufgabe. „Die Verteilung der sehr knappen Vorräte auf stark konkurrierende Bedürfnisse wird sich mit nahendem Winter eher verschlimmern als verbessern,” schrieb The Economist, „aber die Existenz einer Instanz, an die sich Regierungen, zivile Behörden wie die UNRRA und das Militär wenden könnten—wobei keine von ihnen in eigener Sache urteilen würde—böte eine gewisse Garantie dafür, dass sich die richtigen Prioritäten herauskristallisieren und der Wiederaufbau zumindest mit einem Teil des Elans und der Effizienz vorangetrieben würde, die bisher dem Krieg gewidmet waren.” Der Wiederaufbau des zerstörten Kontinents würde nicht nur eine starke Verwaltung erfordern, sondern auch eine, die dieselben Prioritäten verfolgt wie die Menschen, die sie regiert.

Admiral Karl Doenitz surrender and in custody along with Albert Speer May 1945, Germany's unconditional surrender to the allies. As Supreme Commander of the Navy beginning in 1943, Nazi Karl Doenitz played a major role in the naval history of World War II. He was briefly the last Fuhrer of the Third Reich, jailed for 10 years at the Nuremberg Trials and released in 1956

23. Mai

Kriegsverbrechen

Nach dem Ende des Krieges in Europa war es dringend geboten, die deutschen Soldaten für ihre Gräueltaten zur Rechenschaft zu ziehen und auf dem gesamten Kontinent wieder eine moralische Ordnung herzustellen. Die Alliierten hatten schon seit einiger Zeit mit sich darum gerungen was zu tun sei und gründeten im Oktober 1943 die Kriegsverbrechen-Kommission der Vereinten Nationen (UNWCC). Die Sowjets nahmen nicht daran teil, waren aber nicht weniger besorgt. Sie führten im Dezember 1943 in Charkiw den ersten öffentlichen Prozess gegen deutsche Kriegsverbrecher. Alle vier Angeklagten wurden gehängt.
Amerika, Großbritannien und die Sowjetunion hatten unterschiedliche Vorstellungen davon, was mit den Nazi-Kriegsverbrechern geschehen sollte. Die Amerikaner wollten sie unbedingt vor Gericht stellen, um sicherzustellen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde und dies auch so wahrgenommen wurde. Die Russen, die sich der Schuldigen bereits sicher waren, zogen Schauprozesse vor. Viele Mitglieder der britischen Elite befürworteten eine Hinrichtung im Schnellverfahren. Der britische Premierminister Winston Churchill schlug seinem Kabinett sogar vor, „Weltverbrecher“ nach ihrer Gefangennahme „innerhalb von sechs Stunden und ohne weitere Rücksprache mit einer höheren Instanz zu erschießen“.
Im Mai 1945 berichtete The Economist, dass die UNWCC sich darauf geeinigt hatte, dass „Straffreiheit für Straftäter, die gegen jede Regel des menschlichen Anstands verstoßen, eine katastrophale Auswirkung auf die internationale Moral hätte“, und dass sie deshalb Strafprozesse abhalten würde, um „neue Standards für internationales Verhalten zu setzen“. Von der Sowjetunion wurde erwartet, dass sie das Gleiche täte.

„Ihr Ziel ist es, neue Standards für internationales Verhalten zu setzen. Die Fälle sollen auf der Grundlage von Beweisen verhandelt werden. Nur die Schuldigen werden bestraft. Es wird keine wahllosen Repressalien geben. Bestraft werden Verbrechen, nicht politisches Vergehen. Die Annahme, die der ganzen unangenehmen Aufgabe zugrunde liegt, ist, dass Straffreiheit für Straftäter, die gegen jede Regel des menschlichen Anstands verstoßen, eine katastrophale Auswirkung auf die internationale Moral haben würde.“

Wenn die Prozesse erfolgreich sein sollten, so argumentierten wir, müssten sie schnell und nach gemeinsamen Standards durchgeführt werden. Einige Straftaten ließen sich leicht verfolgen: Das Völkerrecht kennt zahlreiche Präzedenzfälle für Soldaten, die gegen die Kriegsvölkerrechtsregeln verstoßen haben, ebenso für Verräter. Aber es gab im internationalen Recht keine Präzedenzfälle für die Verfolgung von Soldaten wegen Gräueltaten, die sie an ihren Landsleuten begangen hatten, einschließlich deutscher Juden, Roma und Homosexueller. Auch zivile Vorgesetzte waren nicht wirklich für die Taten ihrer Untergebenen zur Verantwortung gezogen worden.

„Die kompliziertere Tätergruppe ist diejenige, die Verbrechen gegen Deutsche, gegen mehrere Nationalitäten oder gegen die Menschheit im Allgemeinen begangen hat. Hier ist eine neue Form eines internationalen Gerichts erforderlich. Es gab bislang keinen Präzedenzfall für die Verfolgung von Kriegsverbrechen durch die Institutionen der organisierten internationalen Justiz. Wenn die Empfehlungen der Kriegsverbrechen-Kommission befolgt werden, wird es den anklagenden Nationen nicht allzu schwer fallen, sich auf ein Verfahren für eine kleine Gruppe von „Hauptverbrechern“ zu einigen, für die Göring der Prototyp wäre. Die größte Schwierigkeit wird darin bestehen, zu entscheiden, wo die Grenze zu den kleineren Verbrechern gezogen werden soll, insbesondere zu den Zehntausenden gefangenen SS-Leuten.“

Das Hauptproblem des UNNWC-Ansatzes war nach Ansicht von The Economist die Koordinierung mit den Russen. Wir befürchteten das Entstehen zweier paralleler Systeme zur Verfolgung von Kriegsverbrechen, eines im Westen und eines im Osten, die sich darum stritten, wer bestimmte prominente Nazis vor Gericht stellen sollte.
The Economist war sich nicht sicher, ob ein Gericht mehr Gerechtigkeit schaffen würde als ein Tod wie der von Benito Mussolini. Im April war der italienische Diktator am Straßenrand erschossen und kopfüber auf dem Piazzale Loreto in Mailand, wo ein Jahr zuvor 15 italienische Partisanen hingerichtet worden waren, aufgehängt worden.

„Es ist nicht anzunehmen, dass gerichtliche Prozesse zu einem gerechteren Resultat führen als zum Beispiel das erbärmliche Ende, das Mussolini ereilte. Sollten sie aber gerecht sein, dann müssen sie standrechtlich und sachlich durchgeführt werden. Den Gefangenen das berühmte letzte Wort wie in einem Hollywood-Film zu gewähren, hieße, den Zweck der Vereinten Nationen zu verfehlen. Das Gleiche gilt für Prozessverzögerungen, die dazu führen würden, dass sich der Gestank der Gräueltaten in Europa noch verstärken würde.“

Letztendlich wurde ein einheitliches Vorgehen beschlossen. Die Alliierten, einschließlich der Sowjetunion, kamen im Juni in London zusammen, um Verfahren für Kriegsverbrechertribunale zu entwickeln. Nach mehr als einem Monat angespannter rechtlicher und moralischer Diskussionen einigten sie sich auf einige Rahmenbedingungen, die später die Grundlage für die Prozesse in Nürnberg und Tokio bilden und die Rechtsprechung zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erheblich erweitern sollten.

Two bill posters enjoy a cigarette break after pasting up a campaign billboard poster for John Platts-Mills, the Labour Party candidate for the north London constituency of Finsbury, on 20th June 1945. John Platts-Mills would go on to win the seat for the Labour Party in the upcoming 1945 United Kingdom general election. (Photo by Konig/Popperfoto via Getty Images)

30. Mai

Ein neues Kapitel

Am 23. Mai endete die Koalitionsregierung, die Großbritannien seit 1940 regiert hatte. Das Kabinett trat zurück. Premierminister Winston Churchill berief Neuwahlen ein—die ersten seit 1935. „Die politische Luft ist nun rein“, schrieb The Economist am 26. Mai. Die Konservative Partei würde mit Churchills Bilanz als Kriegsführer Wahlkampf machen, während die Labour-Partei von Clement Attlee, seit 1942 stellvertretender Premierminister, mit einem erklärten sozialistischen Manifest für umfassende soziale und wirtschaftliche Reformen, darunter die Einrichtung eines nationalen Gesundheitsdienstes und Vollbeschäftigung, an die Öffentlichkeit treten würde.
Beide Seiten machten sich Sorgen um den Wahltermin. Attlee wollte, dass die Wahl im Herbst stattfinden sollte, aber die Basis der Labour-Partei war nach fünf Jahren, in denen die Parteipolitik praktisch eingefroren war, frustriert. Churchill stellte Labour vor die Wahl: Entweder würde die Wahl so schnell wie möglich—am 5. Juli—stattfinden, oder sie müsste nach der Kapitulation Japans gehalten werden. Letzteres war für viele in der Labour-Partei inakzeptabel. Daher war der Terminvorschlag darauf ausgerichtet, Attlee zu einer vorzeitigen Wahl zu zwingen. Er glaubte, dass Churchill aus taktischen Gründen eine Wahl im Juli bevorzugte, da den Wählern sein Sieg in Europa dann noch frisch im Gedächtnis sei:

„Beide Parteien schieben öffentliches Interesse als Grund für ihre Präferenzen vor. Doch ihre Haltungen sind widersprüchlich. Der wahre Grund ist der Vorteil für die Konservative Partei. Der Premierminister zeigte sich in seinem zweiten Brief an Herrn Attlee empört über die „Verleumdung“, dass seine Präferenz für Juli gegenüber Oktober auf politischen Kalkül beruhe. Dieser emotionale Ausbruch von Herrn Churchill war zweifellos aufrichtig. Ganz offensichtlich hatten einige seiner engsten Kollegen und Freunde aber sehr wohl kalkuliert, dass eine Wahl noch im Glanz der Siegesfeierlichkeiten mit ziemlicher Sicherheit den Hauptarchitekten dieses Sieges und der von ihm geführten Partei einen Wahlsieg bescheren würde.“

Attlees Gründe für seinen Wunschtermin einer Wahl erst im Herbst—eine Option, die Churchill nicht akzeptieren wollte—waren ebenfalls offensichtlich. Er „würde es vorziehen abzuwarten bis der Glanz von Churchills Ruhm aufgrund einer Reihe von Schwierigkeiten und vielleicht auch Fehlern gewichen ist und die Wähler in ihm nicht mehr den unangreifbaren Kriegsführer sehen, sondern ihn als Führer in Friedenszeiten in Frage stellen, da er hier möglicherweise viel schwächer sei“. Aber Churchills Ultimatum ließ Attlee keine andere Wahl, als einer Wahl im Juli zuzustimmen.
Churchill war erstaunlich beliebt: Im Mai lag seine Zustimmungsquote, die während des Krieges nie unter 78% gefallen war, bei 83%. Aber die im Lande vorherrschende Meinung über seine Partei war weit weniger positiv. Die Konservativen hatten Großbritannien seit 1922 allein oder an der Spitze einer Koalition mit kurzen Unterbrechungen in den Jahren 1924 und 1929-1931 regiert. Die Partei wurde immer noch für die Massenarbeitslosigkeit der 1920er und 1930er Jahre sowie für Neville Chamberlains Politik der Nachsicht gegenüber Nazi-Deutschland verantwortlich gemacht. Daher wurde ein knappes Wahlergebnis erwartet:

„Es ist sehr schwierig, das Ergebnis dieser Wahl vorherzusagen. Die allgemeine Erwartung, selbst unter vielen Labour-Anhängern, ist, dass die Konservative Partei mit einer Mehrheit, wenn auch einer geringeren, zurückkehren wird, und dass dieses Ergebnis ein persönliches Vertrauensvotum für Herrn Churchill sein wird. Dies ist zweifellos der wahrscheinlichste Wahlausgang. Aber er ist keineswegs sicher.“

Die Gelegenheit, das „sehr veraltete und überholte Unterhaus“ Großbritanniens zu erneuern, wurde, wie wir schrieben, begrüßt. Doch trotz der wichtigen Nachricht, dass erstmals seit einem Jahrzehnt wieder eine Wahl stattfinden würde, war die Stimmung gegenüber den beiden großen Parteien eher verhalten:

„Eine Parlamentswahl, insbesondere nach einer so langen Pause und nach so einschneidenden Ereignissen, sollte als Chance für eine große Erneuerung der nationalen Ziele betrachtet werden. Dass sie vom Durchschnittsbürger nicht so gesehen wird, sondern eher wie die Wiederaufnahme von normalen Sportveranstaltungen vergleichbar mit einem Cricket-Testspiel (und fast ebenso langatmig) wahrgenommen wird, spiegelt die Tatsache, dass es an Begeisterung für beide großen Parteien mangelt, wider.“

Der Grund dafür war, dass beide Parteien es versäumt hatten sich mit den Herausforderungen der Modernisierung der britischen Wirtschaft auseinanderzusetzen: „Tatsache ist, dass keine der beiden Parteien ein echtes, realisierbares politisches Konzept hat, weil keine der beiden Parteien sich jemals tiefgreifend mit dem Großbritannien des 20. Jahrhunderts in einer Welt des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt hat. Jede Partei hat sich daher lediglich in die reine Verwaltung des Status quo geflüchtet. Nuancen in der Gewichtung wurden mit den grundsätzlichen (‚parteipolitischen‘ Anm. d.Übers.) Unterschieden erklärt.” Der Wahltag wurde auf den 5. Juli festgelegt, sodass etwa sechs Wochen für den Wahlkampf zur Verfügung standen. Die Auszählung der Stimmen der im Ausland stationierten Soldaten würde weitere drei Wochen dauern. Der erste britische Wahl-Marathon seit einem Jahrzehnt hatte begonnen.

Juni

1945

6. Juni

Das Ende eines Traums

Als die Nazis Anfang Mai kapitulierten, lag Deutschland in Trümmern. Es lag auch politisch am Boden, da das Nazi-Regime aufgelöst und durch die Militärbehörden der Alliierten ersetzt worden war. Am 9. Juni veröffentlichte The Economist einen langen Bericht aus München, das nun unter amerikanischer Kontrolle stand. Darin wurde die surreale Lebenslage unmittelbar nach dem Krieg wie folgt beschrieben:

„Das Bild, das sich dem Besucher Deutschlands offenbart, ist so dermaßen abstrus, verwirrend und widersprüchlich, dass es sinnlos wäre, eine eindeutige Beschreibung überhaupt zu versuchen. Man reist durch Deutschland wie durch einen Traum. Das Leben hier hat jegliche festen Bahnen und Formen verloren—es wirkt komplett zerfallen. Die einstmals deutsche Nation scheint sich in Millionen von Individuen aufzulösen, von denen jedes seine eigenen Ängste und Sorgen hat. Eine klassische soziologische und politische Einordnung ist unmöglich, da es in der Bevölkerung, wenn überhaupt, nur wenige soziale Bindungen und Verbindungen gibt. Für eine gewisse Zeit hat sich die kollektive Identität der deutschen Nation in ein Nichts zerbröselt.“

Deutschland hatte weniger als 30 Jahre zuvor bereits eine Niederlage erlitten. Die jetzige Ausgangslage war jedoch eine andere. Nach dem Ersten Weltkrieg besetzten die Sieger nur Teile des Gebiets, wie das Rheinland und das Ruhrgebiet. Zum größten Teil „rettete das Land nicht nur sein Territorium, seinen Reichtum und sein gesellschaftliches Gefüge, sondern auch die Mittel für seine geistige und politische Identitätsbildung“.
Nun aber stand das gesamte Land unter Besatzung. Die Alliierten entthronten und entnazifizierten die Institutionen. „Im Jahr 1945 ist die Nation verstummt“, schrieben wir. Die Deutschen waren voller widersprüchlicher Gefühle, was den Untergang der Nazis betraf, der für viele wie das Ende eines Traums erschien. „Einige werden sagen, dass es nichts als ein schöner Traum von der Eroberung der Welt gewesen sei und dass die Deutschen vor allem Bedauern und Verzweiflung über den Verlust dieser Fata Morgana empfinden. Andere, allen voran die Deutschen selbst, behaupten, dass der Traum ein Albtraum war, der sie unterdrückte und erstickte, und dass sie nun Erleichterung und Dankbarkeit empfinden.“
Bayern nahm in der Geschichte der Nazis einen besonderen Platz ein, galt es doch als Wiege der NSDAP. Im Jahr 1923 versuchte Adolf Hitler, inspiriert von Benito Mussolinis Marsch auf Rom im Jahr zuvor, die Regionalregierung im sogenannten „Bierkeller-Putsch“ im Münchner Bürgerbräukeller wegzuputschen. In Bayern hatte sich die NSDAP jedoch nie vollständig etabliert, und der sogenannte „Kadavergehorsam“, den die Nazis eingefordert hatten, nahm mit ihrer unvermeidlichen Niederlage immer mehr ab.

„Hier in Bayern brach er in den letzten Tagen bzw. Wochen des Krieges ganz offensichtlich zusammen, hatte er doch bereits zuvor schon feine Risse bekommen. In München, auch ‚Hauptstadt der Bewegung‘ genannt, befindet sich im Zentrum der Stadt das ‚Mekka des Nationalsozialismus‘, der berühmte Bürgerbräukeller, der heute von einem amerikanischen Wachposten bewacht wird, vermutlich als schändliches Relikt von musealem Wert. Doch in dieser ‚Hauptstadt der Bewegung‘ ist es fast unmöglich, jemanden zu finden, der etwas die Nazi-Machenschaften sagt. Die Bürger erzählen dem Ausländer schüchtern, dass Münchens halb scherzhafter und inoffizieller Titel ‚Hauptstadt der Gegenbewegung‘ lautete. Selbst in der Hochzeit des Nationalsozialismus hätte die lokale Intelligenz einen Spaß daran gehabt, die Nazis auf offener Bühne diskret zu kritisieren oder unter vorgehaltener Hand einzugestehen, dass sie eine tiefsitzende Sympathie für die alte Wittelsbacher Dynastie hegte. Die bayerische Linke, die gelegentlich weniger bescheidene Gesten des Widerstands an den Tag legte, verwies auf das nahe gelegene Konzentrationslager Dachau, das jegliche antinazistischen Reflexe (aus Angst, Anm.d.Übersetzers) in den Köpfen der Bayern immer wieder dämpfte.“

Nur wenige Wochen nach dem Ende des Krieges in Europa gab es kaum Möglichkeiten, solche Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Die Besatzungsmächte kontrollierten alle politischen Entscheidungen. Die Alliierten verboten nicht nur die NSDAP, sondern setzten auch die Aktivitäten aller politischen Organisationen für vier Monate aus. Kommunalwahlen fanden zwar 1946 statt, aber es gab keine nationalen Wahlen bis 1949, als die Westdeutschen nach der Teilung des Landes an die Wahlurnen gingen. Unser Korrespondent berichtete:

„Das erste Aufkeimen eines neuen politischen Lebens im postnazistischen Bayern ist naturgemäß noch extrem schwach und kraftlos. Alle politischen Angelegenheiten werden von den Offizieren der Alliierten Militärregierung bearbeitet oder finden in den Privathäusern einiger weniger Überlebender der Weimarer Demokratie statt. Die führenden Köpfe der neuen bayerischen Verwaltung agieren als Einzelpersonen ohne die Unterstützung politisch organisierter Gruppierungen, deren Gründungen von der Militärregierung strengstens verboten wurden. Diese hat mehr als deutlich gemacht, dass es ,keine Politikausübung in Deutschland‘ geben darf und dass das Verbot jeglicher politischer Betätigung ausnahmslos für alle Gruppierungen galt, auch die, die gegen die Nazis waren.“

Dieser Zustand „verlängerte zweifellos die politische Lähmung, die nach dem Zusammenbruch des Einparteiensystems sichtbar wurde.“ Vor dem harten Durchgreifen der Alliierten hatten in den letzten Tagen des Krieges bereits einige Gruppierungen damit begonnen, sich zu organisieren: „Einzelne Überlebende der alten Parteien der Linken, wie die Sozialisten, Kommunisten und Gewerkschafter, kamen zusammen und diskutierten die neue Lage. Bald schlossen sich ihnen auch Überlebende der Konzentrationslager an.“ Doch jene Gruppen, von denen einige versucht hatten, den Vormarsch der Alliierten zu unterstützen, um das Kriegsende zu beschleunigen, waren verstummt.
Unserem Korrespondenten drängte sich daher die Frage auf: „Soll die Politik in Deutschland weiterhin so konturenlos bleiben—und wenn ja, wie lange? Oder sollte man nicht lieber die unbestreitbar vorhandene anti-nationalistische Einstellung der Bevölkerung als Beginn für die Entwicklung einer neuen politischen Perspektive für Deutschland nutzen?“ Der Westen des Landes sollte nach zwölf Jahren Diktatur zur Demokratie zurückkehren, allerdings erst nach vier weiteren schwierigen Jahren.

13. Juni

Zonen der Besatzung

Weniger als einen Monat nach der Verkündigung des Sieges in Europa versammelten sich die Alliierten in Berlin, um Deutschlands Kapitulation offiziell zu besiegeln. Nachdem sie die Aufteilung der Besatzungsgebiete untereinander vereinbart hatten, richteten sie ihren Blick auf den Wiederaufbau Deutschlands. Für den Economist stellte sich unmittelbar ein logistisches Problem: Die meisten Deutschen lebten im Westen, der Großteil der Nahrungsmittel befand sich jedoch im Osten. Da die Amerikaner, Briten und Franzosen den Westen kontrollierten, die Sowjetunion hingegen den Osten, war Kooperation unabdingbar.

„Die Bevölkerung der sowjetischen Zone hat sich allerdings durch die Flucht deutscher Zivilisten und die massenhafte Kapitulation von Wehrmachtssoldaten gegenüber den Westalliierten erheblich reduziert. Das bereits im Vorkriegsdeutschland bestehende Ungleichgewicht hat sich dadurch noch verschärft. Ohne eine rasche Organisation des Transfers von Arbeitskräften nach Osten und der Lieferung von Nahrungsmitteln nach Westen werden die Lebensmittel im Osten wegen mangelnder Arbeitskräften nicht geerntet werden können und der Westen wird mangels Versorgung hungern. Dieses Problem lässt sich nur durch gemeinsames Handeln der Alliierten lösen.“

Über die unmittelbare Aufgabe hinaus, die Deutschen vor Hunger zu bewahren, sahen sich die Alliierten mit einer für Leser Lenins bekannten und brennenden Frage konfrontiert: Was tun? Der Economist zeigte sich bestürzt darüber, dass keine der Siegermächte eine Strategie für die politische Neuordnung Deutschlands nach dessen Niederlage zu haben schien.

„Wollen die Alliierten den zentralisierten deutschen Staat für immer zerschlagen? Wenn ja, soll dies durch Dezentralisierung oder Föderalisierung geschehen? Oder sollen unabhängige Staaten aus dem alten Reich hervorgehen? Oder ist beabsichtigt, Deutschland zu spalten, indem die verschiedenen Besatzungszonen dauerhaft in die jeweiligen „Einflusssphären“ der Siegermächte eingegliedert werden?“

Ohne eine solche Strategie, so unsere damalige Ansicht, könnte es keinen Plan für die deutsche Wirtschaft geben. Wir kritisierten, dass die Alliierten noch nicht einmal entschieden hatten, ob Deutschland eine „industrielle oder eine landwirtschaftliche Zukunft“ haben sollte. Mangels einer kohärenten Politik verfolgte jede Macht ihre eigenen Interessen. Sollte sich dies fortsetzen, so unsere Warnung, „führt der Weg unweigerlich in den Ruin“.
Angesichts des rasanten Wirtschaftsaufschwungs Westdeutschlands nach dem Krieg erwies sich diese Einschätzung als übermäßig pessimistisch. Damals jedoch schien es, als würden die Sowjets Deutschlands Wiederaufbau anführen. Wir tadelten Briten und Amerikaner, da sie dem deutschen Volk keine positive Zukunftsvision präsentierten, während sowjetische Radiosender—so unwahrscheinlich es auch klingen möchte—Hoffnung verbreiteten.

„Ein letzter Unterschied ist das Bild, das die Siegermächte dem deutschen Volk von seiner Zukunft vermitteln. Briten und Amerikaner schweigen. Sie betreiben keine Propaganda. Sie verfolgen keine klare Linie. Ihre Radiosender verbreiten kaum mehr als Verbots- und Straflisten. Radio Berlin hingegen gibt den Deutschen einen Schimmer Hoffnung: dass sie—wenn sie nur hart arbeiten und die Nazis in den eigenen Reihen eliminieren—eines Tages mit „Hilfe der großen Sowjetunion“ den Weg zurück in die Völkergemeinschaft finden würden. Man möchte diese Sendungen als Propaganda abtun. Doch wenn dem so ist, dann ist es wirksame Propaganda. Die vor den Deutschen liegende Dunkelheit ist so undurchdringlich und ihr Schicksal liegt so unwiderruflich außerhalb ihrer Kontrolle, dass jedes Anzeichen einer politischen Strategie, jede Hoffnung auf eine positive Zukunft, ihre Gemüter bewegen und sie—wenn auch zögerlich—einen Hoffnungsschimmer am östlichen Horizont suchen lassen muss.“

Der Economist beschwor die Alliierten, einen Weg zur Einigung Deutschlands zu finden, und argumentierte, dass die „Kämpfe um die Wiedervereinigung“ des geteilten Landes sonst „die Politik Europas über Jahrzehnte hinweg belasten“ würden. Der Kalte Krieg stand unmittelbar bevor.

20. Juni

Die neue Charta

Die Gründung der UNO war seit langem in Vorbereitung. Bereits 1941 hatten Amerika und Großbritannien ihren Wunsch bekundet, „ein umfassenderes und dauerhaftes allgemein gültiges Sicherheitssystem“ zu schaffen. Im April 1945 versammelten sich Delegierte aus 50 Ländern in San Francisco, um dieses Ziel zu verwirklichen. Nach neun Wochen der Diskussion unterzeichneten sie am 26. Juni die Charta der Vereinten Nationen und schufen damit eine staatenübergreifende Organisation, die die kriegerischen Ambitionen in der Welt eindämmen sollte.
Die Delegierten hatten das Scheitern des Völkerbundes noch nicht vergessen. Seine Gründung war nach dem Ersten Weltkrieg ein ähnlicher Versuch, den Frieden zu sichern. Dennoch war The Economist optimistisch, dass die UNO dort Erfolg haben könnte, wo der Völkerbund versagt hatte.
Warum? Erstens würden, anders als beim Völkerbund, Amerika und die Sowjetunion von Anfang an in die UN eingebunden sein. Dies sei entscheidend, argumentierten wir, da die Stärke einer solchen Organisation unweigerlich von ihren mächtigsten Mitgliedern ausgehe, die „über dem Gesetz stehen, weil sie die Macht hinter dem Gesetz ausüben“. Dass Amerika, Großbritannien, China, Frankreich und die Sowjetunion ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates mit jeweils einem Vetorecht in Bezug auf die UN-Politik sein würden, spiegelte dies wider.
Zweitens wurde die vergebliche Hoffnung, dass Länder durch das ihnen innewohnende bessere Wesen zum Frieden gelangen, diesmal zugunsten eines eher hobb’schen Realismus in den Hintergrund gedrängt.
Harry Truman, der amerikanische Präsident, legt dar, was bei der Gründung der Vereinten Nationen auf dem Spiel steht.

„Der UN-Charta kann kein übertriebener Idealismus vorgeworfen werden. Im Gegenteil, fast jeder Artikel ist geprägt von den Erfahrungen zweier düsterer Jahrzehnte zwischen den Kriegen, in denen sich insbesondere in Europa Machtpolitik, Imperialismus und Aggression wie Wildwuchs innerhalb und außerhalb des neuen Völkerbundes ausgebreitet hatten. In der Charta der Vereinten Nationen wird nicht auf bessere, idealistische Methoden zur Gestaltung internationaler Beziehungen gesetzt. Eine führende Position wird von denjenigen eingenommen, die sich dank ihrer physischen Stärke in einer wie auch immer gearteten unorganisierten Weltgesellschaft eine Vormachtstellung verschaffen würden.“

Zyniker, so schrieben wir, könnten beklagen, dass die Charta nichts anderes sei als „alte Notlösungen und separater Nationalismus in Großbuchstaben, überzogen mit einer Schicht allgemeiner guter Absichten”. Wir wiesen jedoch darauf hin, dass der Völkerbund tatsächlich wegen seiner Hochherzigkeit scheiterte. Zu sehr vom Wert ihrer gemeinsamen Bemühungen um einen dauerhaften Frieden überzeugt, verloren seine Mitglieder aus den Augen, dass sie auch eine individuelle militärische Verantwortung für seine Verteidigung übernehmen müssen.

„Hat nicht der Glaube, dass der Völkerbund mehr sei als die vereinte Macht seiner Mitglieder, und er per se als Garant gegen den Krieg galt, dass eine kollektive Sicherheit als eine Alternative zur nationalen Verteidigung und nicht als deren Erweiterung gesehen wurde—haben nicht diese Illusionen die Chance auf einen dauerhaften Frieden eher erschwert als erleichtert? Indem man die Verantwortung für die Eindämmung von Aggressionen zugunsten einer kollektiven Sicherheit dem Bund als Ganzes übertrug, fühlte sich individuell niemand verantwortlich.“

Wir berichteten, dass das neue Gremium nicht den „utopischen Elan“ des Völkerbundes hatte und die Verantwortung für die Wahrung des Friedens bei den Großmächten lag. Es ähnelte damit eher einem Sammelsurium aus unterschiedlichen Allianzen, die bisher leider nicht vermochten, einen Krieg zu verhindern. Dennoch hatte es einen großen Vorteil, denn es bot ein Forum für die Äußerung von Beschwerden.

„Die Konferenz selbst hat bereits gezeigt, wie stark die Weltöffentlichkeit die Politik der Großmächte beeinflussen kann und wie heilsam es sein kann, Unrecht und Willkür öffentlich anzuprangern. Als Plattform der Weltöffentlichkeit kann die internationale Struktur der neuen Staatenorganisation direkt dazu beitragen, Fehlverhalten und Aggressionen einzudämmen.“

Wie schon der Völkerbund zuvor würde auch die UNO nur dann funktionieren, „wenn ihre Mitgliedstaaten dies wünschen und darauf hinarbeiten“ und wenn die mächtigsten Länder dieses Völkerbunds „einen guten und friedlichen internationalen Umgang miteinander“ an den Tag legen. Wie die ersten 80 Jahre der UNO gezeigt haben, mangelte es leider allzu oft an einem derartigen Wohlwollen.

1945: Liberated French prisoners on a road, west of Berlin, passing by a Russian Stalin tanks which had travelled 2,000 miles during the course of the war.

27. Juni

Bayerische Straßen

Im Juni 1945 veröffentlichte The Economist den zweiten Lagebericht eines Korrespondenten aus München. Unser Artikel beschrieb seine Reise durch den Süden Bayerns zu Beginn der Nachkriegszeit. In anderen Teilen Deutschlands gab es einen „jähen Kontrast“ zwischen dem Leben in den Städten, die „auf einen deutschen Propheten Jeremia zu warten schienen, um ihre Ruinen zu beweinen“, und der friedlichen Landschaft ringsherum. Auf den bayerischen Straßen bot sich eine Art „Querschnitt der großen Probleme Deutschlands und Europas“. Deutsche Soldaten, die nach der Kapitulation der Nazis demobilisiert worden waren, befanden sich auf dem Weg nach Hause:

„Südlich von München, vor der klaren Silhouette der Alpen, kann man die letzten Szenen der kapitulierenden Wehrmacht gut beobachten. Lange Konvois von Lastwagen, voll mit deutschen Soldaten, angeführt von Offizieren in Dienstwagen, rollen zu Sammelplätzen und Gefangenenlagern. Die Soldaten werden entwaffnet. Einige Offiziere der Luftwaffe, der SS sowie der Infanterie tragen noch ihre Seitengewehre und geben brüllend in typischer Feldwebel-Manier ihre letzten Befehle an die Männer.“

Auch Menschen, die den Holocaust überlebt hatten, waren auf den Straßen unterwegs. Einige, die aus den Konzentrationslagern der Nazis befreit worden waren, reisten zurück in ihre Heimatstädte. Andere begaben sich nach Westen in die von den Alliierten befreiten Gebiete, wo Auffanglager eingerichtet worden waren, um sie aufzunehmen.
Die sich kreuzenden Wege von Soldaten und Flüchtlingen führten zu manchen surrealen Begegnungen. Unser Korrespondent schrieb über eine Begegnung zwischen einem befreiten KZ-Häftling und einem Offizier der Schutzstaffel (SS), der wichtigsten paramilitärischen Einheit der Nazis während des Krieges:

„Irgendwo am Straßenrand schleppt sich ein Mann im KZ-Sträflingsanzug langsam nach Hause. Kurz davor war er von einem SS-Offizier angehalten worden, der mit seinem Adjutanten in einem Auto unterwegs war. Es kommt zu einem heftigen Wortwechsel und Drohungen mit wilden Gestikulierungen. Als sich ein amerikanischer Jeep nähert, hört der Streit auf und das Auto des SS-Offiziers fährt davon. Der ehemalige KZ-Häftling erklärt mit einem gewissen Stolz, dass er Funktionär der Sozialdemokratischen Partei in Breslau war. Es war tatsächlich so, dass SS-Männer gelegentlich solche Menschen auf den Straßen schikanierten.“

Der Mann, der nach Breslau (heute Wroclaw in Polen) unterwegs war, sah sich unter russischer Besatzung einem ungewissen Schicksal gegenüber. Bis er „in das Konzentrationslager verschleppt worden war“, schrieben wir, „war er in den Augen der lokalen Kommunisten ein ‚Sozialfaschist‘ gewesen“.
Auch andere waren unterwegs. Eine Gruppe von Roma aus Deutschland, die von den Nazis verfolgt worden waren, reiste in einem Konvoi. „Sie wollen arbeiten, und das Vaterland oder die Sieger sollten ihnen Arbeit geben.“ Andere Menschen suchten nach ihren Familien:

„Auf der anderen Straßenseite versucht eine große, dünne Frau, zwei amerikanischen Offizieren in gebrochenem Englisch etwas zu erklären. In ihrer verwirrten, unverständlichen Geschichte tauchen immer wieder zwei Worte auf: Gas und Kammer. Es stellt sich heraus, dass ihr Kind vor sieben Jahren von einem Nazi-Arzt als geistig behindert eingestuft worden war. Der Hausarzt teilte diese Diagnose nicht, seine Meinung wurde jedoch ignoriert. Nach den Regeln der „Rassenhygiene“ sollte das Kind in eine Gaskammer kommen, der Nazi-Version des Tarpejischen Fels (im antiken Rom Anmerk. d. Übers). Die Mutter versteckte das Kind an einem etwa 200 Kilometer entfernten, abgelegenen Ort. Als sie es zum letzten Mal gesehen hatte, war es fast verhungert. Würde sie nun von der Militärregierung eine Genehmigung erhalten, ihr Kind zu holen?“

Mit der Verfolgung von Juden, Slawen, Roma und anderen ethnischen und sozialen Gruppen, einschließlich seiner politischen Gegner, hatte Adolf Hitler den Kontinent verwüstet. Nun folgte eine Migrationswelle. „Die Leiden und Ängste eines halben Dutzend unterschiedlicher Nationalitäten trafen für eine Weile hier, mitten auf der schönen, sonnenbeschienenen bayerischen Straße aufeinander. Bald werden sie vom Wind in alle Richtungen und in andere Länder verweht.“ Die Demografie Europas— dessen Vielfalt, Verteilung der Völker und Kulturen—wurde für immer verändert.

Juli

1945

4. Juli

Ende des Wahlkampfgetöses

Am 5. Juli gingen die Briten zur Wahl. Die ersten Parlamentswahlen seit 1935 waren ungewöhnlich. Die Parteipolitik war während der sechs langen Kriegsjahre praktisch zum Erliegen gekommen. Obwohl die Kämpfe in Europa vorbei waren, mussten Millionen von Menschen noch nach Hause zurückkehren. Unter den 25 Millionen Wählern, die ihre Stimme abgaben, wählten etwa 1,7 Millionen Soldaten und Soldatinnen per Vollmacht oder per Briefwahl. „Es folgte eine seltsame Zeit des Dahindämmerns und Wartens auf das Wahlergebnis, das der Öffentlichkeit noch wie ein Geheimnis in den versiegelten Wahlurnen verborgen blieb während in jedem Hotel des Landes erschöpfte Kandidaten in nervöser Erwartung verharrten“, schrieb The Economist am 7. Juli. Das Warten würde länger als gewöhnlich dauern, denn um genug Zeit für die Auszählung aller Stimmen zu haben, würde das Ergebnis erst nach drei Wochen bekannt gegeben werden.
Die Partei der Konservativen von Winston Churchill und die Labour-Partei von Clement Attlee, die im Krieg Partner waren, kämpften nun hart um den Regierungsauftrag in Friedenszeiten. Lokale Labour-Aktivisten erwarben sich dabei einen schlechten Ruf, da sie Versammlungen der Konservativen und Liberalen störten und unterbrachen. Auf nationaler Ebene waren es jedoch die Tories, die Kritik verdienten:

„Auf nationaler Ebene, in den Zeitungen und im Rundfunk sah es allerdings genau umgekehrt aus. Hier hat die Labour-Partei ihren Wahlkampf mit großer Würde und gutem Gespür geführt, während die Konservativen mit Tricks, Ablenkungsmanövern und unfairen Praktiken operierten, die viele ihrer Freunde und Anhänger, und ehrlich gesagt, auch die meisten aus ihrem eigenen Führungspersonal jenseits des engsten Kreises verabscheuten. Die konstruktiv gemäßigte Haltung eines Mr. Eden, Mr. Butler und Sir John Anderson wurde mit aktiver Unterstützung des Premierministers von diesem Zirkus konterkariert.“

Winston Churchill, der 1940 Premierminister wurde, nachdem das Unterhaus Neville Chamberlain zum Rücktritt gezwungen hatte, hatte nie eine Parlamentswahl gewonnen. Er beklagte sich über die ihm fehlende überzeugende Zukunftsvision, die er den Wählern vermitteln hätte können: „Ich habe keine Botschaft für sie.“ Deshalb bediente er sich einer düsteren Rhetorik. Am 4. Juni, weniger als zwei Wochen nachdem Attlee aus seiner Regierung ausgetreten war, sagte Churchill, der Labour-Vorsitzende würde „eine Art Gestapo“ zur Umsetzung seines Wahlprogramms benötigen. In Anspielung auf die Schrecken des Faschismus und Kommunismus, die den Kontinent erschüttert hatten, warnte er davor, dass Attlees linke Plattform „untrennbar mit Totalitarismus und einer unterwürfigen Staatsverehrung verwoben sei.“
„Tatsächlich fällt es sehr schwer, in Churchill, so wie er sich in den letzten Wochen darstellte, den Staatsmann zu sehen, der sein Land über seine Partei stellt“, schrieben wir. Dass die Konservativen ihren Wahlkampf so verbittert geführt hatten, war ein beunruhigendes Zeichen dafür, dass die Partei nicht auf die Aufgabe vorbereitet war, Großbritannien wieder aufzubauen. Die neue Regierung würde sich mit vielfältigen Problemen auseinandersetzen müssen:

„Letztendlich sah es nicht so hoffnungsvoll aus, dass eine der beiden großen Parteien die enormen und neuartigen Aufgaben der nächsten Jahre mit dem notwendigen Elan angehen würde, die die miserable Lage des Landes erforderte. Bereiche wie die Außen- und Machtpolitik, der Umgang mit einer enormen Auslandsverschuldung, die Wahrung des wirtschaftlichen Friedens und der sozialen Einheit erforderten immense Anstrengungen, großes Geschick, die Bereitschaft, neue Methoden auszuprobieren, klares Denken und großen Mut.“

Im Vormonat hatte The Economist Attlees Wahlkampf lobend erwähnt. Im Gegensatz zu Churchill waren die Rundfunkansprachen des Labour-Vorsitzenden „gemäßigt, vernünftig, konstruktiv und fair“ gewesen. Dennoch war es schwer vorstellbar, dass Attlee, ein zurückhaltender ehemaliger Anwalt, den Premierminister besiegen würde, der zum Symbol für den Kampf Großbritanniens im Krieg geworden war: „Bei Wahlen ... kann man niemanden mit niemandem besiegen.“ Es war auch schwer vorherzusagen, ob Attlees erste Riege dieser Aufgabe gewachsen war. Für die Labour-Partei, die noch nie eine Mehrheit bei einer Parlamentswahl gewonnen hatte, würde es schwierig werden, die Wähler davon zu überzeugen, dass sie kompetenter regieren würde als die Tories. Dennoch:

„Eines Tages wird es eine Neuordnung der politischen Kräfte geben, die die Anstrengungen der Nation für den Frieden mobilisieren werden, so wie sie 1940 für den Krieg mobilisiert wurden. Churchill hätte diese zweite Aufgabe in Angriff nehmen können, so wie er die erste abgeschlossen hat. Er hat es sich selbst schwer gemacht, indem er die Parteiführung übernommen hatte. Zusätzlich hat er sich mit seinem Verhalten bei dieser Wahl als Identifikationsfigur für eine wirklich nationale Politik der sozialen und wirtschaftlichen Erneuerung diskreditiert.“

Die Labour-Partei hatte sich sehr bemüht, diese Stimmung für sich zu nutzen. „Und jetzt—den Frieden gewinnen“ lautete die Botschaft auf einem der bekanntesten Wahlplakate der Partei. Im Gegensatz dazu hatte Churchill seine überragende persönliche Popularität verspielt, indem er „sich zu einem engstirnigen Parteipolitiker gewandelt“ hatte. So standen nun beiden Seiten sowie den Wählern drei nervenaufreibende Wochen des Wartens bevor.
Dies ist die aktuelle Ausgabe unserer Zeitreihe zum Zweiten Weltkrieg. Die nächste können Sie am kommenden Freitag lesen. Für eine rechtzeitige Benachrichtigung abonnieren Sie unseren Newsletter The War Room.

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As part of Archive 1945, we have been publishing guest essays on the end of the second world war. Read Dan Stone on the liberation of Dachau, Richard Evans on Adolf Hitler’s death, Stephen Kotkin on the Yalta conference and Alexis Dudden on the firebombing of Tokyo. Also try our piece on five of the best books about the second world war.
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Archiv 1945

Wie The Economist Woche für Woche über das letzte Jahr des Zweiten Weltkriegs berichtete

Im Januar 1945 vor 80 Jahren begann das siebte Jahr des Zweiten Weltkrieges. Die Kämpfe tobten in Europa, nachdem die Armeen der Alliierten große Teile Frankreichs und Belgiens von der Naziherrschaft befreit hatten. Die Rote Armee rückte von der Sowjetunion aus nach Polen vor und verdrängte die deutschen Truppen aus dem Osten. Inzwischen gewann der Feldzug der Alliierten im Pazifischen Raum an Fahrt und die USA bereiteten sich auf einen Einmarsch in Japan vor. Nach dem Ende des Krieges sollte sich das globale Machtgefüge in Politik und Wirtschaft in einer Art und Weise verändern, wie es sich noch heute darstellt.
Wie in einer Art Zeitkapsel veröffentlichen wir wöchentlich Ausschnitte unserer damaligen Berichterstattung über den Kriegsverlauf im letzten Jahr bis zu seinem Ende aus unserem Economist-Archiv. Bis August wird auf dieser Plattform jeden Freitag eine neue Ausgabe veröffentlicht. Für eine rechtzeitige Ankündigung können Sie unseren wöchentlichen Newsletter zum Thema Verteidigung unter „The War Room" abonnieren. Archiv 1945 ist auch auf Englisch verfügbar.
Jan
Feb
Mär
Apr
Mai
Jun
Jul
Aug
Kommt bald
American infantrymen of the 290th Regiment of the US Army fight in fresh snowfall near Amonines, Belgium. The fighting and German counter-offensive on the Belgian-German border later became famous as the Battle of the Bulge

3. Januar

Stillstand in Europa

Am 6. Januar 1945, als wir unsere erste Ausgabe des Jahres veröffentlichten, befand sich der Konflikt in Europa in seiner Endphase. Wir schrieben, dass Ende 1944 „nicht nur der Mann und die Frau auf der Straße meinten: ‚Bis Weihnachten ist alles vorbei.‘“ Doch der Vormarsch der Alliierten in die von den Nazis besetzten Teile Europas hatte sich verlangsamt. Die deutsche Ardennenoffensive (im Angelsächsischen besser bekannt als „The Battle of the Bulge") hatte die Alliierten in Belgien und Luxemburg in die Defensive gedrängt. Die Briten kämpften noch immer in Griechenland. Polens Kommunisten, bekannt als das Lubliner Komitee, lagen mit der polnischen Exilregierung in London im Clinch darüber, wer das Land kontrollieren sollte.
Die Stimmung in Großbritannien war bedrückend. Obwohl die Nazis auf beiden Seiten des Kontinents weiterhin in Bedrängnis gerieten, konstatierte The Economist „Stillstand in Europa“:

„Das Jahr 1945 beginnt für die Alliierten düster. In Athen wird immer noch gekämpft. Das Lubliner Komitee hat die verworrene polnische Politik weiter verkompliziert, indem es sich selbst zur provisorischen Regierung Polens erklärt hat. Auf der anderen Seite des Atlantiks sind die Kritik der USA an Großbritannien und das Misstrauen gegenüber Russland kaum Anzeichen für eine Entschärfung des Konflikts. Auch in militärischer Hinsicht ist die Lage enttäuschend. Die Ardennenoffensive wurde zwar gestoppt, doch dass sie überhaupt Erfolg hatte, steht in starkem Widerspruch zu den großen Hoffnungen des vergangenen Sommers.“

Nicht, dass der Sieg den Briten fern erschien—er galt sogar als so gut wie sicher. Aber „militärischer Stillstand und politische Uneinigkeit“ hatten die Niederlage der Nazis verzögert. Zudem waren Unstimmigkeiten über den Umgang mit Deutschland nach dem Krieg problematisch. Die Nazis, so schrieben wir, hofften, „dass die Koalition gegen sie doch noch zerbricht“. Und ein von Frankreich und der Sowjetunion unterbreiteter Vorschlag, Deutschland solle nach dem Krieg seine industriellen Kerngebiete abtreten, stärkte den Kampfeswillen der Deutschen.
Großbritannien hatte auch jenseits des Schlachtfeldes Grund zur Niedergeschlagenheit. Die Kriegswirtschaft hatte der Bevölkerung schwer zugesetzt. The Economist hatte kürzlich eine der ersten umfassenden Veröffentlichungen statistischer Daten seit Kriegsbeginn erhalten (obwohl wir erklärten, dass „aus Sicherheitsgründen einige bis zur Niederlage sowohl Deutschlands als auch Japans geheim bleiben müssen“). Der Krieg hatte die britische Wirtschaft grundlegend verändert. Nicht nur, dass die Regierung die Steuern erhöht hatte, um die Kriegsanstrengungen zu finanzieren. Die Ausgaben für Konsumgüter waren drastisch eingebrochen, auch wenn sich Brennstoffe und Beleuchtung während des Blitzkriegs gut verkauften—wie wir in dieser Grafik veranschaulichten:

„Seit 1942 wurden keine Autos, Kühlschränke, Klaviere, Staubsauger, Tennis- oder Golfbälle mehr hergestellt, und nur sehr wenige Radios, Fahrräder, Uhren und Füllfederhalter.“

Im Jahr 1944 waren Gerüchte aufgekommen, Adolf Hitler sei tot, wahnsinnig geworden oder von Heinrich Himmler, dem Chef der SS (der wichtigsten paramilitärischen Organisation der Nazis), eingesperrt worden. Doch Hitlers Neujahrsansprache, so schrieben wir, zeigte, dass er „am Leben, nicht wahnsinniger als sonst und keineswegs auf dramatische Weise gefangen“ war:

„Seine Rede war voller deutscher Mythen, vom Wiederaufbau größerer und besserer deutscher Städte, vom Scheitern der bürgerlichen Welt und vom Anbruch einer neuen Ära nationalsozialistischer Prinzipien… Er scheint jenseits einer Einmischung in die Kriegsstrategie, sei sie auch noch so gering, zu sein und kümmert sich nur noch um den verzweifelten Nationalismus des deutschen Volkes.“

Doch angesichts des Drucks, den die Alliierten im Westen und die Sowjetunion im Osten auf die Nazis ausübten, klangen die nationalistischen Appelle des Diktators hohl. Seine Botschaft hatte vielmehr den Beigeschmack von Prahlerei und Verzweiflung.

10. Januar

Geteiltes China

Während die Alliierten die Nazis in Europa in die Enge trieben, erhöhten die amerikanischen Streitkräfte im Pazifik den Druck auf Japan. Das Land hatte am 7. Dezember 1941 Pearl Harbor, einen Marinestützpunkt auf Hawaii, bombardiert und dabei fast 2.500 Menschen getötet. Am nächsten Tag zog Präsident Franklin Roosevelt in den Krieg in Asien. Zu Beginn des Jahres 1945 hatte Amerika die Expansion des japanischen Imperiums gestoppt und machte Fortschritte auf den Philippinen, die seit 1941 unter japanischer Besatzung standen:

"Die Landung auf Luzon, der größten der philippinischen Inseln, hat begonnen. Große amerikanische Truppenverbände haben bereits vier Brückenköpfe errichtet, und obwohl noch harte Kämpfe bevorstehen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die letzte Phase der Rückeroberung der Philippinen begonnen hat und das Ende in Sicht ist."

The Economist wandte sich als nächstes China zu. Amerika unterstützte das Land seit 1940 mit Krediten und Waffen gegen Japan. Im Jahr 1941 entsandte es Militärberater und errichtete Luftwaffenstützpunkte auf dem Festland. Es hatte ein starkes Interesse daran, China bei der Beendigung der japanischen Besatzung zu helfen—nicht nur, um Japan zu schwächen, sondern auch, um China als Großmacht zu stärken, die nach dem Krieg den Frieden in Asien sichern würde.
Das war keine leichte Aufgabe. China wurde damals von unterschiedlichen rivalisierenden Regierungen beherrscht. Außerhalb der von Japan kontrollierten Gebiete wurde ein Teil des Landes von der Kuomintang regiert, einer nationalistischen Gruppe unter Chiang Kai-shek mit Basis in Chongqing in Zentralchina; ein anderer Teil wurde von den Kommunisten unter Mao Zedong kontrolliert, mit Hochburg in Yan'an, einer Stadt im Norden. Japans Niederlage könnte in China eine Situation „größter Verwirrung" hervorrufen, schrieben wir. Die beiden rivalisierenden Mächte des Landes hatten zwar Seite an Seite gegen die Japaner gekämpft, befanden sich aber auch „seit einigen Jahren in einem Zustand des tatsächlichen oder latenten Bürgerkriegs".
Die in den befreiten Ländern Europas ausgebrochenen Bürgerkriege schienen für China nichts Gutes zu verheißen:

„Angesichts dieser Situation—eines potenziellen Griechenlands des Fernen Ostens in einem noch größeren und verheerenderen Ausmaß—welche Politik sollten die Alliierten verfolgen? Chinas Verbündete leiden unter dem gravierenden Nachteil, dass ausländische Interventionen stets unpopulär sind und eine Einmischung, wenn sie zu weit getrieben wird, lediglich zu heftiger Abneigung gegen die Intervenierenden führen kann... Deshalb müssen die Alliierten mit äußerster Geduld und Fingerspitzengefühl beide Seiten in China zur Einheit drängen."

Doch Einheit, so stellten wir fest, würde schwer zu erreichen sein. Chiang schien „mehr vom Wunsch beseelt, Macht zu erhalten und auszubauen, als von der Bereitschaft, in einer neuen Regierung Macht mit den Kommunisten zu teilen". Die Kommunisten waren entschlossen, „die Macht in ihren eigenen Gebieten zu behaupten und, wo immer möglich, auszuweiten". Obwohl wir argumentierten, dass eine Regierung der nationalen Einheit das Beste für China wäre, war schwer zu erkennen, wie sie „ins Leben gerufen werden sollte".

17. Januar

Der vernachlässigte Verbündete

Anfang 1945 war der größte Teil Frankreichs befreit. Im August davor hatten die Alliierten Paris der deutschen Kontrolle entrissen, und Charles de Gaulle, der von London und Algier aus eine provisorische Exilregierung geführt hatte, kehrte in die Hauptstadt zurück. Die Besetzung war folgenschwer. Am 20. Januar 1945 schrieb The Economist:

„Frankreich ist in eine Lage gekommen, aus der es schleunigst gerettet werden muss. Die Bevölkerung von Paris und vielen anderen Städten friert aus Mangel an Kohle; in der ersten Januarwoche wurden täglich durchschnittlich knapp über 10.000 Tonnen Kohle nach Paris geliefert, ein Bruchteil dessen, was normalerweise benötigt wird und kaum genug, um den dringenden Bedarf von Krankenhäusern, Schulen und essentieller öffentlicher Dienstleistungen zu decken.“

Brot wurde auf 370 Gramm pro Tag rationiert, Käse auf 20 Gramm pro Woche. Selbst dann gab es „keine Garantie, dass wenigstens diese kärglichen Rationen geliefert werden können“.
Auch die französische Industrie befand sich in einem beklagenswerten Zustand: „Zusätzlich zu der Not durch Mangel an Wärme, Nahrung und Kleidung in den Industriezentren Frankreichs kam das Elend durch Arbeitslosigkeit—allein in Paris sind etwa 400.000 Menschen ohne Arbeit.“ Damit einher ging die Furcht vor politischer Instabilität. Wir warnten: „Die französische Geduld hat Grenzen. Und diese Grenze ist in Sicht... Angesichts der wachsenden Unzufriedenheit könnte die Position der Regierung geschwächt werden.“ Es sei im Interesse aller, dass „Frankreich nicht zum vernachlässigten Verbündeten wird“.
Frankreichs Hafenstädte waren schwer getroffen. Boulogne lag in Trümmern, doch Marseille schickte bereits Nachschub an die Front. In Nantes begrüßten am 14. Januar große Menschenmengen de Gaulle.
Video: Getty Images
Unserer Ansicht nach sollten Großbritannien und Amerika Frankreich als gleichberechtigten Partner in den Kriegsanstrengungen behandeln, „nicht nur bei der Strategieentwicklung, sondern auch bei der Ressourcenverteilung“. Amerika mit seinen reichhaltigen Bodenschätzen könnte die Lieferungen an Frankreich aufstocken. Aber auch Großbritannien sollte seinen Teil beitragen—selbst wenn es „nur Pfennige zu Amerikas Dollars beisteuern kann“.
In Osteuropa, wo die Nazis von der Sowjetunion vertrieben worden waren, zeichnete sich derweil ein ganz anderes Bild der Befreiung ab:

„Ein undurchdringlicher Schleier der Geheimhaltung hat sich über das sowjetisch besetzte Europa gelegt. Vereinzelte Hinweise und Informationsfetzen deuten auf politische Spannungen hier und da und teilweise auf bewaffnete Zusammenstöße zwischen Russen und lokalen Kräften hin. Doch die Geheimhaltung macht es nahezu unmöglich, das Ausmaß und die Bedeutung dieser Unruhen einzuschätzen. Wie auch immer ihre Politik in den besetzten Gebieten aussehen mag, die sowjetische Regierung wird nicht durch die hohen Ansprüche demokratischer Meinungsbildung und parlamentarischer Kontrolle behindert.“

Es schienen Unterschiede zwischen den unter sowjetischem Einfluss gebildeten Regierungen zu bestehen. In manchen Ländern waren die Kommunisten tatsächlich nicht darauf aus, alle Überreste der alten Ordnung zu zerstören. Bulgarien setzte seinen König nach der kommunistischen Machtübernahme im September 1944 nicht ab; König Michael von Rumänien erhielt sogar Lob von den Kommunisten seines Landes, die Mäßigung demonstrieren wollten (obwohl beide Länder später Republiken wurden: Bulgarien 1946 und Rumänien 1947). In Polen hingegen waren die politischen Gegensätze viel schärfer. Die von der Sowjetunion unterstützte Lubliner Regierung wollte die polnische Verfassung von 1935 abschaffen (was ihr schließlich auch gelang), und es kam zu Kämpfen zwischen Partisanen und russischen Soldaten.
Wir diskutierten, welche Politik die Sowjetunion in den von ihr befreiten Gebieten verfolgen würde. Einerseits könnte sie „beschließen, die Kontrolle so auszuüben, dass die nationale Souveränität der einzelnen Kleinstaaten ernsthaft beeinträchtigt wird“. Das würde eine „ideologische Gleichschaltung“ bedeuten—ein Begriff, den die Nazis für die totale Kontrolle der Gesellschaft verwendeten. Andererseits könnte sie sich dafür entscheiden, ihren Einfluss in der Region indirekt auszuüben. Im Januar 1945 war schwer zu sagen, welchen Weg die Sowjetunion einschlagen würde.

German infantry, assisted by a Sd.Kfz 234/2 'Puma' tank, carrying out a counter-attack in the Upper Silesia, 26 February 1945

24. Januar

Deutschlands Kriegsmaschinerie

Ende Januar zog die Rote Armee durch Mitteleuropa und rückte unaufhaltsam auf die deutsche Hauptstadt Berlin vor. Die Ukraine, die die Nazis 1941 erobert hatten, um ihre reichen Bodenschätze inklusive Weizen und Eisenerz zu kontrollieren, war 1944 von der Sowjetunion zurückerobert worden. In Polen war die Rote Armee inzwischen in Warschau und Krakau einmarschiert.
Auch die weiter südlich gelegenen, von Deutschland kontrollierten Gebiete gerieten unter Beschuss. Eine dieser Regionen war Oberschlesien, das heute größtenteils in Südpolen liegt. Als industrielles Kernland, reich an Kohle und anderen Rohstoffen, war es zu einem der Motoren der deutschen Kriegswirtschaft geworden (siehe die Karte unten, die wir in unserer Ausgabe vom 27. Januar veröffentlichten). Hier befanden sich auch einige der größten Zwangsarbeits- und Konzentrationslager der Nazis, darunter die Lager von Auschwitz.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts waren Teile Oberschlesiens im Besitz des Deutschen Kaiserreichs, Österreich-Ungarns, des zaristischen Russlands, Polens und der Tschechoslowakei. Nach dem Einmarsch der Nazis in Polen 1939 kamen diese Gebiete vollständig unter deutsche Kontrolle. Die Region erstreckte sich über 21.000 Quadratkilometer und beherbergte 4,5 Millionen Menschen. „In dieser Region“, so schrieben wir, „befinden sich die reichsten Kohlevorkommen des gesamten Kontinents“. Auch die Zinkvorkommen in Oberschlesien galten als „die größten der Welt“. Die Kohle dieses Gebiets war für die Chemie- und Stromproduktion unerlässlich: „Ein dichtes Gas- und Stromnetz, das bis nach Breslau reicht, hängt von der oberschlesischen Kohle ab.“
Im Vergleich zum Ruhrgebiet, das für seine Kohle- und Stahlproduktion bekannt ist, hinkte Oberschlesien industriell hinterher. Die Stahlproduktion in Oberschlesien war vergleichsweise gering, was zum Teil auf zu wenige lokale Eisenerzgruben zurückzuführen war. Dennoch war diese Region für die Nazi-Kriegsmaschinerie von zentraler Bedeutung, vor allem nachdem die Alliierten 1943 begannen, das Ruhrgebiet massiv zu bombardieren:

„Es steht daher außer Zweifel, dass Oberschlesien in den letzten zwei Jahren zahlreiche neue Industriezweige entwickelt hat. Neben neuen Chemiewerken sind überall in der Gegend große Fabriken für Kriegsmaterial aller Art entstanden, meist abseits bewohnter Orte und gut durch Wälder und Hügel getarnt.“

Nach der Intensivierung der alliierten Bombardements verlagerten die Nazis einen Teil ihrer Schwerindustrie vom Ruhrgebiet nach Oberschlesien. „Es besteht kein Zweifel“, schrieben wir, „dass die wichtigsten Kriegsfabriken unterirdisch gebaut wurden.“ Von Zement und Düngemitteln bis hin zu Zügen und Eisenbahnschienen wurde dort alles produziert. Bis 1945 waren die Eisenbahnen in Ostdeutschland von der Kohle der Region abhängig. Der Verlust Oberschlesiens, so schrieb The Economist, „wäre ein schwerer Schlag für die deutsche Kriegsindustrie“.
Er würde auch die Befreiung Tausender Gefangener bedeuten. Am 27. Januar, dem Tag, an dem der Artikel des Economist über Oberschlesien in Druck ging, übernahm die Rote Armee die Kontrolle über Auschwitz von den Nazis. Dies war das größte Konzentrationslager der Nazis; mehr als eine Million Menschen wurden dort während des Holocaust ermordet. Mit dem weiteren Vormarsch der Roten Armee sollte das Ausmaß der von den Nazis im besetzten Polen und anderswo verübten Gräueltaten noch deutlicher zutage treten.

31. Januar

Werbung in Kriegszeiten

Der Zweite Weltkrieg war für britische Unternehmen eine harte Zeit. Viele Waren, die sie vor dem Krieg verkauft hatten, wurden nicht mehr hergestellt, da das Land seine Ressourcen auf die Unterstützung der Streitkräfte umstellte. Die Werbebranche spürte dies besonders. „Der Markenwert", schrieb die Advertising Association 1940, „ist ein Kapitalwert von nahezu unbegrenztem Wert: schwer aufzubauen, aber allzu leicht zu verlieren." Sie ermahnte die Unternehmen: „Lasst uns unsere Markennamen in dieser Zeit des wirtschaftlichen Umbruchs schützen."
Nicht nur hatten sie weniger Produkte anzupreisen; sie sahen sich auch einer energischen Kampagne gegen Verschwendung gegenüber. Der „Verschwendungskäfer", eine von der Regierung erfundene Karikatur eines Schädlings, die Käufer dazu verleitete, Geld zu verschwenden, anstatt in Kriegsanleihen zu investieren, tauchte wiederholt in der Propaganda auf. Der Käfer wurde als „Hitlers Kumpan" bezeichnet.
Dennoch blieben einige britische Markennamen während des gesamten Krieges im Bewusstsein der Verbraucher haften. Ein Blick auf die Anzeigen, die wir Anfang 1945 druckten, verrät viel über das Leben an der Heimatfront. Die Hersteller von Bovril, einer Fleischextraktpaste, die zu einem kräftigen Getränk aufgebrüht werden kann, priesen die „Wärme und Behaglichkeit", die sie den Briten im tiefsten Winter bereiten konnte. Crookes, ein Pharmaunternehmen, vermarktete Heilbuttöl als „unverzichtbaren Bestandteil der Kriegsernährung", besonders „in diesem sechsten Kriegswinter".
Anzeigen für feinere Waren erschienen ebenfalls in unseren Seiten—mit einer besonderen Note. Die Whiskyproduktion war Anfang der 1940er Jahre eingebrochen, da die Getreidevorräte in die Lebensmittelproduktion flossen, bevor sie 1944 langsam wieder anlief. White Horse, eine Brennerei, versuchte, aus dieser Wende Kapital zu schlagen, indem sie für ihren Bestand an „Vorkriegswhisky" warb, der „alt wurde, als dieser Krieg noch jung war". Eine Anzeige für Black Magic (eine Marke, die noch heute verkauft wird, jetzt im Besitz von Nestlé) versprach, dass Pralinen, die lange nicht mehr produziert wurden, bald wieder erhältlich sein würden: „Kommt der Frieden, kommt Black Magic."
Andere Unternehmen nutzten ihre Anzeigen, um ihre Rolle während der Kriegsanstrengungen zu demonstrieren. Daimler und Singer, zwei Autohersteller, versuchten, die Leser des Economist zu gewinnen, indem sie die Ausrüstung präsentierten, mit der sie Großbritanniens Macht in der Luft, zu Lande und zur See gesichert hatten. Daimler baute gepanzerte Fahrzeuge für die Infanterie; beide Firmen stellten auch Flugzeugteile her. Kodak, ein amerikanisches Unternehmen, fertigte Kameras für Alliierte Soldaten und Bomberteams, die damit ihre Position über einem feindlichen Ziel beim Bombenabwurf festhielten.
Unternehmen hatten Werbeflächen auf diese Weise seit Kriegsbeginn genutzt. Doch im Januar 1945 hatten sie bereits das Kriegsende im Blick. Singer versprach, dass seine Ingenieure, ihre durch „fünf Jahre Hingabe an die Sache der Nation verbesserten" Fähigkeiten nun ganz in den Dienst „der Herstellung der besten Autos der Zukunft widmen würden". Ebenso machte es auch der Autobauer Lanchester. „Der Nachkriegs-Lanchester", so das Versprechen, würde sich tatsächlich als ein Auto erweisen, „für das sich das Warten lohnt".

Februar

1945

7. Februar

Konferenz auf der Krim

Winston Churchill, Franklin Roosevelt und Josef Stalin hatten sich zuletzt Ende 1943 in Teheran, der Hauptstadt des Iran, getroffen. Dort hatten sie vereinbart, dass Großbritannien und Amerika eine zweite Front gegen die Nazis in Westeuropa eröffnen würden, während die Sowjetunion von Osten her angreifen sollte. Nun, da die deutsche Verteidigung zusammenbrach, trafen sich die Führer Großbritanniens, der USA und der Sowjetunion erneut—in Jalta, einem Kurort auf der Krim. „Das Triumvirat der Welt“, schrieben wir am 3. Februar 1945, „wird wieder von Angesicht zu Angesicht zusammenkommen, um die letzten Phasen des Krieges und die ersten Schritte des Friedens zu bestimmen.“
Die vom 4. bis 11. Februar abgehaltene Konferenz von Jalta sollte einen Plan ausarbeiten, wie die Alliierten Europa nach der Niederlage der Nazis regieren würden. In Teheran hatten sich die drei Mächte auf „Einflusssphären“ geeinigt: Russlands Einflusssphäre sollte sich auf Mittel- und Osteuropa sowie den Balkan erstrecken, während Großbritannien und den USA der Mittelmeerraum zugesprochen wurde. Doch die in Jalta erzielte Vereinbarung, über die wir nach dem Ende der Konferenz berichteten, revidierte diese Pläne. Stattdessen verpflichteten sich die drei, „allen Völkern das Recht zu gewähren, ihre eigene Regierungsform zu wählen“.
Deutschland als der Aggressor sollte von den Alliierten besetzt werden, um ein Wiederaufleben des Nationalsozialismus zu verhindern und den Übergang des Landes zur Demokratie sicherzustellen. Die Kontrolle sollte zwischen den drei Siegermächten und Frankreich aufgeteilt werden (wobei die Grenzen dieser „Besatzungszonen“ noch nicht endgültig festgelegt waren: Die Frontlinien bewegten sich zum Zeitpunkt der Jalta-Konferenz im Osten und Westen noch). Darüber hinaus sollte Deutschland entmilitarisiert werden:

„Die Zerschlagung des deutschen Militarismus und des deutschen Generalstabs wird zum ersten Mal neben der Vernichtung des Nationalsozialismus erwähnt. Die Bestrafung von Kriegsverbrechern wird erneut bekräftigt. Erstmals wird offiziell angedeutet, dass die Deutschen schließlich ‚ein anständiges Leben ... und einen Platz in der Völkergemeinschaft‘ gewinnen können. Unklarheiten gibt es bei der wirtschaftlichen und territorialen Regelung.“

Doch vieles an der Umsetzung dieses Plans blieb vage, angefangen bei der Forderung nach Entmilitarisierung Deutschlands. „Hart ausgelegt könnte dies die völlige Zerstörung der deutschen Schwerindustrie bedeuten“, schrieben wir. „Milder verstanden könnte es ein—zugegebenermaßen schwieriges—Maß an alliierter Aufsicht über ein funktionierendes deutsches Industriesystem bedeuten.“ Unklar blieb auch, ob die Forderung nach Reparationszahlungen durch das Land „einen Mindestlebensstandard für die Deutschen“ unmöglich machen würde. Wir befürchteten sogar, dass die Erklärung der Besatzungsmächte dazu benutzt werden könnte, die Zwangsarbeit von Deutschen als Form der Wiedergutmachung zu rechtfertigen.
The Economist hielt sich daher mit einem Urteil über das in Jalta Vereinbarte zurück: „Über die Bedingungen, wie sie dastehen, kann kein Urteil gefällt werden. Alles hängt von der Auslegung ab.“ Am Ende sollten die USA und Großbritannien, die eine nachsichtigere Politik befürworteten, mit der Sowjetunion wegen deren rücksichtsloser Enteignung deutscher Fabriken und ihrer Weigerung, Lebensmittel aus dem Osten des Landes in den bevölkerungsreicheren Westen zu schicken, aneinandergeraten. Die Spannungen darüber, wie mit dem besetzten Deutschland umzugehen sei, sollten die frühen Jahre des Kalten Krieges prägen.
In den Jahren nach Jalta war der Westen auch in der Frage des Umgangs mit Osteuropa uneins mit der Sowjetunion. Die Beschlüsse ließen dies offen. Die Alliierten hatten sich darauf geeinigt, dass Polen „auf einer breiteren demokratischen Grundlage unter Einbeziehung demokratischer Führungskräfte aus Polen selbst und von im Ausland lebenden Polen reorganisiert werden“ sollte. Nach Jahren des Krieges schien dies ein faires Ergebnis für Polen—wenn es denn verwirklicht werden könnte:

„Alles hängt davon ab, wie Begriffe wie ‚demokratisch‘, ‚freie und ungehinderte Wahlen‘, ‚demokratische und nicht-nazistische Parteien‘, ‚nicht durch Kollaboration mit dem Feind kompromittiert‘ in der Praxis ausgelegt werden. Wenn diese Worte bedeuten, was sie sagen, und was Briten und Amerikaner darunter verstehen, dann würde eindeutig ein großer Fortschritt erzielt werden. Darauf kann jedoch allein die Umsetzung dieser Beschlüsse eine endgültige Antwort geben... Es gibt jedoch einen sicheren Test. Wenn die auf der Basis der Krim-Erklärung eingesetzten Regierungen und die von ihnen verwalteten Gesellschaften gesunde Anzeichen von Auseinandersetzungen, Meinungsverschiedenheiten und echter politischer Unabhängigkeit zeigen, kann man getrost ‚Amen‘ zu den vorliegenden Vorschlägen sagen.“

Die Beschlüsse von Jalta sollten den Test des Economist leider nicht bestehen. Stalin hielt sein Versprechen nicht, freie Wahlen in Mittel- und Osteuropa zuzulassen; da die Rote Armee einen Großteil des Gebiets kontrollierte, konnten Amerika und Großbritannien wenig tun, um ihn dazu zu zwingen. In Polen begannen die sowjetischen Streitkräfte noch während des Treffens der Staats- und Regierungschefs in Jalta, den Widerstand gegen die kommunistische Herrschaft zu zerschlagen.

14. Februar

Der deutsche Rumpfstaat

Während Churchill, Roosevelt und Stalin in Jalta zusammensaßen, rückte die Sowjetunion in Osteuropa mit atemberaubender Geschwindigkeit vor. Am 12. Januar hatte die Rote Armee ihren Vorstoß durch Polen in Richtung Deutschland begonnen. Mitte Februar hatten die Alliierten „Deutschland auf sein Kernland zwischen Rhein und Oder reduziert“. Während die Nazis den Vormarsch der Alliierten im Westen verlangsamen konnten, war die Rote Armee kaum aufzuhalten. Wir erklärten das so:

„Erstens sind die russischen Armeen zahlenmäßig deutlich überlegen. Nachdem der Durchbruch erfolgt war, wurde der Vormarsch durch das dichte Straßennetz beschleunigt. Die für Ostdeutschland und Westpolen typischen Flüsse, Seen und Sümpfe stellten daher kein Hindernis dar. Unter diesen Umständen kann eine bloße Stabilisierung der Kämpfe an einer neuen Front entlang der Oder bestenfalls ein vorübergehendes Aufhalten bedeuten, wenn überhaupt.“

Mit anderen Worten: Immer größere Teile Deutschlands, so prognostizierten wir, würden bald unter sowjetische Besatzung fallen. Das von den Nazis kontrollierte Gebiet war noch immer beträchtlich und erstreckte sich vom Nordwestbalkan und Norditalien bis nach Norwegen, wo ein kollaboratives Regime weiterhin an der Macht war. Entscheidend war jedoch, dass die sowjetische Offensive den Nachschublinien, die Deutschland noch im Kampf hielten, einen schweren Schlag versetzt hatte.
Mitte Februar kontrollierte die Rote Armee fast ganz Oberschlesien, eine für die deutsche Versorgung mit Kohle und Metallen unverzichtbare Industrieregion. In den Wochen zuvor hatte dieser Verlust die Kriegsindustrie der Nazis und insbesondere ihre Rüstungsbetriebe getroffen. „Im Vergleich zur Produktion in Großbritannien und den Vereinigten Staaten“, berichteten wir, „erscheint Deutschlands derzeitige Produktion gering und völlig unzureichend, um die Verluste zu ersetzen und riesige Armeen auszurüsten.“ Das bedeutete nicht zwangsläufig das Ende für die Nazis; wie wir anmerkten, hatte Deutschland beispielsweise bei der Herstellung von Bombenflugzeugen nie mit Großbritannien und Amerika Schritt halten können. Jetzt baute es jedoch kaum noch Schiffe, abgesehen von U-Booten und kleinen Booten.
Mit dem Verlust Polens hatten die Nazis auch Ackerland aufgegeben, auf dem große Mengen an Grundnahrungsmitteln produziert wurden. Einige Vorräte wurden während des Rückzugs zurückgelassen. „Große Mengen an Kartoffeln müssen zurückgelassen worden sein“, schrieben wir. Effiziente Verteilungsnetze gerieten „aus den Fugen“, als deutsche Städte „einen plötzlichen Zustrom von Evakuierten“ erlebten und die Eisenbahnen „mit Militärtransporten überlastet“ wurden. Infolgedessen wurde die Rationierung verschärft: „Die ursprünglich für den achtwöchigen Zeitraum vom 5. Februar bis zum 1. April ausgegebenen Lebensmittelkarten müssen nun für neun Wochen reichen, was einer Kürzung [der Rationen] um etwa 10 Prozent entspricht.“
Die Nazi-Propaganda wurde zunehmend verzweifelter. Der Volkssturm, eine von Hitler Ende 1944 zur letzten Verteidigung Deutschlands gegründete Miliz, spielte in den Parolen des Regimes eine wichtige Rolle. Doch die Moral in der eine Million starken Truppe war miserabel. Schlecht ausgerüstet und größtenteils unausgebildet, ließen sich nur wenige von Appellen an den Nazi-Fanatismus beeindrucken. Hinter den Kulissen bemühte sich das deutsche Heer unterdessen, sich nach der Vertreibung aus Frankreich und Polen neu zu formieren:

„Hinter dieser Propaganda, die noch nie so viele Superlative verwendet hat, um die Not der Flüchtlinge und die Gefahr für das Reich zu beschreiben, schreitet die Neuorganisation der Armeen zweifellos voran. Die politische Opposition von Generälen und anderen Offizieren, die im letzten Sommer einen Moment der Gefahr darstellte, scheint nicht vorhanden zu sein; tatsächlich erscheint nach den Säuberungen des letzten Jahres eine wirksame Opposition im Moment kaum wahrscheinlich. Bislang scheint die Politik der Alliierten in Richtung einer bedingungslosen Kapitulation zu einer ‚bedingungslosen Verteidigung‘ geführt zu haben.“

Und diese „bedingungslose Verteidigung“, wie The Economist es ausdrückte, wurde von den Nazis brutal durchgesetzt. Deutsche, die Anzeichen von Defätismus zeigten, wurden hart bestraft; zahlreiche Deserteure wurden erschossen. Für viele Deutsche war schon seit Monaten klar, dass der Krieg verloren war.

Fourth Marines Hit Iwo Jima Beach -- Fourth Marines dash from landing craft, dragging equipment, while others Go Over The Top of sand dune as they hit the beach of Iwo Jima, Volcano Islands, February 19. Smoke of artillery of Mortar fire in background. February 22, 1945. (Photo by Joe Rosenthal, AP).

21. Februar

Ärger in Tokio

Im Pazifik wendete sich Mitte Februar das Blatt zugunsten der Amerikaner. „Manila, die Hauptstadt der Philippinen, ist innerhalb von vier Wochen nach den ersten amerikanischen Landungen an den Stränden von Lingayen gefallen", schrieben wir am 10. Februar. Schon bald würden die Amerikaner die verbliebenen japanischen Streitkräfte auf den Inseln besiegen, die sie seit 1941 besetzt hielten. Admiral Chester Nimitz, der die amerikanische Flotte im Pazifik befehligte, plante, Manila als Hauptstützpunkt für weitere Marineoperationen gegen Japan zu nutzen. „Wir werden weiter in Richtung Japan vorrücken", sagte er, „und wir sind zuversichtlich, dass uns dies gelingen wird." Und tatsächlich befand sich Japan am 24. Februar in Aufruhr:

„Dies sind düstere Wochen für die Führung und das Volk Japans. Die Philippinen sind so gut wie verloren. Amerikanische Truppen landen auf Iwojima, nur knapp tausend Kilometer von der japanischen Küste entfernt. Tokio und andere Städte haben die ersten einer Serie von Bombenangriffen durch mehr als tausend amerikanische Flugzeuge erlebt. Gleichzeitig deuten die Nachrichten aus Europa—die Konferenz von Jalta und die weitreichenden sowjetischen Vorstöße in Deutschland—darauf hin, dass die Alliierten bald in der Lage sein können alle ihre Kräfte gegen Japan zu bündeln."

Der Angriff auf Iwojima (siehe Bild), eine strategisch wichtige Insel, die Amerika als Stützpunkt für Bombenangriffe auf das japanische Festland nutzen würde, war nur der jüngste in einer Reihe amerikanischer Vorstöße. In den vergangenen zweieinhalb Jahren hatten die amerikanischen Siege im Pazifik ein politisches Drama in Japan ausgelöst. Im Sommer 1944 war General Tojo Hideki nach einer Reihe von Niederlagen zum Rücktritt als Premierminister gezwungen worden. Sein Nachfolger, General Koiso Kuniaki, mühte sich ebenfalls vergeblich, Japans militärisches Geschick zu verbessern. Obwohl die japanische Presse ernsthafte Kritik an der mangelhaften Qualität der Flugzeuge des Landes geäußert hatte, war es Koiso nicht gelungen, die Kriegsmaschinerie zu verbessern (wenige Wochen nach dem Fall Manilas sollte auch er zurücktreten, als die Amerikaner im April 1945 in Okinawa landeten).
Der Verlust der Philippinen hatte Japans Schwächen offenbart. Wir stellten fest, dass der Mangel an Industriegütern (wahrscheinlich einschließlich Kautschuk und Öl aus Südostasien) zu einem gravierenden Problem geworden war. „Es ist offensichtlich", schrieben wir, „dass man in Japan angesichts dieser Lage schon sehr optimistisch sein muss, um noch an eine Chance zum Sieg zu glauben."

Asia Pacific, Feb 15th 1945

Allied control

Tokyo

Enemy control

JAPAN

CHINA

PACIFIC

OCEAN

Iwo Jima

Burma

PHILIPPINES

SIAM

Lingayen

Gulf

Manila

french

indochina

Dutch east indies

Source: United States government

Asia Pacific, Feb 15th 1945

Allied control

Enemy control

Tokyo

JAPAN

CHINA

Iwo Jima

Burma

PACIFIC

OCEAN

PHILIPPINES

SIAM

Lingayen

Gulf

Manila

french

indochina

Dutch east indies

Source: United States government

Asia Pacific, Feb 15th 1945

Allied control

Enemy control

JAPAN

Tokyo

CHINA

Iwo Jima

PACIFIC

OCEAN

PHILIPPINES

Lingayen

Gulf

Manila

Source: United States government

Würde das Land die Waffen strecken oder sich für einen Kampf bis zum bitteren Ende entscheiden, wie Deutschland es tat? Ein Vergleich mit Italien bot sich an. Dort hatten eine starke Monarchie und eine relativ schwache Unterstützung des Faschismus in der Bevölkerung dazu geführt, dass Italien schon bald nach den ersten großen militärischen Niederlagen kapitulierte: Der neu ernannte Premierminister Pietro Badoglio tat dies im September 1943. (König Viktor Emanuel hatte Benito Mussolini, den faschistischen Diktator des Landes und Badoglios Vorgänger, bereits früher im Jahr verhaften lassen.) Die gleichen Faktoren waren auch in Japan gegeben: Da der Kaiser noch immer an der Macht war und es keine Massenbewegung zur Unterstützung des Faschismus gab, konnte man auch von Japan erwarten, dass es aufgeben würde. Um das Land zu einem „Kampf bis zum Ende" zu zwingen, so unsere Überlegung, „bedürfte es wahrscheinlich der Unterstützung durch eine Massenpartei, die zu schaffen den Extremisten bisher nicht gelungen ist." Doch es gab einen Haken:

„Es gibt also einige Hinweise, die die Ansicht stützen, dass mit zunehmender Gewissheit einer Niederlage die Chance auf einen Regimewechsel in Japan steigt, der den japanischen Badoglio an die Macht bringt, der bereit wäre, nicht zu verhandeln, sondern die bedingungslose Kapitulation zu akzeptieren. Doch wäre es sehr gewagt, dies als Gewissheit anzunehmen, und es gibt andere Faktoren und Kräfte, die eine andere Geschichte erzählen. Das Zentrum des Extremismus in Japan ist die Armee, und bei jeder entscheidenden Wende in der japanischen Politik seit 1931 haben sich die militärischen Führer weitgehend durchgesetzt. Auch ist es wahr, dass ihr Weg bisher von schnellen Erfolgen gekrönt war."

Angesichts der Möglichkeit einer umfassenden amerikanischen Offensive schien es denkbar, dass die japanische Armee versuchen würde, die jungen Nationalisten des Landes zu radikalisieren und es von den verbliebenen Gemäßigten in der Regierung und am kaiserlichen Hof politisch zu säubern. „Auf einer solchen Grundlage", so befürchtete The Economist, „könnten sie vielleicht den Nazis nacheifern und ein Regime errichten, das hart genug ist, um bis zum bitteren Ende zu kämpfen."
Ob es ihnen gelingen würde, Japan zu überzeugen, war unklar; einige Gemäßigte, so schrieben wir, schienen noch immer die Oberhand zu haben. Dennoch war die Vorstellung von einem „Kampf bis zum Ende auf japanischem Boden" eine erschreckende Aussicht: Schließlich sollte sich die Schlacht um Iwojima als eine der blutigsten erweisen, die je von amerikanischen Marineinfanteristen geschlagen wurde. Als sie in erbitterte Kämpfe auf der stark befestigten Insel verwickelt wurden, wurde Iwojima zu einer Warnung, wie katastrophal eine Bodeninvasion auf dem japanischen Festland sein würde.

28. Februar

Ach, ich möchte am Meeresstrand sein!

Während einige der blutigsten Schlachten zwischen Amerika und Japan im Pazifik gerade erst begannen, fühlte sich der Sieg in Europa für die Briten so nah an, dass sich The Economist erlaubte, einen Blick auf das Kriegsende zu werfen. Das Leben würde nicht schnell zur Normalität zurückkehren. Die britische Wirtschaft hatte einen schweren Schlag erlitten, sodass die Regierung gezwungen war, einige Rationierungen bis 1954 aufrechtzuerhalten. Doch es war offensichtlich, dass nach dem Ende des Krieges der aufgestaute Wunsch nach Ruhe und Entspannung groß sein würde:

„Niemand glaubt heute, dass die ‚letzte Entwarnung' eine sofortige Rückkehr zum Vorkriegsleben mit seiner Fülle an Annehmlichkeiten einläuten wird. Die Fortsetzung der Rationierung, mit nur allmählicher Lockerung, wird als unvermeidlich akzeptiert. Nichtsdestotrotz wird der Waffenstillstand mit Deutschland eine Welle von Ausgaben freisetzen—wie sehr auch immer offiziell davon abgeraten wird,—die überall dort getätigt werden, wo es keine verhängte Pro-Kopf-Rationierung gibt. Das Kriegsende wird das Korsett sprengen, in das sich das soziale Gewissen in den letzten fünf Jahren hineingezwungen hat. Nur wenige werden zweimal überlegen, ob sie an Treibstoff oder Geld sparen, wenn es darum geht, sich irgendwie zu helfen, Reparaturen durchzuführen oder Reisen zu unternehmen, die per Definition nicht ‚wirklich notwendig' sind."

Es schien nur natürlich, dass die Briten sich nach „dem ersten Urlaub seit den letzten Friedenstagen" sehnen würden. Die Regierung hatte sie lange dazu angehalten, „Urlaub zu Hause" zu verbringen; nun hielt sie sie nicht mehr davon ab, sich außerhalb der eigenen vier Wände zu erholen. „Wiedervereinte Familien, entlassene Soldaten im bezahlten Urlaub, Arbeiter mit mit Anspruch auf bezahlten Urlaub, frisch verheiratete Paare, Familien mit Kindern, die noch nie das Meer gesehen haben, und andere, die auf Urlaub während des Krieges verzichtet haben," waren nur einige der Bevölkerungsgruppen, von denen wir erwarteten, dass sie bald in die britischen Badeorte wie Margate, Brighton und Eastbourne strömen würden.
Kinder würden im Sommer 1945 mit ihren Sandkasteneimern und -spaten an die Strände zurückkehren. In diesem Video vom Juli sieht man immer noch Stacheldraht über dem Geländer einer Strandpromenade.
Video: British Movietone/AP
Aber es war nicht klar, ob die Seebäder dafür gerüstet sein würden. Nach Jahren der Schließung zur Sicherheit der Marine konnte man sich ohne weiteres „endlose Warteschlangen für Mahlzeiten und Betten" vorstellen. Als 1944 einige Badeorte wiedereröffneten, hatten sie sogar Schwierigkeiten, mit kleineren Menschenmengen fertig zu werden:

„Der Bedarf des Gastgewerbes an staatlicher Unterstützung musste dringend gedeckt werden. Die Aufhebung des Reiseverbots in Verteidigungsgebiete im letzten Jahr führte zu einem Besucherstrom in die Ferienorte an der Ost- und Südostküste, auf den diese schlecht vorbereitet waren und den die Eisenbahn nicht bewältigen konnte. In diesem Jahr dürfte die Zahl der Urlauber angesichts der durch die militärische Lage hervorgerufenen Stimmung noch erheblich größer sein. Die Menschen sind jetzt bereit, sich eine gewisse Erholung von den Entbehrungen zu gönnen. Sollte der Waffenstillstand vor der Haupturlaubszeit kommen, wird die Nachfrage nach Urlaubsplätzen noch stärker ansteigen. Aus momentaner Sicht ist eine akute Knappheit an Ferienunterkünften zu erwarten."

Es gab einige Möglichkeiten, wie die Regierung versuchen könnte zu helfen, konstatierte The Economist. Einige hatten die Idee staatlich geführter Ferienlager in Umlauf gebracht—obwohl diese, wie wir anmerkten, „zum Glück wohl eher nicht so beliebt wären". Bessere Optionen wären unserer Meinung nach, wenn die Regierung alte Armeelager und Arbeiterwohnheime für große Gruppen zugänglich machte und Unternehmen, die Urlauber betreuen wollen, Sonderkredite anböte. Nach Jahren der Sorge um die Versorgung des Landes mit Kanonen und Butter muss es eine große Erleichterung gewesen sein, sich nun um die Beschaffung von Eiscreme und Sonnenschirmen kümmern zu müssen.

März

1945

7. März

Ein weiterer Fluss

In Westeuropa hatten die Alliierten einen schwierigen Start ins Jahr erlebt. Nachdem sie in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 durch das von den Nazis besetzte Frankreich vorgerückt waren, gerieten die Amerikaner und Briten ins Stocken. Mitte Dezember hatte der deutsche General Gerd von Rundstedt eine Gegenoffensive in den Ardennen zwischen Luxemburg und Belgien gestartet. Doch im Februar hatten die Alliierten Rundstedt zurückgeschlagen, dessen Truppen der Nachschub ausging; im März drangen sie erneut von Westen in deutsches Gebiet vor.
„Endlich stehen die Alliierten am Rhein, und morgen könnten sie ihn schon überqueren", schrieben wir hoffnungsvoll in unserer Ausgabe vom 10. März. Es galt nur noch einen großen Fluss zu überqueren, bevor sie das deutsche Kernland erreichten:

„In der ersten Märzwoche entbrannten Schlachten an Rhein und Oder, die das letzte Kapitel des europäischen Krieges einläuteten. Die alliierten Armeen im Westen erreichen den Rhein auf einer langen Front von Koblenz bis zur niederländischen Grenze. Rundstedt, hoffnungslos unterlegen, kann nicht einmal die großen Städte am linken Rheinufer als Brückenköpfe für die Wehrmacht halten... Sein eigentliches Ziel kann nur sein, die Errichtung alliierter Brückenköpfe über den Rhein so lange wie möglich zu verzögern. Selbst ein Teilerfolg hierin würde Deutschland keine wirkliche Entlastung bringen."

Im Osten war die Rote Armee unter dem Kommando von Georgi Schukow und Konstantin Rokossowski nordwärts zur polnischen Küste vorgedrungen und hatte die deutschen Kräfte um die Hafenstadt Danzig (heute Gdańsk) eingekesselt. Wie die am Rhein im Westen gesammelten Alliierten stand die Rote Armee nun vor der Aufgabe, den Unterlauf der Oder zu überqueren, die durch Ostdeutschland nordwärts zur Ostsee fließt. Bald würde die Rote Armee einen Angriff auf Stettin (heute Szczecin), eine Stadt an der Flussmündung, starten. „Die nächsten Wochen", so berichteten wir, „werden also mit Sicherheit die letzten beiden großen Schlachten um Flussübergänge im Krieg gegen Deutschland bringen."

Europe, March 15th 1945

Axis control

Neutral

Recent Allied gains

Allied control

On pre-war borders

sweden

Baltic

Sea

denmark

denmark

North

Sea

Danzig

Stettin

Berlin

POLAND

neth.

britain

neth.

Oder

germany

Cologne

Bel.

czechoslovakia

Rhine

Lux.

AUSTRIA

hungary

switz.

france

yugoslavia

italy

Sources: United States government; Mapping The International System, 1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

Europe, March 15th 1945

On pre-war borders

Recent Allied gains

Allied control

Axis control

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AUSTRIA

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Sources: United States government; Mapping The

International System, 1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

Europe, March 15th 1945

On pre-war borders

Axis control

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Recent Allied gains

Allied control

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Danzig

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AUSTRIA

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italy

Sources: United States government; Mapping The International System,

1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

Unterdessen intensivierte Amerika im Pazifik seine Bombenkampagne gegen Japan. Die Amerikaner hatten das japanische Festland bereits seit 1942 bombardiert, verstärkten ihre Kampagne jedoch 1944—zunächst von Luftwaffenstützpunkten auf dem chinesischen Festland aus und später von Saipan, einer Insel, die sie im Sommer Japan entrissen hatten. Die ersten Angriffe richteten sich gegen militärische und industrielle Ziele. Doch nachdem schwierige Wetterbedingungen eine Reihe von Angriffen scheitern ließen, gaben die amerikanischen Generäle diese Strategie auf. Im Januar übernahm Curtis LeMay die Leitung der Operationen und ordnete Brandbombenangriffe auf japanische Großstädte an.
Die meisten Gebäude in japanischen Städten, aus Holz und Papier errichtet, waren den Brandbomben schutzlos ausgeliefert. In der Nacht zum 9. März startete LeMay einen Großangriff auf Tokio. Fast 300 B-29-Bomber warfen weißen Phosphor und Napalm auf die Stadt ab, in der es seit Wochen kaum geregnet hatte. Es entstand ein Feuersturm. Mehr als 100.000 Einwohner kamen ums Leben und rund 40 Quadratkilometer der Stadt wurden verwüstet. Es war der tödlichste Bombenangriff des gesamten Zweiten Weltkriegs. Während die Kämpfe in Europa in die Endphase traten, erreichte der Konflikt im Pazifik seine gewaltsamste Phase.

14. März

Balkankrise

Im März 1945 wurden die Nazis von den Alliierten von Osten und Westen in die Zange genommen. Auch vom Süden her wuchs der Druck. Der Balkan war fast vier Jahre lang unter deutscher Besatzung gewesen. Doch 1944 verschoben sich die Machtverhältnisse. Nachdem die Rote Armee im Sommer westwärts durch die Ukraine gestürmt war, stieß sie nach Süden auf den Balkan vor. Dort vereinigte sie sich mit Widerstandskämpfern unter der Führung von Josip Broz, einem kroatischen Kommunisten, der unter dem Parteinamen „Tito“ bekannt war. Nachdem Anfang 1945 der Großteil der Halbinsel befreit war, traf Tito mit britischen und sowjetischen Offizieren zusammen, um die nächsten Schritte des Feldzugs zu planen. Wie wir am 10. März berichteten:

„Gegen Ende Februar besuchte Feldmarschall Alexander Jugoslawien und konferierte mit General Tolbuchin, dem sowjetischen Oberbefehlshaber auf dem Balkan, und mit Marschall Tito. Vermutlich erörterten sie Mittel und Wege zur vollständigen Befreiung des Balkans. Fast ganz Südosteuropa ist nun befreit, obgleich in Jugoslawien noch vereinzelte deutsche Widerstandsnester existieren. Die Wehrmacht hält jedoch nach wie vor ganz Kroatien sowie das Gebiet zwischen Plattensee und Donau im Nordwesten Ungarns. Diese beiden Bollwerke sichern die Zugänge nach Österreich.“

Die Befreiung des größten Teils Jugoslawiens—des Staates, der einen Großteil des westlichen Balkans umfasste—und ganz Rumäniens eröffnete der Roten Armee einen Weg durch Ungarn nach Österreich. Anfang April begann die Belagerung Wiens. Doch während sich der Krieg dem Ende zuneigte, wurde der Erfolg der Alliierten, die Nazis vom Balkan zu vertreiben, von den politischen, ethnischen und territorialen Konflikten überschattet, die in der Region selbst hochkochten:

„Die politische Lage auf dem Balkan und im Donauraum ist weit weniger zufriedenstellend als die militärische. Unruhe und Spannungen herrschen in der gesamten Region. Die befreiten Völker leiden unter zwei altbekannten Plagen: der Gewalt sozialer und politischer Konflikte und der Heftigkeit unzähliger nationalistischer Fehden. Sowohl die inneren Umwälzungen als auch die nationalen Konflikte sind auf die eine oder andere Weise mit den Beziehungen zwischen den alliierten Großmächten verknüpft. Die altbekannten Balkanprobleme tauchen in einer nur teilweise neuen Form wieder auf und drohen, internationale Schwierigkeiten zu verursachen.“

Die nach dem Rückzug der Nazis gebildeten Regierungen erwiesen sich als instabil. In Rumänien scheiterten König Michaels Bemühungen, eine nichtkommunistische Regierung zusammenzuhalten, im März zum dritten Mal, als Petru Groza, der Führer der linken Pflügerfront, mit russischer Unterstützung eine neue Regierung bildete. (Andrej Wyschinski, ein russischer Diplomat in Bukarest, „dürfte wohl als deren Geburtshelfer gelten“, schrieben wir.) In Jugoslawien rang Tito, der gerade die Unterstützung der Serbischen Demokratischen Partei gewonnen hatte, um die Balance zwischen Kroaten, Slowenen und anderen ethnischen Gruppen. In Griechenland, wo kurz nach der Befreiung ein Bürgerkrieg ausgebrochen war, hatte sich ein Waffenstillstand eingestellt. Doch die tiefen Gräben zwischen Monarchisten, Kommunisten und gemäßigten Republikanern ließen einen dauerhaften Frieden unwahrscheinlich erscheinen.
Auch grenzüberschreitende Konflikte drohten auszubrechen. „Die nationalistischen Strömungen auf dem Balkan spiegeln sich in der langen Liste territorialer Ansprüche wider, die bereits von fast allen Balkanregierungen offiziell angemeldet wurden“, schrieben wir. In Griechenland beobachteten wir zunehmende chauvinistische Demonstrationen für ein „Großgriechenland“, bei denen die Menge skandierte: „Besetzt Bulgarien für 55 Jahre“ und „Sofia! Sofia!“. Gleichzeitig befürchteten viele Griechen, dass die Türkei versuchen könnte, einige der Dodekanes-Inseln vor ihrer Küste zu beanspruchen. Auch Jugoslawien, Bulgarien und Rumänien erwogen eigene Gebietsansprüche.
Die Zunahme interner wie externer Streitigkeiten war besorgniserregend:

„Das Beunruhigende an diesen typischen Balkanturbulenzen ist, dass die lokalen Anführer, Generäle und Oberhäupter offenbar darauf hoffen, mögliche Rivalitäten zwischen den alliierten Großmächten für ihre eigenen Zwecke ausnutzen zu können. Beinahe zwangsläufig ist eine Situation entstanden, in der die Linke im Allgemeinen auf die Unterstützung Russlands setzt, während die Rechte ihre Hoffnungen auf eine Intervention der Westmächte richtet. Vage politische Berechnungen basieren auf den groteskesten Annahmen… Es ist sinnlos zu leugnen, dass die Politik der Großmächte vor Ort solchen Interpretationen manchmal Nahrung gibt.“

Brutale Strafen für Mitglieder kollaborationistischer Regime, kommunistische Verleumdungen westlicher Sympathisanten als „Faschisten“ und die sich abzeichnende Spaltung des Kalten Krieges zwischen pro-russischen Elementen und britischen sowie amerikanischen Vertretern schufen auf dem Balkan eine düstere, von Paranoia geprägte Atmosphäre. „Den lokalen Regierungen, Parteien und Gruppierungen sollte unmissverständlich klargemacht werden, dass ihre Hoffnungen, von der Rivalität der Alliierten zu profitieren, vergeblich sind“, mahnten wir. Obwohl in Griechenland der Bürgerkrieg 1946 erneut aufflammte, blieben die schlimmsten ethnischen Kriege, die wir befürchteten, in den 1940er Jahren aus. Doch obwohl ein Großteil des Balkans hinter den Eisernen Vorhang glitt, wurde die Halbinsel letztendlich durch den Kalten Krieg geteilt.

21. März

Russlands Wiederaufbau

„Es ist nicht leicht“, schrieb The Economist am 24. März, „ein Bild der russischen Wirtschaft im vierten Jahr des Deutsch-Sowjetischen Krieges zu zeichnen.“ Seit Beginn des Unternehmens Barbarossa im Sommer 1941, als die Nationalsozialisten die Sowjetunion überfielen, war der Kreml zu einem verzweifelten Kampf ums Überleben gezwungen. An der Ostfront tobten einige der heftigsten Kämpfe des Zweiten Weltkrieges: Die Sowjetunion verlor mehr Menschen als alle anderen Alliierten zusammen. Nun stand Josef Stalin, der sowjetische Staatschef, vor der gewaltigen Aufgabe, zerstörte Städte und Industrien wiederaufzubauen. Während sowjetische Truppen in Reichweite Berlins kämpften, analysierten wir die Probleme der russischen Wirtschaft und ihre Fähigkeit zur Erholung.
Die westlichen Regionen der Sowjetunion, Schauplatz erbitterter Kämpfe während ihrer Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft, hatten unvorstellbare Zerstörungen erlitten. Wir schrieben:

„Hinter den Frontlinien der Roten Armee erstrecken sich weite Flächen ‚verbrannter Erde‘. Dass die dort angerichtete Zerstörung enormen Ausmaßes ist, steht fest, auch wenn das Ausmaß von Provinz zu Provinz und von Stadt zu Stadt variiert. Eine vorläufige offizielle Schätzung beziffert die Fläche der totalen Zerstörung auf 1.800 Quadratkilometer. Aus Dutzenden von Städten und Gemeinden in der Ukraine und in Weißrussland [Belarus] treffen Berichte ein, wonach das Leben bis in seine Grundfesten erschüttert ist. In vielen Städten blieben von Tausenden Häusern nur wenige Dutzend oder einige Hundert stehen, nachdem die Deutschen vertrieben worden waren.“

Industriezentren in der Ostukraine hatten besonders schwere Verwüstungen erlitten. Ein Drittel der Gebäude in Charkiw war vollständig zerstört; vier Fünftel der verbliebenen Gebäude waren stark reparaturbedürftig. Die Situation in der gesamten Region war ähnlich. „Ein Großteil der Stadt- und Landbevölkerung“, schrieben wir, „ist in quasi-troglodytische Verhältnisse zurückgeworfen worden.“ Höhlen und Lehmhütten waren zu gewöhnlichen Unterkünften geworden. Bergwerke, die von den Nationalsozialisten auf ihrer Flucht geflutet worden waren, standen noch immer unter Wasser; die sowjetischen Behörden hatten nach der Rückeroberung des Gebiets nur 7,5% der Bergwerke im Donbass trockenlegen können.
Der Zustand der Wirtschaft war jedoch innerhalb der Sowjetunion nicht überall gleich. Wir erläuterten:

„Doch die Geschichte der Zerstörung, die sich endlos fortsetzen ließe, erzählt nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte, nicht weniger bemerkenswert, wird durch Berichte über die industrielle Entwicklung und Expansion im Osten Russlands während des Krieges illustriert, die sich aus der Verlagerung von Anlagen aus dem Westen und einer intensiven Kapitalakkumulation vor Ort ergab. Kürzlich veröffentlichte Zahlen und Erklärungen deuten darauf hin, dass das Entwicklungstempo im Osten so hoch war, dass es der russischen Schwerindustrie ermöglichte, ihr Vorkriegsproduktionsniveau wiederzuerlangen und sogar zu übertreffen.“

Die Industrieproduktion im Osten, insbesondere in der Region um das Uralgebirge und in Zentralasien, boomte. Zahlen zur Stahlproduktion—einem wichtigen Produktionsfaktor für Waffen, Transportmittel und landwirtschaftliche Geräte—verdeutlichten das erstaunliche Wachstum der sowjetischen Industrie: 1944 wurde rund 30% mehr hochwertiger Stahl produziert als 1940. Auch die Stromerzeugung boomte. Die Fähigkeit der Sowjetunion, verlorene Kapazitäten in den besetzten Gebieten durch den Ausbau der Industrie im Osten zu kompensieren, trug maßgeblich zu ihrem Sieg über die Nationalsozialisten bei:

„Durch harte Arbeit und beispiellose Opfer ist es Russland gelungen, den Krieg nicht nur militärisch auf den Schlachtfeldern, sondern auch wirtschaftlich in den Fabriken und Bergwerken zu gewinnen. Trotz der immensen Zerstörungen in den westlichen Gebieten kann es nun in seinen neu errichteten Fabriken im Osten die Grundlage für den Wiederaufbau finden.“

Der Wiederaufbau in den befreiten Gebieten der westlichen Sowjetunion würde zu einer leichten Verlangsamung der Produktion im Osten führen. „Schon jetzt“, schrieben wir, „gibt es Anzeichen dafür, dass die Befreiung der westlichen Industriegebiete bereits zu einer gewissen Abschwächung der Kriegsanstrengungen in den östlichen Provinzen geführt hat.“ Doch die Sowjetunion war entschlossen, ihr industrielles Wachstum beizubehalten, unter anderem durch Reparationsforderungen an Deutschland zur Finanzierung des Wiederaufbaus. Stalin war fest entschlossen, die Sowjetunion als Weltmacht zu etablieren. Die Fortsetzung der wirtschaftlichen Expansion aus der Kriegszeit war der Schlüssel zu diesem Ziel.

28. März

Die Schlacht um Deutschland

Ende März rückten die Alliierten unaufhaltsam auf das deutsche Kernland vor. Im Westen harrten ihre Armeen wochenlang am Rhein aus, dem letzten großen Fluss, der sie von den Städten Westdeutschlands trennte. Die Nazis hatten die meisten Brücken über den Fluss auf ihrem Rückzug gesprengt, um den Vormarsch der Alliierten zu verlangsamen. Anfang März überquerten einige kleine Einheiten den Fluss. Dann, in der Nacht zum 23. März, setzten die Alliierten mit Booten und schwimmfähigen Panzern über den Rhein auf einer 20 Kilometer breiten Front. Operation Plünderung hatte begonnen. Innerhalb weniger Tage errichteten die Alliierten Brücken über den Rhein und stießen nach Frankfurt und Münster vor. In unserer Ausgabe vom 31. März schrieben wir:

„Die Rheinüberquerung der Alliierten wird für immer zu den entscheidendsten und zweifellos zu den taktisch brillantesten Schlachten der Geschichte zählen. Artilleriebeschuss, Luftangriffe, Fallschirmlandungen—alles spielte seine präzise getimte Rolle, und die Ingenieure vollbrachten Meisterleistungen, indem sie unter schwerem Feuer Brücken über den breiten und reißenden Fluss schlugen. Entlang des gesamten Rheins, von Wesel bis Straßburg, entstanden in schneller, kaleidoskopischer Folge Brückenköpfe, die in kürzester Zeit zu einer durchgehenden Front verbunden wurden. Jenseits des Rheins erwies sich die deutsche Verteidigung als dünn und brüchig.“

Der alliierte Vormarsch hatte verheerende Folgen für die Deutschen. Mehr als 250.000 Wehrmachtssoldaten gerieten in Gefangenschaft, als die Alliierten über den Rhein vordrangen, berichteten wir. Dies erschwerte es Albert Kesselring, dem Oberbefehlshaber der deutschen Streitkräfte an der Westfront, eine wirksame Verteidigung aufzubauen, ohne sich in Richtung Hauptstadt zurückzuziehen. „Der Ring konzentrischer Verteidigungslinien um Berlin“, schrieben wir, „dürfte das letzte Schlachtfeld sein, das die deutsche Führung wählt. Dort hofft sie womöglich noch, die Götterdämmerung in den Trümmern der Hauptstadt zu verlängern und den Angreifern die Nachteile langer Nachschublinien über feindliches, im Chaos versunkenes Gebiet aufzuzwingen.“

Europe, April 1st 1945

Axis control

Neutral

Recent Allied gains

Allied control

On pre-war borders

sweden

Baltic

Sea

denmark

denmark

North

Sea

Berlin

POLAND

neth.

britain

neth.

Oder

germany

Wesel

Bel.

czechoslovakia

Rhine

Vienna

Strasbourg

Danube

hungary

AUSTRIA

switz.

france

italy

yugoslavia

Sources: United States government; Mapping The International System, 1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

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Sources: United States government; Mapping The

International System, 1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

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Sources: United States government; Mapping The International System,

1886-2017: The CShapes 2.0 Dataset

Angesichts der Roten Armee, die an der Oder im Nordosten Deutschlands aufmarschiert war und im Süden auf das von den Nazis besetzte Wien vorrückte, stand die Wehrmacht jedoch am Rande des Zusammenbruchs. „Der Tag ist nicht mehr fern“, schrieben wir, „an dem die Unterscheidung zwischen Ost- und Westfront ihre Bedeutung verliert.“ In Deutschland schien jede noch verbliebene Ordnung zu zerfallen. Der „Rumpfstaat des Reiches“, der unter Nazi-Kontrolle verblieben war, versank in Panik:

„Die völlige Lähmung des Verkehrs; die spärlichen industriellen Ressourcen Mitteldeutschlands, Österreichs und Westböhmens, die der Wehrmacht noch bleiben; der erbärmliche Zustand der zerbombten Städte; das zunehmende administrative Chaos—all dies kann von den offiziellen Nazi-Propagandisten nicht länger verschwiegen werden. Häufige Bekanntmachungen von Hinrichtungen sogenannter ‚Feiger‘ und Rundfunkaufrufe an Nazi-Organisationen und sogar an Zivilisten, bei der Ergreifung versprengter Soldaten und Deserteure zu helfen, sind untrügliche Zeichen eines rapiden Moralverfalls. Im letzten Krieg war es—der nationalsozialistischen Legende zufolge—die Heimatfront, die der Armee in den Rücken fiel. In diesem Krieg scheint es den Nazis, als hätte die Armee der Heimatfront den Dolch in den Rücken gestoßen.“

Ende März, so schrieben wir, flohen die Vertriebenen aus den von der Roten Armee im Osten befreiten Gebieten nach Mitteldeutschland, nur um dort auf andere zu treffen, die aus den von den Alliierten besetzten Gebieten im Westen evakuiert worden waren. Nazi-Propagandisten versuchten verzweifelt, „die benommene Nation mit einer aggressiven Propagandakampagne über die apokalyptischen Folgen einer Niederlage aufzurütteln“. Selbst als das unausweichliche Ende näher rückte, richteten die Sprachrohre des Regimes einen letzten Appell an den Nationalstolz „an die Ohren der betäubten und geschundenen deutschen Nation“.

April

1945

4. April

Krieg und Frieden

„Die letzte Stunde des Dritten Reichs hat geschlagen", erklärte The Economist am 7. April. Nachdem sich die Alliierten Ende März auf dem östlichen Rheinufer festgesetzt hatten, stießen britische und amerikanische Panzer und Infanterie „in das Herz Deutschlands“ vor. Auch die Rote Armee rückte von Osten her vor. Doch je näher die Niederlage der Nazis rückte, desto deutlicher wurden die Gräben zwischen den Alliierten:

„Die militärischen Aufgaben des Bündnisses sind zumindest in Europa nahezu erfüllt, die friedensstiftenden Aufgaben liegen jedoch größtenteils noch vor ihnen. Sie werden die alliierte Diplomatie mit Sicherheit auf eine härtere Probe stellen als alle Strapazen des Krieges. Der Sieg über den gemeinsamen Feind führt unweigerlich dazu, dass sich das Band der Solidarität, das die Verbündeten im Angesicht der tödlichen Gefahr zusammenhält, lockert. Am Vorabend des Sieges und vor allem am nächsten Tag treten die unterschiedlichen Auffassungen und Interessen wieder zutage.”

Einige Unstimmigkeiten waren bereits offensichtlich. Dazu gehörte die Struktur dessen, was später die Vereinten Nationen werden sollten. Im Jahr 1943 hatten sich die Alliierten darauf geeinigt, eine Nachfolgeorganisation des Völkerbundes zu schaffen. Im Jahr darauf kamen Diplomaten aus Amerika, Großbritannien, China und der Sowjetunion in Dumbarton Oaks, einem Herrenhaus in Washington, zusammen, um Vorschläge für die Organisation zu erarbeiten. Jetzt bereiteten sich Delegierte aus fast 50 alliierten Ländern darauf vor, in San Francisco zusammenzukommen, um ihre Pläne für die neue Liga fertigzustellen.
Die Forderungen der Sowjetunion führten jedoch zu Spannungen mit den USA. Josef Stalin verlangte nicht nur einen Sitz für die Sowjetunion, sondern auch für zwei ihrer Teilrepubliken, die Ukraine und Weißrussland, um mehr Macht in der Versammlung zu erhalten. Stalin wollte auch, dass Polen durch die kommunistische Regierung in Warschau vertreten wird und nicht durch die von den USA und Großbritannien unterstützte Exilregierung. Russlands Einstellung zu den internationalen Beziehungen, so berichteten wir, schien in erster Linie darauf abzuzielen, die eigene Macht zu konsolidieren. Wir schrieben:

„Angesichts dieser und ähnlicher Äußerungen kann es keinen Zweifel an der Zurückhaltung geben, mit der Russland der Weltorganisation beizutreten scheint. In der Tat ist die russische Haltung von einem Anti-Liga-Komplex geprägt, der seinen Ursprung in den Erfahrungen Russlands mit dem alten Völkerbund hat. Moskau hat nicht vergessen, dass Russland der einzige Staat war, gegen den in Genf die demütigendste Sanktion—der Ausschluss aus dem Völkerbund—verhängt wurde, während so viele schamlose Aggressionen mit milder Nachsicht behandelt worden waren. Mit dieser Genfer Demütigung noch frisch im Gedächtnis, zeigt Russland, das jetzt siegreich und begehrt ist, ein übertriebenes Bestreben, sein Prestige in San Francisco zur Geltung zu bringen.”

Die Sowjetunion, die immer noch gekränkt war, da sie wegen ihrer Invasion Finnlands 1939 aus dem Völkerbund geworfen wurde, will sicher sein, dass die neue Organisation sie nicht erneut „auf die Anklagebank setzen“ kann. „Diese Entschlossenheit, jede mögliche Lücke für Angriffe auf Russland zu stopfen“, bemerkten wir, “ist sicherlich kein Zeichen großer moralischer Stärke.“ Aber sie stellte die Alliierten auch vor ein größeres Problem. Wir erklärten:

„Für diejenigen, die die russische Politik verfolgt haben, ist diese Haltung vielleicht eine Enttäuschung, aber keine Überraschung. Jedoch gab es leider eine offizielle Verschwörung, die mehr aus Wunschdenken als aus Täuschungsabsicht geboren wurde, nämlich so zu tun, als ob alle Planungen für eine neue und bessere internationale Organisation reibungslos verlaufen würden. Dies traf besonders auf die Vereinigten Staaten zu. Die Amerikaner, die auf Papier geschriebenen Verfassungen gern magische Eigenschaften zuschreiben, wären auf jeden Fall geneigt gewesen, der formalen Bildung einer neuen internationalen Organisation eine übertriebene Bedeutung zu verleihen. Doch sahen sie sich in jüngster Zeit auch dem Druck einer Kampagne ihres Außenministeriums ausgesetzt, die Vorschläge der Konferenz von Dumbarton Oaks zu realisieren.”

Die Regierung von Franklin Roosevelt hatte die Gründung der neuen Organisation als „die größte Hoffnung auf dauerhaften Frieden und als Erfüllung des größten Teils der amerikanischen Verantwortung gegenüber der Welt“ angepriesen. Nun sah es so aus, als könnten die russischen Forderungen der Gründung einer Nachfolgeorganisation des Völkerbundes im Wege stehen.
Manche, so schrieben wir, hatten gefordert, die Gründungskonferenz in San Francisco zu verschieben. Dies wäre jedoch eine Demütigung für die Regierung Roosevelts gewesen. Die Konferenz, die von Ende April bis Ende Juni dauern sollte, würde schließlich die Vereinten Nationen ins Leben rufen. Und das, obwohl „die russischen und amerikanischen Ansichten darüber, wie der Frieden in der Welt zu sichern ist, radikal unterschiedlich sind“.

11. April

Zwei Präsidenten

Trotz seines schlechten Gesundheitszustand wurde Franklin Roosevelt 1933, zwölf Jahre nachdem Polio ihn von der Hüfte abwärts gelähmt hatte, Präsident von Amerika. Nach seinem Amtsantritt war seine Gesundheit zehn Jahre lang stabil. Doch die Führung der Vereinigten Staaten durch den Krieg forderte ihren Tribut.
Im Februar 1945, auf der Konferenz von Jalta, teilte Roosevelts Arzt seiner Tochter Anna mit, dass sein Gesundheitszustand wie eine „tickende Zeitbombe“ sei. Im März begab er sich nach Warm Springs, seinem Rückzugsort in Georgia, um sich zu erholen. Am 12. April, während er für ein Porträt posierte, brach er zusammen. Er wurde 63 Jahre alt. The Economist berichtete in seiner Ausgabe vom 21. April:

„Keine auch noch so übertriebene Beschreibung des Gefühls von Verlust würde dem gerecht, was die freie Welt bei der plötzlichen Nachricht vom Tod von Präsident Roosevelt empfand. Niemals zuvor wurde weltweit so feierlich um einen Staatsmann eines anderen Landes und selten zuvor um einen unserer eigenen Führer so tief getrauert. Dies war teilweise der Dankbarkeit für einen Menschen geschuldet, der als Helfer in der Not sehr präsent war. Kein Engländer, der diese zwölf furchtbaren Monate zwischen Juni 1940 und Juni 1941 miterlebt hat, wird je vergessen, wie sehr die Hoffnung der Nation auf einen Sieg auf dieser Zuversicht verbreitenden Persönlichkeit im Weißen Haus ruhte und wie sich diese Hoffnung Schritt für Schritt materialisierte.”

Roosevelts Tod rief die gleichen Gefühle der Trauer hervor wie der Tod von Königin Victoria im Jahr 1901. „Auch wenn Herr Roosevelt nicht 63 Jahre im Weißen Haus war“, schrieben wir, „fällt es trotzdem sehr schwer, sich an die Zeit von Präsident Hoover zu erinnern.“
Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hatte Roosevelt eine Sondersitzung des Kongresses einberufen, um Waffen an Großbritannien und Frankreich zu liefern. Dann, im Jahr 1941, setzte er gegen den Widerstand der Anhänger des Isolationismus den sogenannten Lend-Lease Act (das Leih-und Pachtgesetz) durch, ein militärisches Hilfsprogramm. „Mit ihm ist einer der wenigen Sicherheitsgaranten in einer unsicheren Welt von uns gegangen“. Als „Meisterpilot“ war Roosevelt ein Experte darin, Amerika durch Krisen zu führen:

„Es war kein Zufall, dass er sein Amt genau an dem Tag antrat, an dem die Banken schlossen, oder dass er der Nation im Angesicht der Weltwirtschaftskrise deutlich vor Augen führte, wozu sie verpflichtet ist. Freunde der Familie Roosevelt erzählen, dass er in den frühen 1920er Jahren, als er bei seiner Kandidatur für das Amt des Vizepräsidenten zunächst eine schmachvolle Niederlage erlitt und dann an Kinderlähmung erkrankte, nichts weiter vor ihm zu liegen schien als das Leben eines invaliden Herren auf dem Lande. Doch schon damals prophezeite er aus seinem Rollstuhl heraus, dass eine weitere große Krise auf Amerika und die Welt zukommen würde, eine Krise, die nur durch einen starken Präsidenten mit einer entschlossenen liberalen Politik überwunden werden könne, und dass er, der Krüppel Franklin Roosevelt, dieser Mann sein würde.”

Roosevelts Tod bedeutete, dass das Amt des Präsidenten an Harry Truman übergehen würde, den Roosevelt bei den Wahlen von 1944 zu seinem Vizekandidaten bestimmt hatte. Truman war weniger als 90 Tage lang Vizepräsident. Zweieinhalb Stunden nach Roosevelts Tod wurde er im Oval Office als Präsident vereidigt. „Jungs“, sagte er zu einer Schar von Reportern, nachdem er Präsident geworden war, „solltet ihr jemals beten, dann betet jetzt für mich.“ Der ehemalige Senator aus Missouri war außerhalb der Vereinigten Staaten kaum bekannt:

„Die Augen der Welt sind nun auf Präsident Truman gerichtet. Durch einen jener außergewöhnlichen Zufälle, die nur in Amerika passieren können, folgt auf den bekanntesten Mann der Welt einer der unbekanntesten Männer der Welt. Obwohl man sagt, dass nur ein einziger Herzschlag jeden Vizepräsidenten von dem größten Amt der Welt trennt, spielen seine Qualifikationen für dieses Amt kaum oder gar keine Rolle, wenn es um seine Aufstellung durch den Nominierungsparteitag geht. Vizepräsidenten werden als politische Nothelfer gewählt, um ein paar Stimmen zu sammeln oder (häufiger) um sie nicht zu verlieren. Sie sind fast immer unbedeutende Persönlichkeiten, wenn sie plötzlich ins Rampenlicht treten.”

Befürchtungen in Bezug auf die Übernahme der Präsidentschaft durch Truman waren eher ein Ausdruck der Sorge um die Stabilität und Stärke, die Roosevelt vermittelt hatte, als dass sie mit der Eignung des neuen Präsidenten für dieses Amt zu tun gehabt hätten. Ein beruhigendes Zeichen war, dass James Byrnes, der unter Roosevelt für die Kriegsmobilisierung zuständig war, weiterhin eine zentrale Rolle in der amerikanischen Außenpolitik spielen würde. (Truman sollte ihn im Juli zum Außenminister ernennen.) Von Truman, so schrieben wir, könne man erwarten, dass er „ein guter, durchschnittlicher Präsident“ sein würde. Nach den zwölf Jahren, in denen Roosevelt Amerika und seine Rolle in der Welt neu gestaltet hatte, war dieser Übergang jedoch ein Schock.

18. April

Russland und Japan

Während das Ende des Krieges in Europa näher rückt, verschieben sich die Positionen der Großmächte im pazifischen Raum. Die Sowjetunion kämpfte zwar an der Seite der Alliierten gegen die Nazis in Europa, hielt sich aber mit einer Beteiligung am Krieg gegen Japan zurück. Der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow hatte im April 1941 einen Neutralitätspakt mit Japan ausgehandelt. Das Abkommen verhinderte einen Krieg zwischen den beiden Ländern, selbst nachdem Deutschland, Japans Verbündeter, etwas später im selben Jahr in die Sowjetunion einmarschierte.
Da Deutschland jedoch so gut wie besiegt war, hatte die Sowjetunion im Fernen Osten bald freie Hand. Am 5. April 1945 verhöhnte Molotow den Pakt aufgrund der japanischen Unterstützung für die Nazis und schien anzudeuten, dass sich Russland nicht länger zur Neutralität verpflichtet fühlte. „Russland“, schrieb The Economist am 14. April, „erwacht aus seiner selbst auferlegten Passivität im Fernen Osten und übernimmt eine aktivere Rolle“. Die Strategie der Sowjetunion würde sich danach richten, was sie bei einem Zusammenschluss mit den Alliierten im Pazifik zu gewinnen hätte:

„Welche praktischen Erwägungen offenbarten sich? Im Allgemeinen ist der Krieg—wie der Frieden—unteilbar. Die Bindungen, die sich für Russland aus der Allianz mit den Vereinigten Staaten und Großbritannien entwickelten, sind zu vielfältig und vielseitig, als dass es weiterhin neutral bleiben könnte. Es ist kaum vorstellbar, dass ‚Die Großen Drei‘ gemeinsam eine europäische Nachkriegsordnung gestalten, ihr Bündnis aber an den Grenzen Asiens aufgeben würden...es läge nicht im Interesse Russlands, eine so sonderbare Aufteilung der Einflussgebiete zuzulassen und auf die Vorteile zu verzichten, die es von dieser Allianz auf dem pazifischen Kriegsschauplatz erwarten dürfte.”

Die Position der Sowjetunion in Ostasien war in den Jahren, bevor sie von Deutschland überfallen wurde, „fast zur Bedeutungslosigkeit reduziert“ worden. Aber der russische Wunsch nach Macht im Pazifik saß tief. Mehr als ein Jahrhundert lang, bevor die Kommunisten 1917 die Macht ergriffen, hatten die Zaren nach Einfluss in der Region gestrebt. Der sowjetische Führer Josef Stalin hegte ähnliche Ambitionen. „Marschall Stalin“, so schrieben wir, „wird seinen Wunsch, den Einfluss und die Stellung, die die Zaren im Fernen Osten verloren hatten, für Russland zurückzugewinnen, dort sehr wahrscheinlich mit demselben Nachdruck und derselben Entschlossenheit durchsetzen wie in Europa.“

South Pacific, April 15th 1945

Neutral

Axis control

Recent Allied gains

Allied control

Russia

Sakhalin

MONGOLIA

Vladivostok

KOREA

JAPAN

PACIFIC

OCEAN

Tokyo

CHINA

Chungking

Okinawa

Iwo Jima

Burma

PHILIPPINES

SIAM

Manila

french

indochina

Source: United States government

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South Pacific, April 15th 1945

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Russland, das 1905 einen Krieg gegen Japan verloren hatte, stand kurz davor, ein Gebiet von seinem alten Feind zurückzugewinnen (siehe Karte). Die südliche Hälfte von Sachalin, die im selben Jahr durch den Vertrag von Portsmouth aufgeteilt wurde, war ein potenzieller Preis; eine Eisenbahnverbindung zwischen Wladiwostok und Sibirien, die 1935 an Japan verkauft worden war, ein weiterer. Doch die Kriegspolitik in Asien war kompliziert. Während sich die Alliierten zusammenschließen konnten, um Japan zu besiegen, drohte der lange Kampf in den Teilen Chinas und Koreas, die noch von Japan kontrolliert wurden, die Beziehungen zwischen den „Großen Drei“ zu belasten:

„Es liegt offensichtlich im Interesse der Alliierten, den Pazifikkrieg schnell zu beenden. Das deutsche Beispiel zeigt, dass ein Harakiri des Gegners die Sache für die siegreichen Alliierten nicht einfacher, sondern schwieriger macht, denn es hinterlässt wirtschaftliches Chaos und soziale Verunsicherung und damit eine sehr brüchige Grundlage für jede Friedensregelung. Ein japanischer Kampf bis zum bitteren Ende, ohne dass eine Zentralregierung zur Kapitulation bereit wäre, könnte durchaus bedeuten, dass der Krieg auch nach der Eroberung der Inseln in der Mandschurei, in Korea und in China weitergehen würde. Dies wiederum könnte zu schwerwiegenden politischen Problemen in China führen, wo die Russen mit der kommunistischen Administration in Yan’an zusammenarbeiten, und die Amerikaner und wahrscheinlich auch die Briten das Regime in Chungking unterstützen würden. Eine gefährliche Rivalität zwischen den Alliierten, für die es in Europa bereits einige Beispiele gegeben hat, könnte sich auch in Asien entwickeln.”

Wenn sich die Alliierten wegen China—wo die Nationalisten von Chiang Kai-shek (mit Sitz in Chongqing, damals Chungking genannt) einen brüchigen Waffenstillstand mit den Kommunisten von Mao Zedong geschlossen hatten, um Japan zu bekämpfen—ernsthaft miteinander überwerfen würden, würde dies „die Friedensregelung in Europa überschatten“. Und Japan schien wenig Ambition für eine Bereitschaft zur Kapitulation zu zeigen. Für die kaiserliche Regierung dürfte der Verlust von Okinawa, auf dem die Amerikaner im April gelandet waren, „nicht schlimmer aussehen als die Besetzung der Kanalinseln für die Briten im Jahr 1940“. Die Kämpfe im Pazifik schienen nicht abzuflauen. Die Sowjets hatten viel Zeit, um ihren Einmarsch im Fernen Osten zu planen.

25. April

Das Ende der Verbrecher

Am 20. April wird Berlin belagert. Nachdem Wien eine Woche zuvor an die Rote Armee gefallen war, konnten sich die sowjetischen Generäle auf die deutsche Hauptstadt konzentrieren. Kampfflugzeuge verwüsteten die Stadt, während 1,5 Millionen Soldaten durch ihre Trümmer stürmten. Die Artillerie der Roten Armee feuerte während des Angriffs fast zwei Millionen Granaten ab. Am 2. Mai kapitulierten die letzten deutschen Truppen in Berlin.
Damit war das Ende der Nazis und ihrer Verbündeten in Europa besiegelt. Benito Mussolini war 1943 nach seiner Absetzung durch den König mit der Leitung eines Nazi-Marionettenstaates in Norditalien betraut worden. Im April 1945 wurde das Gut des entmachteten Diktators von den Alliierten gestürmt; am 28. April wurde er von Partisanen getötet. Zwei Tage später erschoss sich Adolf Hitler in seinem Bunker in Berlin. Als sich der Staub über der Stadt gelegt hatte, machten Gerüchte über sein Ableben die Runde. Eines war sicher: Das Nazi-Regime war zwölf Jahre nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler am Ende. Am 5. Mai schrieb The Economist:

„Mussolini ist tot. Hitler ist es nach allgemeiner Auffassung ebenso, auch wenn der Welt kein spektakulärer Beweis für seinen Tod erbracht werden konnte, indem man seinen Leichnam von Fußtritten begleitet auf offener Straße präsentiert hätte. Ob er sich wirklich der Justiz entzogen oder nur versucht hat, ihr zu entkommen, ob er den Tod eines Soldaten oder den eines Verrückten erlitten hat, ob er eines natürlichen Todes oder durch Selbstmord gestorben ist oder von einem anderen Mitglied seiner Clique erschossen wurde—all das sind Fragen, für die es noch einige Tage lang keine Antworten geben wird.”

Einige Gerüchte kursierten um Admiral Karl Dönitz, der Hitler „als zweiter und letzter Führer des Deutschen Reiches“ folgte: „Wurde er tatsächlich von Hitler ernannt oder hat er die armseligen Reste der Macht an sich gerissen?“ Und was hat er geplant? Ein Kampf bis zum bitteren Ende in Norwegen, einem der letzten noch von den Nazis besetzten Gebieten Europas, oder der Einsatz der deutschen Marine wären wahnsinnig gewesen. „Das Dritte Reich ist tot“, schrieben wir. „Der Krieg endete mit einem unbeschreiblich schmutzigen Wirrwarr von Blut und Verrat.“
Nachdem Berlin gefallen war, dachten wir über die Endphase des Krieges in Europa nach. Der deutsche Gegenangriff mit der Ardennenoffensive im Dezember 1944 hatte dazu geführt, dass es bis zur endgültigen Niederlage der Nazis länger dauerte als die Alliierten im Jahr zuvor gehofft hatten:

„Das langsame, asymptotische Herannahen des Kriegsendes in diesen letzten Monaten, das zwar immer näher kam, aber nie ganz erreicht wurde, wird die Stunde des wohlverdienten Sieges, wenn sie kommt, zum Gegenteil eines Höhepunktes machen. Es wird kein großer Höhepunkt wie der 11. November 1918 sein, sondern lediglich die Überwindung einer weiteren und der Beginn einer neuen Etappe in einer Weltkrise, die seit dreißig Jahren tobt und noch viele Stürme vor sich hat. Der Augenblick des Jubels wird kurz sein, und der Jubel selbst wird durch das Wissen um die Anstrengungen und Opfer, die noch vor uns liegen, eher verhalten ausfallen. Trotzdem wird es einen Moment der Anerkennung geben, auch wenn das Urteil letztendlich der Geschichte überlassen bleibt, für die Stunde der Kapitulationen, der Freiheit und des Sieges.”

Josef Stalin, der sowjetische Führer, würdigte den Erfolg der Alliierten entsprechend. Wir berichteten: „Russland habe Blut gegeben, sagte er, Amerika materiellen Reichtum, während Großbritannien Zeit beigesteuert habe.” Die erfolgreiche britische Gegenwehr, zu einer Zeit, zu der ein Großteil des übrigen Europas besetzt war, gab alliierten Ländern wie Frankreich die Möglichkeit, eine Basis für ihre Exilregierungen zu errichten—und war schließlich der Ausgangspunkt für die Landung am D-Day. Durch die Widerstandskraft Großbritanniens und die Niederlage der Nazis wurde die Demokratie in Europa verteidigt:

„Der Krieg wurde sowohl militärisch klug als auch mutig geführt. So wie das erbärmliche Ende der Verbrecher, die wie Ratten in einer Falle gefangen saßen, eine der größten Rechtfertigungen der Moral in der Geschichte ist, so ist in politischer Hinsicht das Ende des Krieges ein unwiderlegbarer Beweis für die Werte der Freiheit. Wieder einmal hat sich gezeigt, auf welche immense moralische und materielle Ressourcen eine freie, tolerante und ehrliche Gesellschaft zurückgreifen kann. Das britische Volk hat in diesem Krieg länger als die meisten anderen gekämpft, kontinuierlicher als alle anderen und härter als viele andere. Das britische Volk hat den Krieg auf dem Schlachtfeld, zu Hause, zur See und in der Luft mit technischem Geschick und körperlichem Mut und großartigen menschlichen Eigenschaften wie Phantasie geführt. Auch wenn Adolf Hitler sie militärische Schwachköpfe nannte; haben die britischen Soldaten gerade deshalb wieder einmal hervorragend gekämpft.”

Das Ausmaß der Verwüstung in Europa bedeutete, dass die Alliierten nach Beendigung der Kämpfe vor der gewaltigen Aufgabe des Wiederaufbaus standen. Währenddessen kämpften in Osteuropa noch immer antikommunistische Partisanen gegen die Rote Armee, mit deren Hilfe die Sowjetunion ihre Kontrolle in der Region ausbaute. Trotz allem war der Zusammenbruch des Naziregimes ein Grund zur Freude. Abgesehen von den Formalitäten der Kapitulation war der Krieg gegen Deutschland beendet.

Mai

1945

2. Mai

Historische Opfer

„So the end has come“, schrieb The Economist in seiner Ausgabe vom 12. Mai. Anfang der Woche waren die Kämpfe zwischen den Alliierten und Nazi-Deutschland endgültig beendet. Nachdem die Rote Armee Berlin eingenommen hatte, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Karl Dönitz, der Nachfolger Adolf Hitlers, und Lutz Graf Schwerin von Krosigk, der Reichskanzler, die formelle Kapitulation Deutschlands verkündeten. Am frühen Montagmorgen des 7. Mai, beauftragten sie General Alfred Jodl, die formelle Urkunde im Hauptquartier der Alliierten in Frankreich zu unterzeichnen. Am nächsten Tag, dem 8. Mai, war der Victory in Europe (VE) Day, der Tag des Sieges in Europa:

„Am Dienstag wurde der Beschuss eingestellt. Europa befand sich nicht mehr im Krieg, auch wenn es noch weit vom Frieden entfernt war. Deutschland ist vollständig besetzt. Abgesehen von der Pseudo-Regierung Dönitz-Krosigk gibt es keine deutsche Regierung mehr. Das deutsche Volk ist, um es mit den verzweifelten Worten General Jodls zu sagen, auf Gedeih und Verderb in die Hände der Sieger gefallen. Mitten in Europa, wo noch vor kurzem die mächtigste und ausgetüftelste Kriegstyrannei wütete, die die Welt je gesehen hat, herrscht jetzt nichts als eine Leere der Trauer und des Schweigens.“

Der Blutzoll des Krieges war immens. Etwa eine halbe Million Briten waren gestorben—immerhin weniger als im Ersten Weltkrieg. Andere alliierte Mächte hatten mehr Opfer zu beklagen: Etwa 24 Millionen Sowjetbürger starben in Folge der Kämpfe. Aber „ein Menschenleben ist nicht statistisch zu verrechnen, und von allen Kriegswunden ist ein leeres Herz die einzige Wunde, die die Zeit nicht heilt“. Außer den Toten sollte es unzählige andere Menschen geben, die verwundet und traumatisiert nach Hause zurückkehrten. Das Ende der Kampfhandlungen wurde daher von gemischten Gefühlen begleitet:

„Es sind Tage der großen Emotionen. An erster Stelle steht natürlich die Dankbarkeit, dass der lange Leidensweg zumindest für die halbe Welt zu Ende ist und dass die Sünden wie Blindheit, Trägheit und Selbstgefälligkeit, die den Angreifer ermutigt haben—Sünden, vor denen niemand gefeit ist,—endlich abgelegt wurden. Es ist aber auch richtig, dass es eine kurze Pause des Jubels gab.“

Die Siegesfreude wurde jedoch durch zwei Tatsachen gedämpft. Erstens tobte noch immer der Krieg im Pazifik. Zweitens wurde Europa schnell unter den Alliierten, die es von den Nazis befreit hatten, aufgeteilt. „Es ist tragisch“, schrieb The Economist, „dass der Sieg—die Krönung der gemeinsamen militärischen Anstrengungen der drei Großmächte—von der schwersten politischen Meinungsverschiedenheit, die es je zwischen ihnen gegeben hat, überschattet wird.“
Winston Churchill, der Großbritannien seit 1940 führte, verkündete die Niederlage von Nazi Deutschland.
Die jüngsten Spannungen waren durch die Nachricht ausgelöst worden, dass 15 Führer des polnischen Untergrundwiderstands von der Sowjetunion verhaftet worden waren und in Moskau auf ihren Prozess warteten. Dieser Vorfall war ein Vorgeschmack auf den sich anbahnenden Kalten Krieg zwischen den Sowjets und dem Westen. Angesichts dieser Ungewissheit über die Zukunft des Kontinents würde der Frieden nur teilweise eine Entspannung bringen:

„Die Zeit des physischen Mutes und der physischen Opfer neigte sich ihrem Ende zu. Jetzt sind Zivilcourage und eine mentale Opferbereitschaft gefragt, um die so teuer erkaufte Chance des Neuanfangs zu nutzen. Das Beherrschen der stillen Tugenden ist nicht minder schwierig, vor allem für ein so großzügiges, tolerantes und gelassenes Volk, das langsam im Zorn und in der Vorausschau ist, aber schnell im Vergeben und Vergessen. Wenn jedoch die Schaffung des Friedens mit der gleichen hehren Mischung aus Einigkeit in Freiheit und Verantwortungsbewusstsein angegangen wird, die das britische Volk so siegreich durch die Gefahren dieser furchtbaren Jahre gebracht hat, dann wird es nichts geben, das nicht erreicht werden könnte.“

Mit seiner Rede am Tag des Sieges in Europa hatte Winston Churchill eine ähnliche Stimmung erzeugt. Der britische Premierminister erinnerte an die Aufgabe des „Wiederaufbaus von Heim und Herd“ und blickte auf das Ende des Krieges in Asien, wo Japan immer noch Teile des britischen Weltreichs, darunter Malaysia und Singapur, besetzt hielt. Die Kämpfe in Europa waren zwar beendet, aber das Ende des Zweiten Weltkriegs war noch Monate entfernt.

31st May 1945: US Marines of the 1st Division wait on the crest of a hill in southern Okinawa, as they watch phosphorous shells explode over Japanese soldiers dug into the hills.

9. Mai

Der andere Krieg

Nachdem die Nazis am 7. Mai kapituliert hatten, wurden die Kämpfe in den meisten Teilen Europas eingestellt. Doch die Siegesfeiern der Alliierten wurden durch die Fortsetzung des Krieges in Asien getrübt. „Bei all dem Jubel über das Ende des Krieges in Europa,“ schrieb The Economist am 12. Mai, „sollte man nicht vergessen, dass der Krieg für Tausende von Kämpfern und ihre Familien noch nicht vorbei ist, sondern weitergeht, genauso erbittert und mit allen Härten, die dieser Krieg mit sich bringt wie Trennung, fern der Heimat sein, unterschiedliche klimatische Bedingungen und den Widerstand des Feindes.“
In Asien kämpften die Alliierten darum, die Japaner aus den Gebieten zu vertreiben, die sie während des Krieges besetzt hatten. In Myanmar (damals Birma), seit dem späten 19. Jahrhundert eine britische Kolonie, waren die Alliierten an vorderster Front. Die britischen Truppen hatten Mandalay am Irrawaddy Fluss im März von den Japanern erobert. Am 3. Mai erlangten sie die Kontrolle über die Hauptstadt Yangon (damals Rangun) zurück.
Doch andernorts steckten die Alliierten in der Klemme. Auf Okinawa, einer Insel nur 640km südlich des japanischen Festlandes, kämpften die amerikanischen Soldaten bereits seit über einem Monat. Seitdem wurde die Schlacht „außerordentlich erbittert“ geführt: „Die nördliche Hälfte der Insel ist besetzt, aber der südliche Teil hat sich bisher als uneinnehmbar erwiesen.“
Wenn die Kämpfe auf Okinawa ein Vorgeschmack auf das waren, was ein Kampf auf dem japanischen Festland bedeuten würde, dann war klar, dass „harte, schwierige und langwierige Kämpfe bevorstanden“. Die Rückeroberung verlorener Kolonien war im Vergleich dazu einfacher, als das japanische Regime zur Kapitulation zu zwingen.

„...die Wurzeln und Ursachen für die japanische Aggression liegen im japanischen Heimatland. Die Rückeroberung von British Malaya und Niederländisch-Indien ist zwar ein erreichtes Ziel, das jedoch nicht direkt zur unmittelbaren Niederlage Japans beiträgt. Die Gefechte im inneren Ring der japanischen Verteidigungsanlagen haben sich bisher nicht als so entscheidend erwiesen wie die Kämpfe in der Ferne. Die Auswirkungen heftiger Luftangriffe sind immer schwer zu beurteilen, und niemand kann genau sagen, welchen Beitrag sie leisten bei der Zerstörung der feindlichen Kriegsindustrie und der Moral der Zivilbevölkerung. Dennoch kamen die Luftangriffe auf das japanische Festland bereits einer Großoffensive gleich.“

Die Alliierten hatten Tokio und die anderen großen japanischen Städte wochenlang bombardiert. Auch die Schwerindustrie und die Häfen waren von Bomben getroffen worden. Da nicht mehr für Europa benötigte britische Bomber für den Pazifikfeldzug eingesetzt werden konnten, sollten die Luftangriffe der Alliierten bald an Häufigkeit und Intensität zunehmen. Die Entscheidung, den japanischen Soldaten zu befehlen, ihre Waffen niederzulegen, lag jedoch letztlich bei der Führung des Landes. Die Lage schien sich gegen sie gewendet zu haben:

„In vielerlei Hinsicht könnten die politischen Aussichten kaum düsterer sein. Japan ist von seinem einzigen Verbündeten im Stich gelassen worden. In der Empörung der japanischen Presse über diese Abtrünnigkeit spiegelt sich ihr Unbehagen. Der Untergang Deutschlands ist eine eindrucksvolle Warnung für jede Nation, die bis zehn Minuten nach zwölf kämpfen will. Außerdem macht das Ende des europäischen Krieges den Weg frei für die Russen, die sich nun mit politischen und militärischen Aktionen im Fernen Osten einmischen könnten. Als erstes kündigten sie den sowjetisch-japanischen Neutralitätspakt auf. Ist der nächste Schritt ein offener oder ein nicht erklärter Krieg? Wenn ja, könnte Japan, das von Feinden umgeben ist, es nicht vorziehen, in der Hoffnung auf bessere Konditionen durch eine Verkürzung des Krieges eine Kapitulation anzubieten?“

Die japanische Führung machte jedoch keine Anstalten in Richtung Kapitulation. Obwohl die Sowjetunion ihren Neutralitätspakt mit Japan aufgekündigt hatte, war sie noch nicht in den Krieg gegen ihren Rivalen im Fernen Osten eingetreten. Das gab Japan die Hoffnung, dass es einen Kampf gegen die drei alliierten Hauptmächte vermeiden und sich stattdessen „durch Manöver und Verhandlungen Zugeständnisse verschaffen“ könnte. Vielleicht glaubte die japanische Führung, dass die Uneinigkeit unter den Alliierten, die bereits den neuen Frieden in Europa zu untergraben drohte, in Asien zu ihrem Vorteil sein würde.

9th July 1945: Women in post-war Berlin, East Germany, form a 'chain gang' to pass pails of rubble to a rubble dump, to clear bombed areas in the Russian sector of the city. (Photo by Fred Ramage/Keystone/Getty Images)

16. Mai

Neue Prioritäten für Europa

Als sich in den Wochen nach dem 8. Mai, dem Tag des Sieges, der Staub in Europa legte, wurde das ganze Ausmaß der Auswirkungen des Krieges immer deutlicher. „Berichte über den materiellen Zustand Europas sind verworren und unvollständig,” schrieb The Economist am 19. Mai, „aber es gibt genügend Beweise, die zeigen, dass das Chaos entsetzlich ist und sich noch verschlimmern wird.“
Die durch die Kampfhandlungen angerichteten Verwüstungen waren auf dem ganzen Kontinent unterschiedlich. Länder wie Frankreich und Belgien waren „relativ unversehrt“. An den meisten Orten schien sich die Lage jedoch zu verschlechtern. Rohstoffengpässe, insbesondere bei Kohle, waren an der Tagesordnung; die Transportwege waren zerstört. Deutschland, wo während des Vormarsches der Alliierten ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht worden waren, stellte ein besonderes Problem dar—nicht zuletzt, weil viele der Arbeiter des Landes in Kriegsgefangenschaft waren.

„All dies ist bekannt. Es ist auch schwierig, das Ausmaß des Problems zu begreifen, so sehr sind wir an Ruinen und Verwüstungen gewöhnt. Und doch ist es eine große Herausforderung. Die Wiederherstellung eines funktionierenden Systems in diesen von Schlachten verwüsteten und von Jahren der Hitler’schen Kriegswirtschaft verzerrten Ländern ist eine gewaltigere Aufgabe als die Kriegsführung selbst. Nicht nur ist das Problem an sich komplexer, es fehlt auch an den Mitteln, um es angemessen zu bewältigen.“

Wer würde für den Wiederaufbau Europas verantwortlich sein? Das Oberste Hauptquartier der Alliierten Expeditionsstreitkräfte, die ranghöchste alliierte Instanz, war für die Streitkräfte, die Transportnetze und die Kriegsgefangenen zuständig. Bald jedoch würde ein Flickenteppich aus militärischen und zivilen Gruppen—einschließlich Militärregierungen—die Führung übernehmen. Andere Gruppen erhielten enger gefasste Zuständigkeitsbereiche: Die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), eine 1943 gegründete Hilfsorganisation, sollte sich beispielsweise um Flüchtlinge kümmern. Der Übergang würde beschwerlich werden:

„Die Schwierigkeit, die bisherige Militärverwaltung an die Bedürfnisse Europas anzupassen, liegt darin, dass sie bisher von der ersten Planung bis zur letzten Ausführung eine klare Aufgabe mit einem sehr einfachen Ziel hatte, nämlich den Krieg zu gewinnen. Dementsprechend waren die Prioritäten einfach: Die militärischen Erfordernisse standen an erster Stelle. Und das wiederum hat die Verwaltung vereinfacht. Jetzt ist das Ziel sehr komplex: der Wiederaufbau eines zerrütteten Kontinents. Dementsprechend komplex sind die Prioritäten. Bei aller Komplexität müssen aber grundlegende Entscheidungen getroffen werden, was den militärischen Behörden natürlich sehr schwerfallen wird, denn nun müssen die zivilen und nicht die militärischen Bedürfnisse an erster Stelle stehen.“

Die Rolle des Militärs bei der Verwaltung des Kontinents führte zwangsläufig zu Ineffizienzen. Vertriebene Bauern wieder auf ihre Felder zu bringen, so argumentierte The Economist, sei für Europas Wirtschaft eine dringendere Priorität, als Soldaten schnellstmöglich nach Großbritannien und Amerika zurückzubringen. Die alliierten Militärbehörden schienen jedoch Letzteres zu bevorzugen.
Diese Umstände machten die Schaffung robuster ziviler Behörden in Europa zu einer dringenden Aufgabe. „Die Verteilung der sehr knappen Vorräte auf stark konkurrierende Bedürfnisse wird sich mit nahendem Winter eher verschlimmern als verbessern,” schrieb The Economist, „aber die Existenz einer Instanz, an die sich Regierungen, zivile Behörden wie die UNRRA und das Militär wenden könnten—wobei keine von ihnen in eigener Sache urteilen würde—böte eine gewisse Garantie dafür, dass sich die richtigen Prioritäten herauskristallisieren und der Wiederaufbau zumindest mit einem Teil des Elans und der Effizienz vorangetrieben würde, die bisher dem Krieg gewidmet waren.” Der Wiederaufbau des zerstörten Kontinents würde nicht nur eine starke Verwaltung erfordern, sondern auch eine, die dieselben Prioritäten verfolgt wie die Menschen, die sie regiert.

Admiral Karl Doenitz surrender and in custody along with Albert Speer May 1945, Germany's unconditional surrender to the allies. As Supreme Commander of the Navy beginning in 1943, Nazi Karl Doenitz played a major role in the naval history of World War II. He was briefly the last Fuhrer of the Third Reich, jailed for 10 years at the Nuremberg Trials and released in 1956

23. Mai

Kriegsverbrechen

Nach dem Ende des Krieges in Europa war es dringend geboten, die deutschen Soldaten für ihre Gräueltaten zur Rechenschaft zu ziehen und auf dem gesamten Kontinent wieder eine moralische Ordnung herzustellen. Die Alliierten hatten schon seit einiger Zeit mit sich darum gerungen was zu tun sei und gründeten im Oktober 1943 die Kriegsverbrechen-Kommission der Vereinten Nationen (UNWCC). Die Sowjets nahmen nicht daran teil, waren aber nicht weniger besorgt. Sie führten im Dezember 1943 in Charkiw den ersten öffentlichen Prozess gegen deutsche Kriegsverbrecher. Alle vier Angeklagten wurden gehängt.
Amerika, Großbritannien und die Sowjetunion hatten unterschiedliche Vorstellungen davon, was mit den Nazi-Kriegsverbrechern geschehen sollte. Die Amerikaner wollten sie unbedingt vor Gericht stellen, um sicherzustellen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde und dies auch so wahrgenommen wurde. Die Russen, die sich der Schuldigen bereits sicher waren, zogen Schauprozesse vor. Viele Mitglieder der britischen Elite befürworteten eine Hinrichtung im Schnellverfahren. Der britische Premierminister Winston Churchill schlug seinem Kabinett sogar vor, „Weltverbrecher“ nach ihrer Gefangennahme „innerhalb von sechs Stunden und ohne weitere Rücksprache mit einer höheren Instanz zu erschießen“.
Im Mai 1945 berichtete The Economist, dass die UNWCC sich darauf geeinigt hatte, dass „Straffreiheit für Straftäter, die gegen jede Regel des menschlichen Anstands verstoßen, eine katastrophale Auswirkung auf die internationale Moral hätte“, und dass sie deshalb Strafprozesse abhalten würde, um „neue Standards für internationales Verhalten zu setzen“. Von der Sowjetunion wurde erwartet, dass sie das Gleiche täte.

„Ihr Ziel ist es, neue Standards für internationales Verhalten zu setzen. Die Fälle sollen auf der Grundlage von Beweisen verhandelt werden. Nur die Schuldigen werden bestraft. Es wird keine wahllosen Repressalien geben. Bestraft werden Verbrechen, nicht politisches Vergehen. Die Annahme, die der ganzen unangenehmen Aufgabe zugrunde liegt, ist, dass Straffreiheit für Straftäter, die gegen jede Regel des menschlichen Anstands verstoßen, eine katastrophale Auswirkung auf die internationale Moral haben würde.“

Wenn die Prozesse erfolgreich sein sollten, so argumentierten wir, müssten sie schnell und nach gemeinsamen Standards durchgeführt werden. Einige Straftaten ließen sich leicht verfolgen: Das Völkerrecht kennt zahlreiche Präzedenzfälle für Soldaten, die gegen die Kriegsvölkerrechtsregeln verstoßen haben, ebenso für Verräter. Aber es gab im internationalen Recht keine Präzedenzfälle für die Verfolgung von Soldaten wegen Gräueltaten, die sie an ihren Landsleuten begangen hatten, einschließlich deutscher Juden, Roma und Homosexueller. Auch zivile Vorgesetzte waren nicht wirklich für die Taten ihrer Untergebenen zur Verantwortung gezogen worden.

„Die kompliziertere Tätergruppe ist diejenige, die Verbrechen gegen Deutsche, gegen mehrere Nationalitäten oder gegen die Menschheit im Allgemeinen begangen hat. Hier ist eine neue Form eines internationalen Gerichts erforderlich. Es gab bislang keinen Präzedenzfall für die Verfolgung von Kriegsverbrechen durch die Institutionen der organisierten internationalen Justiz. Wenn die Empfehlungen der Kriegsverbrechen-Kommission befolgt werden, wird es den anklagenden Nationen nicht allzu schwer fallen, sich auf ein Verfahren für eine kleine Gruppe von „Hauptverbrechern“ zu einigen, für die Göring der Prototyp wäre. Die größte Schwierigkeit wird darin bestehen, zu entscheiden, wo die Grenze zu den kleineren Verbrechern gezogen werden soll, insbesondere zu den Zehntausenden gefangenen SS-Leuten.“

Das Hauptproblem des UNNWC-Ansatzes war nach Ansicht von The Economist die Koordinierung mit den Russen. Wir befürchteten das Entstehen zweier paralleler Systeme zur Verfolgung von Kriegsverbrechen, eines im Westen und eines im Osten, die sich darum stritten, wer bestimmte prominente Nazis vor Gericht stellen sollte.
The Economist war sich nicht sicher, ob ein Gericht mehr Gerechtigkeit schaffen würde als ein Tod wie der von Benito Mussolini. Im April war der italienische Diktator am Straßenrand erschossen und kopfüber auf dem Piazzale Loreto in Mailand, wo ein Jahr zuvor 15 italienische Partisanen hingerichtet worden waren, aufgehängt worden.

„Es ist nicht anzunehmen, dass gerichtliche Prozesse zu einem gerechteren Resultat führen als zum Beispiel das erbärmliche Ende, das Mussolini ereilte. Sollten sie aber gerecht sein, dann müssen sie standrechtlich und sachlich durchgeführt werden. Den Gefangenen das berühmte letzte Wort wie in einem Hollywood-Film zu gewähren, hieße, den Zweck der Vereinten Nationen zu verfehlen. Das Gleiche gilt für Prozessverzögerungen, die dazu führen würden, dass sich der Gestank der Gräueltaten in Europa noch verstärken würde.“

Letztendlich wurde ein einheitliches Vorgehen beschlossen. Die Alliierten, einschließlich der Sowjetunion, kamen im Juni in London zusammen, um Verfahren für Kriegsverbrechertribunale zu entwickeln. Nach mehr als einem Monat angespannter rechtlicher und moralischer Diskussionen einigten sie sich auf einige Rahmenbedingungen, die später die Grundlage für die Prozesse in Nürnberg und Tokio bilden und die Rechtsprechung zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erheblich erweitern sollten.

Two bill posters enjoy a cigarette break after pasting up a campaign billboard poster for John Platts-Mills, the Labour Party candidate for the north London constituency of Finsbury, on 20th June 1945. John Platts-Mills would go on to win the seat for the Labour Party in the upcoming 1945 United Kingdom general election. (Photo by Konig/Popperfoto via Getty Images)

30. Mai

Ein neues Kapitel

Am 23. Mai endete die Koalitionsregierung, die Großbritannien seit 1940 regiert hatte. Das Kabinett trat zurück. Premierminister Winston Churchill berief Neuwahlen ein—die ersten seit 1935. „Die politische Luft ist nun rein“, schrieb The Economist am 26. Mai. Die Konservative Partei würde mit Churchills Bilanz als Kriegsführer Wahlkampf machen, während die Labour-Partei von Clement Attlee, seit 1942 stellvertretender Premierminister, mit einem erklärten sozialistischen Manifest für umfassende soziale und wirtschaftliche Reformen, darunter die Einrichtung eines nationalen Gesundheitsdienstes und Vollbeschäftigung, an die Öffentlichkeit treten würde.
Beide Seiten machten sich Sorgen um den Wahltermin. Attlee wollte, dass die Wahl im Herbst stattfinden sollte, aber die Basis der Labour-Partei war nach fünf Jahren, in denen die Parteipolitik praktisch eingefroren war, frustriert. Churchill stellte Labour vor die Wahl: Entweder würde die Wahl so schnell wie möglich—am 5. Juli—stattfinden, oder sie müsste nach der Kapitulation Japans gehalten werden. Letzteres war für viele in der Labour-Partei inakzeptabel. Daher war der Terminvorschlag darauf ausgerichtet, Attlee zu einer vorzeitigen Wahl zu zwingen. Er glaubte, dass Churchill aus taktischen Gründen eine Wahl im Juli bevorzugte, da den Wählern sein Sieg in Europa dann noch frisch im Gedächtnis sei:

„Beide Parteien schieben öffentliches Interesse als Grund für ihre Präferenzen vor. Doch ihre Haltungen sind widersprüchlich. Der wahre Grund ist der Vorteil für die Konservative Partei. Der Premierminister zeigte sich in seinem zweiten Brief an Herrn Attlee empört über die „Verleumdung“, dass seine Präferenz für Juli gegenüber Oktober auf politischen Kalkül beruhe. Dieser emotionale Ausbruch von Herrn Churchill war zweifellos aufrichtig. Ganz offensichtlich hatten einige seiner engsten Kollegen und Freunde aber sehr wohl kalkuliert, dass eine Wahl noch im Glanz der Siegesfeierlichkeiten mit ziemlicher Sicherheit den Hauptarchitekten dieses Sieges und der von ihm geführten Partei einen Wahlsieg bescheren würde.“

Attlees Gründe für seinen Wunschtermin einer Wahl erst im Herbst—eine Option, die Churchill nicht akzeptieren wollte—waren ebenfalls offensichtlich. Er „würde es vorziehen abzuwarten bis der Glanz von Churchills Ruhm aufgrund einer Reihe von Schwierigkeiten und vielleicht auch Fehlern gewichen ist und die Wähler in ihm nicht mehr den unangreifbaren Kriegsführer sehen, sondern ihn als Führer in Friedenszeiten in Frage stellen, da er hier möglicherweise viel schwächer sei“. Aber Churchills Ultimatum ließ Attlee keine andere Wahl, als einer Wahl im Juli zuzustimmen.
Churchill war erstaunlich beliebt: Im Mai lag seine Zustimmungsquote, die während des Krieges nie unter 78% gefallen war, bei 83%. Aber die im Lande vorherrschende Meinung über seine Partei war weit weniger positiv. Die Konservativen hatten Großbritannien seit 1922 allein oder an der Spitze einer Koalition mit kurzen Unterbrechungen in den Jahren 1924 und 1929-1931 regiert. Die Partei wurde immer noch für die Massenarbeitslosigkeit der 1920er und 1930er Jahre sowie für Neville Chamberlains Politik der Nachsicht gegenüber Nazi-Deutschland verantwortlich gemacht. Daher wurde ein knappes Wahlergebnis erwartet:

„Es ist sehr schwierig, das Ergebnis dieser Wahl vorherzusagen. Die allgemeine Erwartung, selbst unter vielen Labour-Anhängern, ist, dass die Konservative Partei mit einer Mehrheit, wenn auch einer geringeren, zurückkehren wird, und dass dieses Ergebnis ein persönliches Vertrauensvotum für Herrn Churchill sein wird. Dies ist zweifellos der wahrscheinlichste Wahlausgang. Aber er ist keineswegs sicher.“

Die Gelegenheit, das „sehr veraltete und überholte Unterhaus“ Großbritanniens zu erneuern, wurde, wie wir schrieben, begrüßt. Doch trotz der wichtigen Nachricht, dass erstmals seit einem Jahrzehnt wieder eine Wahl stattfinden würde, war die Stimmung gegenüber den beiden großen Parteien eher verhalten:

„Eine Parlamentswahl, insbesondere nach einer so langen Pause und nach so einschneidenden Ereignissen, sollte als Chance für eine große Erneuerung der nationalen Ziele betrachtet werden. Dass sie vom Durchschnittsbürger nicht so gesehen wird, sondern eher wie die Wiederaufnahme von normalen Sportveranstaltungen vergleichbar mit einem Cricket-Testspiel (und fast ebenso langatmig) wahrgenommen wird, spiegelt die Tatsache, dass es an Begeisterung für beide großen Parteien mangelt, wider.“

Der Grund dafür war, dass beide Parteien es versäumt hatten sich mit den Herausforderungen der Modernisierung der britischen Wirtschaft auseinanderzusetzen: „Tatsache ist, dass keine der beiden Parteien ein echtes, realisierbares politisches Konzept hat, weil keine der beiden Parteien sich jemals tiefgreifend mit dem Großbritannien des 20. Jahrhunderts in einer Welt des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt hat. Jede Partei hat sich daher lediglich in die reine Verwaltung des Status quo geflüchtet. Nuancen in der Gewichtung wurden mit den grundsätzlichen (‚parteipolitischen‘ Anm. d.Übers.) Unterschieden erklärt.” Der Wahltag wurde auf den 5. Juli festgelegt, sodass etwa sechs Wochen für den Wahlkampf zur Verfügung standen. Die Auszählung der Stimmen der im Ausland stationierten Soldaten würde weitere drei Wochen dauern. Der erste britische Wahl-Marathon seit einem Jahrzehnt hatte begonnen.

Juni

1945

6. Juni

Das Ende eines Traums

Als die Nazis Anfang Mai kapitulierten, lag Deutschland in Trümmern. Es lag auch politisch am Boden, da das Nazi-Regime aufgelöst und durch die Militärbehörden der Alliierten ersetzt worden war. Am 9. Juni veröffentlichte The Economist einen langen Bericht aus München, das nun unter amerikanischer Kontrolle stand. Darin wurde die surreale Lebenslage unmittelbar nach dem Krieg wie folgt beschrieben:

„Das Bild, das sich dem Besucher Deutschlands offenbart, ist so dermaßen abstrus, verwirrend und widersprüchlich, dass es sinnlos wäre, eine eindeutige Beschreibung überhaupt zu versuchen. Man reist durch Deutschland wie durch einen Traum. Das Leben hier hat jegliche festen Bahnen und Formen verloren—es wirkt komplett zerfallen. Die einstmals deutsche Nation scheint sich in Millionen von Individuen aufzulösen, von denen jedes seine eigenen Ängste und Sorgen hat. Eine klassische soziologische und politische Einordnung ist unmöglich, da es in der Bevölkerung, wenn überhaupt, nur wenige soziale Bindungen und Verbindungen gibt. Für eine gewisse Zeit hat sich die kollektive Identität der deutschen Nation in ein Nichts zerbröselt.“

Deutschland hatte weniger als 30 Jahre zuvor bereits eine Niederlage erlitten. Die jetzige Ausgangslage war jedoch eine andere. Nach dem Ersten Weltkrieg besetzten die Sieger nur Teile des Gebiets, wie das Rheinland und das Ruhrgebiet. Zum größten Teil „rettete das Land nicht nur sein Territorium, seinen Reichtum und sein gesellschaftliches Gefüge, sondern auch die Mittel für seine geistige und politische Identitätsbildung“.
Nun aber stand das gesamte Land unter Besatzung. Die Alliierten entthronten und entnazifizierten die Institutionen. „Im Jahr 1945 ist die Nation verstummt“, schrieben wir. Die Deutschen waren voller widersprüchlicher Gefühle, was den Untergang der Nazis betraf, der für viele wie das Ende eines Traums erschien. „Einige werden sagen, dass es nichts als ein schöner Traum von der Eroberung der Welt gewesen sei und dass die Deutschen vor allem Bedauern und Verzweiflung über den Verlust dieser Fata Morgana empfinden. Andere, allen voran die Deutschen selbst, behaupten, dass der Traum ein Albtraum war, der sie unterdrückte und erstickte, und dass sie nun Erleichterung und Dankbarkeit empfinden.“
Bayern nahm in der Geschichte der Nazis einen besonderen Platz ein, galt es doch als Wiege der NSDAP. Im Jahr 1923 versuchte Adolf Hitler, inspiriert von Benito Mussolinis Marsch auf Rom im Jahr zuvor, die Regionalregierung im sogenannten „Bierkeller-Putsch“ im Münchner Bürgerbräukeller wegzuputschen. In Bayern hatte sich die NSDAP jedoch nie vollständig etabliert, und der sogenannte „Kadavergehorsam“, den die Nazis eingefordert hatten, nahm mit ihrer unvermeidlichen Niederlage immer mehr ab.

„Hier in Bayern brach er in den letzten Tagen bzw. Wochen des Krieges ganz offensichtlich zusammen, hatte er doch bereits zuvor schon feine Risse bekommen. In München, auch ‚Hauptstadt der Bewegung‘ genannt, befindet sich im Zentrum der Stadt das ‚Mekka des Nationalsozialismus‘, der berühmte Bürgerbräukeller, der heute von einem amerikanischen Wachposten bewacht wird, vermutlich als schändliches Relikt von musealem Wert. Doch in dieser ‚Hauptstadt der Bewegung‘ ist es fast unmöglich, jemanden zu finden, der etwas die Nazi-Machenschaften sagt. Die Bürger erzählen dem Ausländer schüchtern, dass Münchens halb scherzhafter und inoffizieller Titel ‚Hauptstadt der Gegenbewegung‘ lautete. Selbst in der Hochzeit des Nationalsozialismus hätte die lokale Intelligenz einen Spaß daran gehabt, die Nazis auf offener Bühne diskret zu kritisieren oder unter vorgehaltener Hand einzugestehen, dass sie eine tiefsitzende Sympathie für die alte Wittelsbacher Dynastie hegte. Die bayerische Linke, die gelegentlich weniger bescheidene Gesten des Widerstands an den Tag legte, verwies auf das nahe gelegene Konzentrationslager Dachau, das jegliche antinazistischen Reflexe (aus Angst, Anm.d.Übersetzers) in den Köpfen der Bayern immer wieder dämpfte.“

Nur wenige Wochen nach dem Ende des Krieges in Europa gab es kaum Möglichkeiten, solche Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Die Besatzungsmächte kontrollierten alle politischen Entscheidungen. Die Alliierten verboten nicht nur die NSDAP, sondern setzten auch die Aktivitäten aller politischen Organisationen für vier Monate aus. Kommunalwahlen fanden zwar 1946 statt, aber es gab keine nationalen Wahlen bis 1949, als die Westdeutschen nach der Teilung des Landes an die Wahlurnen gingen. Unser Korrespondent berichtete:

„Das erste Aufkeimen eines neuen politischen Lebens im postnazistischen Bayern ist naturgemäß noch extrem schwach und kraftlos. Alle politischen Angelegenheiten werden von den Offizieren der Alliierten Militärregierung bearbeitet oder finden in den Privathäusern einiger weniger Überlebender der Weimarer Demokratie statt. Die führenden Köpfe der neuen bayerischen Verwaltung agieren als Einzelpersonen ohne die Unterstützung politisch organisierter Gruppierungen, deren Gründungen von der Militärregierung strengstens verboten wurden. Diese hat mehr als deutlich gemacht, dass es ,keine Politikausübung in Deutschland‘ geben darf und dass das Verbot jeglicher politischer Betätigung ausnahmslos für alle Gruppierungen galt, auch die, die gegen die Nazis waren.“

Dieser Zustand „verlängerte zweifellos die politische Lähmung, die nach dem Zusammenbruch des Einparteiensystems sichtbar wurde.“ Vor dem harten Durchgreifen der Alliierten hatten in den letzten Tagen des Krieges bereits einige Gruppierungen damit begonnen, sich zu organisieren: „Einzelne Überlebende der alten Parteien der Linken, wie die Sozialisten, Kommunisten und Gewerkschafter, kamen zusammen und diskutierten die neue Lage. Bald schlossen sich ihnen auch Überlebende der Konzentrationslager an.“ Doch jene Gruppen, von denen einige versucht hatten, den Vormarsch der Alliierten zu unterstützen, um das Kriegsende zu beschleunigen, waren verstummt.
Unserem Korrespondenten drängte sich daher die Frage auf: „Soll die Politik in Deutschland weiterhin so konturenlos bleiben—und wenn ja, wie lange? Oder sollte man nicht lieber die unbestreitbar vorhandene anti-nationalistische Einstellung der Bevölkerung als Beginn für die Entwicklung einer neuen politischen Perspektive für Deutschland nutzen?“ Der Westen des Landes sollte nach zwölf Jahren Diktatur zur Demokratie zurückkehren, allerdings erst nach vier weiteren schwierigen Jahren.

13. Juni

Zonen der Besatzung

Weniger als einen Monat nach der Verkündigung des Sieges in Europa versammelten sich die Alliierten in Berlin, um Deutschlands Kapitulation offiziell zu besiegeln. Nachdem sie die Aufteilung der Besatzungsgebiete untereinander vereinbart hatten, richteten sie ihren Blick auf den Wiederaufbau Deutschlands. Für den Economist stellte sich unmittelbar ein logistisches Problem: Die meisten Deutschen lebten im Westen, der Großteil der Nahrungsmittel befand sich jedoch im Osten. Da die Amerikaner, Briten und Franzosen den Westen kontrollierten, die Sowjetunion hingegen den Osten, war Kooperation unabdingbar.

„Die Bevölkerung der sowjetischen Zone hat sich allerdings durch die Flucht deutscher Zivilisten und die massenhafte Kapitulation von Wehrmachtssoldaten gegenüber den Westalliierten erheblich reduziert. Das bereits im Vorkriegsdeutschland bestehende Ungleichgewicht hat sich dadurch noch verschärft. Ohne eine rasche Organisation des Transfers von Arbeitskräften nach Osten und der Lieferung von Nahrungsmitteln nach Westen werden die Lebensmittel im Osten wegen mangelnder Arbeitskräften nicht geerntet werden können und der Westen wird mangels Versorgung hungern. Dieses Problem lässt sich nur durch gemeinsames Handeln der Alliierten lösen.“

Über die unmittelbare Aufgabe hinaus, die Deutschen vor Hunger zu bewahren, sahen sich die Alliierten mit einer für Leser Lenins bekannten und brennenden Frage konfrontiert: Was tun? Der Economist zeigte sich bestürzt darüber, dass keine der Siegermächte eine Strategie für die politische Neuordnung Deutschlands nach dessen Niederlage zu haben schien.

„Wollen die Alliierten den zentralisierten deutschen Staat für immer zerschlagen? Wenn ja, soll dies durch Dezentralisierung oder Föderalisierung geschehen? Oder sollen unabhängige Staaten aus dem alten Reich hervorgehen? Oder ist beabsichtigt, Deutschland zu spalten, indem die verschiedenen Besatzungszonen dauerhaft in die jeweiligen „Einflusssphären“ der Siegermächte eingegliedert werden?“

Ohne eine solche Strategie, so unsere damalige Ansicht, könnte es keinen Plan für die deutsche Wirtschaft geben. Wir kritisierten, dass die Alliierten noch nicht einmal entschieden hatten, ob Deutschland eine „industrielle oder eine landwirtschaftliche Zukunft“ haben sollte. Mangels einer kohärenten Politik verfolgte jede Macht ihre eigenen Interessen. Sollte sich dies fortsetzen, so unsere Warnung, „führt der Weg unweigerlich in den Ruin“.
Angesichts des rasanten Wirtschaftsaufschwungs Westdeutschlands nach dem Krieg erwies sich diese Einschätzung als übermäßig pessimistisch. Damals jedoch schien es, als würden die Sowjets Deutschlands Wiederaufbau anführen. Wir tadelten Briten und Amerikaner, da sie dem deutschen Volk keine positive Zukunftsvision präsentierten, während sowjetische Radiosender—so unwahrscheinlich es auch klingen möchte—Hoffnung verbreiteten.

„Ein letzter Unterschied ist das Bild, das die Siegermächte dem deutschen Volk von seiner Zukunft vermitteln. Briten und Amerikaner schweigen. Sie betreiben keine Propaganda. Sie verfolgen keine klare Linie. Ihre Radiosender verbreiten kaum mehr als Verbots- und Straflisten. Radio Berlin hingegen gibt den Deutschen einen Schimmer Hoffnung: dass sie—wenn sie nur hart arbeiten und die Nazis in den eigenen Reihen eliminieren—eines Tages mit „Hilfe der großen Sowjetunion“ den Weg zurück in die Völkergemeinschaft finden würden. Man möchte diese Sendungen als Propaganda abtun. Doch wenn dem so ist, dann ist es wirksame Propaganda. Die vor den Deutschen liegende Dunkelheit ist so undurchdringlich und ihr Schicksal liegt so unwiderruflich außerhalb ihrer Kontrolle, dass jedes Anzeichen einer politischen Strategie, jede Hoffnung auf eine positive Zukunft, ihre Gemüter bewegen und sie—wenn auch zögerlich—einen Hoffnungsschimmer am östlichen Horizont suchen lassen muss.“

Der Economist beschwor die Alliierten, einen Weg zur Einigung Deutschlands zu finden, und argumentierte, dass die „Kämpfe um die Wiedervereinigung“ des geteilten Landes sonst „die Politik Europas über Jahrzehnte hinweg belasten“ würden. Der Kalte Krieg stand unmittelbar bevor.

20. Juni

Die neue Charta

Die Gründung der UNO war seit langem in Vorbereitung. Bereits 1941 hatten Amerika und Großbritannien ihren Wunsch bekundet, „ein umfassenderes und dauerhaftes allgemein gültiges Sicherheitssystem“ zu schaffen. Im April 1945 versammelten sich Delegierte aus 50 Ländern in San Francisco, um dieses Ziel zu verwirklichen. Nach neun Wochen der Diskussion unterzeichneten sie am 26. Juni die Charta der Vereinten Nationen und schufen damit eine staatenübergreifende Organisation, die die kriegerischen Ambitionen in der Welt eindämmen sollte.
Die Delegierten hatten das Scheitern des Völkerbundes noch nicht vergessen. Seine Gründung war nach dem Ersten Weltkrieg ein ähnlicher Versuch, den Frieden zu sichern. Dennoch war The Economist optimistisch, dass die UNO dort Erfolg haben könnte, wo der Völkerbund versagt hatte.
Warum? Erstens würden, anders als beim Völkerbund, Amerika und die Sowjetunion von Anfang an in die UN eingebunden sein. Dies sei entscheidend, argumentierten wir, da die Stärke einer solchen Organisation unweigerlich von ihren mächtigsten Mitgliedern ausgehe, die „über dem Gesetz stehen, weil sie die Macht hinter dem Gesetz ausüben“. Dass Amerika, Großbritannien, China, Frankreich und die Sowjetunion ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates mit jeweils einem Vetorecht in Bezug auf die UN-Politik sein würden, spiegelte dies wider.
Zweitens wurde die vergebliche Hoffnung, dass Länder durch das ihnen innewohnende bessere Wesen zum Frieden gelangen, diesmal zugunsten eines eher hobb’schen Realismus in den Hintergrund gedrängt.
Harry Truman, der amerikanische Präsident, legt dar, was bei der Gründung der Vereinten Nationen auf dem Spiel steht.

„Der UN-Charta kann kein übertriebener Idealismus vorgeworfen werden. Im Gegenteil, fast jeder Artikel ist geprägt von den Erfahrungen zweier düsterer Jahrzehnte zwischen den Kriegen, in denen sich insbesondere in Europa Machtpolitik, Imperialismus und Aggression wie Wildwuchs innerhalb und außerhalb des neuen Völkerbundes ausgebreitet hatten. In der Charta der Vereinten Nationen wird nicht auf bessere, idealistische Methoden zur Gestaltung internationaler Beziehungen gesetzt. Eine führende Position wird von denjenigen eingenommen, die sich dank ihrer physischen Stärke in einer wie auch immer gearteten unorganisierten Weltgesellschaft eine Vormachtstellung verschaffen würden.“

Zyniker, so schrieben wir, könnten beklagen, dass die Charta nichts anderes sei als „alte Notlösungen und separater Nationalismus in Großbuchstaben, überzogen mit einer Schicht allgemeiner guter Absichten”. Wir wiesen jedoch darauf hin, dass der Völkerbund tatsächlich wegen seiner Hochherzigkeit scheiterte. Zu sehr vom Wert ihrer gemeinsamen Bemühungen um einen dauerhaften Frieden überzeugt, verloren seine Mitglieder aus den Augen, dass sie auch eine individuelle militärische Verantwortung für seine Verteidigung übernehmen müssen.

„Hat nicht der Glaube, dass der Völkerbund mehr sei als die vereinte Macht seiner Mitglieder, und er per se als Garant gegen den Krieg galt, dass eine kollektive Sicherheit als eine Alternative zur nationalen Verteidigung und nicht als deren Erweiterung gesehen wurde—haben nicht diese Illusionen die Chance auf einen dauerhaften Frieden eher erschwert als erleichtert? Indem man die Verantwortung für die Eindämmung von Aggressionen zugunsten einer kollektiven Sicherheit dem Bund als Ganzes übertrug, fühlte sich individuell niemand verantwortlich.“

Wir berichteten, dass das neue Gremium nicht den „utopischen Elan“ des Völkerbundes hatte und die Verantwortung für die Wahrung des Friedens bei den Großmächten lag. Es ähnelte damit eher einem Sammelsurium aus unterschiedlichen Allianzen, die bisher leider nicht vermochten, einen Krieg zu verhindern. Dennoch hatte es einen großen Vorteil, denn es bot ein Forum für die Äußerung von Beschwerden.

„Die Konferenz selbst hat bereits gezeigt, wie stark die Weltöffentlichkeit die Politik der Großmächte beeinflussen kann und wie heilsam es sein kann, Unrecht und Willkür öffentlich anzuprangern. Als Plattform der Weltöffentlichkeit kann die internationale Struktur der neuen Staatenorganisation direkt dazu beitragen, Fehlverhalten und Aggressionen einzudämmen.“

Wie schon der Völkerbund zuvor würde auch die UNO nur dann funktionieren, „wenn ihre Mitgliedstaaten dies wünschen und darauf hinarbeiten“ und wenn die mächtigsten Länder dieses Völkerbunds „einen guten und friedlichen internationalen Umgang miteinander“ an den Tag legen. Wie die ersten 80 Jahre der UNO gezeigt haben, mangelte es leider allzu oft an einem derartigen Wohlwollen.

1945: Liberated French prisoners on a road, west of Berlin, passing by a Russian Stalin tanks which had travelled 2,000 miles during the course of the war.

27. Juni

Bayerische Straßen

Im Juni 1945 veröffentlichte The Economist den zweiten Lagebericht eines Korrespondenten aus München. Unser Artikel beschrieb seine Reise durch den Süden Bayerns zu Beginn der Nachkriegszeit. In anderen Teilen Deutschlands gab es einen „jähen Kontrast“ zwischen dem Leben in den Städten, die „auf einen deutschen Propheten Jeremia zu warten schienen, um ihre Ruinen zu beweinen“, und der friedlichen Landschaft ringsherum. Auf den bayerischen Straßen bot sich eine Art „Querschnitt der großen Probleme Deutschlands und Europas“. Deutsche Soldaten, die nach der Kapitulation der Nazis demobilisiert worden waren, befanden sich auf dem Weg nach Hause:

„Südlich von München, vor der klaren Silhouette der Alpen, kann man die letzten Szenen der kapitulierenden Wehrmacht gut beobachten. Lange Konvois von Lastwagen, voll mit deutschen Soldaten, angeführt von Offizieren in Dienstwagen, rollen zu Sammelplätzen und Gefangenenlagern. Die Soldaten werden entwaffnet. Einige Offiziere der Luftwaffe, der SS sowie der Infanterie tragen noch ihre Seitengewehre und geben brüllend in typischer Feldwebel-Manier ihre letzten Befehle an die Männer.“

Auch Menschen, die den Holocaust überlebt hatten, waren auf den Straßen unterwegs. Einige, die aus den Konzentrationslagern der Nazis befreit worden waren, reisten zurück in ihre Heimatstädte. Andere begaben sich nach Westen in die von den Alliierten befreiten Gebiete, wo Auffanglager eingerichtet worden waren, um sie aufzunehmen.
Die sich kreuzenden Wege von Soldaten und Flüchtlingen führten zu manchen surrealen Begegnungen. Unser Korrespondent schrieb über eine Begegnung zwischen einem befreiten KZ-Häftling und einem Offizier der Schutzstaffel (SS), der wichtigsten paramilitärischen Einheit der Nazis während des Krieges:

„Irgendwo am Straßenrand schleppt sich ein Mann im KZ-Sträflingsanzug langsam nach Hause. Kurz davor war er von einem SS-Offizier angehalten worden, der mit seinem Adjutanten in einem Auto unterwegs war. Es kommt zu einem heftigen Wortwechsel und Drohungen mit wilden Gestikulierungen. Als sich ein amerikanischer Jeep nähert, hört der Streit auf und das Auto des SS-Offiziers fährt davon. Der ehemalige KZ-Häftling erklärt mit einem gewissen Stolz, dass er Funktionär der Sozialdemokratischen Partei in Breslau war. Es war tatsächlich so, dass SS-Männer gelegentlich solche Menschen auf den Straßen schikanierten.“

Der Mann, der nach Breslau (heute Wroclaw in Polen) unterwegs war, sah sich unter russischer Besatzung einem ungewissen Schicksal gegenüber. Bis er „in das Konzentrationslager verschleppt worden war“, schrieben wir, „war er in den Augen der lokalen Kommunisten ein ‚Sozialfaschist‘ gewesen“.
Auch andere waren unterwegs. Eine Gruppe von Roma aus Deutschland, die von den Nazis verfolgt worden waren, reiste in einem Konvoi. „Sie wollen arbeiten, und das Vaterland oder die Sieger sollten ihnen Arbeit geben.“ Andere Menschen suchten nach ihren Familien:

„Auf der anderen Straßenseite versucht eine große, dünne Frau, zwei amerikanischen Offizieren in gebrochenem Englisch etwas zu erklären. In ihrer verwirrten, unverständlichen Geschichte tauchen immer wieder zwei Worte auf: Gas und Kammer. Es stellt sich heraus, dass ihr Kind vor sieben Jahren von einem Nazi-Arzt als geistig behindert eingestuft worden war. Der Hausarzt teilte diese Diagnose nicht, seine Meinung wurde jedoch ignoriert. Nach den Regeln der „Rassenhygiene“ sollte das Kind in eine Gaskammer kommen, der Nazi-Version des Tarpejischen Fels (im antiken Rom Anmerk. d. Übers). Die Mutter versteckte das Kind an einem etwa 200 Kilometer entfernten, abgelegenen Ort. Als sie es zum letzten Mal gesehen hatte, war es fast verhungert. Würde sie nun von der Militärregierung eine Genehmigung erhalten, ihr Kind zu holen?“

Mit der Verfolgung von Juden, Slawen, Roma und anderen ethnischen und sozialen Gruppen, einschließlich seiner politischen Gegner, hatte Adolf Hitler den Kontinent verwüstet. Nun folgte eine Migrationswelle. „Die Leiden und Ängste eines halben Dutzend unterschiedlicher Nationalitäten trafen für eine Weile hier, mitten auf der schönen, sonnenbeschienenen bayerischen Straße aufeinander. Bald werden sie vom Wind in alle Richtungen und in andere Länder verweht.“ Die Demografie Europas— dessen Vielfalt, Verteilung der Völker und Kulturen—wurde für immer verändert.

Juli

1945

4. Juli

Ende des Wahlkampfgetöses

Am 5. Juli gingen die Briten zur Wahl. Die ersten Parlamentswahlen seit 1935 waren ungewöhnlich. Die Parteipolitik war während der sechs langen Kriegsjahre praktisch zum Erliegen gekommen. Obwohl die Kämpfe in Europa vorbei waren, mussten Millionen von Menschen noch nach Hause zurückkehren. Unter den 25 Millionen Wählern, die ihre Stimme abgaben, wählten etwa 1,7 Millionen Soldaten und Soldatinnen per Vollmacht oder per Briefwahl. „Es folgte eine seltsame Zeit des Dahindämmerns und Wartens auf das Wahlergebnis, das der Öffentlichkeit noch wie ein Geheimnis in den versiegelten Wahlurnen verborgen blieb während in jedem Hotel des Landes erschöpfte Kandidaten in nervöser Erwartung verharrten“, schrieb The Economist am 7. Juli. Das Warten würde länger als gewöhnlich dauern, denn um genug Zeit für die Auszählung aller Stimmen zu haben, würde das Ergebnis erst nach drei Wochen bekannt gegeben werden.
Die Partei der Konservativen von Winston Churchill und die Labour-Partei von Clement Attlee, die im Krieg Partner waren, kämpften nun hart um den Regierungsauftrag in Friedenszeiten. Lokale Labour-Aktivisten erwarben sich dabei einen schlechten Ruf, da sie Versammlungen der Konservativen und Liberalen störten und unterbrachen. Auf nationaler Ebene waren es jedoch die Tories, die Kritik verdienten:

„Auf nationaler Ebene, in den Zeitungen und im Rundfunk sah es allerdings genau umgekehrt aus. Hier hat die Labour-Partei ihren Wahlkampf mit großer Würde und gutem Gespür geführt, während die Konservativen mit Tricks, Ablenkungsmanövern und unfairen Praktiken operierten, die viele ihrer Freunde und Anhänger, und ehrlich gesagt, auch die meisten aus ihrem eigenen Führungspersonal jenseits des engsten Kreises verabscheuten. Die konstruktiv gemäßigte Haltung eines Mr. Eden, Mr. Butler und Sir John Anderson wurde mit aktiver Unterstützung des Premierministers von diesem Zirkus konterkariert.“

Winston Churchill, der 1940 Premierminister wurde, nachdem das Unterhaus Neville Chamberlain zum Rücktritt gezwungen hatte, hatte nie eine Parlamentswahl gewonnen. Er beklagte sich über die ihm fehlende überzeugende Zukunftsvision, die er den Wählern vermitteln hätte können: „Ich habe keine Botschaft für sie.“ Deshalb bediente er sich einer düsteren Rhetorik. Am 4. Juni, weniger als zwei Wochen nachdem Attlee aus seiner Regierung ausgetreten war, sagte Churchill, der Labour-Vorsitzende würde „eine Art Gestapo“ zur Umsetzung seines Wahlprogramms benötigen. In Anspielung auf die Schrecken des Faschismus und Kommunismus, die den Kontinent erschüttert hatten, warnte er davor, dass Attlees linke Plattform „untrennbar mit Totalitarismus und einer unterwürfigen Staatsverehrung verwoben sei.“
„Tatsächlich fällt es sehr schwer, in Churchill, so wie er sich in den letzten Wochen darstellte, den Staatsmann zu sehen, der sein Land über seine Partei stellt“, schrieben wir. Dass die Konservativen ihren Wahlkampf so verbittert geführt hatten, war ein beunruhigendes Zeichen dafür, dass die Partei nicht auf die Aufgabe vorbereitet war, Großbritannien wieder aufzubauen. Die neue Regierung würde sich mit vielfältigen Problemen auseinandersetzen müssen:

„Letztendlich sah es nicht so hoffnungsvoll aus, dass eine der beiden großen Parteien die enormen und neuartigen Aufgaben der nächsten Jahre mit dem notwendigen Elan angehen würde, die die miserable Lage des Landes erforderte. Bereiche wie die Außen- und Machtpolitik, der Umgang mit einer enormen Auslandsverschuldung, die Wahrung des wirtschaftlichen Friedens und der sozialen Einheit erforderten immense Anstrengungen, großes Geschick, die Bereitschaft, neue Methoden auszuprobieren, klares Denken und großen Mut.“

Im Vormonat hatte The Economist Attlees Wahlkampf lobend erwähnt. Im Gegensatz zu Churchill waren die Rundfunkansprachen des Labour-Vorsitzenden „gemäßigt, vernünftig, konstruktiv und fair“ gewesen. Dennoch war es schwer vorstellbar, dass Attlee, ein zurückhaltender ehemaliger Anwalt, den Premierminister besiegen würde, der zum Symbol für den Kampf Großbritanniens im Krieg geworden war: „Bei Wahlen ... kann man niemanden mit niemandem besiegen.“ Es war auch schwer vorherzusagen, ob Attlees erste Riege dieser Aufgabe gewachsen war. Für die Labour-Partei, die noch nie eine Mehrheit bei einer Parlamentswahl gewonnen hatte, würde es schwierig werden, die Wähler davon zu überzeugen, dass sie kompetenter regieren würde als die Tories. Dennoch:

„Eines Tages wird es eine Neuordnung der politischen Kräfte geben, die die Anstrengungen der Nation für den Frieden mobilisieren werden, so wie sie 1940 für den Krieg mobilisiert wurden. Churchill hätte diese zweite Aufgabe in Angriff nehmen können, so wie er die erste abgeschlossen hat. Er hat es sich selbst schwer gemacht, indem er die Parteiführung übernommen hatte. Zusätzlich hat er sich mit seinem Verhalten bei dieser Wahl als Identifikationsfigur für eine wirklich nationale Politik der sozialen und wirtschaftlichen Erneuerung diskreditiert.“

Die Labour-Partei hatte sich sehr bemüht, diese Stimmung für sich zu nutzen. „Und jetzt—den Frieden gewinnen“ lautete die Botschaft auf einem der bekanntesten Wahlplakate der Partei. Im Gegensatz dazu hatte Churchill seine überragende persönliche Popularität verspielt, indem er „sich zu einem engstirnigen Parteipolitiker gewandelt“ hatte. So standen nun beiden Seiten sowie den Wählern drei nervenaufreibende Wochen des Wartens bevor.
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